Predigt zu Lukas 2,(1)15-20 von Martina Janßen
2,1-20

I. Weihnachten war immer zauberhaft. Zu gern erinnere ich mich daran, wie unsere Familienkrippe unter den Tannenbaum gestellt wurde. Dunkel war es in der guten Stube, nur ein paar Kerzen flackerten und tauchten alles in ein warmes Licht. Ganz still war es und irgendwie geheimnisvoll. Bis die schneidende Stimme meiner Oma ertönte. „Der Jesus stört!“ Unwillig beäugte sie die Familienkrippe. Die war zweifelsohne ein besonders prächtiges Exemplar, mit sorgfältig geschnitzten Figuren aus edlem Holz, die Kleider aus Samt mit Boraktrand und glitzernden Perlen. Besonders Maria mit ihrem zarten Lächeln, entrückt und voller Anmut, berührte das Herz. Alles wirkte edel und königlich, auch die kleine, mit einem Samtkissen ausstaffierte Wiege. Nur das Jesuskind wollte sich da nicht einfügen. Es hatte zwar ein Strahlenkrönchen auf dem Kopf, doch im Lauf der Zeit auch einen Arm eingebüßt. Das störte die heile Krippenwelt meiner Oma. Ein vollkommenes Kunstwerk war diese Jesusfigur wahrlich nicht mehr. „Der Jesus stört, wir brauchen einen neuen, eine Schande ist das, so ein kaputter Heiland!“ In der Stimme meiner Oma lag heilige Empörung. Lauthals habe ich damals als kleines Kind dagegengehalten. Der kaputte Jesus gehörte für mich dazu, ihn hatte ich ehrlich gesagt am liebsten, gerade weil er nicht vollkommen war – ein bisschen wie ich selbst damals mit meinen vom Toben aufgeschlagenen Knien und meiner Zahnlücke. Auch noch heute schlägt mein Herz für das kaputte Jesuskind. Es passt zur Weihnachtsgeschichte besser als Perlen, Samt und Edelholz. Denn es war nicht gerade eine Royal-Geburt, die sich da vor über 2000 Jahren in Bethlehem ereignete. Ganz im Gegenteil! „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die der Herr uns kundgetan hat (Lk 2,15).

II. „Kalt war die Nacht ihrer ersten Geburt.“ Mit diesen Worten bringt Bert Brecht in einem Mariengedicht die Umstände von Jesu Geburt auf den Punkt. In bescheidenen Verhältnissen kam Gottes Sohn auf die Welt. Alles erinnert eher an die Geschichte eines Flüchtlingskindes als an die eines Königskindes. Maria und Josef waren nicht William und Kate. Die Geburt ihres Kindes wurde nicht sehnsuchtsvoll erwartet. Als Maria und Josef Herberge suchten, wurden sie abgewiesen. Erschöpft wird Maria ausgesehen haben, müde und ohne Kraft, nicht gerade wie eine erhabene Himmelskönigin oder eine anmutige Prinzessin. Vor ihrer Schwangerschaft haben die meisten die Augen verschlossen und nicht gerade bereitwillig Türen und Herzen geöffnet. Kein Blitzlichtgewitter, sondern das stille Leuchten eines Sternes. In einem Stall hat Maria Jesus geboren. „Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge (Lk 2,7).“ Kein Palast, sondern eine Hütte. Wie ein Prinz war Jesus nicht gebettet. Keine Samtkissen, sondern Heu und Stroh. So war’s als Jesus geboren wurde. Keine geöffneten Türen und Herzen, sondern ein zugiger Stall. So und nicht anders wurde Gottes Sohn geboren – verwundbar und arm, abgewiesen und schwach. Das mag verstören. Göttersöhne sollten eigentlich anders geboren werden. Das schwache Gotteskind in der Krippe und seine erschöpfte Mutter durchbrechen die Logik unserer Welt. Da kann ich meine Oma schon verstehen. Ein königliches Christkind sollte auf Samtkissen gebettet und vollkommen sein, lieblich anzusehen, holder Knabe mit lockigem Haar, gekrönt mit Macht, mit süßen Tönen himmlischer Chöre in den Schlaf gesungen, geehrt mit Anbetung und Festlichkeit. Wie es sich eben für einen göttlichen Sohn gehört. Doch die Geschichte von Bethlehem geht anders. Jesus kommt als schutzloses, abgewiesenes und verwundbares Kind. Das hatte schon damals etwas Verstörendes. „Als die Hirten es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten (Lk 2,17f).“ Wie die Geschichte beginnt, so geht sie weiter. Immer wieder wird man sich über diesen Gottessohn wundern. Jesus bessert sich auch im Lauf seines Lebens nicht. Er geht zu Gebrochenen, macht sich mit den Sündern gemein und wird zum Bruder der Ärmsten. Jesus stört immer. Anstatt sich von Heiligen, Königen und Makellosen in die Paläste einladen zu lassen, speist er in den Hütten. Er stirbt am Kreuz – das war der schändlichste Tod in der Antike, ein Skandal wie der Apostel Paulus es ausdrückt. So elendig Jesu Leben endet, so beginnt es auch – in einem ärmlichen Stall.

