Predigt zu Markus 3, 31-35 von Agnes Köber
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Predigt zu Markus 3, 31-35 von Agnes Köber

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wie stehen Sie zur letzten Strophe des Lutherliedes „Ein feste Burg ist unser Gott“?
  Sie wissen grad nicht, welche das ist?
  Sehen wir doch gemeinsam nach - bitte schlagen Sie EG 362 auf:
Das Wort sie sollen  lassen stahn, und kein’ Dank dazu haben.
  Er ist bei uns wohl auf dem Plan, mit seinem Geist und Gaben.
  Nehm’n sie und den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib
  Laß fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn.
  Das Reich muß uns doch bleiben.
Und? Können Sie bei bewusstem Mitlesen so ohne weiteres sagen:
  Sollen doch meine Gegner mir meinen Partner, meine Kinder nehmen, ich halte mich an Gottes Wort?
  Ich habe schon einige Male gehört, dass Menschen ihre große Schwierigkeit mit dieser Strophe haben, weil da angeblich wegen einer Ideologie zum Verzicht auf die eigene Familie aufgerufen wird.
  Im Jahr der Protestation zu Speyer, als es um die Sache der Reformation kritisch stand, hat er dieses Dokument zornigen Vertrauens zum ersten Mal veröffentlicht. Ein Trutzlied, entstanden nach vielen Auseinandersetzungen mit dem römischen Klerus, nach vielen Missverständnissen, nach den Bauernkriegen, wenige Jahre nach Luthers Eheschließung mit Käthe von Bora (Luther wusste also was Familie bedeutet, wie wichtig sie ist; es ist auch kein versteckter Hinweis auf eine mögliche Ehekrise) .
Eine ähnliche Tonart schlägt uns im heutigen Predigtwort aus dem Markusevangelium, Kapitel 3 entgegen:
  Luther: (31) Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen.   (32) Und das Volk saß um ihn herum. Und sie sprachen zu ihm: "Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir!"   (33) Und er antwortete ihnen und sprach: "Wer ist meine Mutter und meine Brüder?"    (34) Und er sah rings um sich auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: "Siehe das ist eine Mutter und das sind meine Brüder.  (35) Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter".
Was ist da geschehen? Wieso stößt Jesus seine Familie dermaßen vor den Kopf?
  Jesus war aufgetreten und hatte mit seinen Sabbatverstoß viele jüdische Autoritäten erbost.
  Er wurde verdächtigt, Satan zu dienen. Die öffentliche Meinung über ihn war zweigeteilt.
  Die Familie war um ihn besorgt – es ist also nur verständlich, wenn sie zu ihm kommen und mit ihm sprechen und ihn womöglich von seinem Auftrag abbringen wollen.
  Jesus kann sich denken, was sie bewegt, weiß aber, dass er einen Auftrag zu erfüllen hat: er soll das Reich Gottes ankündigen und verkündigen. Er weiß, dass das kein Sonntagsspaziergang sein wird. Mit den befremdenden Worten befreit er sich aus der Enge seiner Abstammungsfamilie. Wenn es um das Reich Gottes geht, dann entsteht eine neue Gemeinschaft, die aller Blutsbande ledig ist.
  Jesus sagt: alle, die den Willen Gottes tun, sind seine Geschwister.
Alle, die wir getauft sind, verstehen uns als Glieder am Leib Christi, Schwestern und Brüder. Bei kirchlichen Veranstaltungen werden die Anwesenden als ‚Schwestern und Brüder’ angesprochen.
  Bleiben wir doch mal bei diesem Bild der Geschwister.
