Predigt zu Markus 1, 32-39 von Thomas Oesterle
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Predigt zu Markus 1, 32-39 von Thomas Oesterle

Markus 1,  32-39
  
  Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war,
  brachten sie zu Jesus alle Kranken und Besessenen.
  Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.
  Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren
  Und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden.
  Denn sie kannten ihn.
  
  Und am morgen noch vor dem Tage, stand Jesus auf und ging hinaus.
  Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.
  Simon aber und die, die bei ihm waren, eilten ihm nach.
  Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm:
  „Jedermann sucht dich!“
  Und er sprach zu ihnen:
  Lasst uns anderswo hin gehen in die nächsten Städte,
  dass ich auch dort predige. Denn dazu bin ich gekommen.
  
  Und Jesus kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa
  Und trieb die bösen Geister aus.
  
  EINLEITUNG
  Liebe Gemeinde,
  ein Abend in einer Kleinstadt im Norden Israels. Es ist Sabbat gewesen, der Feiertag an dem alles ruhte. Keine lockenden Kaufhäuser hatten damals geöffnet, kein lärmender Wochenendverkehr störte die Besinnung. Eine große Gelassenheit hatte sich über den Tag gelegt. Doch dann war die Sonne untergegangen, Zeichen dafür, dass nun der Feiertag zuende sei.
  
  Und jetzt – nach Sonnenuntergang - kommt in Gang was die Menschen an diesem Sabbattag beschäftigt hatte. Es hatte sie bewegt  trotz aller Ruhe! Da war einer in der Stadt, ein Mann mit dem viele Menschen große Hoffnungen verbanden. Und die Hoffnung ist ja immer bei denen am größten, denen viel Bedrückendes auf dem Leben liegt. Es sind diejenigen, die nicht selbst gehen können, die gebracht werden müssen. Es sind die Kranken und Besessenen.
  Was „Kranksein“ bedeutet wissen wir, oder wissen es auch nicht in einer Welt, in der es trotz diverser Gesundheitsreformen noch immer Ärzte, Apotheken und Krankenhäuser gibt, zu jeder Zeit und von jedem aus Ort erreichbar. Aber in Kapernaum vor 2000 Jahren, da hieß krank sein Schmerzen aushalten müssen, kurzfristige Heilung nur selten erwarten zu dürfen und das chronisch werden von Krankheiten als den Normalfall zu akzeptieren. Und dann ist da Einer, der vielleicht eine Heilung – ein großes Wunder – bewerkstelligen könnte. Keine Frage also, dass bei Sonnenuntergang das ganze Dorf in Bewegung kam, dass Menschen gestützt, getragen oder geschoben sich auf das Haus zu bewegten, in dem sie Hilfe vermuteten.

  Die Dämonen [1]
  Das sind also die Kranken. Aber: wer sind eigentlich die Besessenen? Das griechische Wort sagt an dieser Stelle, dass das jene Menschen sind, denen „ein Dämon im Nacken sitzt“. Vielleicht könnten wir mit der Sprache unserer modernen Psychologie sagen: Da kamen auch die Depressiven, die Angstbesetzten, die hysterisch Umhergetriebenen, die nirgends Heimat finden. Und ich denke das ist alles richtig. Aber diese psychologischen Begriffe reichen nicht aus, um alle Menschen zu beschreiben, die da kamen. Hinter dem Wort „Besessene“ steckt noch mehr. Es kamen die, die wollten, dass Jesus einen bösen Geist aus ihnen austreibe.
  
  Um es deutlich zu sagen: Ein böser Geist, das ist kein Teufelchen mit Dreizack, Pferdefuß und Schwefelgeruch. Diese Teufelchen finde ich eher niedlich. Ich habe sie am gernsten als Gummibärchen  von Haribo.
  Die bösen Geister die aber unser Text meint, die Dämonen die Menschen gefangen halten, die sie besetzten und beherrschen, die sind nicht zu verniedlichen oder klein zu machen. Sie haben gar nichts zu tun mit dem hübschen Kostümchen, mit denen sich der Eine oder die Andere an Halloween kleidet. Ein Dämon hat eine Kraft, die Menschen leiden lässt, eine Kraft die sie unfrei macht und in Zwängen bindet. Manchmal beschleicht mich der Gedanke, man könnte das an machen Parteispitzen in unserem Land deutlich machen. Es ist erschreckend zu sehen, wie hier immer wieder seit Jahren der böse Geist der Machtgier und der Intrige herrscht und zwar von unterschiedlichen Seiten. Immer neue Spielformen eines gestörten menschlichen Miteinanders werden da sichtbar. Egal ob es damals um die Nichtwahl von Heidi Simonis in Schleswig-Holstein ging, um die Demontage von Guido Westerwelle, oder in Bayern um die Ermächtigung und die Abwahl von Günther Beckstein. Immer ist es ein Geflecht von Intrigen, das seit Jahren eine Parteispitzen prägt. Und das bei Parteien, die doch alle im Grunde viel Gutes in die Geschichte der Bundesrepublik eingetragen haben. Es ist tief traurig hat aber etwas dämonisches.
  
