Predigt zu Kolosser 3,12-17 von Henning Kiene
3,12-17

Predigt zu Kolosser 3,12-17 von Henning Kiene

Liebe Gemeinde,

Was für ein wunderbarer Sonntag ist heute: Frühling überall, es ist noch kalt, aber es blüht bunt und in fast allen Farben. Die Knospen an den Bäumen könnten bald aufplatzen und die Alleen werden wieder grün überschattet sein. Wer den Frühling nicht liebt, ist selber schuld. Es liegt heute nah, in die Lieder des Gesangbuches einzustimmen. „Geh aus mein Herz und suche Freud“, möchte ich singen, von Narzissus und der Tulipan, und Gottes Sorge für uns Menschen gilt, die jeden tiefen Winter überdauert, auch den Tod und uns als Kraftspiel vor Augen führt: Schöpfung ist stärker als jede andere Kraft.

Der Sonntag Kantate lädt zum Lobpreis auf Gott ein, seine Gnade und Güte, sein Erbarmen, seine Freundlichkeit, seine Demut, seine Sanftmut und Geduld kommen in den Liedern zur Sprache. Und die Schöpfung birst nur so vor Kraft, so denken es viele, um einem Lob auf den Schöpfer anstimmen zu lassen. Es bleibt nichts anderes übrig, als den Schöpfer zu preisen, denke ich.

Man kann auf die Idee kommen und eine Parabel schreiben: So, wie das Grün und die neuen Farben dieses Jahres sich über unsere - vor Wochen noch wintergraue - Stadt ausbreiten und sie ihr farbiges Band durch den Park fast bis zu unserer Kirche ziehen, so legt Gott ein Gewand über unser Leben. Das Gewand ist gewebt aus „herzlichem Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld“. Es sorgt für eine innere Haltung, die für eine nach außen gerichtet Orientierung des Lebens steht. Denn, wenn wir zu den Auserwählten Gottes gezählt werden, dann wirkt da auch etwas anders, als sonst am Werk ist. Ich spreche von der Realität, dem Heute, das von Gottes Willen überkleidet wird und sich von anderem, was es im Leben gibt, gründlich absetzt. Christin sein und sich Christ nennen, das hat mit etwas zu tun, was aus einer anderen Kraft ins Leben hinein kommt. Gott singen zu können, bleibt ein Geschenk, ein Staunen, ein Dank, eine Freude, die ich ursprünglich nicht in mir trage.

II. zugeschweißt und versiegelt

Doch dann tritt vieles aus dieser Woche vor Augen, ich sehe, wie vor dem Fenster meines Büros die Gullydeckel zugeschweißt und versiegelt werden. Ich dürfte nicht aus dem Fenster winken, wenn die Kanzlerin und der US Präsident durch Herrenhausen fahren. Die Sicherheit für den Gast geht vor. Verständlich und doch komisch. Weil sichtbar wird, wie viel Erlösung es braucht und wie viel Versöhnung zu leisten bleibt.

Doch das ist nur die Spitze des Eisberges, es fehlt - sogar im „christlichen Abendland“ - manchmal jede Art einer - wie auch immer gearteten - Toleranz. Wenn wenn jemand behauptet: Der Islam sei „nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“ (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/von-storch-islam-nicht-mit-grundgesetz-vereinbar-14182472.html, gelesen am 19.04.2016) bleibt der Skandal aus. Welch ein Unsinn die Leute so reden, denke ich, seit Jahrzehnten ziehen Moslems zu uns, arbeiten mit uns, leben in der Nachbarschaft, leben mit dem Grundgesetz, zahlen Steuern, genießen die Freiheit, gehen wählen und in die Bundeswehr und kennen ihre Verantwortung. Wer meint, der Islam gehöre nicht zu unserem Land, schiebt die wintergrauen und kalten Kulissen des Winters in den Frühling hinein, wirft uns alle um eine Jahreszeit zurück.

Ist das nun doch kein wunderbarer Sonntag heute, der zum Singen und zur Freude anregt, nur weil alle Gullydeckel verschweiß sind und wir genau wissen: Es liegt so vieles in der Luft, was uns nicht gefallen möchte. Ich spüre, wie die Lust am Sonntag Kantate schwindet, Schmähgedichte fallen mir ein. Ich muss jetzt aufpassen, nicht auf der anderen Seite des Pferdes herunter zu fallen und den Text des Apostels kaputt zu machen. Denn der beschreibt sicher keinen Zustand, sondern nimmt seine Höherinnen und Hörer in eine Bewegung hinein.

Mit gutem Grund spricht der Apostel im Imperativ, fordert auf „über alles aber zieht an“. Er zeigt: da ist etwas, das überkleidet werden muss, eine neue Farbe verlangt, den Wintergrau reicht nicht zum Leben, da sind deutliche Steigerungspotentiale erkennbar. In Sachen Neuwerdung dieser Welt und Vertiefung des Christlichen in unserem Leben bleibt Entwicklungspotential. Wir würden uns überheben, wollten wir „herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld“ selber produzieren müssen. Müssen wir wirklich nicht selber machen: Wie der Frühling über unser Land kommt, so schafft Gott eine neue Realität. Es gibt nicht nur in Angelegenheiten des Glaubens und des christlichen Lebens immer noch mehr, als nur die sprichwörtliche „Luft nach oben“, es ist Gott, der sie füllt.