III. Liebe Gemeinde! Eine glatte Geschichte ist unsere Weihnachtsgeschichte nicht. Doch gerade in dem Verstörenden liegt der Kern der Weihnachtsbotschaft. Das arme abgewiesene Gotteskind in der Hütte ist kein Erzählmotiv, das die Geschichte irgendwie rührseliger macht. Jesus ist nicht Aschenputtel. In dieser Geschichte geht um mehr als um einen flüchtigen Zauber für’s Gemüt. Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi erzählt die Geschichte neu - ganz ohne Stall, Krippe und Kind. Ein König wollte wissen, was Gott macht. Als seine Berater ihm nicht weiterhelfen konnten, fragte er einen armen Hirten. Der Hirte sagte. „König, ich bitte dich - lass uns unsere Kleider tauschen.“ So gab der König alle Zeichen seiner Königswürde und alle prächtigen Gewänder ab und kleidete damit den Hirten. Er selbst zog dessen zerschlissene Kleidung an. So verändert standen sie einander gegenüber. Da sagte der Hirte. „Siehst du – genau das macht Gott. Er verzichtet auf alle Pracht, Erhabenheit und Macht und wird einer von uns. Er nimmt an, was wir haben und sind. Und er gibt uns, was er hat.“ Eine seltsame Geschichte. Einen verstörenden Anblick mögen die beiden geboten haben: Der König, würdevoll in Haltung und Blick, aber in zerschlissenen Kleidern, und der Hirte in königlicher Pracht, aber mit zerzaustem Haar, Stallgeruch und rauen Händen. Nicht gerade ein stimmiges Bild. Doch hätten zwei Könige ihre Kleider getauscht, so wäre die Geschichte zwar glatt, aber es wäre auch nicht wirklich etwas passiert. Wäre Gottes Sohn als königlicher Prinz geboren, auf Samtkissen gebettet und mit süßen Tönen himmlischer Chöre in den Schlaf gesungen, so hätte das meiner Oma sicher gefallen und wäre auch passend für einen Gottessohn, aber es wäre doch nur eine schöne Geschichte für schöne Menschen in einem schönen Palast. Für die Elenden wäre nichts passiert, in den Hütten hätte man sich nichts zu erzählen gehabt. Doch die Geschichte, die da Bethlehem geschehen ist, geht anders. Sie geht für alle gut aus. Weil Gottes Sohn als abgewiesenes, schwaches Kind in einem Stall zu uns auf die Welt kommt, liegt auf allem Menschlichen – so niedrig, so schmerzhaft, so elend es auch sein mag - Gottes Glanz. Weihnachten kommt Gott in unsere gebrochenen Träume und Leben und in unsere zerrüttete Welt, er nimmt Wohnung in unseren verlassenen Herzen und verletzten Seelen. Wir müssen unsere Wohnzimmer nicht wie Paläste schmücken und müssen uns nicht in Heilige verwandeln. Gott nimmt an, was wir haben und sind. Keine Hütte ist zu klein, kein Leben zu zerstört, kein Ort dieser Welt zu dunkel. Und er gibt uns, was er hat. Und das, liebe Gemeinde, ist nichts weniger als unveräußerliche Würde des Gotteskindes! Heute wird sie uns geschenkt. Dir und mir – egal wie arm, traurig, verbittert, verletzt oder schuldig wir auch sein mögen. Das feiern wir Weihnachten, davon erzählt unsere Weihnachtsgeschichte. „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die der Herr uns kundgetan hat (Lk 2,15).

IV. Unsere Familienkrippe hat all die Umzüge nicht überlebt. Dafür aber dieser Engel mit seinem zerzaustem Haar, seinen zerknickten Flügeln, seiner fehlenden Wachshand. Wenn Sie in diesen Tagen an unserem erleuchteten Fenster vorbeigehen, werden Sie ihn ganz oben auf der Baumspitze sehen. Sicher, wir könnten mal eine heile Baumspitze kaufen und weiter unten am Baum hängen auch kostbare Kugeln. Aber kein Weihnachtsschmuck ist Gott so nahe wie dieser kaputte Engel. Er versinnbildlicht die Geschichte, die da in Bethlehem geschehen ist und die seit jener Nacht immer wieder geschieht auf der Welt. Ein bisschen so wie damals jenes Holzjesuskind aus unserer Familienkrippe, das nur noch einen Arm hatte, aber dessen Haupt dennoch mit einer Krone gekrönt war und auf dessen Lippen ein feines, verschmitztes Lächeln lag – fast als trüge es ein Geheimnis offen zur Schau und wolle sagen: „Wir mögen nicht perfekt und heil sein, aber wir tragen Gottes Würde in uns. Gottes Glanz liegt auf unserem Haupt – unverrückbar und auf ewig!“

Amen

Kanzelsegen

„Gott segne uns und behüte uns. Das Licht von Bethlehem scheine in unseren Herzen und dringe vor aus dem Elendsstall bis in die Paläste. Wir sind das Licht der Welt. Gehet hin Frieden zu schaffen.“ (D. Sölle)

 

Perikope
25.12.2014
2,1-20