Predigt zu Lukas 2,1.15-20 von Bernd Vogel
2,1-20

Predigt zu Lukas 2,1.15-20 von Bernd Vogel

Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
Lukas 2, 15-20

Was für eine „Geschichte“ (Luther) ist denn da „geschehen“?
Oder wörtlicher: Was hat sich da „ereignet“?
Oder noch wörtlicher: Welches „Wortgeschehen“ (gr.: räma), das ihnen der „HERR“ (gr: kyrios) zu „erkennen“ gegeben hat, ist es denn, das die Hirten nun auch noch „sehen“ wollen?

Und kann man wirklich sagen, dass die Hirten die ersten Prediger einer Weihnachtspredigt waren? …

Das klingt ja nun alles wieder recht kompliziert. So typisch theologisch. Den Herrn Prediger (die Frau Predigerin) den (die)  verstehen wir nicht so recht (sagen die selbstbewussten Christen bei uns auf dem Dorf). Die Angelegenheit ist doch völlig klar:

Die Hirten auf dem Feld hatten eine Engelserscheinung. Ein „Leuchten“ war da. Und die „Herrlichkeit“ (gr: doxa)  des „HERRN“ war überwältigend.  Und der Engel hat zu ihnen gesprochen. Er hat gesagt:

Fürchtet euch nicht!
Denn seht hin: ich verkündige euch große Freude, die dem ganzen Volk gilt. Denn euch wurde heute der Retter geboren, der der Gesalbte ist (gr: christos), der HERR in der Stadt Davids.

Und dann hat der Engel noch „Zeichen“ erklärt, an dem die Hirten die Worte überprüfen könnten: Ein Kind in Windeln und in einem Futtertrog.

Danach war da plötzlich diese Menge der himmlischen Kräfte, der himmlischen „Heerscharen“ (Luther), die Gott lobten mit den Worten: Die Herrlichkeit Gott in den Höhen und auf der Erde Frieden unter den Menschen von (Gottes) Wohlgefallen!

Das ist doch klar, Herr Prediger (frau Predigerin), was da geschehen ist. Jedes Schulkind in Deutschland weiß das, erst recht, wenn es in der Kirche am Krippenspiel beteiligt war.

Nun sind Predigten aber unter anderem dazu da, dass wir klugen Christen noch einmal neu in den alten Bibeltext schauen, als läsen wir ihn zum allerersten Mal. So als wären wir Kinder.  

Den Zauber der Kinderaugen unterm Tannenbaum haben wir doch gar nicht in seiner Schönheit und in seiner ganzen Wichtigkeit verstanden, wenn wir sagen: „Weihnachten – das ist doch eigentlich das Fest der Kinder.“ Dann sagen wir ja gleichzeitig: Und für uns Erwachsene ist es ein Fest der Erinnerung an Gewesenes. Wir bereiten mit allen Vor- und Nachbereitungen liebevoll das ganze Fest, um in seiner Mitte den Kindern ihren Raum zu lassen – und wir Erwachsene stehen wissend und entzückt drum herum und schauen den Kleinen beim Weihnachtenfeiern zu.

Nein, Weihnachten könnte sein ein Fest für Kinder und Erwachsene. Und der Weihnachtszauber möchte sein nicht nur für Kinder, die „noch“ an den Weihnachtsmann oder das Christkind „glauben“, sondern stünde auch uns offen, ob wir nun Kinder und Enkel um uns versammeln können zu Weihnachten oder nicht.

Manche haben keine Kinder. Viele haben keine Enkel. Manche haben einen beschädigten Draht zu den Ihren. Was sollen sie tun zu Weihnachten? Wie sollen sie Weihnachten feiern, wenn Weihnachten tatsächlich vor allem das Fest der Kinder wäre – und nur das?

