Predigt zu Markus 10, 17-27 von Eugen Manser
10,17

Predigt zu Markus 10, 17-27 von Eugen Manser

„Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“
Dieser Satz stammt von Jesus. Er ist ein Meister für Bildworte, die man nie mehr vergisst.
Das Bild vom Kamel, das eher durch das Öhr einer Nadel ginge, bevor ein Reicher ins Himmelreich gelangt, ist ein solches Bildwort. Selbst 2000 Jahre später, selbst hierzulande, wo Dromedare und Kamele nicht unbedingt zu den Haustieren zählen, sondern allenfalls auf Werbetafeln der Tabakindustrie begegnen, habe ich dieses Bild der Unmöglichkeit sofort vor dem inneren Auge. Der Vergleich mit Kamel und Nadelöhr ist Allgemeingut der Sprache geworden; und manche, die ihn verwenden, dürften nicht einmal wissen, daß er biblischen Ursprungs ist. Was war der Anlaß des geflügelten Wortes? Hören Sie die Geschichte:
Mehrere Tage schon hielt er sich in der Nähe des Meisters auf, war um ihn herumgestrichen. Ein junger Mann, gekleidet in unauffällige Eleganz.
Doch ständig war der Meister von Menschen umgeben. Bald waren es Kranke, die sich ihm mit aufdringlichem Geschrei näherten, dann war der Meister wieder von seinen Schülern umringt.
Es war schwer, an ihn heranzukommen. Auch wollte der junge Mann ihn am liebsten allein sprechen- nicht vor den Augen und Ohren der anderen.
Er wollte den Meister fragen: Was muß ich tun, damit ich ewiges Leben geschenkt bekomme? Es ist die uralte Frage der Menschen, die ihn treibt; die Frage, die Frauen und Männer aller Epochen denen stellten, denen sie Wissen über die Geheimnisse des Lebens zutrauen- Schamanen, Priestern, Gurus, Ärzten, Genforschern. Die Unsterblichkeit erlangen, das ist der Menschheitstraum, zurück in den Garten Eden, zum Baum des Lebens.
Vor ein paar Tagen, als die Jünger etwas abseits einen Streit hatten, hatte er schon einmal eine Gelegenheit mit dem Meister allein. Doch als er vor ihm stand, wusste er vor Aufregung nicht mehr, was er fragen wollte. Sein Kopf war leer geblasen. Dabei hatte er sich die Frage ins Gedächtnis gesprochen, hatte sie immer wiederholt- solange verändert, bis es die Frage seines Lebens war.
„Guter Meister...“- so wollte er Ihn anreden.
Nicht etwa, dass es ihm schlecht ging. Finanziell ging es ihm sogar blendend. Er gehörte sogar zu den Erfolgreichen. Und doch- seit er den Meister sah, wie der lebte, wie frei der war und dabei den Menschen voll zugewandt- seit er dies sah, kam ihm sein Leben ungenügend vor. Eigentlich wusste er selbst nicht so recht, was ihm fehlte- er hatte eigentlich alles und war doch unglücklich- eine satte Not.
Doch jetzt! Täuschte er sich? Nein, der Blick des Meisters traf genau ihn!
‚Jetzt oder nie!‘ Er trat näher, kniete vor ihm wie vor einer göttlichen Autorität und hörte sich sagen: „Guter Meister, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“
„Was nennst du mich gut und verehrst mich wie einen Gott!?“, kam die  Antwort- „niemand ist gut außer Gott allein.
Wenn du aber das Leben willst, das du dir wünschst, dann erfülle den Willen Gottes: ‚Du sollst nicht ehebrechen, Du sollst nicht töten, Du sollst nicht falsch Zeugnis reden, Ehre Vater und Mutter.‘“
Der Meister schwieg wieder. -----
Der junge Mann war enttäuscht. Der Meister kochte offenbar auch nur mit Wasser. Die Gebote! Als Kind schon hatte er sie gelernt. In der Beachtung von 10 Sätzen sollte das ewige Leben stecken?! Mehr hatte der Meister nicht zu bieten? Das hätte er sich auch selbst sagen können. Dafür hätte er nicht tagelang seine Geschäfte zu vernachlässigen brauchen, um in die Nähe des Meisters zu gelangen.
