Und er machte sich auf und kam von dort in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordans. Und abermals lief das Volk in Scharen bei ihm zusammen, und wie es seine Gewohnheit war, lehrte er sie abermals.
2 Und Pharisäer traten zu ihm und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau; und sie versuchten ihn damit.
3 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten?
4 Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden.
5 Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben;
6 aber von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau.
7 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen,
8 und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.
9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
Liebe Gemeinde,
die scharfen Worte Jesu lösen bei mir zwiespältige Gefühle aus.
Ich denke beim Hören zunächst an Menschen, die ihre Ehe als Ort der Geborgenheit und des tiefsten Glücks erfahren, an Feiern von goldenen und diamantenen, ja eisernen Ehejubiläen, die von der kostbaren Tragkraft einer Beziehung erzählen. Als wir einmal eine diamantene Hochzeit im Gottesdienst feierten, da standen alle, zeigten ihren Respekt und Hochachtung von den alten Jubilaren, die sich gegenseitig in ihrer langen Ehe getragen haben. In guten wie in bösen Tagen war nicht nur sprichwörtlich, es war tiefe Lebenswahrheit und auch offensichtlich, dass hier das Ehebündnis bis zum Tod des Ehepartners dauern würde.
Gleichzeitig aber denke ich auch an Menschen, die erst dann wieder glücklich wurden, als sie sich aus einer Beziehung, die ihnen zum Albtraum wurde, lösen konnten, oft begleitet von unsäglichen Schuldvorwürfen, Scheidungsanwalt und erfahrenen Verletzungen. Und schließlich denke ich an Menschen, die zwar für sich das Glück einer Ehe wünschen, aber es doch nicht erlangen können, weil sie auf paradoxe Weise Angst haben, sich zu binden.
Es irritiert mich, in diesem Text den sonst so sanften Jesus so hart zu erleben. Und gleichzeitig irritieren mich Schilderungen an anderer Stelle, den hier so harten Jesus, als er tatsächlich einer Ehebrecherin begegnete, dann sanft zu erleben. Als zu einem anderen Zeitpunkt einmal ein Haufen Männer eine Frau zu Jesus schleppten und sie bereit waren, sie zu steinigen, da kniete sich Jesus hin zur Frau, schrieb Worte in den Sand und sagte: wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
Wir können den Textabschnitt von heute nicht ohne den anderen Textabschnitt lesen und wir können die Worte von damals auch nicht ohne unsere Erfahrungen von heute lesen und verstehen.
Mit diesen Erfahrungen versuche ich noch einmal einen Einstieg in den Text. Am Anfang heißt es dort: Abermals lief das Volk in Scharen bei ihm zusammen, und wie es seine Gewohnheit war, lehrte er sie abermals.
Das klingt alles andere als spannend. Das klingt nach wenig Begeisterung, wenig Feuer, wenig Lust, dafür um so mehr Langeweile. Jesus wirkt wie ein etwas müde gewordener Prediger in Sachen Gottes.
Das ging den Zuhörern vermutlich auch so. Und einigen von ihnen, eine Gruppe von gelehrten Leuten aus dem Kreis der Pharisäern, wurde es wohl etwas zu bunt und sie sich überlegten sich, wie sie die Debatte ein wenig in Gang bringen könnten. Sie versuchten ihn, steht später im Text. Ich verstehe das ein wenig anders. Sie nehmen ein Thema, von dem sie wissen, dass Jesus darauf anspringen würde und legen los: Ist es erlaubt, dass sich ein Mann von seiner Frau scheiden darf?
Das sagen sie so. Es gibt keinen konkreten Anlass. Die Freude an der Provokation.
Es gibt Fragen, die sind wie ein rotes Tuch. Ich kenne das von mir auch. Ich reagiere unwirsch auf bestimmte Themen, auf bestimmte Fragen, auf bestimmte Leute. Ich werde scharf und schieße in meiner Antwort über das Ziel hinaus. Hinter ärgere ich mich darüber – du hättest das doch wissen können, sage ich mir ehrlich schuldbewusst, dass es eine solche „rote Tuch-Situation“ war und ich mehr hineingetragen habe in die Situation, als wirklich drin steckte.
Das, so vermute ich, passiert auch hier. Jesus, ich sage das so ungeschützt, fällt auf die Fragestellung herein. Das macht ihn ausgesprochen menschlich. Aber was wird Jesus bei dieser Frage so geärgert haben?
Es ist nicht die Sache nach Ehescheidung selbst. Es ist die Frage, was erlaubt ist.
Denn die Frage eröffnet ein Spiel. Etwas Heiliges wird auf’s Spiel gesetzt. Die Frage nach den Grundlagen menschlichen Miteinanders wird plötzlich Gestand gelehrter Diskussion. Und mehr noch: es ist eine durch und durch männliche Sichtweise, die dort eingetragen wird. Wieso sollte es nur dem Mann erlaubt sein, sich zu scheiden, ohne Absehung, was sein Handeln mit der Frau bewirkt?
Eigentlich ist ein solches Fabulieren auch die Lebenseinstellung unserer Zeit par excellence. Ist es erlaubt, am Sonntag seine Geschäfte zu öffnen, könnten wir fragen. Ist es erlaubt, zur Behandlung von Krankheiten auf embryonale Stammzellen zurück zu greifen, auch wenn dabei werdendes Leben abgetötet wird? Ist aktive Hilfe beim Sterben erlaubt?
