Predigt zu Kolosser 2, 12-15 von Esther Kuhn-Luz
2,12
Liebe Gemeinde,
über Ostern haben wir viele Lieder gesungen, die voller Jubel von der Auferstehung Jesu erzählt haben – und die auch unsere biografische Geschichte mit der Hoffnung verbindet, dass es einen Neuanfang gibt, wo wir nur Ende, Tod, Resignation, Selbstaufgabe sehen.
Jedes Jahr an Ostern singen wir das ja in einer veränderten Situation unserer Lebensgeschichte.
„ Jesus lebt – mit ihm auch ich!
Tod – wo sind nun deine Schrecken?
Er, er lebt und wird auch mich von den Toten auferwecken.
Er verklärt mich in sein Licht: dies ist meine Zuversicht.“
So drückt Christian Fürchtegott Gellert 1727 seine Auferstehungshoffnung aus.
„ Jesus lebt! Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben.
Welchen Trost in Todesnot wird er meiner Seele geben,
wenn sie gläubig zu ihm spricht: Jesus meine Zuversicht!“ ( EG 115)
Und 200 Jahre später nimmt Jürgen Henkys diese Hoffnung auf als Lebenshoffnung für unseren Alltag – und für den heutigen Sonntag Quasimodogeniti ist das wie ein Motto: Durch den Glauben an Christus neues Leben, neue Hoffnung, neue Lebendigkeit zu entdecken.
„Wollen wir Gott loben, leben aus dem Licht.
Streng ist seine Güte, gnädig sein Gericht.
Kyrieleison, sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten,
lass uns auferstehen!“ ( EG 97)
Lass uns auferstehen!
Jetzt – heute- aus der Kraft der Auferstehung leben!
Uns nicht mehr tot stellen – nicht mehr wegducken vor der Kraft der Hoffnung.
Das klingt zu vollmundig?
Zu idealistisch angesichts der massiven Probleme - in der eigenen Lebensgeschichte, in der gegenwärtigen politischen Geschichte ?
Es ist schon verrückt. Die Botschaft der Auferstehung war es, die das Evangelium von Christus für viele Menschen in vielen Ländern und Kulturen über die Jahrhunderte und von Anfang an „ aufregend“ gemacht hat: diese Botschaft verändert das ganze Leben. Damit verbindet sich nicht nur ein verändertes Nachdenken über den Tod, damit verbindet sich vielmehr ein verändertes Nachdenken über das Leben.
Gedanken für das Leben in Christus auch nach dem Tod verändern die Gedanken über das Leben vor dem Tod. Wenn das nicht so ist, dann bleiben die Worte von Ostern nur leere Worte, so wie das Dorothee Sölle in einer Begegnung mit einer schwarzen Frau aus den USA namens Sheila beschreibt.
„Sheila erzählt mir dass sie
am ostermorgen mal wieder zur kirche ging
sie wollte wissen denk ich
ob wir gründe haben
an auferstehung zu glauben
aus dem tod in dem wir jetzt sind
Ihre methode war einfach
sie las keinen alten text vor
sie passte nicht sonderlich auf
sie fragte die teilnehmenden einfach
wie denn die andere welt aussehen soll
Das schlimme, sagt Sheila war nicht das lange schweigen
…
das schreckliche war was dann kam
an liebe und solchem gerede
da war keine vision sagte Sheila
sie hatten nichts konkretes zu wünschen…“
(Dorothee Sölle, zit: Lucia Sutter Rehmann, Sich dem Leben in die Arme werfen. S. 30)
Schon zu biblischen Zeiten gab es diese Hoffnungslosigkeit – dass da nur noch ein Gerede ist und keine Hoffnungskraft mehr.
In vielen Briefen hat der Apostel Paulus die verschiedenen Gemeinden, die er besucht hatte, immer wieder daran erinnert, sich dieser Kraft der Auferstehung zu öffnen – diesem Geist Gottes, der verändert, der befreit, diese Kraft Gottes in auferstehendem Leben mitten im Alltag.
