Predigt zu Lukas 12,35-40 von Georg Freuling
12,35-40

Predigt zu Lukas 12,35-40 von Georg Freuling

Ein paar Stunden noch. Dann geht das alte Jahr zu Ende.

Im Fernsehen werden die letzten Sekunden mitgezählt. 3 – 2 – 1 – 0: 2014 ist vorbei, 2015 hat begonnen. Draußen steigen Raketen in den Himmel. Nachbarn rufen sich ihre Wünsche zum neuen Jahr zu. So endet das alte Jahr, ein neues beginnt - begleitet von Gedanken, wie das alte war, wie das neue sein wird …

Im Predigttext heute Abend ticken die Uhren anders. Es geht nicht um den Ausblick auf ein neues Jahr. Vorausgeblickt wird auf die Wiederkehr Jesu. Die Zeit bis dahin lässt sich nicht berechnen. Trotzdem kann ich diese Worte Jesu mit unserem Weg durch die Zeit verbinden, mit unserem Aufbruch in das neue Jahr. Jesus sagt dort (Lk 12,35-40):

35) Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen 36) und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.

37) Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. 38) Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie.

39) Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. 40) Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.

Diener haben eine Aufgabe. Der Herr ist nicht im Haus. Er ist unterwegs. Er wurde eingeladen zu einem Fest. Wann er zurückkommt, wissen die Diener nicht. Trotzdem richtet sich ihre ganze Aufmerksamkeit darauf, dass ihr Herr zurückkehrt:

Wenn es so weit ist, dann soll er nicht vor dem dunklen Haus stehen, erst einmal den Schlüssel suchen, auf Socken durchs Haus schleichen, weil alle anderen schon schlafen. Dem Herrn des Hauses steht etwas anderes zu: Wenn er heimkehrt, sollen die Lampen brennen. Wenn er kommt, wird ihm die Tür geöffnet. Er wird begrüßt und willkommen geheißen. Solange er noch nicht heimgekehrt ist, werden die Diener auch nicht schlafen. So gehört sich das...

Worauf leben wir hin? Der letzte Abend im Jahr: Viele blicken zurück und denken dabei an die besonderen Momente des Jahres. Auf dem Sofa lasse ich die Höhepunkte des Jahres noch einmal vorbei ziehen - mit den Fotos von Ausflügen und Sommerurlaub.

Viele blicken in diesen Tagen zurück und ziehen ihre persönliche Jahresbilanz: Was habe ich erreicht? Welche Aufgaben habe ich gemeistert? Was bliebt unerledigt? Und: Was nehme ich mit ins neue Jahr? Welche Pläne begleiten mich?

So eine Bilanz kann auch bedrückend sein: Wieder ein Jahr Leben, von dem ich mich verabschiede... Wieder vergangene Lebenszeit, die ich hier und da gerne anders gefüllt hätte... Wieder Vorsätze und Vorhaben, die ich mit ins neue Jahr nehme... Worauf leben wir hin?

Bei den Dienern in der Geschichte, die Jesus hier erzählt, sieht das anders aus: Die sind nicht Herr ihres eigenen Lebens. Was sie zu tun und zu lassen haben, das wird ihnen von ihrem Herrn gesagt. Und dieser Herr ist es auch, der Bilanz zieht. Sie leben ganz und gar für ihn.

Das klingt nicht sehr angenehm. Wer von uns möchte schon so ein Diener sein, der seinem Herrn die Pantoffeln hinstellt, wenn der nach hause kommt? Die meisten von uns haben wahrscheinlich eine andere Sicht ihres Lebens: Herr im Hause – das bin ich selbst.

Aber – bin ich das wirklich? Bin ich mein eigener Herr? Ein Jahr geht zu Ende. Viele merken bei die Bilanz: Ich bin nicht Herr meines Lebens. Ich bin oft genug fremd bestimmt. Ich renne selbstgesteckten Zielen hinterher. Ich versuche, den Erwartungen anderer gerecht zu werden. Unser Ideal eines selbstbestimmten Lebens entspricht oft  nicht unserer Lebens-Wirklichkeit.

Ist das eigentlich schlimm?

Wenn ich zurückblicke, stelle ich immer wieder fest, dass ich die schönsten Augenblicke meine Leben nicht geplant habe. Sie haben sich unerwartet eingestellt. Einfach so. Manchmal auch ganz und gar gegen meine Erwartungen. Gut wenn ich dann wach bin, aufgeschlossen und in der Lage, das so anzunehmen!

