Predigt zu Markus 16,1-8 von Axel Denecke
16,1-8

1.

Ja, was ist denn das? Haben Sie noch die Evangeliums-Lesung, unseren heutigen Predigttext, von fern im Ohr? Da gehen die Frauen zum Grab, um den Leichnam Jesu zu salben. Totengedenken, wie es sich gehört, damals wie heute. Und dann dies: Ein Jüngling im weißen Gewand steht auf einmal vor Ihnen. „Und sie entsetzten sich“. Der Jüngling bemerkt es und sagt: „Entsetzt euch nicht!“. Und dennoch bleibt’s bei dem Entsetzen. Denn es heißt am Schluss: „Sie flohen vom Grab, denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemanden etwas, denn sie fürchteten sich“.

Also, was ist denn das? Können Sie das verstehen? Da machen die Frauen eine umwerfende Erfahrung, die ihr Leben ganz und gar umkrempelt. Jesus, den sie lieben, ist nicht tot, er lebt, lebt unter ihnen, sie hören sie, so erfahren sie.  Ostern – Auferstehung – Auferweckung – Osterjubel. „Christ ist erstanden von der Marter alle, des soll’n wir alle froh sein“. Ja, sollten wir. Sollten sie. Doch sie entsetzen sich, sie fliehen mit Zittern und Zagen, denn sie fürchten sich.

Nochmals: Was ist denn das? Können Sie das verstehen? Wenn ich mich in ihre Lage zurück versetze (so gut ich es nach 2000 Jahren  und nach 50 Jahren Predigt über diesen Text noch kann), so kann ich es am Ende doch verstehen. Ja, ich verstehe diese Frauen, die sich entsetzen angesichts des Ostergeschehens – die mit Zittern und Zagen fliehen vor diesem Ereignis – sich fürchten  bis in ihr Innerstes hinein  vor diesem Ostergeschehen. Wollen es am Ende niemanden weiter sagen  – dies Ostergeschehen. das wir ja alle kennen.

Es ist verrückt. Doch ich kann es verstehen. Und was Ostern für uns eigentlich bedeutet – Ostern nicht als ein fernes Geschehen damals, sondern als ein Geschehen heute in uns, in einem jeden von uns – das können wir wohl nur verstehen, innerlich verstehen, wenn wir uns darüber entsetzen, wenn wir zittern  und zagen, wenn wir fliehen, es niemanden sagen wollen und es dann doch tun  - so wie ich jetzt hier.

Ostern krempelt alles in unserem Leben um,. Alles wird neu, das Unterste wird nach oben gekehrt, der Tod ist nicht mehr, ist mir schnuppe, ein dummer Spießgeselle, spießig und altmodisch. Deshalb gibt’s ja auch in der Kirche das berühmte „Osterlachen“. Und in  einem Osterlied heißt es daher: „Der Tod ist zum Spott geworden“. Doch so schnell scheint’s bei den Frauen, bei uns nicht zu gehen. Lachen, spotten und dem Tod die Nase zeigen, ach ja, das kann ich erst, nachdem ich m ich vorher vor ihm entsetzt habe, geflohen bin in Zittern und Zagen, mich vor den allem fürchte, abgrundtief fürchte.

2.

„Du sollst Gott fürchten und lieben“ sagt Luther nicht umsonst in der Erklärung der Gebote. Früher habe ich das „Gott fürchten“ nie so richtig verstanden, dachte immer, Gott muss ich nicht fürchten  es reicht aus, wenn ich ihn liebe: Doch reicht das aus? Trägt das durch?

Als Moses –so wird es berichtet –  Gott leibhaft und ganz direkt begegnet, verhüllt er sein Haupt, kann ihn nicht ins Angesicht sehen, ist zu viel für ihn. Später heißt es dann einmal, Gott sei ihm liebevoll entgegen gekommen, indem er ihn aus einer Felsspalte seinen Rücken sehen ließ. Bloß den Rücken Gottes, so wie zwischen den Fingern gelugt, aus einer Felsspalte heraus (2. Mose 33,22). Gott ganz sehen und ertragen, das geht nicht. Für Moses nicht, für uns nicht. Die Frauen entsetzen sich, sie fliehen, sie zittern,  sie fürchten sich.

„Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr.10,32 ) heißt es daher auch im Hebräerbrief. Ja, schrecklich ist’s, dem lebendigen Gott wirklich zu begegnen. Dem lebendigen  Gott. Über Gott fein in Ruhe nachzudenken, theoretisch zu erwägen, ob es ihn gibt, wenn ja, wie er handelt, wenn nein, warum er nicht handelt – das ist das eine. Das ist alles andere als schrecklich. Kann man fein vom Schreibtisch aus tun oder in einem erlauchten  Debattierclub. Interessante Theorien kann man da aufstellen „über“ Gott, über ihn schlau sinnieren. Kostet höchstes Gedankenschmalz. Ist aber alles andere als schrecklich, kann sogar ergötzlich sein.

Doch dann dem lebendigen Gott wirklich begegnen, ihn direkt und konkret erfahren in seinem Leben, tatsächlich „in seine Hände zu fallen“, ganz unvermutet, hab’s ja gar nicht so direkt gewollt, das kann schon schrecklich sein. Und wenn Moses sein greises Haupt dabei verhüllt und seine Schuhe ausgezogen hat, so ist das noch eine vergleichsweise harmlose  Reaktion darauf. Gott so ganz lebendig ist nicht zu ertragen, na, ich bin vorsichtig: ist nur schwer zu ertragen. Gott so lebendig.

3.

Und das meint ja Ostern. Jesus lebt, Gott lebt. Gott ist wirklich lebendig unter uns – jetzt und hier. Gott, keine bloße Idee unseres Verstandes, sondern Gott – auferstanden mitten hinein in unser Leben, in mein Leben. „Der Herr ist auferstanden, ja er ist wahrhaftig auferstanden“ haben daher die Alten, unsere Vorfahren, voll Verwunderung, Begreieterung und wohl auch Entsetzen und Furcht gesagt. Denn was bedeutet es, wenn ich Gott wirklich begegne in meinem Leben, direkt und unmittelbar (auch wenn ich wie Moses nur seinen Rücken sehen kann, sehen darf), was bedeutet es? Mein ganzes bisheriges Leben wird in Frage gestellt, wird um und um gekrempelt, alles wird auf einmal anders und neu, so wie es der Paulus sagen kann, als ihm Gott wirklich begegnet (damals  bei Damaskus oder wo auch immer, viermal berichtet in der Bibel. So wichtig ist das wohl) „Ist jemand in Christus, so ist er ein  neuer Mensch. Alles Alte ist vergangen. Siehe, alles ist neu geworden“.  Das ist die Oster-Erfahrung des Paulus. Und ich denke, er hat es auch mit Furcht und Zittern gesagt. Er ist ja –so berichten alle- auch zu nächst geflohen aus Damaskus, nachdem er dort dem lebendigen Gott begegnet ist.  Ja, schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen  Gottes zu fallen. Für Paulus, für Moses – und eben da am Grab auch für die Frauen, völlig unvorbereitet wie sie dafür waren.

4.

Also, ich kann die Reaktion der Frauen gut, ja sehr gut verstehen. Ihre Reaktion ist echt, sie ist wahr, sie ist nicht eine fromme Erfindung eines späteren Schreibers. So geht’s zu, wenn man mit Gott unvermutet direkt in Verbindung gerät. Denn diese Frauen wollten ja am Grab nix weiter als einen letzten Liebesdienst für den toten Jesus tun. Macht man so, ist gute Sitte, den Leichnam nochmals salben, letzte Ehrerbietung …   und dann ist alles aus, aus und vorbei. Schön war’s mit ihm: Doch das war einmal.

Und nun: Nichts wahr einmal. Nun geht alles los, geht erst richtig los. „Die Sache Jesu geht weiter“, hat ein kluger Mann in einfachen Worten gesagt, was Ostern und Auferstehung für uns bedeutet. „Die Sache Jesu geht weiter“. Sie geht jetzt erst richtig los. Das Hören die Frauen und  sie entsetzen sich,  mit Furcht und Zittern fliehen sie. Was soll nur daraus werden? Kriegen wir es hin? Können wir die Sache Jesu wirklich weiter treiben, redlich und wahrhaftig, so wie er es tat? Wäre es nicht Besser,   es wäre alles aus und wieder so normal und alttäglich wie vorher? Doch Nein, Jesus lässt sie nicht los, er lebt – in welcher Weise auch immer. Lebt für sie und  in ihnen, lässt sie nicht mehr los, kommen nicht mehr los von ihm. Ja,  „schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“. Genau das haben die Frauen am Grab erfahren – das Grab, leer oder nicht ganz leer oder wie auch immer, ist völlig egal. Die Sache Jesu soll weiter gehen. Und sie ist ja auch weitergegangen bis heute – irgendwie, meist krumm und schief, wir Menschen sind nun mal so, aber sie ist weiter gegangen. „Der Herr ist auferstanden in unser Leben, ja, er ist wahrhaftig auferstanden“.

