In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.
Kolosser 2,3
„Da ging die Angel auf den Grund, tief, tief hinab, und wie er sie heraufholte, da zog er einen großen Butt heraus. – So beginnt das Märchen vom Fischer un sin Frau – Und der Butt sagte zu ihm: „Höre, Fischer, ich bitte dich, lass mich leben, … und lass mich schwimmen!“[1] Weiter geht es so: Der Fischer schenkt dem Fisch die Freiheit. Zuhause aber erzählt er seiner Frau von dem sprechenden Butt. „Hast du dir denn nichts gewünscht?“, fragt sie erstaunt. „Nein“, antwortet der Mann, „was sollte ich mir denn wünschen?“ „Ach“, sagt die Frau, „es ist doch übel, hier immer auf dem alten Pott zu wohnen; du hättest uns doch eine kleine Hütte wünschen können.“ Da geht der Fischer zum Meer zurück, ruft den Fisch herbei, sagt etwas von einer „kleinen Hütte“.
Zurück zuhause sitzt seine Frau bereits nicht mehr vor dem alten Pott, sondern vor einer hübschen kleinen, sauberen Hütte. Doch, die ist nach einigen Tagen zu eng. Der Fischer geht wieder zum Butt und als er das Wort „Schloss“ sagt, ist auch dieser Wunsch schon erfüllt.
Nun geht es los: Schloss zu klein, König muss es sein, König zu wenig, Kaiser wäre gerade gut genug. Doch auch das Schloss aus – wie es heißt - „poliertem Marmelstein mit alabasternen Figuren“ reicht nicht. Schließlich tritt der Fischer an das Meer, das wild tost, er ruft den Butt und spricht es aus: „… sein wie Gott.“ „Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in dem alten Pott.“ So schließt das Märchen. Er kam nach Hause: Kein Palast, es ist der der „alte Pott“, vor dem die beiden heute Platz nehmen.
I. Die Grenzen des Wachstums
Man kann heute nüchtern feststellen: Es gibt eine Grenze, wird die überschritten, verkehrt sich das, was wir unter dem Begriff Wachstum fassen, in sein Gegenteil. Es gibt für niemanden ein: Immer höher, immer weiter, immer mehr, immer schneller. Viele von uns leiden genau daran: Dass wir Aufgaben sehen, uns Ziele setzen lassen oder selber setzen, die zu erreichen dann aber immer mehr und mehr Anstrengung von uns verlangt. Die Geburtsgeschichte Jesu ist wie ein Kommentar auf diese sich immer weiter nach oben drehende Wachtumsspirale: An Schlichtheit ist der Stall in Bethlehem nicht zu überbieten. So ist Gott am Heiligabend, sein Wort zeichnet einen Kontrast zu vielem, was wir sonst von uns selbst verlangen und abfordern. Ein befreundeter Pastor, der in der damaligen DDR zur Friedensbewegung gehörte, der mit viel anderen Weggefährten tatsächlich die Welt verändert hat, sagt: „Meine Arme sind dann doch zu kurz“. Jeder gute Wille, jede gute Tat, jedes Streben nach Höherem, auch das religiöse Streben nach tieferer, geistlicher Erkenntnis, birgt die Gefahr eines „sich selbst Verzehrens“ in sich. Das zeigt die Krippe: Wenn Gott in diesem Stall seine Gegenwart bei uns anmeldet, dann ist das für Menschen, die meinen immer neues Wachstum, ein Mehr und Mehr zu brauchen, wie eine Befreiung. Du musst nicht nach dem, was nicht erreichbar sein wird, greifen, deine wahre Mitte liegt in dem Feld, in dem es bescheidener zugeht, als du denkst. Es gibt eine „Ethik des Genug“, die wird mit Weihnachten ins Bild gesetzt.