Genauso ist es mit den Aufgaben. Wenn ich zurückblicke, stelle ich immer wieder fest, dass mir manches vor die Füße gelegt wird. Das ist dann wichtig. Umgekehrt erledigt sich vieles, was ich für wichtig halte, ganz von allein.

Wer sagt, was dran ist? Nach dem Gleichnis sind wir das nicht selbst. Als Christinnen und Christen haben wir einen Herrn, der uns Ziele und Aufgaben gibt. Unsererseits braucht es dann nur Wachsamkeit, Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit für den Augenblick, in dem es drauf ankommt. Dabei stehen wir nicht unter der Knute unseres Herrn, sondern sind umsorgte Diener:

Diese Diener erleben eine Überraschung. So wie Jesus diese Geschichte erzählt, hat sie zunächst einen bedrohlichen Klang: Die Diener warten darauf, dass ihr Herr heimkehrt. Wird er alles so vorfinden, wie er es sich wünscht? Wird er zufrieden sein? Vielleicht ist er auch ein Despot, vor dem die Diener zittern. Wer weiß, ob er nicht seine Launen an ihnen auslässt? Wer weiß, ob er nicht direkt tobt, wenn die Tür nicht sofort geöffnet wird, wenn nicht alle sofort bereit stehen...

Und dann bekommt die Geschichte eine Wendung, mit der erst einmal niemand rechnet: „Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet.“ Und diese Diener erwartet nicht etwa nur ein Lob, eine Anerkennung. Was dann kommt, stellt die Verhältnisse komplett auf den Kopf: „Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.“ Da kehrt der Hausherr nachts heim. Seine Diener haben ihn schon erwartet. Und was macht er? Er bedient seine Diener. Wenn sie so lange gewartet haben, wenn sie so aufmerksam waren, dann sollen sie es richtig gut haben. Der Herr sucht einen seiner besten Weine und nimmt sich Zeit. Er sitzt noch mit seinen Untergebenen zusammen und lässt das Fest mit ihnen ausklingen.

Wann kommen wir zur Ruhe? Zwischen den Jahren haben die meisten von uns Zeit. Zeit, zur Ruhe zu kommen, bevor das neue Jahr anfängt, bevor der Alltag wieder an Fahrt aufnimmt. Manchen ist die Zeit zu kurz, um Atem zu schöpfen, weiterzugehen.

Wachet! Seid bereit! Auch die Diener in der Geschichte stehen auf Abruf. Auch sie sind eingespannt durch die Aufgaben, die ihr Herr ihnen gibt. Es klingt fast unbarmherzig: Dauerhaftes Wachen kann doch keinem gut tun!

Doch die merkwürdige Wendung der Geschichte zeigt mir: Rastloses Wachen gibt es für uns Christinnen und Christen nicht. Wir sind nicht Getriebene der Erwartung anderer, unserer eigenen Ziele, der Zeit, die läuft. Wir haben einen anderen Herrn: Gott selbst, der die Verhältnisse auf den Kopf stellt und sich zu unserem Diener macht. Jesus Christus, der uns zu sich einlädt, zu Brot und Wein. Mit ihm feiern wir auch heute Abend. Damit feiern wir, dass er uns mitten im Lauf der Zeit seine Nähe schenkt, dass wir nicht getrieben, sondern durch ihn befreit sind! Das ist jetzt dran. Dazu sind wir heute Abend zusammen. So gehen wir dann weiter in das neue Jahr, gewiss, dass Gott auch im neuen Jahr derselbe bleibt, dass Christus uns entgegenkommt.

Sein Kommen erwarte ich nicht so sehr am Ende unserer Zeit, nicht mit Pauken und Trompeten. Jesus hat das so angekündigt. Und die Christinnen und Christen, für die Lukas sein Evangelium geschrieben hat, haben sich bereits schwer damit getan, dass diese Wiederkehr ausblieb. Von dieser Frage ist die Geschichte der Diener, die auf ihren Herrn warten, bestimmt.

Nach dieser Predigt können Sie es sich denken: Ich erwarte diesen Jesus jetzt schon. Nicht am Ende der Zeit, sondern in unserer Zeit: In den Aufgaben, auf die er mich stößt. In der Ruhe, die er mir schenkt. Für mich geht es hier um den Moment, in dem Gott mir begegnet, in dem ich durch ihn Klarheit gewinne, Richtung und Ziel. Das kann jederzeit sein. Auch im neuen Jahr 2015. Und dafür lohnt sich Wachsamkeit. Amen.