„Des soll’n wir alle froh sein – Christ will unser Trost sein“ Ja? Oder bleibt’s bei der Furcht, dem Entsetzen, mit  Zittern und Zagen und die Flucht vor dem allem? Manchmal denke ich –lebenserfahren wie ich inzwischen  bin – bei den meisten bleibt’s bei der Flucht. Kann ich verstehen,  ist ja auch nicht einfach. Die Jünger damals flohen vom Kreuz, Petrus als allererster, die Frauen fliehen  vom  leeren Grab – und kommen dann doch zurück, denn die Sache Jesu lässt sie nicht los, kommen nicht los von ihm. Das ist’s. Vielleicht kommen wir auch nicht los von ihm, trotz alledem, deshalb sind wir ja heute morgen in der Kirche – oder?

5.

„Die Sache Jesu geht weiter“. Was ist diese Sache und wie geht sie weiter? Der weiße Jüngling am Grab da (wer auch immer es war) gibt einen ganz konkreten Hinweis. Der sagt zu den Frauen (also auch zu uns): „Jesus ist nicht hier… Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er euch voran gehen wird nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen“. Nach Galiläa, hören die Frauen. Auf nach Galiläa. Was heißt das? Der Auferstandene ist nicht irgendwo in Jerusalem zu bestaunen, im Tempel, neben dem Grab, vor den ehrfürchtigen Palästen des Herodes und des Pilatus, vor der Grabeskirche, der Dormitio, in der via Dolorosa, wo jedes Jahr die großen Prozessionen statt finden. Dort nicht. Wenn ihr von der Metropole Jerusalem aus stur nach oben starrt, um ein Erweckungserlebnis zu haben, da wird nichts geschehen. In Jerusalem war Jesus ja auch nur ganz kurz am Ende seines Lebens, eben zu seiner Passion. Nur die war in  Jerusalem. Alles andere passierte in Galiläa, da war seine Heimat,  seine ärmliche Heimat, in und um  Nazareth,. Kana, auf dem Lande, in Kapernaum, am See Genezareth, im galiäischen Hochland, lieblich und karg zugleich. Dort passierte alles. „Auf nach Galiläa“ das heißt also: Zurück zu den Anfängen, wo alles begann mit ihm.. Erinnert euch daran, wie Jesus, der irdische Jesus leibhaft mit euch gelebt hat, gegessen, getrunken, gelacht, geweint, getanzt, gestaunt, gepredigt, gebetet, wie er große Dinge an euch tat, wie er euch Gott als seine  himmlischen Vater nahe gebracht hat, wie ihr gelernt habt, dass Gott tatsächlich euer Vater ist, „Vater unser, und dann weiter: „Geheiligt werde dein Name“, hat er euch sagt und weiter: „Dein Reich komme, dein Willen geschehe“, also sein Reich und sein Wille, nicht unser Reich und unser Wille.  Und im Leben Jesu ist das Reich Gottes und der Wille Gottes real präsent gewesen. Erinnert euch daran. „Dies tut zu meinem Gedächtnis“.  Ja erinnert euch, wie er euch im Tiefste  bewegte, wie er euer Herz umkrempelte.  „Auf nach Galiläa“, zurück dahin, wo alles begann, jungfräulich begann,  und dann geht es weiter, die Sache Jesu geht weiter – in der Erinnerung an das gemeinsame Erleben in Galiläa. Das hören die Frauen und sie haben’s dann wohl auch –nach einigen Schrecksekunden- den Jüngern  und Petrus weiter gesagt. So damals.

6.

Und wir heute? Wir sind im Grunde in der gleichen Situation. Wir kommen Ostern traditionell (oder meinetwegen auch nicht) in die Kirche, so wie die Frauen zum Grab kommen, mit frommen Spezereien und frommen Wünschen, um uns an Jesus erinnern zu lassen. Ostern, nun ja, dann doch in die Kirche, sagen wir Frommen, sagen  es auch ganz zu Recht. Und was hören wir da? Natürlich das Vertraute,  das wir schon kennen und das wir uns alle   immer wieder zurauen. „Der Herr ist auferstanden, ja, er ist wahrhaftig auferstanden“. Schön. Doch glauben wir’s auch wirklich? Was wäre denn, wenn das wirklich wahr wäre? Jetzt! Heute! Hier! Was wäre dann? „Schrecklich ist’s,  in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“   ??? ???

