Predigt zu Lukas 9,57-62 von Eugen Manser
9,57-62

Predigt zu Lukas 9,57-62 von Eugen Manser

Liebe Gemeinde,
bei diesen Jesusworten kann einem Angst und Bange werden! Wir leben und fühlen ganz anders, als Jesus es hier verlangt:

Wir leben in festen Häusern und wissen die Gemütlichkeit unserer vier wände zu schätzen. Wir erhalten die Kirchen und versuchen so dem Glauben ein Obdach zu geben.
Er dagegen warnt den Nachfolgewilligen, der mit ihm leben will: "Gib acht! Mein Geschick teilen, das heißt auch, Heimatlosigkeit auf sich nehmen."

Wir haben Freunde und Verwandte. Sie sind ein Teil unseres Lebens. Mit ihnen teilen wir unser Leben und so gehören sie auch zu uns selbst.
ER sagt zu denen, die mit ihm gehen wollen: "Wer Rücksicht nimmt auf seine verwandtschaftlichen Bindungen, der wird nie frei für Gott." Und schließlich das harte Wort: "Lass die Toten ihre Toten begraben - du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes!"

Manche sagen. Dieser schroffe Ernst der Nachfolge, von dem Jesus hier spricht, gelte gar nicht für alle Christen. Jesus meine hier nur die besonders Berufenen, die sich so wie er heimatlos und bindungslos auf den Weg machen: Mönche etwa und Nonnen oder solche Einzelgestalten wie Franziskus oder Mutter Teresa.
Für uns andere gelten eher solche Jesusworte wie: "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken."
Es ist wahr, schon in der ältesten Christengemeinde hat es zwei verschiedene Gruppen von Jesusanhängern gegeben: Da gab es ein paar wenige Wanderprediger, die wirklich ohne Beutel und Tasche durchs Land zogen, nie länger als drei Tage irgendwo zu Gast blieben, allein von der Güte Gottes lebten und von seinem kommenden Reich predigten. Dann gab es aber auch die anderen, die diese Verkünder aufgenommen und bewirtet haben. Auch Jesus selbst ist ja bei solchen zu Gast gewesen, die Haus, Hof und Familie hatten - und auch behielten. Auch der radikalste Prophet  muss einmal essen - sollte er die verdammen, die ihm etwas geben, weil sie nicht wie er aufgebrochen sind, sondern Familie und Haus behalten haben?

Ob das immer so geblieben ist - bis heute? Dass es unter den Christen ein paar wenige gibt, die alle Bindungen um des Reiches Gottes willen abgebrochen haben - die NACHFOLGER. Und dann die anderen, die meisten, die die Nachfolger bewundern und verehren, die sie auch unterstützen aber in ihren      Bindungen bleiben - die SYMPATHISANTEN.?
Schnell sage ich mir dann im Blick auf meine Umstände: also ich bin ein Sympathisant. Auf mich treffen diese harten Worte Jesu nicht zu. Die gelten den Nachfolgern.
Diese Teilung der Christen in diese zwei Gruppen ist in unserem Bewußtsein tief verwurzelt. Wir haben uns daran gewöhnt, zu unterscheiden zwischen solchen, die eben irgendwie besonders berufen sind, die die Sache Gottes also zu ihrem Beruf gemacht haben, und den anderen - den meisten - die das alles wohlwollend unterstützen, aber nicht aus ihren Bindungen an Haus, Familie und Besitz aufbrechen.
Ich denke, mit dieser Zweiteilung machen wir es uns zu einfach. Denn jeder Mensch, der einmal in seinem Leben Jesus begegnet ist, steht vor einer eigenen Entscheidung. Und wenn wir uns allzu schnell zu den nicht besonders Berufenen zählen, gehen wir der Anrede Jesu aus dem Weg - sind wir eigentlich Ignoranten, solche, die absichtlich nicht so dicht in seine Nähe kommen wollen.

Ich möchte mir deshalb ein Herz fassen, und mit Ihnen die drei kurzen, schwerwiegenden Wortwechsel, die Jesus mit drei verschiedenen Menschen hat, betrachten; es sind drei unterschiedliche Personen, und jede steht allein vor Jesus. Alle drei Gespräche gehen offen aus. Der Leser oder Hörer ist gefragt: "Und du?"

