Predigt zu Markus 8,31-38 von Hans-Hermann Jantzen
8,31-38

31       Und Jesus fing an, seine Jünger zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.
32       Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.
33       Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du redest nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34       Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
35       Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.
36       Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?
37       Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38       Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vatersmit den heiligen Engeln.

 

Liebe Gemeinde,

hier geht es offenbar ans Eingemachte. Zwei ziemlich beste Freunde geraten aneinander, Jesus und Petrus. Eben noch hatte Petrus Jesu Frage: „Was meint ihr denn, wer ich bin?“ vollmundig mit „Du bist der Christus!“ beantwortet. Jetzt fährt derselbe Petrus seinem Christus heftig in die Parade. „Und er nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren…“ Das hat Luther zu zahm übersetzt. Das griechische Verb, das Markus hier benutzt (epitiman), kommt sonst im Rahmen von Dämonenaustrei-bungen vor. Richtiger müsste es also heißen: „Er herrschte ihn an“, oder: „Er beschwor ihn“. „Was fällt dir ein, so etwas zu sagen? Bist du denn von Sinnen?“

Und Jesus? Er reagiert nicht minder heftig. Markus wählt dasselbe Verb, und diesmal trifft Luther es besser: „Er bedrohte ihn.“ Wenn es um Dämonen geht, gibt es kein Drum-herum-reden“, kein Wischi-waschi. Da hilft nur ein kräftiges, klares Wort. „Und er bedrohte Petrus und sprach: Weg von mir, Satan!“

Zwei ziemlich beste Freunde geraten aneinander. Was ist passiert? Nachdem die Jünger Jesus gerade mit ihrem Bekenntnis: „Du bist der Christus!“ ihr Vertrauen ausgesprochen haben, hat er ihnen so offen wie nie zuvor sein Herz ausgeschüttet. Was würde aus ihm werden, wenn sie jetzt nach Jerusalem hinauf gingen? Ihm ist klar, dass der Konflikt mit seinen Gegnern auf eine Entscheidung zutreibt. Zu oft schon haben sie versucht, ihm eine Falle zu stellen, ihn  zu packen. Sie haben ihm nie verziehen, dass er in allem, was er gepredigt und getan hat, das Recht Gottes in dieser Welt und seine bedingungslose Liebe zu den Menschen geltend gemacht hat. Damit hatte er ihre eigenen Ambitionen  nach Ansehen und Macht durchkreuzt.

Soll er trotzdem gehen? Hinauf nach Jerusalem? Es würde böse enden für ihn. Oder soll er sich verstecken, auf günstigere Zeiten warten? Aber was wäre seine Sendung dann noch wert? Jesus ist hin und her gerissen. Er sieht sich selbst als Menschen-sohn, eine Bezeichnung, die zu jener apokalyptisch aufgeladenen Zeit vor allem als himmlischer Weltenrichter verstanden wurde, wie der Prophet Daniel ihn beschreibt. Jesus versteht sich eher als Menschenkind, dem nichts Menschliches fremd ist. Und so ergänzt er das Bild: „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden und getötet werden…“ Hoheit und Niedrigkeit verbinden sich in ihm auf einzigartige Weise.

Petrus, der Sprecher der Jünger, kann das nicht ertragen. Sein Christus darf nicht leiden und sterben. Er darf nicht zu den Verlierern gehören. Dazu hat er, Petrus, nicht Haus und Hof verlassen.  Dazu ist er nicht all die Jahre mit ihm durch Galiläa gezogen. Und so herrscht er Jesus an, als sei der besessen. - Er wird es noch mühsam lernen, dass er „seinen“ Christus erst verlieren muss, damit der „Christus für ihn“, der rettende Christus erhalten bleibt.

„Weg von mir, Satan!“ Für einen Augenblick verliert der Menschensohn die Fassung. Auf die Analogie zur Dämonenaustreibung habe ich schon hingewiesen. Die Vokabel „Satan“, die Markus sonst nur für den Versucher, den Gegenspieler Gottes verwendet, macht überdeutlich: Jesus empfindet den Einspruch des Petrus als dämonische Versuchung, als totale Infragestellung seiner Gottesbeziehung. Ein menschlicher Jesus. Ein wahrer Menschensohn.