Nach dem Tod von Paulus haben Freunde und Freundinnen von ihm mit dieser Intention weiter geschrieben, um gegen Resignation an zu schreiben – so z.B. den Kolosserbrief, aus dem heute unser Predigttext kommt.
Die Glaubenden sind mit Christus auferstanden – haben einen anderen Blick auf die Gegenwart – wie im Himmel so auf Erden. Sie bekommen einen anderen Blick auf die Wirklichkeit, auf ihre Realität, können den privaten und politischen Alltag noch mal aus einer anderen Perspektive anschauen - von der Auferstehung her, von der Fülle des Lebens in Christus. Immer wieder wird im Kolosserbrief betont, dass in Christus „ alles“ geschaffen ist, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare – dass es Gott wohlgefallen hat, dass „ alle“ Fülle in ihm wohnen sollte und dass er durch ihn „ alles“ mit sich versöhnte – es sei auf Erden oder im Himmel. Begründet wird das dann mit der Sühnetheologie: indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
Mit großer Eindringlichkeit betonen die VerfasserInnen, wie wichtig es ist, im Glauben an den befreienden und auferstehenden Christus zu bleiben: in ihm verwurzelt zu sein und nicht von der Hoffnung des Evangeliums ab zu weichen, „ das ihr gehört habt und dass allen Geschöpfen gepredigt ist…“( Kol 1, 23)
Im Abschnitt unter der Überschrift „ Warnung vor den Irrlehrern“ wird noch einmal betont, dass der Glaube an den grenzenüberschreitenden Gott des Lebens nichts ist, was man neben anderen Überzeugungen auch noch „ haben“ kann. Es ist auch nicht einfach eine Art Ethik für besondere Gelegenheiten des Lebens, sondern eine Lebenseinstellung, die das ganze Leben umfasst . Immer wieder taucht deshalb das umfassende Wort „ alles „ auf: in Christus liegen verborgen „ alle“ Schätze der Weisheit und der Erkenntnis – in ihm ist die ganze Fülle der Gottheit lebendig. ( Kol 2, 3.9.)
Und jetzt - in unserem Predigttext Kol 2, 12-15, wenden sich die Verfassenden konkret an die Hörenden und Lesenden: was wir über Christus erzählen betrifft ganz konkret auch euer Leben.
„ Mit ihm seid ihr begraben worden durch die Taufe;
mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes,
der ihn auferweckt hat von den Toten.
Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht,
die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches,
und hat uns vergeben alle Sünden.
Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war
und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.
Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet
und sie öffentlich zur Schau gestellt
und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.“
Quasimodogeniti – wie die neugeborenen Kinder.
Das war der klassische Tauftag in früheren Zeiten – aus der Kraft der Auferstehung zu leben.
Dieses auferstehende Licht der Hoffnung zu empfinden ist kein Automatismus. Sehr einfühlsam beschreibt der Kolosserbrief zunächst die Situation „begraben“ zu sein, von Licht wenig zu spüren. Aber diese tiefe Sehnsucht nach Licht-Blicken in sich zu tragen.
Die Sehnsucht nach Tiefe, nach einer inneren Kraft, nach einer inneren Verwurzelung, die mich widerständig machen kann, eigensinnig machen kann, die mich wieder auf meinen eigenen Weg bringen kann.
So geht es vielen Menschen, die zu lange über ihre eigenen Grenzen in Anspruch genommen wurden – wenn Pflege, Familie und Arbeit ständig miteinander verbunden werden müssen, wenn es nach jahrelangem Bemühen aussichtslos erscheint, aus der eigenen Erwerbslosigkeit einen Ausweg zu finden.
Stricke des Todes hatten mich umfangen - nichts war mehr möglich. Meine Kraft, meine Energie, alles war weg. Ich hatte keinen Aus-Blick mehr. Alles in mir war wie tot. Ich hatte keine Gefühle mehr, keine Lust mehr, überhaupt keine Fähigkeit mehr, genießen zu können.