  Aber wir müssen nicht bei der großen Politik bleiben. Die ist ja auch weit weg. Dämonen gibt es auch bei uns. Kennen wir sie nicht auch, die Zeiten in unserem Leben, wo etwas feindliches, etwas zynisches und höhnisches, etwas verletzendes unsere Tage durchherrscht? Da ist der Single, der sich nach einem Partner oder einer Partnerin sehnt, der aber von dieser Sehnsucht so beherrscht wird, das ihm eine wirkliche Öffnung zu einem anderen Menschen hin nicht gelingt. Da ist die Witwe, für die die Trauer um ihren Ehemann zu einem undurchdringlichen Gespinst geworden ist, das ihr jegliche Lebensfreude raubt. Da ist das Kind, das von den Ansprüchen der Eltern nach Musikalität oder nach sportlichem Erfolg so erdrückt wird, dass es nicht mehr atmen und sich entwickeln kann. Es spürt immer diesen Anspruch im Nacken und der Anspruch wächst sich zu einem Dämon aus.
  
  Ich will es an einer Geschichte verdeutlichen, die mir vor vielen Jahren in der Seelsorge begegnete. Eine Frau, hoch belastet als alleinerziehende Mutter von drei Kindern, lernt mit Mitte dreißig einen Mann kennen, in den sie sich spontan verliebt. Ihre Gefühle werden von ihm erwidert, beide sind im Glück. Auch die Kinder verstehen sich gut mit dem neuen Partner der Mutter, alles scheint auf ein spätes Glück in einer funktionierenden Familie zuzulaufen. Die beiden Liebenden verabreden den Hochzeitstermin, er überrascht sie wenige Tage vor der Hochzeit mit einem schönen Ring. Darauf beschließt der über vierzigjährige Mann mit einer sicheren Position in der Gesellschaft und mit beruflichem Erfolg, zwei Tage vor der Hochzeit doch noch einmal seiner Mutter anzurufen, um mit ihr über die baldige Ehe zu sprechen. Das Ergebnis dieses langen Telefongespräches wird sein, dass der Mann seine Braut telefoniert und die Hochzeit kurzfristig absagt. Die Mutter wollte ihren alleinigen Anspruch auf den Sohn nicht mit einer anderen Frau teilen und konnte „ihren Jungen“ am Telefon umstimmen. Als mit die alleinerziehende Ehefrau in spe diese Geschichte erzählte, spürte ich förmlich die dämonische Kraft jener Mutter, an der ihr Glück scheiterte.
  In all‘ diesen Fällen ist es dann nicht immer einfach zu definieren, welche menschliche Schwäche für das Leiden der Betroffenen zuständig war. Oft scheint es etwas Überpersönliches und Ungreifbares zu sein, was Menschen quält. Das könnten sie sein, jene Dämonen, die uns Menschen im Kreis herum treiben, ohne dass wir einen Ausweg sehen. Dämonen belasten uns mit Lebensaufträgen oder Zwängen, aus denen es anscheinend kein entrinnen gibt. Paul Tillich nannte das die „Strukturen der Destruktion“, er bezeichnete Dämonen als: „...das, was Personen verdinglicht, was aus Menschen eine Sache macht.“ [2]
  