Wo stecken wir in dieser Auseinandersetzung? Der Predigtabschnitt ist ein Spiegel der Anfechtungen und Zweifel der ersten Gemeinde. Und darüber hinaus der christlichen Gemeinde aller Zeiten. Petrus, der Sprecher der Jünger, ist zugleich Sprecher der ganzen Christenheit. Muss das sein mit dem Leiden und Sterben des Messias? Was ist denn das für ein Gott, der seinen Gesandten so hängen lässt! Fragen und Einwände, die uns nicht fremd sind. Oder haben Sie schon einmal einem muslimischen Nachbarn oder Arbeitskollegen erklärt, was der Jesus am Kreuz für uns bedeutet? Da kommt man schnell ins Stottern. Paulus hatte Recht: das Wort vom Kreuz ist eine Torheit. Bis heute.

Ich schaue in den Spiegel, den Markus uns vorhält, und entdecke viele Fragen, die uns heute umtreiben. Dabei lasse ich mich von der Geografie anregen. Markus verortet die kleine Szene „auf dem Wege“, in der Gegend von Caesarea Philippi. Hier beginnt er also, der Weg „hinauf nach Jerusalem“, der Weg ans Kreuz. Caesarea Philippi gehört zu Galiläa, der nördlichsten Provinz Israels. Jerusalem ist weg weit. In Galiläa sind die Jünger zu Hause. Hier ist ihre Heimat. Hier kennen sie sich aus. Hier hat Jesus sie in seine Nachfolge gerufen. In Galiläa schlägt gewissermaßen das Herz der Jesusbewegung. Kein Wunder, dass den Jüngern der Hinweis Jesu, er müsse unter den Jerusalemer Autoritäten leiden, quer im Hals stecken bleibt. Wer lässt sich schon gern von „denen da oben“ fremdbestimmen?

Ich denke an die Zehntausende von Menschen, die seit Monaten auf die Straße gehen und hinter PEGIDA-, LEGIDA- oder HAGIDA-Plakaten herlaufen. Sicher, es sind viele darunter, die ihr nationalistisches Süppchen auf diesem Feuer kochen. Aber viele sind auch – berechtigt oder unberechtigt - getrieben von der Angst, fremdbestimmt zu werden; von der Angst, die sicher geglaubte Heimat, den vertrauten Orientierungsrahmen zu verlieren.

Galiläa, das ist zugleich Grenzland. Hier mischen sich Juden und Heiden, Einheimische und Fremde. Während die Landbevölkerung überwiegend jüdisch ist, sind die Städte längst multireligiös. Tiberias, Sephoris: Multi-Kulti-Metropolen, die ins Umland ausstrahlen und die jüdische Identität in Frage stellen. Und wieder sehe ich die ängstlichen Gesichter der Menschen von heute im Spiegel, die nicht mehr genau wissen, wer sie eigentlich sind; die sich ihrer Identität nicht mehr sicher sind.

Schließlich: Caesarea Philippi hat es zu trauriger politischer Berühmtheit gebracht.  Hier hatte der römische Kaiser Vespasian in den Jahren 66-69 n.Chr. sein Winterquartier. Von hier aus startete der Rachefeldzug der Römer gegen Jerusalem, wo Vespasian und sein Sohn Titus im Jahre 70 den jüdischen Aufstand mit äußerster Brutalität niederschlugen. Titus erwählte Caesarea Philippi zum Ort seiner Triumphfeiern. Das alles hat Markus vor Augen, als er in eben diesen Jahren sein Evangelium verfasst. Und genau da, wo der gewaltsame Macht-Weg zweier Gott-Kaiser begann, lässt er den Gegen-Weg eines Gegen-Königs beginnen, den Weg des leidenden Menschensohns, der auf die Liebe statt auf Gewalt setzt.