Ich denke an eine Begegnung mit einem Ingenieur, der zusammen mit anderen eine Softwarefirma aufgebaut hat. Er war sehr erfolgreich, hat viele Informatiker eingestellt, rund um die Uhr gearbeitet, sich keine Pause gegönnt, weil die Konkurrenz ja auch nicht schläft – und weil er die Verantwortung für die Arbeitsplätze der anderen hatte.
Er hat mir auf einer Tagung über Burnout seine eigene Geschichte erzählt : wie dunkel es in einem Menschen aussieht, der sich völlig verausgabt hat und welch großes Geschenk es ist, wieder eine auferstehende Lebenskraft in sich zu spüren.
Ich möchte Ihnen das heute morgen weiter gegeben als eine Auferstehungsgeschichte unserer heutigen Zeit.
„Ich habe jahrelang eine klare Konditionierung gehabt: du bist stark, du bist gut drauf, das schaffst du. Nichts war mir zu viel. Aber dann war nach vier Jahren plötzlich alle Energie aufgebraucht. Nichts ging mehr. Da hat mir meine Konditionierung als „ Held“ nicht mehr geholfen.
Ich hatte mich jahrelang nicht mehr um meine eigenen Bedürfnisse, um meine Sehnsüchte und Beziehungen gekümmert. Dabei habe ich mich selbst verloren. Und dann kam der Zusammenbruch von einem Tag auf den anderen. Nichts ging mehr. Die Diagnose: Erschöpfungsdepression. In mir war ein großer Widerstand, eine eigene psychische Erkrankung ein zu gestehen. Aber dann kamen Panikattacken und der Wunsch, mir das Leben zu nehmen. In mir gab es keinen einzigen Lichtfunken mehr – nichts mehr an Hoffnung. Kein Empfinden mehr für Freude. Jeder Kontakt wurde zur Qual. Alltägliches ( telefonieren, essen machen, Türe öffnen, Formular aus zu füllen) wurde unmöglich.
Dann kann der absolute Rückzug. Das war für mich eine ganz wichtige Erfahrungen in der Klinik: Ich hatte und ich brauchte ganz viel Zeit für mich. Sehr sehr langsam konnte ich dann eine Achtsamkeit entwickeln, die mir selber galt. Ich habe angefangen, der Seele einen Raum geben. Überhaupt zu spüren, dass meine Seele eigene Bedürfnisse hat. Und ich musste mich mit der Frage auseinander setzen: was macht eigentlich mein Leben aus, wenn alles das zusammenbricht, was scheinbar so wichtig war? Ich habe angefangen, über den Sinn des Lebens nach zu denken. Das Leben ist nichts selbstverständliches, sondern ein Geschenk .
Ich habe immer Kirche und Glaube eher abgelehnt. Vom Verstand her war mir klar, Gott gibt es nicht. Und dann habe ich diese Erfahrung gemacht, dass der Verstand nicht alles ist, dass ich auch eine Seele habe. Die Seele hat ein ganz eigenes Bedürfnis – und ich habe angefangen, der Seele ihr eigenes Recht zu geben.
Sie hat ganz andere Bedürfnisse als mein Verstand zulassen möchte. Ich habe mich dann entschieden, einfach beides zu zulassen. Mein Verstand darf weiter kritisch bleiben – aber meine Seele hat mit ihrem Bedürfnis nach Tiefe auch ihr Recht. Das hätte ich nie von mir gedacht: Spiritualität spielte plötzlich eine Rolle. Und zwar existenziell: ich habe eine ganz tiefe Dankbarkeit gespürt : ich lebe… ich höre die Vögel… ich rieche Blumen….ich genieße Zeit mit Menschen, die ich mag…“
Soweit der Bericht.
Wieder lebendig zu werden - die Kraft Gottes in mir zu spüren - wieder aufmerksam zu werden für mein Leben – für die Menschen, denen ich begegne.
