Predigt zu Lukas 1,46-55 von Frank Fuchs
1,46-55

46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,

47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Liebe Gemeinde,

die christliche Gemeinde ist seit jeher singende Gemeinde. Mit Liedern und Gesängen lobt sie Gott. Sie gibt Gott die Ehre und drückt dies musikalisch aus. Deshalb passt es heute sehr gut, dass Vor-, Schüler-, Jugend- und großes Orchester des Blasorchesters Babenhausen bei diesem Gottesdienst mitwirken. So viele Mitwirkende haben wir sonst nie. Das ist beeindruckend. Denn die Musik ist nicht einfach dafür da, dass sie erklingt und uns erfreut, sondern durch sie wird in diesem Gottesdienst die christliche Botschaft verkündigt.

Manche biblischen Texte sind im ursprünglichen Sinne Musik, deren Melodie wir nicht mehr kennen. Doch die hymnische Versform deutet darauf hin, dass es sich um Lieder gehandelt hat. So ist es auch bei dem heutigen Predigttext.

Bevor Maria diese Wort spricht oder besser singt, hat sie die Botschaft durch den Engel Gabriel empfangen. Sie wird ein Kind bekommen, das Sohn des Höchsten genannt werden und auf Davids Thron für immer herrschen wird. Maria antwortet auf die Worte mit dem Magnificat, wie dieser Text nach dem lateinischen Anfangswort genannt wird.

Magnificat – meine Seele erhebt den Herrn. Maria erhebt ihre Stimme. Sie singt und kündet von Gottes großen Taten. Erhebend ist auch gute Musik. Sie hilft uns, aus uns selbst herauszutreten und ganz bei ihr zu sein. Sie darf dann nicht wie im Kaufhaus oder auf dem Weihnachtsmarkt im Hintergrund dudeln, sondern verlangt ganze Aufmerksamkeit. Noch besser ist es natürlich, selbst ein Instrument zu spielen. Erhebend ist dann nicht unbedingt das Üben allein zu Hause, sondern der Zusammenklang in einem großen Ganzen. Wenn es polyphon klingt und alle Stimmen miteinander harmonieren, dann ist Musik erhebend.

Maria erhebt ihre Stimme. Sie spricht sozusagen einstimmig. Doch die Worte nehmen Verheißungen aus dem Alten Testament auf. Deshalb lässt sich sagen, dass sie vielstimmig erklingen. Es klingt an, dass Gottes Name heilig ist. Seine Barmherzigkeit gilt denen, die ihn fürchten. Diejenigen, die Macht haben und hochmütig sind, können sich nicht in Sicherheit wiegen. Von der Erwählung Israels lässt er nicht ab. Diese Aussagen finden sich an vielen Stellen des Alten Testaments und werden hier zusammengefasst. Aus den vielen Stimmen wird ein harmonisches Lied.

Es entspricht unserer menschlichen Sehnsucht, dieses Lied zu singen. Wir wünschen uns, dass alle negativen Lebensumstände beseitigt werden können. Das mag ein verständlicher Wunschgedanken sein. Doch sogleich erhebt sich die kritische Stimme in uns, ob das denn wirklich sein kann. Maria preist Gott für seine Taten. Aber benötigt er dazu nicht die erforderliche weltliche Macht? So kam Jesus nicht in einem Palast auf die Welt. Er wirkte auch nicht auf dem Thron Davids als ein Herrscher, der mit Macht die Umstände seiner Zeit verändert  hätte. Vielmehr wird er in Armut in einer Krippe geboren und erleidet am Ende die Ohnmacht des Kreuzes. Nichts scheint sich zu ändern.

(Hier kann auf aktuelle Ereignisse eingegangen werden.)