Jesus reagiert, wie wir reagieren würden und fragt zunächst zurück: Wie ist denn die Gesetzeslage? In seiner Zeit heißt das: Was hat euch Mose geboten?
Die Pharisäer antworten sofort, denn mit dieser Frage haben sie gerechnet: Mose hat es zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben, sagen sie. Ein starkes Argument ist das. Die Schrift scheint eindeutig zu sein. Ein Bibelspruch legitimiert eine Einstellung. Das ist eine bewährte Form, einen anderen mit der Bibel in der Hand bildlich zu erschlagen. So hat man in späteren Jahrhunderten auch Bibelsprüche herangezogen, um die Unterordnung der Frau unter den Mann zu rechtfertigen oder um Schwule und Lesben zu disqualifizieren.
Jesus fühlt das, er der für Heiligkeit der Schrift stehen will, weiß, dass er mit einem Schriftbeweis in die Enge getrieben werden soll. Er weiß, dass die Gelehrten gleich triumphieren und damit auch seine Ernsthaftigkeit verspotten werden.
Und darum schlägt er zugeben gereizt und argumentativ unsauber zurück: Um eurer Herzenshärtigkeit willen hat Mose dieses geschrieben, entfährt es ihm.
Warum ist das böser, als es im Deutschen klingt? Herzenshärtigkeit heißt Griechisch Kardiosklerose – wenn man das, frei nach Luthers auf deutsche Maul schauen übersetzen würde, stünde da der Ausdruck: Ihr seid einfach verkalkt!
Ja, liebe Schwestern und Brüder, wer meint, dass die Bibel nur ein frommes Buch sei, der lasse sich an dieser Stelle eines besseren belehren.
Und deswegen lohnt es sich, jetzt genauer hin zu sehen. Jetzt steht da das kleine Wort „aber“ in der Rede Jesu. „Aber“ bedeutet eine Kehrtwende. Es markiert hier den Augenblick, da Jesus merkt bei allem berechtigten Zorn, dass er zu weit gegangen ist.
Denn es geht nicht darum, seine Gesprächsgegner zu beleidigen. Es geht darum, auch sie zu gewinnen.
„Aber“ sagt er, - und nun kommt zum ersten Mal in dem begonnenen Gespräch das Wort Gott vor. Jesus legt offen, was für ihn der Grund seiner Emotionen war: von Anbeginn der Schöpfung hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau.
Nun geht es ihm in der Argumentation nicht mehr um Möglichkeiten, nun geht es ihm um Gott, um Gottes ursprüngliches Beginnen. Nun geht es ihm um ein Ergründen, was es heißt, dass Mann und Frau füreinander da sind, Frau und Mann.
Gott hat Frau und Mann füreinander geschaffen. Sie sind aneinander gewiesen.
In der Liebe zweier Menschen kommt auch die Liebe zum Nächsten zum Tragen, sie ist sozusagen das Urbeispiel dafür. Und mehr noch, die Liebe zum Nächsten ist nur möglich, wenn man sich selbst gegenüber Liebe und Respekt beimisst, auf sich selbst achtet, sorgfältig lebt, versucht glücklich zu sein.
Jede, jeder, die oder der darum nur ich sagt, und in allem fragt, was erlaubt ist, setzt Gott und den anderen auf’s Spiel. In Gottes ursprünglichem Beginnen aber steht sein Wille, dass diese Welt durchwirkt wird mit Liebe. Und die Liebe zwischen Mann und Frau ist das Siegel auf diesem Willen, bekräftigt ihn und lässt ihn glaubwürdig werden. Ein kostbarer Wille, und eine wunderbare Verheißung Gottes und darum umso ernsthafter zu wahren.
Kein Wunder, dass Jesus so zornig wurde, als er gefragt wurde, ist es erlaubt, mit dieser Verheißung zu spielen.
Liebe Gemeinde, wir leben jenseits von Eden und es gibt nachvollziehbare Gründe, dass Mann und Frau, die ihren Lebensweg im Teilen der Liebe begonnen haben, an einem Punkt merken, es geht nicht mehr miteinander.
Moralisch sollte man da nicht werden, so wenig wie Jesus moralisch wurde, als ihm in konkreter Situation Frauen begegneten, denen von Männern vorgeworfen wurde, sie hätten die Ehe gebrochen. Da wurde er einfühlsam in die Not, in die Wunden geschlagener Verletzungen, die diese Frauen mit sich trugen, da wurde er nicht urteilend, sondern barmherzig und gnädig.
So geht es hier nicht um Urteile, sondern darum, von Gott zu sprechen und daran zu erinnern, dass von Anbeginn der Wille Gottes nach Liebe diese Welt durchzieht, dass er als ein Beispiel seiner Liebe die Liebe von Frau und Mann in der Welt schuf, dass es wunderbare, erfüllende – wohlwissend private Augenblicke – in einer Ehe zwischen Frau und Mann gibt, dass die Erfahrungen von Geborgenheit und Fürsorge tragen können, ein Leben lang, dass auf diesem Gelingen ein Segen liegt, und dass darum auch das Wort Jesu wahr ist, der Mensch solle nicht scheiden, was Gott zusammengefügt hat.
Dass alles lässt sich sagen – und dann das Gelingen und das Scheitern in Gottes Hand legen, in der wir geborgen sind und aus deren Gnade und Barmherzigkeit wir leben Tag um Tag.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus.
Amen.