Predigt zu Kolosser 2,2b.3.9.10 von Helmut Dopffel
2,2b.3.9.10

Liebe Gemeinde,

in jedem von uns steckt ein kleiner Schatzsucher. In mir wenigstens. Deshalb begeistern mich Filmfiguren wie Indiana Jones, oder Geschichten wie die von Ali Baba und den vierzig Räubern. Und manchmal, wenn ich einen Regenbogen sehe, dieses bunte, schwebende, zarte Tor in den Wolken, dann rührt sich plötzlich das Kind in mir und denkt: Vielleicht??? Vielleicht ist da doch am Ende des Regenbogens, wo er die Erde zu berühren scheint, ein Schatz verborgen – sollte ich mich nicht auf die Suche machen? Denn wenn ich diesen Schatz finde, dann bin ich glücklich. Dann bin ich am Ziel. Dann ist alles gut. Und natürlich weiß der Erwachsene, dass es diesen Schatz nicht gibt. Leider!
Wenn wir Geschenke einpacken, wie gestern und vorgestern und in den Tagen und Wochen davor, und sie dann heute Abend auspacken, dann ist das doch auch wie eine klitzekleine Schatzsuche, es liegen verborgene Schätze unterm Baum, und vielleicht ist da ja ein wirklicher Schatz darunter. Damit meine ich nicht das was teuer ist, sondern ein Geschenk das sagt: Ich kenne und ich liebe dich. Das ist doch der eigentliche Schatz, und wenn Weihnachten glückt, und das wünsche ich Ihnen allen, dann doch vor allem wenn diese Botschaft uns erreicht, und unsere Botschaft andere: Ich kenne und ich liebe dich. Du bist mein Schatz. Wo Schatz, da Herz, heißt es in der Bibel lapidar.

Die Weihnachtsgeschichte ist auch ein Schatz. Ein Zauber geht von ihr aus, bis heute. Es ist ja eine rührende Geschichte, die sogar das Stadtbild verwandelt und die Lieder und die Herzen. Da liegt ein Kindlein, es lacht und schreit und trinkt und macht die Windeln voll und wird versorgt. Es ist so wie wir es alle kennen, ja noch ein bisschen ärmlicher und bescheidener und prekärer als wir es üblicherweise kennen. Eigentlich ein armer Wicht. Und zugleich sind in diese Geschichte große und heilige Dinge hineingewoben, wie Goldfäden: ein wandernder Stern und Engel und himmlische Musik und eine göttliche Botschaft: Euch ist heute der Heiland geboren.
Eine Idylle! Nur eine Idylle? Dann wäre der Schatz leer und die schöne Geschichte am Ende doch nur eine Lüge?

„Das Geheimnis Gottes ist Christus, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis…Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und an dieser Fülle habt ihr Teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.“

Das wird im Neuen Testament, im Brief an die Kolosser, über dieses Kindlein im Stall geschrieben. Alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, ja die Fülle der Gottheit sind in diesem Kindlein verborgen.

Weisheit und Erkenntnis und göttlicher Überfluss: Diese göttlichen Schätze bleiben nicht fern im Himmel, sondern sie sind da, sie sind für uns da, in diesem Kindlein, in diesem Menschen Jesus. Ich gestehe, dass ich nicht wirklich fassen und sagen kann, was das meint. Jeder und jede von uns würde es wohl auch unterschiedlich sagen. Weisheit und Erkenntnis und göttlicher Überfluss: Das ist alles, was wir brauchen, was uns erfüllt, und mehr als das. Es gibt kein Mehr und kein Danach. Glück, könnte man sagen, das große Glück. Die Liebe, könnte man sagen, die große Liebe die nichts mehr zu wünschen lässt. Es geht um das Erkennen, den Augenblick, in dem ich verstehe und die Welt ganz durchsichtig wird und mich diese Erfahrung ganz und gar erfüllt. Es geht um den Ort, wo wir zuhause sind, an dem alles Heimat und selbstverständlich ist. Es geht um das, was unser Herz zur Ruhe bringt, nicht zur erschöpften, tödlichen Ruhe, sondern zur erfüllten Ruhe. Wir dürfen sein. „Alles gut“, sagen wir manchmal. Es ist alles da. Der Tisch ist gedeckt. Und es sind alle da. Denn diese Weisheit und Erkenntnis und dieser Überfluss muss allen gelten, sonst ist es weder göttlich noch Überfluss, und diesen Überfluss können wir nicht nur für uns alleine haben und halten und beanspruchen. Kein Kind muss mehr erschrocken schreien, keiner von uns wacht mehr frühmorgens schweißgebadet aus einem Alptraum. „Alles gut“. Gott ist da. In ihm, dem Kindlein. In Jesus. In Christus. In ihm wohnt die Fülle der Gottheit. Gott wird Mensch. Alles gut, alles da, alle da.