Der aufsteigende Ärger gab ihm die Sprache wieder: „Aber“, kam es aus ihm, “das kenne ich doch schon. Die 10 Gebote habe ich von Kindheit an befolgt!“
Er erschrak selbst über diese Worte. Und doch – der Meister sollte ruhig merken, dass er nicht mit ein wenig Nachhilfeunterricht in Religion zufrieden war.
Doch der Meister tat etwas, das ihn völlig aus der Fassung brachte: Er sah ihn an. Der Meister sah ihn an mit einem Blick, den er nie wieder vergaß: ‚Was auch aus dir werden wird‘, sagte dieser Blick, ‚was du auch tun wirst: ich werde dich immer lieben.‘
In diesen Blick der Liebe war sein ganzes Leben gebettet – was er auch immer tun würde, ob er richtig oder falsch leben würde, mutig oder feige- ob er gesund sein würde oder krank – dieser Blick der Liebe, der da auf ihm ruhte, der würde bleiben – sein Leben lang.
Ganz von fern drang jetzt die Stimme des Meisters an sein Ohr, kam näher und dann hörte er deutlich die Worte:
„Dir fehlt eines: Verkaufe alles, was du hast und gib‘s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben und komm und folge mir nach.“
Als er das hörte, verschleierten sich seine Augen. Er sah nicht mehr den Blick der Liebe, der auf ihm ruhte. Er fühlte nur noch seine Angst. Das also war es! Er hatte es befürchtet. So sollte Leben in sein Leben kommen? Indem er sich von seinem Besitz löste und hinter ihm, dem Meister herging?
Nein- das konnte, wollte er nicht.
Er senkte den Blick, wandte sich ab und ging traurig davon.
Im Weggehen hörte er noch, wie der Meister zu den Umstehenden sagte: „Wie schwer werden die Reichen ins Reich Gottes kommen!“
Zuletzt hörte er noch den geschwätzigen Petrus auf den Meister einreden: Wir aber, Herr, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt..“
Dann verloren sich die Stimmen auf dem Weg hinter ihm.
Wir wissen nicht, was aus diesem jungen Mann geworden ist. Die Bibel erwähnt ihn nie wieder.
Wir haben aber ja eigentlich auch genug gehört.
Dabei das Überraschendste: Für das ewige Leben muss ich weniger etwas tun als vielmehr das viel Schwerere: etwas lassen!
Es kommt auf eure Maßstäbe an, sagt Jesus. Solange einem, der reich ist, sein Vermögen so groß erscheint wie ein Kamel und seine Ahnung von Gott so klein wie ein Nadelöhr, so lange wird er nicht ins Reich Gottes gelangen.
Die Jünger damals waren sehr erschrocken über diese Begegnung. Sie fragten sich untereinander: Wer kann dann selig werden?
„Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist‘s unmöglich; aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“
Er macht es möglich, dass wir nicht unseren Besitzstand mit dem Leben verwechseln. Er macht es möglich, dass wir nicht traurig davongehen. Und wenn wir traurig davongehen, holt er uns wieder ein.
Max Brod, der in seinem Jesus-Roman „Der Meister“ auch diese Geschichte vom reichen jungen Mann erzählt, lässt diesen nach seinem traurigen Weggang doch zurückfinden. Am Ende des Buches steht er mit den anderen und sieht den Gekreuzigten. Da begreift er, zu welcher Freiheit ihn Jesus verlocken wollte.
„Was muss ich tun um das ewige Leben zu ererben?“ „Du musst nicht TUN, du darfst LASSEN“. Gott schenke, dass wir dieses Lebensgeheimnis auch entdecken!
Anmerkungen:
Einige griffige Formulierungen verdanke ich der Predigt von Peter Kusenberg in „Göttinger Predigten im Internet“, 3. Okt.1999
Die stärkste Anregung kam aus dem Roman von Max Brod, Der Meister, Berlin 1978