Doch genau diese Einsicht auf den Widerstand ist für mich nicht eine Bedrohung des Glaubens, sondern seine Stärkung. Dieser Blick auf das, was sich als Widerstand herausstellt, setzt das, was Gott tut, deutlich in Kraft. Genauso wenig, wie der kalte Wind der letzten Tage den Frühling wieder vertreiben kann, werden „herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld“ durch Menschen aus der Welt heraus zu schaffen sein. Es gilt: Weil in diesem Knospen des Frühlings etwas von der Überwindung der Vergänglichkeit, eine Portion der ursprünglichen Kraft des Schöpfers vor unsere Augen tritt, und weil ich nichts dazu tun muss, sondern ich nur beschenkt bin; weil der Friede Christi nicht mehr aus der Welt heraus zu schaffen sein wird, bleibt nicht alles, was dringend zu ändern ist, nur an uns allen hängen. Ostern zieht, wie der Frühling, sein farbiges Band durch die Herrenhäuser Gärten zu dieser Kirche hin, seine Botschaft reicht tief bis in unsere Seelenlandschaft hinein. Da ist es, das Band der Vollkommenheit, oft zunächst nur als Wusch oder Sehnsucht, aber wer glauben kann, wird es nicht mehr ablegen, sondern um sein Leben herum fassen und es tragen wollen, wie ein schönes Kleid, das schon heute zeigt, um welches Fest es sich morgen handeln wird.

III. Sonntagskleidung

Früher, so erzählten uns unsere Eltern, besaßen sie noch echte Sonntagskleidung. Hemd und Hose - von Matrosenhemden war die Rede - kratzende Wollsocken, Kleid und Bluse, glänzende Schuhe mit Schleifen. Der Sonntag war nicht fußballtauglich, auch nicht gartenfest, man musste „brav sein“ um den Sonntag ohne Zwischenfälle erleben zu können: ein Buch lesen, still sitzen, Radio hören, Spazieren gehen. Sonntagskleidung, ein Alptraum für alle, die dazu neigen, mit Bratensoße zu kleckern. Aber eben ein kategorialer Unterschied wurde sichtbar, der Unterschied zwischen Alltag und Sonntag. Dafür standdiese Kleidung: kein Rempeln und Toben auf dem Hof, sondern für das Überziehen einer anderen Haltung, die aus der Sicht unserer Großeltern, der ursprünglichen Bestimmung des Lebens näher kam. Ich war immer froh, dass in unserer Kindheit schon vieles anders und der Sonntag ein Tag ohne strikte Kleiderordnung geworden war. Aber was früher genau gelebt wurde, war nicht ganz falsch geworden. Als die englische Königin - so wie der amerikanische Präsident heute nach Hannover kommt - auf Staatsbesuch war, lebte diese Tradition der Sonntagskleidung kurzfristig auf.

Meine Mutter legte uns in unsere besten Stücke bereit, wir fuhren in die Stadt und winkten, hübsch gekleidet, am Straßenrand mit kleinen Fähnchen. Damals war die Angst vor Attentaten offenbar gering. Wir winkten und sollen, so wurde später erzählt, die Queen tatsächlich gesehen haben. Ich erinnere nur rutschende, dunkelblaue und harte Kniestrümpfe sowie ein gestärktes, weißes Hemd und habe das Gefühl in meiner Erinnerung aufbewahrt, dass festliche Kleidung dafür sorgt, dass ich gerade sitzen kann und weiß, wie sich an solchen Tagen alles anders anfühlt, als sonst. Im Kind meldet sich eine Ahnung von dem, was das Erwachsensein tatsächlich heißen wird. Im Heute der Welt liegt heute eine Ahnung von dem bereit, was wir das Reich Gottes nennen.

Heute ist die Rede von dem Frieden Christi, „zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe“, der „regiere in euren Herzen“. So, wie der Apostel im Imperativ spricht und uns auffordert: „Über alles aber zieht an“, klingt das Wissen mit: Der Friede, den es in unseren Tagen braucht, der Friede, der heute nötig ist, rund um das Mittelmeer, in Afghanistan und Mittelamerika, den Frieden kann ich nicht selber schaffen aber erleben.

Diese nüchterne Erkenntnis stärkt den Glauben: Gott hat mit dem Frieden angefangen: Jesu Leben wird zum Ereignis, das sich in das Leben hinein erstreckt. Es ist der Auftakt der Vollendung. Und wenn wir an diesem Aprilsonntag den Frühling erleben, dann spielt da die Ahnung mit, dass all das, was als Realität diese Woche zu bestimmen scheint, von Gottes Willen überkleidet wird und sich abhebt von dem kalten Grau des Winters. Christin sein und sich Christ nennen, das hat mit vor allem mit dem etwas zu tun, was ich nicht selber erzeugen kann, aber bewundern möchte. Gott vorbehaltlos singen zu können, bleibt ein Geschenk, ein frühlingshaftes Staunen, ein Dank, eine Freude, die ich kenne. Sie ist wie ein Sonntagskleid, das bereit gelegt wird, wie ein Jubel, den ich kaum aus eigener Kraft anstimmen könnte, in den ich aber heute gerne einstimme.