„Das Geheimnis Gottes ist Christus, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis…Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und an dieser Fülle habt ihr Teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.“

Alles gut. Alles da. Alle da. Und alles ist uns geschenkt und kommt uns zugute und dieser Erde. Wir müssen uns nichts mehr beweisen. Die Parole und den Lebensstil von „Jeder ist seines Glückes Schmied“ können wir getrost beerdigen, gleich heute, hier und jetzt. Das ist nur noch lächerlich. - Wir müssen nicht immer mehr haben. Die Parole und den Lebensstil von „Geiz ist geil“ können wir getrost beerdigen. Gleich heute, hier und jetzt. Das ist nur noch lächerlich. - Wir müssen nicht ängstlich hüten was wir haben. Die Parole und den Lebensstil von „Jeder ist sich selbst der oder die Nächste“ können wir getrost beerdigen, gleich heute, hier und jetzt. Das ist nur noch lächerlich. Wir müssen uns nicht klein machen vor uns selbst oder vor den großen Herren oder gar vor einem großen eingebildeten Gott, denn Gott hat sich selbst für uns klein gemacht; wir müssen uns nicht großmachen, schon gar kein Superstar sein wollen, um es uns und anderen zu beweisen, denn Gott hat uns schon großgemacht. Um die Schätze Gottes in Händen zu haben, seine Weisheit im Geist und seine Erkenntnis in der Seele, um das Geheimnis Gottes anzuschauen und selig zu sein braucht es keine Anstrengung, müssen wir nicht Gutes tun und besonders vorbildlich und moralisch leben, müssen wir keine Vorschriften einhalten, keinen Weg der Erleuchtung suchen, keine spirituellen Übungen veranstalten, keine geheimen Erkenntnisse erwerben, uns in irgendwelche höheren Sphären hinaufschwingen oder in heilige Stimmungen versetzen. Gottes Geheimnis liegt nicht in uns, nicht in unseren Taten, nicht in unserer Gesinnung, nicht in unseren Gedanken. Gottes Geheimnis und Gottes Überfluss ist aber auch nicht fern und weit oben. Es liegt in der Krippe. Alles da, alle da, und alles gut.
Und unsere Traurigkeit und Einsamkeit, unsere leeren Hände, die Gefühle mit denen wir nicht fertig werden, unsere Schuld, unsere Ohnmacht und unsere Nacht? All das wird nicht einfach verschwinden aus unserem Leben an Weihnachten, und vielleicht sticht und schmerzt es an Weihnachten sogar besonders und ist kaum auszuhalten. Aber genauso wenig wie wir irgendwie besonders ein müssen um Gott nahe zu sein und seine Fülle und Erkenntnis und Weisheit und alle seine Schätze zu empfangen, genauso wenig kann unsere Nacht uns von Gott trennen oder fernhalten. Denn gerade hierher, in unsere Nacht, ist er doch gekommen. Wir sind von ihm umfangen und geliebt und geschützt. Ich kenne dich und ich liebe dich: dieses Geschenk macht er uns gerade in unseren dunklen Stunden. Deshalb: Hab keine Angst. Mache dich auf und werde licht, denn dein Licht kommt.

