Predigt zu Lukas 17, 3-6 von Eugen Manser
17,3
Jesus sagt zu seinen Jüngern:
Nehmt euch in acht! Wenn dein Bruder der Sünde verfällt, dann stell ihn zur Rede, doch wenn er Reue zeigt, mußt du ihm vergeben. Und wenn er siebenmal Unrecht tut, an einem einzigen Tag, und siebenmal kommt: ‚Bruder, ich tu es nicht wieder‘, dann mußt du ihm vergeben – auch dann!“
Da sagten die Schüler – seine Boten, seine Gesandten – zu ihm: „Unser Glaube ist zu klein: Laß ihn wachsen!“
„Und wenn er winzig wie ein Senfkörnchen wäre – es reichte hin, um dem Maulbeerbaum zu befehlen:‚Reiß deine Wurzeln aus und laß sie neue Wurzeln finden im Meer‘: er würde gehorchen.“
 (Übertragung von Walter Jens)
Liebe Gemeinde, hören Sie den Wortwechsel eines Ehepaares:
‚Ich glaub dem kein Wort mehr; der ändert sich nie! Immer wieder dasselbe‘, denkt die von ihrem Mann verletzte Ehefrau und sie denkt es so sichtbar, dass der es ihr ansieht.
„Es war wirklich das letzte Mal. Ich mach‘s nicht wieder!“ beteuert er.
Und sie darauf: „Das sagst du immer! Jetzt ist Schluss!“
Das kann nun jede Woche so gehen. 50mal im Jahr, 500mal in 10 Jahren.
Zwanghaft das gleiche Programm. Er kann‘s nicht lassen, bereut jedes Mal, Sie droht mit Trennung, bleibt aber doch. Sie sind gefangen in ihrem Verhalten. Von Mal zu Mal wächst die Verachtung, die beiden bekommen einen bitteren Zug um den Mund. Und doch müssen sie so weitermachen. Sie können einander nicht erlösen. Sie traut ihm nicht und er glaubt ihr nicht.
Szenen einer Ehe.
Ich habe nie verstanden, warum manche Psychologen dieses zwanghafte Verhalten „Ehespiel“ nennen. Der handfeste Ausdruck „Teufelskreis“ ist hier treffend. Den beiden tuen die Verletzungen, die sie sich zufügen, richtig weh und doch müssen sie sich immer wieder verletzen.
Jesus gebietet ein anderes Verhalten: Wenn dein Bruder in Sünde verfällt, dann stell ihn zur Rede, doch wenn er Reue zeigt, mußt du ihm vergeben.
Der Wortwechsel zwischen den beiden würde sich dann etwa so anhören:      ‚Ich glaub dem kein Wort mehr; der ändert sich nie! Immer wieder dasselbe‘, denkt die von ihrem Mann verletzte Ehefrau und sie denkt es so sichtbar, dass der es ihr ansieht.
„Es war wirklich das letzte Mal. Ich mach‘s nicht wieder!“ beteuert er.
Und sie darauf: „Auch wenn es mir sehr schwer fällt, ich verzeihe dir.“
Und das immer wieder. „Ich verzeihe dir!“ Tag für Tag: „Ich verzeihe dir!“  Woche für Woche: „Ich verzeihe dir!“
Denn so gebietet es Jesus: Und wenn er siebenmal Unrecht tut, an einem einzigen Tag…dann mußt du ihm vergeben – auch dann!                             „Oh!“ stöhnen die Jünger. „Das schaffen wir nicht. Dafür ist unser Glaube zu klein. Jesus, lass unseren Glauben wachsen für dieses Bravourstück!“
Die Jünger sprechen mir aus dem Herzen mit ihrem Hilferuf nach mehr Glauben! Schon ein einziges Mal vergeben ist ja ein ungeheurer Kraftakt. Und nun soll ich immer wieder vergeben ohne jegliche Garantie, dass mein Bruder mich morgen und übermorgen nicht wieder verletzt!
Mit dem Kopf  begreife ich ja, dass die Vergebung eine gute Sache ist; denn üblicherweise reagiere ich auf eine Verletzung mit einem Gegenschlag oder wenn ich dazu nicht die Kraft habe, breche ich den Kontakt zu dem, der mich verletzt hat ab und gebe mich meinen Rachegedanken hin.
Wenn ich aber 7 Mal am Tag vergeben könnte, wären das 7 Gegenschläge,  weniger in der Welt und darüber hinaus bliebe die Beziehung erhalten. Ich würde den Kontakt zu meinem Bruder nicht abbrechen, sondern ihm eben immer wieder vergeben.
