Predigt zu Markus 4,35-41 von Tom Mindemann
Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?
Eine peinliche Stille legte sich über das Boot und über den ganzen See. Gerade war alles noch ganz anders gewesen. Der Wind brauste über sie hinweg. Die Wellen auch. Und sie paddelten und versuchten an Land zu kommen und schöpften mit hohlen Händen das Wasser aus dem Boot. Jesus schlief. Auf der einzigen noch trockenen Stelle. Auf der Bank hinten im Boot. Sie hatten ihn geweckt, damit er irgendetwas tut. Mitpaddeln. Oder Wasser schöpfen. Im Kreis laufen und mit den Armen rudern. Irgendetwas.
Nicht nur der See wurde rauer. Auch der Ton. „Ey, Meister, interessiert es dich überhaupt nicht, dass wir umkommen?“ Aber Jesus paddelte nicht. Er schöpfte kein Wasser. Er lief nicht im Kreis und ruderte nicht mit den Armen. Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme!
Eine peinliche Stille legte sich über das Boot und über den ganzen See. In Geschichten ist das immer so einfach. Die Pointe sitzt: Habt ihr noch keinen Glauben? Und auf der nächsten Buchseite beginnt ein neuer Morgen. Aber jetzt saßen sie mit Jesus in einem Boot, kamen nicht weg von ihm, obwohl er ihnen unheimlich war. Petrus dachte kurz darüber nach, einfach zu Fuß ans Ufer zu gehen, verwarf den Gedanken aber wieder.
Andreas traute sich, zuerst etwas zu sagen. Vorsichtig darauf gefasst, das nächste Machtwort zu hören zu bekommen. Wenn sogar Wind und Meer Jesus gehorsam sind, wer weiß? Was hätten wir denn tun sollen? Dich weiter schlafen lassen, bis uns das Wasser wirklich bis zum Halse gestanden hätte? Jesus sagte nichts. Ein anderer, Jakobus, meinte: Vielleicht hätten wir beten sollen. Aber, wandte Johannes ein, wir hatten doch alle Hände voll zu tun mit Wasser schöpfen…
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Constanze ist, wie man sagt: in der rush hour des Lebens. Beruflich geht es aufwärts. Gerade hat sie eine neue Aufgabe im Unternehmen übernommen. Mehr Kompetenzen. Mehr Verantwortung. Mehr Arbeit. Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus. Und doch brauchen sie natürlich Ihre Mutter. Und sollen sie auch haben. So wie der Ehemann seine Frau.
Abends, wenn die Kinder schlafen, sitzt sie noch stundenlang am PC. Kämpft sich durch die Email-Flut des Tages und schiebt eine Bugwelle von Aufgaben vor sich her, die immer wieder über sie hereinschwappen. Dieses leise Geräusch im Ohr hat sie lange nicht ernst genommen. Aber manchmal reagiert sie gereizt auf die kleinste Anfrage. Bis eine Freundin ein Machtwort gesprochen hat: Halt! Stopp! Jetzt liegt sie im Krankenhaus, soll absolute Ruhe halten. Die ersten Tage versucht sie noch vom Bett aus mit dem Tablet zu arbeiten. Aber der Internetempfang im Krankenhaus ist zu schlecht. Und alles, was sie braucht, hat sie ohnehin nicht in der Cloud. Constanze ist es, als ob ihr die Dinge wie Wasser durch die Finger fließen.
Nachts legt sich eine Stille über ihr Bett und das ganze Zimmer. Wenn der Kleine zu Hause rufen würde, könnte sie es nicht hören, und auch nichts tun. Erst langsam gewöhnt sie sich an den Gedanken, dass ihr Mann ja zu Hause ist, und hören und tun kann. Und es wird ruhig in ihr.
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Was passiert, wenn nichts passiert? Wenn der Wind den Atem anhält, wenn die Wellen das Weite suchen und die Wogen es nicht mehr wagen, an die Bootswand zu schlagen?
Was passiert, wenn nichts passiert? Wenn die Geschäftigkeit geschafft macht, aber nichts geschafft bekommt? Wenn die Flut aus Emails und Aufgaben in den Ohren flötet und uns vergessen lässt, wer wir sind und warum wir etwas tun? Wenn dann die Hektik innehält und Zeit sich nicht mehr vertreiben lässt?
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Die Stille, zu der sich Constanze verdammt sieht, bewirkt zweierlei: Sie soll helfen, das Pfeifen im Ohr wieder loszuwerden. Und: Constanze kommt zu sich. Sitzt mit sich selbst in einem Boot, kommt nicht weg von sich, auch wenn es ihr unheimlich ist. Wer ist die, zwischen Kind und mehr, zwischen Arbeit und Familie, die so lange nicht auf ihre innere Stimme gehört hat und unter einem Meer von Aufgaben zu ertrinken drohte? Wer bin ich? Und was ist wirklich wichtig?
Als Jesus den Sturm stillte und Wind und Wellen in ihre Schranken verwies, da bewirkte die Stille, die dann folgte, zweierlei. Sie war die Lösung für das Problem, dessen sich die Jünger durchaus bewusst waren: Das Wasser steht uns bis zum Halse! Die Stille verwies aber auch auf ein Problem, dessen sie sich noch nicht bewusst waren: Wir trauen Gott zu wenig zu!
Ich denke, Gott schreit nicht über den Alltagslärm hinweg. Er verschafft sich Gehör, ja. Aber es ist die Stille, in die er hinein spricht, was uns unbedingt angeht: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Wer bist du? Und was ist dir wichtig?
Und am Abend desselben Tages sprach Jesus zu den Jüngern: Lasst uns ans andre Ufer fahren. Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde.
Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme!
Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille.Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!