Predigt zu Lukas 19,41-48 von Jochen Riepe
19,41-48

I

Wo ist Gott ? Oder um ganz konkret zu fragen : Wo wohnt Gott ? Gibt es einen Raum , einen besonderen , einen heiligen Raum , den er sich  erwählt und zu eigen gemacht hat ? ‚Hast du Gott besucht ?‘, fragen  die Kindergartenkinder, wenn ich aus der Kirche komme. ‚War er denn auch da?‘ spottet der Zeitgenosse ,‘oder ist er wieder einmal verreist?‘

 II

Jerusalem – ‚Schauung des Friedens‘  … ‚jeder Stein erzählt hier eine Geschichte‘, schwärmt der Reisende und ein Journalist sprach von der ‚geballten Heiligkeit‘ dieser Stadt. Juden , Muslime und verschiedene christliche Konfessionen ehren diesen Ort und – streiten um ihn. Der Tempelberg ist so etwas wie ein traumhafter, energiegeladener Raum , der Sehnsuchtsberg der Völker, das ‚Tor zum Himmel‘. In oder auf den Ruinen des jüdischen Tempels haben Muslime die Al-Aqsar- Moschee und den Felsendom errichtet. Den Juden blieb die Klagemauer und die Welt hält immer wieder den Atem an, wenn irgendeine Seite versucht, an dem prekären Status etwas zu ändern.

 III

Jesus weint. Jesus weint um Jerusalem. Nach dem Bericht des Lukas nähert er sich der Stadt , sieht sie vor sich liegen und ihm kommen die Tränen. Feinde werden sie belagern, nicht einen Stein auf dem anderen lassen , den Tempel zerstören. Für Lukas ist die Person Jesu eng mit diesem Gotteshaus verbunden. Hier wird er ‚dargestellt‘ und von Simeon und Hannah als der Messias Gottes erkannt. Hier schockiert er als 12jähriger seine Eltern : ‚Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem , was meines Vater ist ?‘ Und hier schließlich lehrt er täglich vor vielen Zuhörern, vor Freunden und Feinden. Darf man sagen : Es sind die Tränen des Juden Jesus , der mit seinem Volk den drohenden Verlust der Mitte , der Identität – ja: des Vater-Hauses beklagt ?

 IV

Jesus weint um Jerusalem. Immer wieder haben Bibelleser sich darüber gewundert, daß Lukas diese gleichsam schwache Seite Jesu berichtet.  Und umgekehrt : In manchen Bibelhandschriften ist der Satz  gestrichen oder weggelassen worden. Ein Messias , der weint und der auch noch als Jude um Jerusalem weint, war nicht mehr verständlich oder sogar ein Ärgernis. Hatte Jesus es nicht selbst gesagt : Diese Stadt hat ‚die Zeit nicht erkannt‘ – ‚Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben‘- sie hat nicht erkannt , was zu ihrem Frieden dient und vor allem : Sie hat ihn , den Messias, den Friedenskönig , der , in dem Gott doch sein Reich errichten wollte, gelästert und verworfen. Für die Kirche späterer Zeiten war es dann klar : Mit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer hat Gott ein deutliches Zeichen gesetzt. Das erste Gottesvolk wurde gleichsam abgelöst. Rom und Byzanz überholten Jerusalem und den Berg Zion.

V

Wo ist Gott ? ‚Hast du Gott besucht?‘, fragen die Kinder. Natürlich : Ein Gotteshaus , das Haus Gottes ist das Wohnhaus Gottes. Sie drücken es auf ihre Weise ganz unbefangen aus : Der Glaube hat einen ‚Raum-Bezug‘  und jeder von uns wird Stätten , Kirchen , Gebäude kennen, mit denen er sich besonders verbunden fühlt. ‚Das Vaterhaus meines Glaubens‘. Wo wohnt der Heilige, wo dürfen wir ihm nahekommen … wenn es den Tempel nicht mehr gibt , diese Steine , denen Er doch seine Gegenwart zugesagt hatte ?  Es gibt im heutigen Israel eine kleine Gruppe, die nennt sich : ‘Gläubige Bewegung Tempelberg und Eretz Jisrael‘.  Diese Bewegung  trägt den Schmerz über das verlorene Heiligtum und die sehr menschliche Sehnsucht : ‚Zurück!‘ in sich und spielt doch eben darin  mit dem Feuer . Ihr Ziel ist der Wiederaufbau des Tempels als jüdisches Zentralheiligtum an der Stelle , an der er einst stand, die nun aber andere längst als die ihre verstehen. Als Christen in Deutschland ist uns dieser Wille sehr nahe. Wie groß war die Freude, als die Dresdener Frauenkirche  wieder errichtet war . Wir wissen aber auch , wie in solchen Wiederaufbauplänen  Trauer und Traum und Wahn einander berühren : Das Tor zum Himmel – das Tor zur Gewalt.