  Und nun steht da ein ganz merkwürdiger Satz im Predigttext. „Und Jesus trieb viele bösen Geister aus und ließ die Geister nicht reden, denn sie kannten ihn.“ Ich beginne einmal mit der Schlussbemerkung. Die Dämonen kennen Jesus und das ist für uns erstaunlich. Wir denken eigentlich immer Dämonen seien für Gott völlig fremde Gegenwesen. Aber das ist nicht so. Denn auch Dämonen möchten gerne das Unendliche darstellen, auch sie möchten gerne mit jenem absoluten Anspruch auftreten, der uns in Jesus begegnet. Aber die Dämonen entstehen aus dem Endlichen, als z.B. aus Machtgier, aus irdischer Angst oder aus zwischenmenschlichen Lebensaufträgen. Und diese Dämonen verwandeln dieses ganz Menschliche so, dass es zu einer überpersönlichen, ja fast aus dem Jenseits kommenden Größe wird.[3]Erhard Eppler hat in einem Zeitungsartikel damals 1999 nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine als Finanz- und Wirtschaftsminister ihm den „Tanz ums vergoldete EGO“ bescheinigt. Er hat damit ein sehr schönes alttestamentliches Bild verwendet im dem deutlich gemacht wird, wie etwas irdisch-begrenztes plötzlich eine überirdische Machtfülle bekommt. Jesus aber repräsentiert tatsächlich diese göttliche Macht und Kraft, das lässt ihn so ganz anders sein als die Dämonen. In ihm lebt all‘ das, was die Dämonen auch gerne sein würden aber eben nicht sind. Deshalb kennen die Dämonen Jesus.
  
  Und nun ist das erste was Jesus tut, dass er den Dämonen den Mund verbietet. Damit geht er den ersten Schritt hin zur Befreiung der Besessenen. Wie oft können Menschen die unter Zwängen leben erst dann aufatmen, wenn jemand die äußere oder innere Stimme zum verstummen bringt, die immer mit derselben Forderung da steht. Fridolin Stier hat in seiner Bibelübersetzung die Dämonen „Abergeister“ genannt. Er meint damit die Stimmen der Lebensfeindlichkeit und der Verneinung in uns, die auf dem Weg zum Glück, zu uns selbst oder zur Wahrheit immer wieder mit mechanischen Gegenreden und Einwänden sich zu Wort melden. Kaum glauben wir mit Händen greifen zu können, wozu wir berufen sind, da beginnen die Dämonen zu reden: „Aber das darf man doch nicht“. Kaum meinen wir, wir könnten einen unserer tiefen Träume leben, da wird eine Stimme in uns laut die sagt: „Aber so geht das doch nicht“. Kaum glauben wir einen eigenen Lebensweg gefunden zu haben und Persönlichkeit zu gewinnen, da beginnen Vorwürfe über uns hereinzuregnen: „Aber bilde dir bloß nichts darauf ein.“ Diesen Abergeistern hat Jesus den Mund verboten. Er - der sonst den Stummen die Lippen öffnete verbietet den Dämonen, uns weiter drein zu reden.[4]  Darin zeigt sich: Gott ist zu aller erst Partei gegenüber dem Nichtigen, das den Menschen zunichte machen will, er widerspricht und widersteht seinem Ansturm.[5]Indem Jesus den Abergeistern den Mund verbietet und sagt: „Doch du kannst leben“, „doch du darfst glücklich sein“, „doch du kannst deine Skrupel hinter dir lassen“ geschieht die Heilung der Besessenen von der Markus redet.
  