  Geschwisterbeziehungen können sehr unterschiedlich sein:
  Ich greife zwei Beispiele aus dem Volksgut heraus:
Der Pfarrer Josef Haltrich hat – angeregt durch die Brüder Grimm – Volksmärchen im deutschsprachigen Siebenbürgen des 19. Jahrhunderts gesammelt. Eines dieser Märchen handelt von einem Geschwisterpaar: einem Jungen und einem Mädchen, die früh verwaist waren. Die Eltern hinterließen den Kindern eine Ziege und einen Hahn, den sie gegen 3 treue, tüchtige Hunde eintauschen: Mit einem Pfeifchen können sie herbeigerufen werden, um den Geschwistern aus vielen Notlagen herauszuhelfen.
  Die Geschwister halten zunächst zusammen. Eines Tages geraten sie in eine Räuberhöhle, gelegen am Rand eines Waldes. Auch hier leisten die Hunde treue Dienste. Jedoch verliebt sich das Mädchen in einen feschen Kaufmann, der sich den Räubern angeschlossen hatte und, angestachelt von der alten Räubergroßmutter, versucht es seinen Bruder umzubringen. Daraufhin erschlägt er den Kaufmann und die Alte, lässt er seine Schwester zurück und zieht mit den Hunden in die Welt. Das Schwert, das er in der Hütte gefunden hat, nimmt er an sich.
  Er macht Karriere, indem er von der Königstochter Lebensgefahr abwendet und sie heiraten darf. Allerdings wird er schwer verletzt und durch die Hilfe seiner Hunde gerettet. Er will, bevor er die Königstochter zur Frau nimmt, noch ein Jahr durch die Welt ziehen.
  Nach einigen Hindernissen kommt es zur Hochzeit. Das Glück des Paares scheint vollkommen, sie besteigen den Thron – doch da ist die Sorge des jungen Königs um die Schwester. Er lässt sie an den Königshof holen, doch sie hat sich völlig dem Hass ergeben und intrigiert erneut gegen den Bruder, der dadurch zu Tode kommt und erneut durch den Einsatz seiner treuen Hunde lebendig wird.
  Diese Geschichte zeigt, wie Geschwister sich entzweien und nicht wieder zusammen kommen, wie der liebende Bruder um die Schwester bangt und die Schwester sich voller Hass abwendet. Das kann man bedauernd auf den frühen Verlust der Eltern zurückführen.
Es gibt jedoch auch andere Bilder von geschwisterlichen Beziehungen: das Märchen von „Brüderchen und Schwesterchen“ – wo es dieses mal die Schwester ist, die sich um den Bruder sorgt und kümmert, der durch einen bösen Zauber in ein Reh verwandelt worden war.
  „Was macht mein Kind, was macht mein Reh“ – Diese Geschichte zeichnet das Bild einer innigen Geschwisterliebe, wo einer für den anderen einsteht, auch da, wo der eine gegen den Rat des anderen verstößt.
Diese beiden Geschichten führen vor Augen, wie Beziehungen von Brüdern und Schwestern sein können.
  Es sind auch Parallelen, wie es zwischen Christen manchmal zugeht: Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Fürsorge, Ermahnung – aber leider auch Hass, Intrige, Eifersucht, Habgier oder Gleichgültigkeit. Machen wir uns nichts vor…
Wenn wir an die Worte des Markusevangeliums denken, wo Jesus von seinen Geschwistern spricht, dann stehen da die Worte:
  „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester“
Können Sie sich noch erinnern, wie ich Sie zu Beginn der Predigt angesprochen habe?
  Ja? Einige von Ihnen haben die Stirn gerunzelt, denn ich habe Sie mit „Damen und Herren“ statt wie üblich „Brüder und Schwestern“ angesprochen. Verhalten wir uns wie Geschwister, wie Geschwister Jesu? Halten wir uns an Gottes Gebote, in denen er uns seinen Willen für unser Leben kundtut? Sie werden zu Recht denken: das können wir ja gar nicht konsequent durchhalten.
  Das stimmt insofern, als wir nur beschränkt eigene Kräfte haben, dass unser Wille eigen-willig ist…
  Aber bemühen wir uns auch wirklich täglich redlich darum, dass wir nach Gottes Willen leben? Oder denken wir vielmehr: ‚wir können eh nie 100% ig nach Gottes Willen leben,  die Bibel stempelt uns eh immer zu Sündern… also machen wir einfach, was uns passt.’
