Predigt zu Markus 16,1-8 von Jochen Riepe
16,1-8

I

‚Zurück an den Anfang‘ , das , liebe Gemeinde, ist Ostern. Gott hat den ersten Schritt getan und gesagt  : ‘Ich liebe, ich will , daß du bist‘.*  Halleluja. Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja.

II

Ein Waffenstillstand zwischen verfeindeten Parteien gleicht einem Kartenhaus , das auf Erdbebengebiet gebaut wurde. ‚Jeder minimale Stoß kann es zum Einsturz bringen‘**. Mit großer Spannung haben wir in den vergangenen Monaten die  Bemühungen um einen Frieden in der Ostukraine verfolgt . Würden die Parteien sich an einen Tisch setzen ? Würden sie die Absprachen des Minsker Abkommens umsetzen  und zumindest die schweren Waffen zurückziehen? Oder lauert hinter den Worten der Diplomaten und Politiker  ein so großes Mißtrauen , daß jeder Rückzug von neuen Provokationen oder von einer erneuten einseitigen Interessensicherung begleitet wird ? ‚Ich weiche nicht einen Millimeter , bevor du nicht …‘  Der russische Präsident brachte es  vor 14 Jahren vor dem Bundestag auf den Punkt : ‚In Wirklichkeit haben wir immer noch nicht gelernt , einander zu vertrauen‘.

III

‚Jesus aber schrie laut und verschied‘ (Mk 15,37).  Wir erinnern uns : Die Evangelien hatten berichtet , daß im Augenblick des Todes Jesu der Vorhang im Tempel zerriß  und ‚eine Finsternis über das ganze Land kam‘(15,33).  Die Ereignisse von Karfreitag liegen nun schon wieder drei Tage zurück und vielleicht hat sich mancher in Jerusalem mit der Frage gequält : Wie kann es nach diesem Tod  einfach so weitergehen? Auch der Tod Jesu ein Ereignis, über das die alles nichtende Zeit weggehen wird ? Hätte die Welt nicht stehenbleiben und  Gott buchstäblich ‚dreinschlagen‘  und Rache an seinen Feinden üben müssen ? Drei Tage ist das jetzt her . Nach dem Sabbat , früh am ersten Tag der Woche , fast noch im Schutze der Dunkelheit, machen sich die Jüngerinnen auf den Weg , den Leichnam zu salben und finden – ein leeres Grab. ‚Er ist nicht hier. Er ist auferweckt worden‘.

IV

Der Osterbericht des Markus-Evangeliums ist kurz und bescheiden, eher andeutend, zurückgenommen. Natürlich : Die Frauen sind entsetzt ob der Störung der Totenruhe , ob dieser unverständlichen Worte , die ein sonderbarer Jüngling sagt … aber wir als Leser oder Hörer mögen heute so fragen : Ist das die göttliche Antwort auf jene Vernichtungsaktion , die ‚Juden und Heiden‘ –als Repräsentanten einer  gewalttätigen , mörderischen und selbstmörderischen  Menschheit – am ‚Sohn Gottes‘ vollzogen haben  ? Ein leeres Grab . Ein ‚Hohlraum‘ gleichsam.  Vielleicht kommen uns auch seltsame Ahnungen : Gott selbst hätte den Leib des Gekreuzigten , des an unserer Stelle Gerichteten,  zu sich , in seine Ewigkeit , genommen … der Vater den Sohn eben in dieser ‚Rück-Nahme‘ seine große Liebe und Treue gezeigt : ‚Ich liebe, ich will, daß du bist … Ich will nicht ohne dich ,‘meinen lieben Sohn‘ sein …‘  Aber was gewinnt Gott damit ? Mit diesem ‚Opfer‘, diesem ‚loser‘? ‘Soll er ihn doch holen‘ , mögen die Spötter sagen, ‚er wird schon sehen, was er davon hat…‘