Friede auf Erden, so nenne es die Engel. Und Frieden ist in der Bibel wieder so ein großes Wort, das nicht nur meint, dass kein Krieg mehr sein wird, keine Drohnenangriffe in der Nacht, und keine Gewalt und Bombenexplosionen, und keine verhungernden Kinder und keine ertrunkenen Flüchtlinge, und auch kein Familienstreit mehr und Worte die in der Seele weh tun. Sondern Frieden auf Erden heißt: Alles da, alle da, alles gut. Dieser Friede kann dann in etwas ganz Kleinem aufleuchten, im Gesicht etwa von Luan und Annie. Sie haben Luan und Annie in den letzten Wochen gesehen auf den Plakaten der Welthungerhilfe, und da steht: Luan ist nur noch vor dem Essen hungrig. – Für Annie ist Wasser eine klare Sache. Alles da, alle da, alles gut? Natürlich nicht, natürlich muss da noch viel folgen und geschehen. Und doch, wenn wir Annie und Luan anschauen: Sie halten einen göttlichen Schatz in Händen, der ihnen geschenkt wurde. Das ist Frieden in diesem Augenblick. Alles gut. Alles da. Alle da.

„Das Geheimnis Gottes ist Christus, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis…Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und an dieser Fülle habt ihr Teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.“

Das Geheimnis Gottes in diesem Kind? Das Geheimnis des großen, mächtigen, heiligen, vollkommenen Gottes – in diesem Kind?
Das Kind in der Krippe wird erwachsen werden. Und es wird Geschichten erzählen und Menschen heilen. Es sind Geschichten von Lilien und Ölbäumen, von Frauen im Haushalt und am Brunnen, von Vätern und Söhnen. Und er wird die Menschen heil machen, die ihm vertrauen, Frauen und Männer und Kinder, Römer und Juden und Samaritaner. Keine Machtgeschichten erzählt er, sondern fürsorgliche, achtsame Geschichten. Keine Machtgeschichten werden über ihn erzählt, sondern heilsame Geschichten. Keine Macht? Hat er nicht riesige Spuren hinterlassen in der Weltgeschichte und in unserer Kultur? Gewinnt und bewegt er nicht Menschenherzen bis heute, lässt Menschen sich aufopfern für andere und im Leben und Sterben ihm vertrauen. Hat er uns nicht Gott ganz nahe gebracht: Unser Vater im Himmel. Ist das keine Macht? Es ist aber eine ganz andere Macht als die der Stiefel und Panzer, des Geldes und des Rechts, und auch eine andere Macht als die der Moral. Der, der das Geheimnis Gottes ist und in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt, ist anders groß und mächtig als wir es sonst erfahren und womit wir rechnen; er ist anders groß und mächtig und heilig und vollkommen als wir uns üblicherweise Gott vorstellen. Gott ist anders, und seine Macht ist anders. Auch das ist schwer zu fassen. Zurecht nennt es der Kolosserbrief ein Geheimnis. Wenn wir versuchen, das Geheimnis zu umschreiben, dann ist „Macht der Liebe“ kein schlechter Versuch, und doch viel zu wenig. „Macht des Geistes“ sagt es auch nicht schlecht, aber ist auch noch viel zu wenig. Wenn wir das verstehen wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig als diesem Kind zu begegnen, es anzusehen und zu glauben: So klein ist Gott groß. So ohnmächtig ist Gott mächtig. So gewöhnlich ist Gott heilig. So bedürftig ist Gott vollkommen. Am Ende bleibt nur Er. Der Name. Und dann ist alles wieder ganz einfach.
Das übersteigt alles, was wir fassen und sagen können. Am besten sagen wir es, wenn wir singen.
Also singen wir.
Amen

(Vorschlag: EG 23 Gelobet seist du, Jesu Christ)
 

Perikope
24.12.2013
2,2b.3.9.10