Der erste sagt:
"Ich will dir folgen, wo du hingehst!"
Ein Begeisterter, ein Fan würden wir sagen. Er war gewiss ein junger Mann. Fasziniert von diesem Jesus, der frei ist von allen Bindungen (und vielleicht auch von allen Verpflichtungen!), der um sich diesen Geruch von Weite und Freiheit verbreitet... Spontan gibt dieser Begeisterte eine Blanko- Bereitschaftserklärung ab: "Ich komme mit, wo du auch hingehst!"
Aber merkwürdig: Jesus scheint sich gar nicht über diese Begeisterung zu freuen. Er ist eher skeptisch. Er weist den Begeisterten darauf hin, welchen Preis die Freiheit hat: "Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester. Der Menschensohn aber hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen könnte." Willst du wirklich mein Geschick teilen? Wer bei Gott seine Heimat sucht, dem wird die ganze Welt zur Heimat; aber ein festes Zuhause, ein Nest, hat er dann nicht mehr. Freiheit wird immer mit Verzicht erkauft. Es geht hier um das Loslassenkönnen der vielen bunten Dinge, die das Leben so angenehm - aber eben unfrei machen. "Die Arme der schönen Konsuma wirst du schon verlassen müssen, wenn du die herrliche Freiheit der Kinder Gottes erleben willst."
         Dies sagt Jesus dem Begeisterten. Es kann sein, dass er es auch mir sagt, weil für mich hier der Punkt ist, an dem mein Leben stehengeblieben ist, wo ich schon seit Jahren auf der Stelle trete.

Nun redet Jesus einen anderen an: "Folge du mir nach!"
Der Angeredete hat etwas Schwerwiegendes einzuwenden: "Erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe."
Darauf das harte Wort: "Lass die Toten ihre Toten begraben - du aber gehe hin und verkünde das Reich Gottes!"
         Dazu muss man wissen: Im Orient wurden und werden die Toten noch
         am Todestag begraben wegen der Hitze. Es ist unwahrscheinlich,
         dass dieser Sohn am Sterbetag seines Vaters ein Stück mit Jesus geht.
         Man muss deshalb annehmen, dass der Vater noch lebt.
Dann klingt das Jesuswort anders: Der junge Mann scheut die Ablösung von seinen Eltern und findet so nie seinen eigenen Lebensweg. Wie oft schieben wir die Rücksicht auf andere vor?
So wie jene Frau, die mir sagte: "Ich käme gern zum Gottesdienst. Aber mein Mann - er ist krank - er hadert mit Gott, er lässt mich nicht weg. Wenn er einmal nicht mehr ist, komme ich." Der Mann starb kurz darauf. Die Frau kam nicht.
Wie oft schieben wir Menschen, mit denen wir zusammenleben vor, die uns angeblich daran hindern das zu tun, was wir als unsere Bestimmung erkannt haben?
         Es kann sein, dass Jesus mir sagt: Lass deine Klage über Menschen, die dich angeblich daran hindern zu tun, was du als deinen Weg erkannt hast!

Dann bittet ein Dritter: "Ich will dir nachfolgen, aber erlaube mir zuvor, dass ich einen Abschied mache mit denen, die in meinem Hause wohnen."
Wenn wir in unserem Leben einen neuen Weg einschlagen, dann bleibt Abschiednehmen niemandem erspart. Jeder kennt den Trennungsschmerz. Aber man kann so und so Abschied nehmen: -mit dem Blick auf das Neue, das vor einem liegt - oder mit einem Blick zurück, der uns hindert, das Neue zu sehen.
Jesus sagt: "Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht tauglich für das Reich Gottes."
         Es kann sein, dass Jesus das auch mir sagt: Wenn du dich nicht von deiner Vergangenheit losreißen kannst, wirst du die Zukunft nicht meistern.

Liebe Gemeinde, dieser Text ist wohl doch nicht nur für ein paar Besondere unter den Christen gemeint. Es gibt so viele Nachfolgegeschichten, wie es Menschen gibt, die Jesus begegnet sind.
Entscheidend ist auch nicht, ob wir zu den Radikalen gehören oder zu den Gemäßigten, entscheidend ist, ob wir uns bewegen lassen.
Man spürt es einem Menschen sehr wohl ab, ob er nur von sich selbst bewegt ist, oder ob er bewegt ist vom Zug in das Reich Gottes. Menschen, die sich von Jesus bewegen lassen, erkennt man daran, dass sie lebendiger sind als andere - wie schwingende Saiten auf einem Instrument, die andere Saiten anregen zum Mitschwingen.
Dass wir dahin kommen, wünsche ich uns - denn dann haben wir Jesus gehört und sind auf dem Weg in das Leben.
Amen.