II. Wunsch tatsächlich erfüllt
Man kann das Märchen also auch ganz anders lesen, als ich es bis heute immer verstanden habe. Man kann sagen: Der Butt hat den letzten Wunsch des Fischers und seiner Frau tatsächlich erfüllt. Denn: „Sein wollen wie Gott“ führt uns heute direkt an die Krippe nach Bethlehem. Es ist keine Strafe, die über den Fischer und seine Frau verhängt wird, und dieses „immer mehr haben wollen“ wird nicht bestraft, sondern der Wunsch der beiden Fischersleute wird ohne Umschweife erfüllt. Das ist zunächst eine schockierende Einsicht: Es wirkt wie ein Sturz aus der Marmorwelt, in der alles glänzt und kein Staubkörnchen herumliegt, in die Welt des Stalles von Bethlehem hinein, Landung zwischen Schafen, Hirten und einer kleinen Familie. Wie heute: In den letzten Wochen habe ich den Trubel in der Innenstadt geliebt, die Lichter, den riesigen Weihnachtsbaum im Hauptbahnhof von Berlin habe ich bestaunt. Aber ich weiß: Da, wo der Herzschlag der Geschichte zu spüren ist, und dem Gemüt von innen her warm wird, steht kein Palast, von dessen Marmorboden jeder Schritt durch lange Saalfluchten hallt. Gott schafft sein Zuhause in einem heimlichen Winkel, auch in meinem Herzen. Da wo ich spüre, wie mein Leben eigentlich gemeint ist, nicht meine Arbeit, nicht der mühsam errungene Erfolg unserer Kinder in der Schule, in Klausuren die Zensuren zusammengeschrieben, sondern in dem Wissen: Ich bin als Mensch gemeint. Viele Menschen sind vom Tempo, vom Erfolgsdruck, der auf ihnen lastet, vom mehr sein und mehr haben wollen, überfordert. Weihnachten sagt: Hier ist wieder ein Platz geschaffen, der ist einfach, aber er bietet dir genau das, was du brauchst. Es geht um Nähe, es geht um ein wenig Freundlichkeit, es geht um die Menschen, die eine Heimat suchen, einen Ort, an dem sie auch innerlich zur Ruhe kommen können.
Darum ist Weihnachten so heilig: Es ist nicht weit weg, es kommt extrem – manchmal auch zu – nah an einen heran. „Gott will im Dunkel wohnen / und hat es doch erhellt. / Als wollte er belohnen, / so richtet er die Welt.“[2] Dichtet Jochen Klepper und weiß die Richtung des Weihnachtsfestes zu deuten. Das ist das, was den christlichen Glauben von den Gedankengebäuden dieser Welt unterscheidet: Christlichkeit ist nur da original, wo sie sich an diesem Kind und dieser Krippe messen lässt.
Gottes Wort setzt mit leisen Tönen, die oft zart besaiteten Seelen von uns Menschen in Schwingung. Das ist eine Art Grundkonzept für diese Festtage: Es reicht sehr wenig, damit es einem warm wird um das Herz. Ich sehe diese kleine Familie, Mutter und Vater, stelle mir vor, wie beide, noch ungeübt im Umgang mit ihrem Neugeborenen, nachts auf dessen Atem lauschen. Wie viele junge Eltern, können sie vor lauter Herzklopfen kaum schlafen. Dann kommen die Hirten: Harte Schale nach außen, aber angesichts der Engel und des Kindes: Dünnhäutige Kerle. Da schwingt eine Menschlichkeit durch diese Geschichte, die viele Menschen Gott so ohne weiteres nicht zutrauen würden. Er bezieht an den schlicht ausgestatteten Orten unseres Lebens Heimat. Ich denke, wir werden uns überraschen lassen, wo wir in diesem Christfest unseren Platz finden. Ich gehe davon aus, dass jede und jeder von uns seinen Ort findet. „Sein wollen wie Gott“, macht uns zu Zeugen des Stalls von Bethlehem.
[1] Das Märchen bei: http://gutenberg.spiegel.de/buch/6248/49
[2][2] Evangelisches Gesangbuch Lied 16, 5