Mit Christus seid ihr auch auferstanden durch den Glauben
Aus der Kraft Gottes,
der ihn auferweckt hat von den Toten.
Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht,
die ihr tot wart in den Sünden
und in der Unbeschnittenheit eures Herzens.
Das bedeutet, mir wieder bewusst zu machen, dass ich täglich Licht des Lebens geschenkt bekomme – und dass mir dieses Licht Gottes die Augen öffnet für die Gegenwart Gottes, für die Schönheit Gottes in meinem Alltag. Für die Sehnsucht Gottes nach einer Welt, in der wir Menschen uns gegenseitig unterstützen, um die für alle verheißene Fülle des Lebens auch leben zu können.
„ Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt
…
Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen des lebens.
D. Sölle ( aus: Loben ohne Lügen, WolfgangFietkauVerlag)
Im Alltäglichen nicht die biblische Vision eines auferstehenden Lebens aus den Augen zu verlieren.
Dazu gehört auch der Umgang mit Schuld – mit eigener Schuld und mit der Schuld der anderen.
Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war
und hat ihm weg getan und ans Kreuz geheftet…
Auch da ist es hilfreich, sich mit biografischen Geschichten zu beschäftigen. Ich denke z.B. an Petrus – wie er mit seiner Schuld umgegangen ist.
„ Da gedachte Petrus an die Worte Jesu und ging hinaus und weinte bitterlich.“ Diesen Satz haben einige von uns zusammen mit den Klängen der Johannespassion von Johann Sebastian Bach gehört. Diese herz-zerreißende Musik, dieser tiefe Schmerz, diese Scham vor sich selber – um sich selber zu retten den eigenen Freund zu verraten.
Vor sich selber gibt es keine Flucht. Judas hielt das nach seinem Verrat nicht aus und nahm sich das Leben. Petrus lebt ganz in seiner Verzweiflung.
Aber er hat erfahren, dass Jesus, dass Gott ihn nicht auf seine Schuld festnagelt. Er hat später durch Begegnungen mit dem Auferstandenen gespürt, dass sein Schuldbrief getilgt ist, dass Gott kein Interesse hat, uns in unserer Schuld fest zu schreiben.
Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war.
Gott hat uns mitten im Leben auferweckt von den Toten. Er hat uns befreit von den Stricken des Todes, mit denen wir uns den eigenen Lebensatem einschnüren. Er hat uns mit ihm lebendig gemacht.
Vielleicht gab es dieses Zwiegespräch von Petrus:
„ Ich bin gescheitert. Das war mein Gefühl in mir – für nichts anderes war mehr Platz – du bist gescheitert – ich habe mich damit immer mehr selbst fertig gemacht…und dann, als mir der auferstandene Christus begegnete, hatte ich große Angst, dass er mich, den Verräter verurteilt. Aber der auferstandene Christus ist mir immer so begegnet, dass er mir neue Chancen gegeben hat, neue Aufgaben, mir neue Lebenswege gezeigt hat. Er hat in mir eine Hoffnungskraft geweckt, die mir niemand mehr nehmen konnte . Denn ich habe erfahren: ich bin mit Christus vom Tod auferstanden – selbst meine Schuld kann mir diese Hoffnung nicht nehmen.“
Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war
und hat ihm weg getan und ans Kreuz geheftet…
Eine logische Folgerung daraus ist das große Engagament von Kirche, Diakonie und Caritas in der Schuldnerberatung – eine Aufgabe, die immer wichtiger wird in der heutigen Zeit – und die für viele sehr konkret wird, um im eigenen Leben wieder
„ Licht“ zu sehen.
Mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben
Aus der Kraft Gottes,
der ihn auferweckt hat von den Toten.
Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht,
die ihr tot wart in den Sünden
und in der Unbeschnittenheit eures Herzens
und hat uns vergeben alle Sünden
Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war
und hat ihm weg getan und ans Kreuz geheftet
Welche eine Verheißung!
Ich wünsche uns an diesem Sonntag sehr, dass wir aus diesen Worten der Verheißung konkrete Hoffnung für unseren Alltag entdecken können.