Kinder sind ja unter anderem deswegen so entzückend für uns Erwachsene, weil sie die Welt interessiert. Die sind bei der Sache. Und sie halten es für möglich, dass das Leben ziemlich wichtig ist. Sie gucken hin. Gründlich. Und immer neu. Und sie stellen Fragen. Sie geben sich nicht zufrieden mit schnellen Antworten, die für sie nicht stimmen. Sie erfinden Wörter. Sie stellen in ihrer Fantasie ganze Welten zusammen. Wenn wir alt (älter) Gewordenen uns erinnern: So war es auch einst bei uns. Und so war der Weihnachtszauber ganz wesentlich die Ahnung davon, dass in diesem ganz alltäglichen Geschehen, das ja auch zu Weihnachten weitergeht wie an jedem sonstigen Tag des Jahres, dass hier und nun aber mitten in diesem All – Täglichen das Außer – Ordentliche geschieht.

Ja, was „geschieht“ denn da? Da sind wir wieder beim biblischen Text.
Und dort steht – trotz Luther – in unserem Predigttext weniger  von einer „Geschichte“, die da „geschehen ist“, sondern zumindest vorrangig von einer Ansage Gottes durch seinen Engel und die  himmlischen Heerscharen. Gott hat ein „Wort“ gesprochen – und dieses Wort ist Wirklichkeit geworden, hat unbedingte Wirkung. Das  i s t  eine Geschichte. Da geschieht wirklich was. Doch die Geschichte spielt sich vor allem anderen im Kopf der Hirten ab. Kopf und Herz und dann auch Körper, im ganzen Menschen. Doch das Entscheidende ist schon, dass ein „Wort“ ergeht und dass es den, der (die) es hört, trifft, betrifft und ergreift. Paulus hatte das buchstäblich kapiert. Und Lukas auf andere Art auch.

Das Zauberwort des Lukas heißt: Der „Retter“ (gr: soter) ist da – und es ist  n i c h t  Kaiser Augustus! Das innerliche Geschehen bedeutet eine andere politische Sicht.

Der römische Kaiser wurde zur Zeit der Geburt Jesu „Sohn Gottes“ und „Retter“ (Luther: „Heiland“) genannt, ließ sich so nennen. Gerade im Osten des Imperiums gab es Tempel für den Augustus. Noch war es kein Zwang dort zu opfern. Die Menschen taten es freiwillig; denn in der Verehrung des Augustus (des „Erhabenen“) konnten sie sich selbst etwas erheben aus dem Einerlei und Trott des alltäglichen Lebens. Mit der Erhabenheit, der Macht und dem Glanz des römischen Kaisers gewann das Leben der sogenannten kleinen Leute etwas von dem allen.

Und nun schreibt Lukas ca. 60 Jahre nach dem Tod des Augustus sein Evangelium. Mittlerweile haben die Nachfolger des großen Kaisers teilweise fürchterlich gewütet, machtberauscht, geld- und blutgierig. Wie der junge Octavian damals auch, dem kein Mittel zu anrüchig, keine Gewalttat zu grausam war, um sie nicht einzusetzen, um sein Ziel der Alleinherrschaft zu erreichen.

Der Historiker Lukas weiß das alles. Ob er irgendetwas aus den Kindertagen des Christus Jesus wusste, ist eher fraglich. Er erzählt zumindest eine andere Geschichte als sein judenchristlicher Zeitgenosse Matthäus. Mindestens, muss man sagen, benutzten sie verschiedene Quellen. Wahrscheinlich aber ist, dass beider Geburts- und Kindheitsgeschichten Predigten sind. Geschichten mit gewissem historischen Anhalt, erzählt, um das Wesen des zu erzählen, „was da geschehen ist“.

Lukas sagt uns: Das Wort Gottes ist geschehen. Es hat sich ereignet. Und zwar nicht in Rom im von Augustus gebauten Tempel für Apollon auf dem Hügel Palatin, sondern auf nächtlichen Weidegründen rund um das alte Davidsdorf (das biblische Bethlehem war keine Stadt, sondern ein Dorf) Bethlehem herum.

Nicht der „Retter“ Augustus ist der Bringer und Garant des „Friedens“ „auf Erden“, sondern ein Kind, in Windeln gewickelt und in einem Futtertrog liegend. Nicht Opfer in einem der Tempel für den Augustus sind wirksam, nicht Treueeide auf den Kaiser, nicht römisches Militär, nicht römische Technik,  nicht römische Frömmigkeit (pietas), Moral und nicht römisches Recht, sondern wirksam kann Friede nur sein, insofern Menschen die Botschaft des Engels und der himmlischen Heerscharen hören, sich zu Herzen nehmen und dann „sehen“ wollen, wie sie sich ereignet.