VI

‚Und als er hinzukam , sah er die Stadt und weinte über sie‘. Ich sagte es schon : Manche haben diesen Satz gestrichen oder weggelassen. Wurde in diesen Tränen nicht noch etwas zweites , anderes , für unseren Glauben Rätselhaftes oder sogar Abgründiges sichtbar ? Wenn die Wohnung Gottes zerstört ist, wenn kein Stein auf dem anderen bleibt, wenn das Vaterhaus nicht mehr ist, was ist dann mit dem Vater selbst ? ‚Er wurde mit zerstört‘, sagt der Nüchterne. ‚Er ist rechtzeitig verreist oder ausgezogen‘, spottet der Spötter : ‚Seht, sein Name an der Tür ist verblaßt.‘ Dritte schließlich meinen : ‚Seht doch die Befreiung, die darin liegt. Religion und Gewalt sind miteinander verschwistert und erst ein Jerusalem, das eine Stadt wie jede andere sein darf, erst die Entschärfung der ‚Heiligkeits-Bombe‘ wird den Menschen  dort , allen Menschen dort , den ersehnten Frieden bringen‘. Mit dem Ende der heiligen Orte , mit dem Abschied vom Heiligen wird auch der Streit darum ein Ende haben und die Stadt wird endlich ihrem Namen  Ehre machen : Jerusalem – Schauung des Friedens.

  VII

Wenn das Haus Gottes zerstört ist , was ist dann mit Gott selbst ? Wo wohnt er auf Erden? Wo ist er angesichts der zerstörten Städte, Synagogen und Kirchen ?  Ich glaube , im Sinne des Evangelisten darf man sagen : Diese verlorenen Orte , diese Trümmerhaufen der Geschichte , diese gefallenen Mauern haben ihre eigene Gottes-Sprache . Als zerstörte schließen sie nicht mehr aus . Sie führen zusammen. Die einander Fremden oder die Verfeindeten treten zusammen und leben so die Versöhnung und den Frieden , den Er, der Messias, einst Jerusalem bringen wollte. Die Steine der untergegangenen Gotteshäuser schreien es in die Welt hinaus : Laßt euch seinen Frieden gefallen. Entwaffnet euch , wie euer Gott sich entwaffnet hat, und lernt mit dem anderen zu leben. Erkennt seine Trauer, seinen Verlust und seine Sehnsucht nach Anerkennung in seinem Leid. Weint mit ihm.

 VIII

Was wird aus dem Tempelberg , dem Zion , den ‚Wohnungen und Vorhöfen des Herrn‘ ? Wie Eretz Jisrael träumen viele Juden von einer Wiedererrichtung des Tempels. Sie haben diesen Traum aber – eben damit er nicht zum gewaltsamen  Wahn wird – gleichsam nach vorn gelesen und sind so in eine Nüchternheit eingekehrt, die uns vieles lehrt. Gott selbst wird am Ende der Tage den Tempel vom Himmel fallen lassen. Von Menschenhand kann er nicht errichtet werden. Die Stelle, da das Allerheiligste war, das Tor zum Himmel, dort , wohin Priester  in biblischer Zeit nur einmal im Jahr gehen durften – diese Stelle ist unbekannt und keiner wird sie wiederfinden. Der Glaube braucht einen Raum , ja, aber er hält es aus, daß dieser Raum noch aussteht.

  IX

Wo ist Gott ? Wo wohnt er ? Im Wort , im Gesang , im Herzen , sagen wir aufgeklärten Protestanten. Gott braucht kein Haus aus Steinen . Er ist doch überall… Mag sein, aber die Kinderfrage hat auch ihr Recht. ‚Hast du heute schon Gott besucht?‘ ‚Ja, ich habe sogar an seinem Tisch gestanden‘.

‚Wohl denen , die in deinem Hause wohnen , die loben dich immerdar‘  (Ps 84,4 ).

 

Perikope
09.08.2015
19,41-48