Amen
über Ostern haben wir viele Lieder gesungen, die voller Jubel von der Auferstehung Jesu erzählt haben – und die auch unsere biografische Geschichte mit der Hoffnung verbindet, dass es einen Neuanfang gibt, wo wir nur Ende, Tod, Resignation, Selbstaufgabe sehen.
Jedes Jahr an Ostern singen wir das ja in einer veränderten Situation unserer Lebensgeschichte.
„ Jesus lebt – mit ihm auch ich!
Tod – wo sind nun deine Schrecken?
Er, er lebt und wird auch mich von den Toten auferwecken.
Er verklärt mich in sein Licht: dies ist meine Zuversicht.“
So drückt Christian Fürchtegott Gellert 1727 seine Auferstehungshoffnung aus.
„ Jesus lebt! Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben.
Welchen Trost in Todesnot wird er meiner Seele geben,
wenn sie gläubig zu ihm spricht: Jesus meine Zuversicht!“ ( EG 115)
Und 200 Jahre später nimmt Jürgen Henkys diese Hoffnung auf als Lebenshoffnung für unseren Alltag – und für den heutigen Sonntag Quasimodogeniti ist das wie ein Motto: Durch den Glauben an Christus neues Leben, neue Hoffnung, neue Lebendigkeit zu entdecken.
„Wollen wir Gott loben, leben aus dem Licht.
Streng ist seine Güte, gnädig sein Gericht.
Kyrieleison, sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten,
lass uns auferstehen!“ ( EG 97)
Lass uns auferstehen!
Jetzt – heute- aus der Kraft der Auferstehung leben!
Uns nicht mehr tot stellen – nicht mehr wegducken vor der Kraft der Hoffnung.
Das klingt zu vollmundig?
Zu idealistisch angesichts der massiven Probleme - in der eigenen Lebensgeschichte, in der gegenwärtigen politischen Geschichte ?
Es ist schon verrückt. Die Botschaft der Auferstehung war es, die das Evangelium von Christus für viele Menschen in vielen Ländern und Kulturen über die Jahrhunderte und von Anfang an „ aufregend“ gemacht hat: diese Botschaft verändert das ganze Leben. Damit verbindet sich nicht nur ein verändertes Nachdenken über den Tod, damit verbindet sich vielmehr ein verändertes Nachdenken über das Leben.
Gedanken für das Leben in Christus auch nach dem Tod verändern die Gedanken über das Leben vor dem Tod. Wenn das nicht so ist, dann bleiben die Worte von Ostern nur leere Worte, so wie das Dorothee Sölle in einer Begegnung mit einer schwarzen Frau aus den USA namens Sheila beschreibt.
„Sheila erzählt mir dass sie
am ostermorgen mal wieder zur kirche ging
sie wollte wissen denk ich
ob wir gründe haben
an auferstehung zu glauben
aus dem tod in dem wir jetzt sind
Ihre methode war einfach
sie las keinen alten text vor
sie passte nicht sonderlich auf
sie fragte die teilnehmenden einfach
wie denn die andere welt aussehen soll
Das schlimme, sagt Sheila war nicht das lange schweigen
…
das schreckliche war was dann kam
an liebe und solchem gerede
da war keine vision sagte Sheila
sie hatten nichts konkretes zu wünschen…“
(Dorothee Sölle, zit: Lucia Sutter Rehmann, Sich dem Leben in die Arme werfen. S. 30)
Schon zu biblischen Zeiten gab es diese Hoffnungslosigkeit – dass da nur noch ein Gerede ist und keine Hoffnungskraft mehr.
In vielen Briefen hat der Apostel Paulus die verschiedenen Gemeinden, die er besucht hatte, immer wieder daran erinnert, sich dieser Kraft der Auferstehung zu öffnen – diesem Geist Gottes, der verändert, der befreit, diese Kraft Gottes in auferstehendem Leben mitten im Alltag.