  Wenn wir und nicht einmal mehr bemühen, nach Gottes Willen zu leben, wenn wir uns nicht den Spiegel vorhalten lassen – können wir uns dann überhaupt noch als Schwestern und Brüder Jesu Christi verstehen?
  Ist es da nicht ehrlicher, wenn wir uns sonntags zu einem Vortrag mit religiösem Anstrich treffen und über die Bibel reden, wie über ein beliebiges Buch?
Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass es bei weitem nicht so einfach ist, wie ich das gerade karikiert habe: wir bemühen uns sehr wohl, nach Gottes Gebot zu leben – aber wir stoßen an unsere Grenzen: wir leben in einer Gesellschaft, in der man uns klar macht, dass es nicht möglich ist, sich zu verändern und wo Veränderung bekämpft wird. Die Märchen, die Erfahrungen scheinen das sogar zu bestätigen. Hinzu kommt, dass wir Menschen vor Veränderungen Angst haben. Eigentlich unsinnig, denn das einzige, was „konstant“ bleibt, ist die Veränderung.
  Dann: kaum ein Mensch verträgt Kritik, und sei sie noch so sachlich und liebevoll. Das Resultat: verletzt und gekränkt ziehen wir uns zurück, wenn man uns kritisiert. Ja, im Gegenteil: der Automatismus ‚du hast mir dies und jenes getan – jetzt tue ich dir auch dieses und jenes’ ist stark und tritt eine ungute Spirale des Bösen los.
Wir haben nicht immer die Kraft und Energie, die wir brauchen um ein konsequent christliches Leben zu führen – wir dürfen aber darum beten! Und sie wird uns geschenkt.
  Und damit schließen wir uns der Gemeinschaft aller Geschwister Jesu an:
  Die Geschwister Jesu beten um Kraft und Weisheit für ein christliches Leben.
  Die Geschwister Jesu treten füreinander ein, die Geschwister Jesu gestehen sich gegenseitig zu, verschieden zu sein, achten sich gegenseitig.
  Geschwister Jesu klären Dinge, die zwischen ihnen stehen und vergeben einander.
  Geschwister Jesu lassen sich durch das, was Gott ihnen auf ihrem Lebensweg schickt, prägen, formen und erfahren so zunehmend Reife.
  Geschwister Jesu setzen Gott an erste Stelle. Nicht weltlichen Besitz, nicht Beziehungen, nicht den eigenen Erhaltungstrieb, sondern Gott.
  Das will auch Martin Luther im eingangs erwähnten Lied sagen. Er will nicht sagen:  gebt eure Kinder auf, oder eure Ehepartner, sondern er will Gott an erster Stelle wissen.
  Luther hat am eigenen Leib erfahren, dass es, wenn es um die Sache Gottes geht, auch die eigene Familie zurücksteht.
Eine Zusammenfassung dessen, was Jesu Geschwister ausmacht, finde ich in einem Gedicht aus dem 18. Jahrhundert in einfachen Worten wiedergegeben:
Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen (EG 221)
  Johann Andreas Cramer, 1780
  1. Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen:
  wir sind, die wir von einem Brote essen,
  aus einem Kelche trinken, Jesu Glieder,
  Schwestern und Brüder.
  2. Wenn wir in Frieden beieinander wohnten,
  Gebeugte stärkten und die Schwachen schonten,
  dann würden wir den letzten heilgen Willen
  des Herrn erfüllen.
  3. Ach dazu müsse deine Lieb uns dringen!
  Du wollest, Herr, dies große Werk vollbringen,
  daß unter einem Hirten eine Herde
  aus allen werde.
Amen.
Perikope
Datum 18.09.2011
Bibelbuch: Markus
Kapitel / Verse: 3,31
Wochenlied: 343
Wochenspruch: Mt 25,40