Predigt zu Markus 10, 17 – 27 von Karl Hardecker
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Predigt zu Markus 10, 17 – 27 von Karl Hardecker

Liebe Gemeinde,
Wieso reicht es nicht, dass der reiche Jüngling die Gebote kennt und auch hält?  Wieso nur gibt sich Jesus damit nicht zufrieden? Wieso verlangt er noch mehr? Überfordert er uns da nicht, so wie er uns in der Bergpredigt laufend überfordert mit seinem Gebot der Feindesliebe etwa, dem gegenüber wir dastehen wie einfache Wanderer am Fuße des Monte Rosa?
Jesus weiß, dass er viel von dem reichen Jüngling verlangt. Die Gebote zu halten ist recht und gut. Im Evangelium heißt es: Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb, weil er das zu schätzen weiß, dass da ein Mensch nach den Geboten fragt und sich müht sie einzuhalten. Und auch heute ist dies doch genauso zu schätzen, wenn es  Menschen gibt, die nach Regeln und Gesetzen fragen, die erkennen, dass ein Gemeinwesen, eine Gesellschaft nur funktioniert mit einem Mindestmaß an Rücksichtnahme und an Gegenseitigkeit. Eine gänzlich liberale Wirtschaftsordnung hat dieses Regelwerk völlig zerstört. Wir haben in den letzten 20 Jahren einem grenzenlosen Markt das Feld überlassen und unsere Welt ist aus den Fugen geraten. Eine Rückkoppelung von Besitz und Gewinn an soziale Pflichten ist nicht mehr vorhanden. Nachhaltigkeit war nicht mehr gefragt und was ein enthemmter Markt verspekulierte, soll jetzt von Staatshaushalten aufgefangen werden.
Mit dieser verloren gegangenen Gegenseitigkeit, mit dieser sozialen Verpflichtung wäre doch schon viel gewonnen. Aber Jesus will von dem jungen Mann noch mehr:
Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib` s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben! heißt es im Evangelium.
Warum nur lässt Jesus dem Jüngling nicht seinen Besitz, damit ihm noch etwas bleibt, wo doch alles andere vergeht? Beeindruckend die Versuche der Ägypter genauso wie der Kelten, ihren Pharaonen und Fürsten einen Schatz ins Jenseits mitzugeben: Grabesbeigaben, oft ganze Schatzkammern voll, in Goldringen, Silberreifen und edlen Waffen, manchmal sogar mit Frauen und Sklaven, die ihre Könige in den Tod begleiten mussten. Aber auch dieser Reichtum hat nur Grabräuber angelockt und war letztendlich eine Illusion vorzutäuschen, dass wir anders als eben nackt aus dieser Welt gehen.
Das letzte Hemd hat keine Taschen, - weder bei einem Pharao, noch bei einem König, noch bei einem Fürsten.Ist das nicht deprimierend?  Oder kann diese Erkenntnis nicht befreiend sein wie im Märchen von Hans im Glück? Der immer weniger hat und dabei immer glücklicher wird? Der nicht glücklich wird, weil er dazu gewinnt, sondern weil er seinen Besitz los wird und damit an Freiheit gewinnt.
Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?
So fragt der junge Mann und wir mit ihm und erhalten von Jesus eine Antwort, die einfach und schwer zugleich ist. Denn wir erfahren von ihm,dass wir loslassen müssen, um ewiges Leben zu gewinnen. Das ist viel verlangt, aber es passt zu dem, was Jesus auch an anderer Stelle lehrt: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?
Jesus trifft hier unseren wunden Punkt. Wir sollen unser Herz nicht an unseren Besitz hängen. Wir sollen damit leben als einer Beiläufigkeit, als einem notwendigen Übel, das sein muss, aber das niemals das Leben selbst ist und Leben schenkt. Das Lassen fällt uns so schwer, weil es um mehr als nur um unseren Besitz geht. Es geht auch darum uns selbst zu lassen, nicht mehr an uns selbst zu hängen, unsere Selbstliebe zu überwinden. Und das ist in der Tat viel. Vielleicht hat dies der reiche Jüngling geahnt. Sich selbst zu lassen, heißt auch, darauf zu verzichten, Einfluss auszuüben auf andere, die Welt nach seinen Vorstellungen einzurichten, sich so zu inszenieren, dass wir größer erscheinen als wir in Wirklichkeit sind.
Sollte das von Übel sein? Jesus meint: ja, denn solange du so sehr an dir selbst hängst, bist du nicht offen für Gott und seinen Willen. Dann hängst du an dir selbst und dann ist dir dein eigener Wille das größte. Das hat kein anderer besser verstanden als Meister Eckehart. Er rät seinen Hörern: Zuerst einmal sich selber lassen! Damit hat man auch alle Dinge gelassen. Ohne Übertreibung: ließe einer ein Königreich, ja die ganze Welt, und behielte sich selbst, er hätte gar nichts gelassen! (Schriften, Jena 1934, S. 173)
Das Lassen macht leichter. Wir sind mit weniger Gepäck unterwegs und stellen unsere Lasten ab: unseren Besitz und die Sorge um ihn, unsere Bindungen und Verpflichtungen, das Gewicht unserer Welt. Am Ende stellen wir uns selbst mit ab und werden leichter, ja, die Welt wird leichter. Das ist es, was Jesus dem reichen Jüngling beibringen will: die Leichtigkeit des Seins, die aus dem Vertrauen in Gott heraus erwächst.
Oder wie es Rilke in seinem IV. Sonette an Orpheus ausdrückt:
Fürchtet euch nicht zu leiden, die Schwere,
  gebt sie zurück an der Erde Gewicht;
  schwer sind die Berge, schwer sind die Meere.
  
  Selbst die als Kinder ihr pflanztet, die Bäume,
  wurden zu schwer längst; ihr trüget sie nicht.
  Aber die Lüfte…aber die Räume…
  Um diese Räume, die dann entstehen, geht es. Es sind Räume des Lebens, die aus diesem Lassen entstehen. In diesen Räumen können andere aufatmen und leben. Und nichts anderes meint Segen als anderen Leben zu ermöglichen.
Segen ist immer auf andere bezogen: auf die, die mit uns leben, auf die, die nach uns kommen, auf die, die ärmer sind als wir und die es schwerer haben im Leben als wir. Wer mit denen sein Leben teilt oder seine Kraft oder seine Zeit oder seinen Besitz, der ist von Gott gesegnet. Dem kann der Tod nicht mehr schaden. Der hat schon zu seinen Zeiten losgelassen und sich getrennt von sich selbst als einem riesigen Ego.
Loslassen nicht um seiner selbst willen, sondern um anderen Leben zu ermöglichen. Wenn wir uns auf diese Spur begeben, müssen wir nicht mehr traurig weg gehen wie der reiche Jüngling, sondern können froh und heiter unserer Wege ziehen. Amen