Aber wie bringe ich das meinem Herzen bei, womöglich immer wieder das Gleiche zu vergeben ohne daran zu zerbrechen?
Die Jünger Jesu bitten um mehr Glauben, um größeres Vertrauen. Vertrauen ist ja die Fähigkeit, sich verletzlich zu zeigen und trotzdem ins Leben zu springen. Wenn ich jemandem vertraue, riskiere ich auch immer eine Niederlage. Der andere könnte mein Vertrauen ja auch missbrauchen.
Aber auch das andere gilt: Wenn ich jemandem vertraue, fühlt der sich meist anerkannt, geehrt und geachtet. Unsere Beziehung vertieft sich.
Ich glaube, mit dem Vertrauen zu Gott ist es nicht so viel anders als mit dem Vertrauen zu Menschen. Auch Gott freut sich, wenn wir ihm vertrauen. Auch Gott zeigt sich mit seinem Vertrauen in uns verletzlich.
Obwohl ich Verletzungen und Niederlagen riskiere, wenn ich Gott oder Menschen vertraue, riskiere ich doch viel mehr, wenn ich nicht vertraue. Ich riskiere, die Anerkennung und Achtung derer, denen ich nicht vertraue zu verlieren.
Nur mit Vertrauen kann ich neue Erfahrungen machen. Es gibt nur zwei Weisen, auf das Leben zu reagieren: Im Vertrauen oder in Angst. Das Vertrauen muss uns geschenkt werden, die Angst ist von selbst da. Das Vertrauen lässt mich neue, ungeahnte Erfahrungen machen. Die Angst lässt mich immer wieder das Gleiche erleben. Das müssen die Jünger gespürt haben. Nun wünschen sie sich von ihrem Meister, dass er ihr Vertrauen wachsen lässt, damit es der Angst gewachsen ist.
Jesus reagiert auf diese Bitte überraschend: Und wenn euer Glaube winzig wie ein Senfkörnchen wäre – es reichte hin, um dem Maulbeerbaum zu befehlen ‚Reiß deine Wurzeln aus und laß sie neue Wurzeln finden im Meer‘: er würde gehorchen.
Das heißt doch: Euer Vertrauen genügt, auch wenn es noch so klein ist.
Seht euch eure Mitgeschöpfe an und die Zuverlässigkeit, die Vertrauenswürdigkeit der Wirklichkeit, in der sie leben. Seht euch eure Mitgeschöpfe an! Das Senfkörnchen wird zu einem Strauch, in dem die Vögel nisten. Oder die Vögel, sie säen und ernten nicht und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Oder seht die Kinder, wie neugierig und vertrauensvoll sie in jeden neuen Tag gehen. Seht eure Mitgeschöpfe an! Sie sind lebendige Indizien für die Vertrauenswürdigkeit Gottes. Merkt ihr nichts? Die Welt, die Wirklichkeit, so wie sie erschaffen ist, ist auf Leben hin entworfen, ist auf Leben aus, ermöglicht Leben in verschwenderischer Fülle, spricht für einen Gott der Lebensfreude, dem man vertrauen kann.
Und ihr habt alle Glauben. Sonst könntet ihr gar nicht leben. Die Größe spielt beim Vertrauen keine Rolle. Senfkorngröße genügt.
Entscheidend ist, ob wir unser Vertrauen anwenden, ob wir es wagen. Das hat Verheißung!
Und wenn der alte Maulbeerbaum der Unversöhnlichkeit noch so tiefe Wurzeln   geschlagen hat, wenn er zwischen dir und deinem Ehepartner steht wie ein Grenzpfahl - befiehl ihm, sich ins Meer der Vergessenheit zu versetzen und er wird dir gehorchen! Die Fähigkeit zum Glauben haben wir alle geschenkt bekommen. Die einzige Leistung, die wir dabei erbringen müssen, ist der Sprung ins Unbekannte im Vertrauen darauf, dass wir in den Armen Gottes landen.
So kann ich meinem Bruder, meinem Ehegefährten auch zum siebenten Mal vergeben ohne Angst, dass mein Selbstwertgefühl dabei in Scherben zerfällt. Ich kann meinen Bruder, meinen Ehepartner  nicht verändern. Aber jedes Mal, wenn ich ihm verzeihe, gebe ich ihm eine neue Gelegenheit zu einem neuen Anfang. Und uns gebe ich eine neue Chance.  
Jesus lockt uns: Der winzige Senfkornglaube ist dem großen Maulbeerbaum der Unversöhnlichkeit gewachsen! Man bekommt Lust, es auszuprobieren!
Perikope
08.09.2013
17,3