Ist es vermessen, eine Parallele zu den selbst ernannten Gotteskriegern unserer Zeit zu ziehen, zum sogenannten Islamischen Staat? Wir leiden alle am Triumph der Täter, an der Macht der Unmenschen, und verzweifeln an der Ohnmacht der Liebe und der Menschlichkeit. Kann denn keiner dem Irrsinn Einhalt gebieten? - Ich verstehe den Petrus, wenn er seinen Christus anfährt; wenn er sich seine Hoffnungen und Träume nicht einfach so zerschlagen lassen will.

Liebe Gemeinde, bislang habe ich mich nur mit den ersten drei Versen unseres Predigtabschnitts befasst. Und Sie mögen sich fragen: gibt es denn nur Fragen, Zweifel und Verunsicherung? Oder steckt nicht doch auch Evangelium darin? Bietet der Text nicht auch Antworten, Orientierung? Ja, Gott sei Dank, das tut er, und ich finde sie in der zweiten Hälfte. Ich weiß nicht, ob es Ihnen vorhin beim Vorlesen aufgefallen ist: der Predigttext besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wendet sich Jesus an die Jünger. In der zweiten Hälfte weitet sich plötzlich der Horizont. Jesus spricht das Volk an. „Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach…“ Und dann folgt eine Kurzfassung christlicher Glaubens- und Lebensweisheiten. „Wer mir nachfolgen will, der … nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen …, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?“

Dreierlei fällt mir auf:

1. Der menschliche Widerspruch führt nicht zum Bruch mit Jesus, sondern in eine tiefere Gemeinschaft. Jesus jagt den Petrus nicht zum Teufel, sondern ruft ihn erneut in seine Nachfolge. „Hinter mich, mir nach!“ Im Griechischen ist das dieselbe Vokabel wie bei der ersten Berufung. Jesus will den Menschen, der an ihm zweifelt, ganz nah bei sich behalten. Ich finde das unglaublich tröstlich. Ich brauche mich nicht zu schämen, wenn ich mit dem Kreuzesweg Jesu nicht klar komme. Wenn ich an seinem Leiden und dem Leiden der Welt verzweifle und dagegen aufbegehre. Ich brauche keine Angst zu haben, ausgeschlossen, rausgeschmissen zu werden. Ich darf weiter mit Jesus gehen. Ich darf in Gottes Nähe bleiben.

2. „Wer mir nachfolgen will…“ Oder: Mir nach! Der christliche Glaube ist nichts für Zuschauer. Man muss sich schon mit Jesus auf den Weg machen. Und das kann auch Mit-leiden bedeuten. Niemand von uns wird das Leiden bewusst suchen. Das wäre ein grobes Missverständnis. Jesus ist kein Sadist. Aber wenn uns unser Glaubensweg ins Leiden führt – was ja für viele Christen in anderen Ländern bittere Realität ist -, dann dürfen wir uns der Nähe Gottes gewiss sein. Der leidende Menschensohn ist ganz an unserer Seite. Und seine Nachfolge führt uns an die Seite der leidenden, verzweifelten Menschen. Ich kann nur hoffen und bitten, dass ich, wenn es darauf ankommt,  den nötigen Mut und die Kraft dazu habe und meinen Glauben nicht verleugne.

3. „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne…“  Ein großartiger Satz. Und was für eine kraftvolle Sprache! Ich werde auf meinem Glaubensweg unmissverständlich darauf gestoßen, was wirklich zählt im Leben. Alle Jagd nach Reichtum, alles Streben nach Macht und Glanz ist nichts, wenn die Seele Schaden nimmt. Wenn meine Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen gestört ist. Wenn ich in meinem Innersten nicht eins bin mit mir selber.

„Was hülfe es dem Menschen…“ Ein Satz, der befreit. Und der entschleunigt. Ich muss nicht überall der Erste sein. Ich muss nicht überall mithalten wollen. Ich kann auch mal innehalten. Ich kann etwas für meine Seele, für mein inneres Gleichgewicht tun. Ich kann abgeben – und dabei reicher werden. Ich kann für andere da sein – und Freude gewinnen für mein Leben.

Der Glaubensweg der Nachfolge Jesu: er mutet uns viel zu, aber er schenkt auch viel. Leben, das seinen Namen verdient.

Amen.

Perikope
15.02.2015
8,31-38