V

Waffenstillstand. Frieden schließen. Vertrauen aufbauen. Ja, einer muß den Anfang machen , den ersten Schritt tun und sich mit seinen Panzern zurückziehen … ‚Ist er der Christus , der König von Israel, so steige er vom Kreuz‘ … ja, und was ? Schlage um sich ? Ginge ihnen an die Gurgel ? Schlüge ihnen auf’s Maul und riefe die Legionen seines Vaters?   Spott. Verhöhnung. Beschämung … und dann ein leeres Grab .  Wo liegt die Kraft , die ‚Vollmacht‘ in der Erniedrigung und Ohnmacht Jesu ? Die christliche Phantasie stellt sich die Ereignisse von Karfreitag und Ostern gern nach dem Modell : vorläufige Niederlage und endgültiger Sieg vor. Am Ende triumphiert Gott über seine Feinde und zieht als Sieger durch’s Tor ein . Aber kann so Versöhnung werden , ‚Frieden mit Gott‘ (Röm 5,1)? Würde ein solcher erzwungener Friede den kleinsten Erdstoß bestehen ? Die Diplomaten warnen. Das Markus-Evangelium – das Evangelium vom gekreuzigten Gottessohn – mutet uns einen scheuen Gedanken zu : Gott ,der Richter und Herr der Welt,  nimmt sich zurück. Der Leib Jesu ist bei ihm . ‚Sehet die Stätte, da er gelegen hat‘. Wir, die wir den Christus nicht ertragen konnten , die wir ihn schmähten und töteten – wir werden verschont von jedem Gegenschlag. Das ist Gottes Treue, seine  Feindesliebe , seine große Geduld, die seinen Zorn einklammert (Röm 3,26), sein Verzicht auf Rache . Der Sohn wird in des Vaters Verborgenheit eingehen . ‚Gott will verlieren, damit der Mensch gewinne. Sicheres Heil für den Menschen, sichere Gefahr für Gott selber‘***.

VI

Einer hat den Anfang gemacht  , das ,liebe Gemeinde, ist Ostern . Gott sagt zu dieser feindseligen und verfeindeten Menschheit : ‚Ich liebe, ich will , daß du bist‘.  Bei den Diplomaten kann man dies ja lernen : Wenn dieser grundlegende , alles neu machende Satz , wenn diese Anerkennung des Seins des anderen nicht gelingt oder  nicht glaubwürdig geschieht , bleibt alles beim Alten. Mißtrauen oder auch Rachedurst und Angst um das Eigene machen jeden Ausgleich kaputt . Die entsetzten Frauen am Grabe verstehen das noch nicht. Wir haben Distanz und können in der Grabeshöhle  die Stimme des ‚Interpreten‘ , die Stimme des Gottesboten, vernehmen und ,ja , das Heilsame dieser  neuen Tat Gottes erahnen. Nicht in Jerusalem , nicht am Grabe sollen sie bleiben und es gegebenenfalls zur Pilgerstätte  oder zum Fanal der Jesus-Jünger in der Konkurrenz  um den erinnerungsstärksten Helden  machen . Nein , so wahr Gott lebendig ist  , ist auch Jesus lebendig und  in der Kraft des Geistes wird er sich dort zeigen  und erweisen , wo alles begonnen hat. Zurück an den Anfang , nach Galiläa , in die Provinz … Das ist soz. die Verheißung einer unendlichen Fülle , die aus dem Hohlraum des Jerusalemer Grabes im Garten des Josef von Arimathia  ersteht : ‚Dort werdet ihr ihn sehen‘.

VII

Ich sagte es : Der Osterbericht des Markus ist kurz , zurückgenommen , andeutend , aber das kennen wir ja  : In der Andeutung kann mehr liegen als in der Ausführlichkeit. Entspricht der Evangelist nicht  so der lebendigen Dezenz Gottes ? Seiner Versöhnungstat  , seiner Friedenserklärung  , die sanft und unscheinbar daherkommt und es riskiert , getreten und mißachtet zu werden ? Galiläa, Nazareth , ein kleines Nest , der See, einfache Fischer, Kapernaum – mit Ostern werden all diese Orte , Namen , Menschen  Zeichen des Anfangs – ‚wie Morgenluft‘.  Zeichen für jene Geisteskraft  , die im Rückzug Jesu , in seiner ‚Erhöhung zu Gott‘ (Joh 12,32) wohnt und die nur darauf wartet , in uns zu wirken. Im Gekreuzigten hat Gott gleichsam von uns  , uns frei-gelassen, aber er hat uns nicht fallen gelassen.  Der auferweckte Gottessohn wird uns begegnen , zu seiner Freiheit erwecken und wir werden ihm in Freiheit entsprechen.

VIII

Einer muß den Anfang machen. Vertrauen braucht den Mut zum Risiko.  ‚Ich liebe, ich will, daß du bist‘. Möge der Lebensatem , möge die galiläische Morgenluft diese Welt erfüllen : ‚Juden und Heiden‘ , Palästinenser und Israelis, Russen und Ukrainer, Deutsche und Griechen… Mögen wir einander in der Ferne und in der Nähe das – wie die Diplomaten sagen würden – das Existenzrecht ein-räumen ,indem wir unsere Ansprüche und Forderungen  zurücknehmen oder begrenzen  . Friede sei mit euch!

Halleluja. Der Gekreuzigte wurde auferweckt. Halleluja.

*‘Amo volo ut sis‘ (Augustinus ?)                                ** so die SZ vom 26.2.15 ,S.4

*** K. Barth, KD II/2,S.177 

 

Perikope
05.04.2015
16,1-8