Die Hirten kommen ohne Geschenke zum Jesuskind. Ganz anders als die persischen Priester und Sterndeuter, die wegen ihrer kostbaren Geschenke – Gold, Weihrauch und Myrrhe – zu „drei heiligen Königen“ mutierten. Die Hirten kommen ohne Geschenke. Auf manchen Bildern der Kunstgeschichte sieht man rührende Szenen: Die Hirten mit einer Schale warmer Ziegenmilch für die armen Eltern,  mit Schaffellen zum Schutz vor der Kälte usw.  Alles schön und gut. So sollte es sein. Im Dorf weiß man das und manchmal auch in der Stadt: Man bringt etwas mit, wenn man eingeladen ist, wo man noch nie war.

Wir können davon ausgehen: Die Hirten brachten nichts mit. Sie kamen, um das „Wort“ zu „sehen“, das zu ihnen gesagt war. Und als sie es „gesehen“ hatten:  Ein Kind in Windeln und in einer Krippe .. da „gaben sie Kunde von dem Wort“ (Luther: „breiteten sie das Wort aus …“ = was wir „Auslegung“ nennen), d. h. sie plapperten nicht einfach nach, was der Engel gesagt hatte, sondern hielten auf ihre Hirten – Art eine erste Weihnachtspredigt! Das war ihr Geschenk.

Grundlage ihrer Predigt konnte nur sein – aber was heißt da nur?
Eine wundersame Lichterscheinung mitten in der Nacht und mitten bei der Arbeit
Worte eines Gottesboten: Sie sollten sich nicht fürchten, ihnen und dem ganzen Volk sei nun gerade („heute“) der Retter geboren.
Als „Zeichen“ genüge ein Kind in Windeln und in einem Futtertrog
Das Erlebnis von himmlischem Lobgesang mit damit verbundener Lightshow  und die Ansage, dass Gottes Lob und Friede auf der Werde zwei Seiten einer Medaille seien: Nicht Augustus, heißt das, ist anzubeten und ist der Friedensbringer, sondern das Krippenkind und alles, was es tun und erleiden wird.

Man male sich ihre Predigt aus, ihre „Ausbreitung“ (Luther) oder Auslegung des Wortes, das zu ihnen gesagt war.

Und Maria bewahrte alle diese Worte und wendete sie hin und her in ihrem Herzen.
Damit hat Lukas durch die Blume Maria sagen wollen, wie wir umgehen sollen mit Gottes Wort hier und heute. Hin- und herwenden, immer neu. Das Wort kauen, schlucken. Wären wir Rindviecher müsste man vom Wiederkäuen reden …

Noch einmal Kind werden. Nicht nur zu Weihnachten. Und hinschauen und hinhören, als schauten und hörten wir zum ersten Mal. Den fremden Gast predigen lassen und abwägen, was dran sein könnte für mich und für uns. Und für die große Weltpolitik heute.

Das wäre nun eine zweite Predigt über den Frieden auf Erden. Vielleicht aber ist sie ja auch schon mitgelaufen, ist sie schon gesagt und schon gehört. Wer weiß?

Auf jeden Fall kann es solche, die das Wort des Engels zu den Hirten gehört haben, nicht gleichgültig sein, ob und wie wir in unserem Dorf (in unserer Stadt / Gegend) die Flüchtlinge empfangen und aufnehmen, die demnächst zu uns kommen (die zu uns gekommen sind). Das ist eine reelle Chance für unseren Beitrag zum Frieden hier vor Ort.

Das Kind in der Krippe würde es freuen; denn dafür ist es gekommen. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden allen Menschen, an denen Gott sein Wohlgefallen übt.

Amen.         
 

Perikope
Datum 25.12.2014
Bibelbuch: Lukas
Kapitel / Verse: 2,1-20
Wochenlied: 23
Wochenspruch: Joh 1,14a