Wenn aber im Magnificat die alttestamentlichen Stimmen zu einer neuen Komposition zusammengefügt werden, dann entsteht durch den Zusammenklang verschiedener Stimmen etwas Neues. Ein neues Verständnis wird gewonnen. Es klingt an, dass Gott im Verborgenen wirkt und dennoch seine Macht durchsetzt. Er erwählt das, was arm und gering ist. Das Hohe in der Welt ist nicht mehr hoch, das Niedrige ist nicht mehr niedrig. Maria spürt, dass die Niedrigkeit ihres Menschseins nicht mehr zählt, sondern erwählt wird. Deshalb preist sie Gott mit hellem Jubel.

In dem Adventslied von Jürgen Henkys über das Magnificat kommt das zum Ausdruck:

Gottes Lob wandert und Erde darf hören.
Einst sang Maria, sie jubelte Antwort.
Wir stehn im Echo der Botschaft vom Leben.
Den Herrn preist meine Seele:

Im Echo der Botschaft des Lebens gilt es, die polyphonen Stimmen zusammenzubringen. So viele Stimmen dringen tagtäglich an unser Ohr. Dazu gehören sicherlich auch disparate Stimmen, die auf uns einreden. Es gibt kritische und mahnende Stimmen, die wir vernehmen. Es sind dissonante Stimmen an der Tagesordnung. In der Musik werden dissonante Harmonien aufgelöst. Obwohl sie dissonant erklingen, ergibt sich ein harmonisches Gesamtkunstwerk.

Es ist erhebend, wenn uns das im Leben gelingt. Wir spüren, dass es einen tieferen Grund im Leben gibt, der uns trägt. Die Botschaft vom Leben, wie sie in dem Lied besungen wird, findet ein Echo in uns. Wir erkennen, wie Gott barmherzig ist, zu denen, die ihn fürchten oder mit heutigen Worten besser gesagt: ihm die Ehre geben. Es findet einen Nachklang in unserer Dankbarkeit. Dann verachten wir nicht das Geringe, sondern schätzen es. Wir kommen erst gar nicht in die Versuchung, hochmütig zu werden. Wir geben gern. Gottes Lob wandert durch die Welt und zieht bei uns ein.

Wenn die polyphonen Stimmen zusammenklingen, dann leiten sie uns an, in diesen Vielklang einzustimmen. Jede einzelne Stimme zählt. Sie gehören in den harmonischen Gesamtklang. Wir stimmen ein in diesen Jubel und erahnen: Alles wird sich ändern. Denn Gott ist in die Welt gekommen und ist ihr nahe.

Sein Wirken geschieht aber noch im Verborgenen. Das Besondere an dem verheißenen Kind in der Krippe ist nicht ohne den Blick auf sein ganzes Leben zu verstehen. Er predigte, heilte und wandte sich Ausgegrenzten zu. Sein Weg führt ihn ans Kreuz. Es bleibt nicht bei der Ohnmacht des Kreuzes. Gottes Macht wird nur durch die Auferstehung sichtbar. Leid und Tod sind nicht das Letzte. Das gilt auch heute beim Tod unschuldiger Opfer. Gottes Macht ist auf diese Weise auch heute in der Welt wirksam.

Maria antwortet auf die Botschaft des Engels mit ihrem Lied. Sie ist von der Vorfreude auf Weihnachten, auf die Geburt ihres Sohnes ganz ergriffen. Sie bringt ihre Stimme zum Klingen und lobt Gott. In diesem Gottesdienst hören wir so viele musikalische Stimmen, die mit verschiedenen Instrumenten intoniert werden. Daraus ergibt sich ein froher und zuversichtlicher Gesamtklang. Dieser Klang soll in uns nachhallen, wenn wir nun auf Weihnachten zugehen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, er bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Literatur: Jürgen Henkys: Gottes Lob wandert, in: Durch Hohes und Tiefes. Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland, Nr. 5

Hinweis: Wie am Anfang beschrieben, wurde die Predigt für einen Musikgottesdienst verfasst.

Perikope
21.12.2014
1,46-55