Wir hören heute wie die Frauen damals: „Jesus ist nicht hier…. Geht aber hin und sagt allen, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen“. Wir nach Galiläa? Wie denn das? Da ist er zu sehen und zu finden? Sollen wir etwa nach Gailäa reisen und auf die Reise nach Jerusalem verzichten? Ja, sage ich, ja. Wie kommen wir nach Gailäa? Zwei Wege gibt’s dahin. Man kann natürlich ganz äußerlich direkt dahin reisen und die alten Stätten besichtigen, habe ich selbst  oftmals getan. Da geht einem schon etwas, nein viel, nein sogar alles auf. Einer hat mal gesagt: „Die Landschaft in Galiläa ist das 5. Evangelium“. Kann man also machen: auf nach Galiläa.  Doch nicht jeder kann es, ist für manche zu anstrengend und zu äußerlich. Es gibt noch einen zweiten Weg, den ich uns hier empfehle. Man kann als die Berichte von Jesus aus Galiläa, die uns  die Evangelisten erzählen,  lesen und ernst nehmen und in das eigenen leben übertragen. Also, wie er mit Frauen und Kindern umging, wie er mit Ausländern und Flüchtlingen umging, Asylbewerber sagen wir heute, wie er mit Sündern und Randexistenzen umging (muss die heute nicht aufzählen, geht mal in die Stadt hinter den Bahnhof), wie er Gott seinen Vater nannte, wie er alle Menschen um ihn herum speiste und mit Brot und Wein beschenkte, wie er alle Gebote Israels im Doppelgebot der Liebe zusammen hasst (Gott leiben von ganzem Herzen – und den Nächsten wie sich selbst), wie der die wunderbaren Gleichnisse von Gott erzählte, er, der barmherzige  Samariter -  er, der verlorene und  wieder gefundene Sohn (er war tot und siehe, er lebt), Jesus erzählt immer von sich, wie er seinen Jüngern, also uns, die Gleichnisse vom  Himmelreich  nahe brachte, die selbstwachsende Saat, das vierfache Ackerfeld – ach , les doch einfach die Bibel. Da ist alles drin. Die Sache Jesu geht ja weiter. Er lebt und will weiter leben unter uns, sogar in uns.

Jesu Sozialprogramm von Gott, der ein offenes Ohr für jeden Menschen hat, gerade und besonders für den, der weit weg ist von ihm, der krank und alt und bekümmert und verzweifelt und beächtet und, ach ja, schon hab tot ist, wie der Mann im Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ich könnte und müsste jetzt das ganze Markus-Evangelium vorlesen. Keine Angst, tue ich nicht. –- Wir kennen es ja. Doch kennen wir es wirklich? Ich frage nur.

Die Sache Jesus geht weiter, heute, hier, jetzt. Unter uns. In unserem Galiläa. Dort, nur dort werden wir ihn sehen und finden. Wenn wir uns auf den weg machen nach Galiläa, unserem Galiläa. Und wer dort angekommen ist, der nimmt Flüchtlinge auf und sagt mutig: „Wir schaffen das“ und wir schaffen es wirklich. Nur die, die ent-geistert in Jerusalem stehen bleiben und auf ein Wunder hoffen, gen Himmel starrend die schaffen es nicht. Doch wir schaffen es, denn wir gehen ja nach Galiläa –wie der Jüngling im weißen Gewand uns empfohlen hat. Oder?

7.

„Der Herr ist auferstanden, ja er ist wahrhaftig auferstanden“:  Ist er doch – oder? –- „Die Sache Jesu geht weiter – heute“:  Geht’s sie doch – oder?  Ist zwar sehr anstrengend, denn: „Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ Ja, ist es – und schön und lebenskräftig zugleich. Die Frauen gingen zum Grab, aus guter alter Gewohnheit. Und alles wurde in ihnen auf einmal um und um gekrempelt.  Und sie entsetzten sich, sie fliehe,  sie zittern und zagen und sagen’s zunächst nicht weiter,  denn sie fürchten sich. Doch dann sagen sie es doch weiter, ihre Furcht zerfliegt, ihre Schrecken verwandelt sich in Segen. Sie gehen nach Galiläa und zu den furchtsamen Jüngern. Und alles beginnt, beginnt von vorn, beginnt erst jetzt richtig, „Die Sache Jesu geht weiter“. So damals, so heute.  Wir alle brauchen es, das die Sache Jesu weiter geht. Das ist Ostern, ressurectio now. Auferstehung hier und jetzt. Und wenn nicht jetzt und hier und heute, wann denn dann?

 

Perikope
27.03.2016
16,1-8