Nach dem Tod von Paulus haben Freunde und Freundinnen von ihm mit dieser Intention weiter geschrieben, um gegen Resignation an zu schreiben – so z.B. den Kolosserbrief, aus dem heute unser Predigttext kommt.
Die Glaubenden sind mit Christus auferstanden – haben einen anderen Blick auf die Gegenwart – wie im Himmel so auf Erden. Sie bekommen einen anderen Blick auf die Wirklichkeit, auf ihre Realität, können den privaten und politischen Alltag noch mal aus einer anderen Perspektive anschauen - von der Auferstehung her, von der Fülle des Lebens in Christus. Immer wieder wird im Kolosserbrief betont, dass in Christus „ alles“ geschaffen ist, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare – dass es Gott wohlgefallen hat, dass „ alle“ Fülle in ihm wohnen sollte und dass er durch ihn „ alles“ mit sich versöhnte – es sei auf Erden oder im Himmel. Begründet wird das dann mit der Sühnetheologie: indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
Mit großer Eindringlichkeit betonen die VerfasserInnen, wie wichtig es ist, im Glauben an den befreienden und auferstehenden Christus zu bleiben: in ihm verwurzelt zu sein und nicht von der Hoffnung des Evangeliums ab zu weichen, „ das ihr gehört habt und dass allen Geschöpfen gepredigt ist…“( Kol 1, 23)
Im Abschnitt unter der Überschrift „ Warnung vor den Irrlehrern“ wird noch einmal betont, dass der Glaube an den grenzenüberschreitenden Gott des Lebens nichts ist, was man neben anderen Überzeugungen auch noch „ haben“ kann. Es ist auch nicht einfach eine Art Ethik für besondere Gelegenheiten des Lebens, sondern eine Lebenseinstellung, die das ganze Leben umfasst . Immer wieder taucht deshalb das umfassende Wort „ alles „ auf: in Christus liegen verborgen „ alle“ Schätze der Weisheit und der Erkenntnis – in ihm ist die ganze Fülle der Gottheit lebendig. ( Kol 2, 3.9.)
Und jetzt - in unserem Predigttext Kol 2, 12-15, wenden sich die Verfassenden konkret an die Hörenden und Lesenden: was wir über Christus erzählen betrifft ganz konkret auch euer Leben.
„ Mit ihm seid ihr begraben worden durch die Taufe;
mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes,
der ihn auferweckt hat von den Toten.
Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht,
die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches,
und hat uns vergeben alle Sünden.
Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war
und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.
Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet
und sie öffentlich zur Schau gestellt
und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.“
Quasimodogeniti – wie die neugeborenen Kinder.
Das war der klassische Tauftag in früheren Zeiten – aus der Kraft der Auferstehung zu leben.
Dieses auferstehende Licht der Hoffnung zu empfinden ist kein Automatismus. Sehr einfühlsam beschreibt der Kolosserbrief zunächst die Situation „begraben“ zu sein, von Licht wenig zu spüren. Aber diese tiefe Sehnsucht nach Licht-Blicken in sich zu tragen.
Die Sehnsucht nach Tiefe, nach einer inneren Kraft, nach einer inneren Verwurzelung, die mich widerständig machen kann, eigensinnig machen kann, die mich wieder auf meinen eigenen Weg bringen kann.
So geht es vielen Menschen, die zu lange über ihre eigenen Grenzen in Anspruch genommen wurden – wenn Pflege, Familie und Arbeit ständig miteinander verbunden werden müssen, wenn es nach jahrelangem Bemühen aussichtslos erscheint, aus der eigenen Erwerbslosigkeit einen Ausweg zu finden.
Stricke des Todes hatten mich umfangen - nichts war mehr möglich. Meine Kraft, meine Energie, alles war weg. Ich hatte keinen Aus-Blick mehr. Alles in mir war wie tot. Ich hatte keine Gefühle mehr, keine Lust mehr, überhaupt keine Fähigkeit mehr, genießen zu können.