  Der Rückzug
  Ich komme jetzt zu dem Teil des Textes der ihnen klarer und verständlicher sein wird. Ich möchte über diesen Rückzug Jesu am frühen morgen reden. Nachdem er am Abend noch viele Kranke in Kapernaum geheilt hatte und sich erst tief in der Nacht langsam die Menschentraube vor dem Haus auflöste, nutzt er die frühe Stunde um alleine zu sein und zu beten. Es liegt Tau auf dem Gras, noch steht der Mond am Himmel und der rote Ball der Sonne hält sich versteckt. Jesus geht hinaus aus der Stadt, weg von ihrem Getriebe ihrer Unruhe und ihren Ansprüchen. Er geht an eine einsame Stätte um zu beten. Menschen die selbst Heilende sind, können diesen Rückzug wohl am besten verstehen. Eine Ärztin und Psychotherapeutin aus der Nähe schreibt zu unserem Predigtext: „In meiner Praxis erlebe ich, wie viel Kraft es kostet, wenn ich meine ganze Aufmerksamkeit einem kranken Menschen schenke, wenn ich versuche mich wirklich auf die Tiefen seiner Gefühle und Probleme einzustellen. „Die ganze Stadt war versammelt“ so erzählt Markus. Wie sehr muss ihn das Elend und die Unstimmigkeit der Menschen überwältigt haben. So war es für Jesus selbst notwendig, einen einsamen Ort zu finden, einen Schutzraum, wo er wieder in seiner Tiefe, in Gott zur Ruhe kommen konnte. Und die Ärztin fragt nun weiter: „Wo finden wir im Alltag solche Schutzräume?“[6]
  Ich möchte diese Frage an sie weitergeben. Haben sie einen Ort an den sie sich zurückziehen können, um mit Gott alleine zu sein? Haben Sie die Freiheit zu sagen: „Nun ist aber genug, ich kann jetzt auch mal nicht mehr?“ „Burn out“ ist zwar einerseits eine hochgeschriebene Modeerkrankung, aber andererseits auch ein Schutz, um nicht die eigentliche Erkrankung zu benennen und zu sagen: „Ja ich bin über der vielen, unablässigen Arbeit in eine Depression gefallen und ohne Ärzte und gute Medikamente komme ich da nicht mehr heraus.“
  Jesus der Gottessohn von dem wir immer annehmen, dass er während seines Erdenweges in vollendeter Selbstlosigkeit nur und ganz für andere da war und nie an sich dachte, er zeigt seine Menschlichkeit gerade darin, dass auch er Rückzugsräume brauchte. Immer wieder erzählt die Bibel davon, wie Jesus sich der Menge entzog um an einem einsamen Ort zu beten. (Mt 14,13). Bei Jesus hat dieser Rückzug aber einen genauen Sinn. Franz von Sales hat einmal gesagt: „Die Liebe hat zwei Arme. Der eine Arm umfasst Gott und der andere den Mitmenschen“. Diesen Satz hat der Seelsorger aus der Betrachtung Jesu gewonnen. Denn für Jesus gehört Rückzug und beten auf der einen Seite und eintauchen in die Menge und handeln auf der anderen Seite ganz untrennbar zusammen.[7]  Erst wenn beides da ist, dann hat die Liebe zwei Arme und kann so kraftvoll zupacken wie es nun einmal zwei Arme können.
  
  Wenn wir weiterlesen merken wir, dass es Jesus im Bericht des Markus nicht anders geht, wie es bei uns auch oft ist. Auch wir werden ja an unseren Rückzugsräumen aufgescheucht und wieder aus der Unterbrechung in den Alltag zurückgetrieben. Diese unsäglichen Jünger und der Satz: „Alle suchen dich“ – die kennen nur allzu gut, spätestens seit Jeder sein Handy in der Tasche hat.
  Trotzdem gilt unverdrossen: Fasst immer wieder neu den Mut euch auch zurückzuziehen und alleine zu sein. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat den schönen Satz geprägt: “Menschen sind Wesen, die nicht darauf verzichten können, täglich für eine Anzahl von Stunden den Vorhang vor dem Welttheater fallen zu lassen.“[8]
  
  Nur dort wo wir alleine vor Gott stehen und beten, wächst uns auch die Kraft zum handeln zu. Jesus scheint jene Zeit, die er sich genommen hat, gereicht zu haben. Die letzten Sätze unseres Predigttextes reden schon wieder vom Aufbruch, von dem großen Missionsfeld, das auf ihn wartet. Er will wieder zupacken in allen Städten predigen, denn das ist sein Auftrag. Und der letzte Satz zeigt dann, dass er das was er sich vornimmt auch zu tun vermag. Im predigen breitet er seinen guten und heilsamen Geist aus und vertreibt zugleich die bösen Geister, denn die haben keinen Platz mehr wo Gottes guter Geist lebendig wirkt.
  
  Sie kennen vielleicht die alte Ordensregel, die lautet: Ora et labora – bete und arbeite. Nur dort wo wir beides tun bleiben wir Jesus auf der Spur. AMEN
   


  
    [1]Vgl. auch den Roman von F.M. Dostojewski: „Die Dämonen“, der das Phänomen moralisch entfaltet
  
  
    [2]  Tillich-Auswahl, Gütersloh 1980, Bd. 3 S.290f
  
  
    [3]Tillich, Systematische Theologie Bd. I, S.46 und ST III, S.125 und S. 393
  
  
    [4]  Drewermann, Markuskommentar Bd I, S.207
  
  
    [5]K. Barth, Kirchliche Dogmatik IV,2 Seite 250
  
  
    [6]  R. Steinhilper, Begegnen, berühren, heilen S.98 ff von Beate Metzger-Just
  
  
    [7]  vgl.J. Gnilka, Markuskommentar der EKK-Reihe, S.88
  
  
    [8]P. Sloterdijk, Weltfremdheit, S.298