Ich denke an eine Begegnung mit einem Ingenieur, der zusammen mit anderen eine Softwarefirma aufgebaut hat. Er war sehr erfolgreich, hat viele Informatiker eingestellt, rund um die Uhr gearbeitet, sich keine Pause gegönnt, weil die Konkurrenz ja auch nicht schläft – und weil er die Verantwortung für die Arbeitsplätze der anderen hatte.
Er hat mir auf einer Tagung über Burnout seine eigene Geschichte erzählt : wie dunkel es in einem Menschen aussieht, der sich völlig verausgabt hat und welch großes Geschenk es ist, wieder eine auferstehende Lebenskraft in sich zu spüren.
Ich möchte Ihnen das heute morgen weiter gegeben als eine Auferstehungsgeschichte unserer heutigen Zeit.
„Ich habe jahrelang eine klare Konditionierung gehabt: du bist stark, du bist gut drauf, das schaffst du. Nichts war mir zu viel. Aber dann war nach vier Jahren plötzlich alle Energie aufgebraucht. Nichts ging mehr. Da hat mir meine Konditionierung als „ Held“ nicht mehr geholfen.
Ich hatte mich jahrelang nicht mehr um meine eigenen Bedürfnisse, um meine Sehnsüchte und Beziehungen gekümmert. Dabei habe ich mich selbst verloren. Und dann kam der Zusammenbruch von einem Tag auf den anderen. Nichts ging mehr. Die Diagnose: Erschöpfungsdepression. In mir war ein großer Widerstand, eine eigene psychische Erkrankung ein zu gestehen. Aber dann kamen Panikattacken und der Wunsch, mir das Leben zu nehmen. In mir gab es keinen einzigen Lichtfunken mehr – nichts mehr an Hoffnung. Kein Empfinden mehr für Freude. Jeder Kontakt wurde zur Qual. Alltägliches ( telefonieren, essen machen, Türe öffnen, Formular aus zu füllen) wurde unmöglich.
Dann kann der absolute Rückzug. Das war für mich eine ganz wichtige Erfahrungen in der Klinik: Ich hatte und ich brauchte ganz viel Zeit für mich. Sehr sehr langsam konnte ich dann eine Achtsamkeit entwickeln, die mir selber galt. Ich habe angefangen, der Seele einen Raum geben. Überhaupt zu spüren, dass meine Seele eigene Bedürfnisse hat. Und ich musste mich mit der Frage auseinander setzen: was macht eigentlich mein Leben aus, wenn alles das zusammenbricht, was scheinbar so wichtig war? Ich habe angefangen, über den Sinn des Lebens nach zu denken. Das Leben ist nichts selbstverständliches, sondern ein Geschenk .
Ich habe immer Kirche und Glaube eher abgelehnt. Vom Verstand her war mir klar, Gott gibt es nicht. Und dann habe ich diese Erfahrung gemacht, dass der Verstand nicht alles ist, dass ich auch eine Seele habe. Die Seele hat ein ganz eigenes Bedürfnis – und ich habe angefangen, der Seele ihr eigenes Recht zu geben.
Sie hat ganz andere Bedürfnisse als mein Verstand zulassen möchte. Ich habe mich dann entschieden, einfach beides zu zulassen. Mein Verstand darf weiter kritisch bleiben – aber meine Seele hat mit ihrem Bedürfnis nach Tiefe auch ihr Recht. Das hätte ich nie von mir gedacht: Spiritualität spielte plötzlich eine Rolle. Und zwar existenziell: ich habe eine ganz tiefe Dankbarkeit gespürt : ich lebe… ich höre die Vögel… ich rieche Blumen….ich genieße Zeit mit Menschen, die ich mag…“
Soweit der Bericht.
Wieder lebendig zu werden - die Kraft Gottes in mir zu spüren - wieder aufmerksam zu werden für mein Leben – für die Menschen, denen ich begegne.
Mit Christus seid ihr auch auferstanden durch den Glauben
Aus der Kraft Gottes,
der ihn auferweckt hat von den Toten.
Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht,
die ihr tot wart in den Sünden
und in der Unbeschnittenheit eures Herzens.
Das bedeutet, mir wieder bewusst zu machen, dass ich täglich Licht des Lebens geschenkt bekomme – und dass mir dieses Licht Gottes die Augen öffnet für die Gegenwart Gottes, für die Schönheit Gottes in meinem Alltag. Für die Sehnsucht Gottes nach einer Welt, in der wir Menschen uns gegenseitig unterstützen, um die für alle verheißene Fülle des Lebens auch leben zu können.
„ Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt
…
Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen des lebens.
D. Sölle ( aus: Loben ohne Lügen, WolfgangFietkauVerlag)
Im Alltäglichen nicht die biblische Vision eines auferstehenden Lebens aus den Augen zu verlieren.
Dazu gehört auch der Umgang mit Schuld – mit eigener Schuld und mit der Schuld der anderen.
Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war
und hat ihm weg getan und ans Kreuz geheftet…
Auch da ist es hilfreich, sich mit biografischen Geschichten zu beschäftigen. Ich denke z.B. an Petrus – wie er mit seiner Schuld umgegangen ist.
„ Da gedachte Petrus an die Worte Jesu und ging hinaus und weinte bitterlich.“ Diesen Satz haben einige von uns zusammen mit den Klängen der Johannespassion von Johann Sebastian Bach gehört. Diese herz-zerreißende Musik, dieser tiefe Schmerz, diese Scham vor sich selber – um sich selber zu retten den eigenen Freund zu verraten.
Vor sich selber gibt es keine Flucht. Judas hielt das nach seinem Verrat nicht aus und nahm sich das Leben. Petrus lebt ganz in seiner Verzweiflung.
Aber er hat erfahren, dass Jesus, dass Gott ihn nicht auf seine Schuld festnagelt. Er hat später durch Begegnungen mit dem Auferstandenen gespürt, dass sein Schuldbrief getilgt ist, dass Gott kein Interesse hat, uns in unserer Schuld fest zu schreiben.
Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war.
Gott hat uns mitten im Leben auferweckt von den Toten. Er hat uns befreit von den Stricken des Todes, mit denen wir uns den eigenen Lebensatem einschnüren. Er hat uns mit ihm lebendig gemacht.
Vielleicht gab es dieses Zwiegespräch von Petrus:
„ Ich bin gescheitert. Das war mein Gefühl in mir – für nichts anderes war mehr Platz – du bist gescheitert – ich habe mich damit immer mehr selbst fertig gemacht…und dann, als mir der auferstandene Christus begegnete, hatte ich große Angst, dass er mich, den Verräter verurteilt. Aber der auferstandene Christus ist mir immer so begegnet, dass er mir neue Chancen gegeben hat, neue Aufgaben, mir neue Lebenswege gezeigt hat. Er hat in mir eine Hoffnungskraft geweckt, die mir niemand mehr nehmen konnte . Denn ich habe erfahren: ich bin mit Christus vom Tod auferstanden – selbst meine Schuld kann mir diese Hoffnung nicht nehmen.“
Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war
und hat ihm weg getan und ans Kreuz geheftet…
Eine logische Folgerung daraus ist das große Engagament von Kirche, Diakonie und Caritas in der Schuldnerberatung – eine Aufgabe, die immer wichtiger wird in der heutigen Zeit – und die für viele sehr konkret wird, um im eigenen Leben wieder
„ Licht“ zu sehen.
Mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben
Aus der Kraft Gottes,
der ihn auferweckt hat von den Toten.
Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht,
die ihr tot wart in den Sünden
und in der Unbeschnittenheit eures Herzens
und hat uns vergeben alle Sünden
Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war
und hat ihm weg getan und ans Kreuz geheftet
Welche eine Verheißung!
Ich wünsche uns an diesem Sonntag sehr, dass wir aus diesen Worten der Verheißung konkrete Hoffnung für unseren Alltag entdecken können.
Amen
Perikope