Predigt zu Markus 9, 14-19 von Winfried Klotz
9,14
Jesus heilt ein besessenes Kind und mahnt Vertrauen an
14 Als sie zu den anderen Jüngern zurückkamen, fanden sie diese im Streit mit einigen Gesetzeslehrern und umringt von einer großen Menschenmenge.
  15 Sobald die Menschen Jesus sahen, gerieten sie in Aufregung; sie liefen zu ihm hin und begrüßten ihn.
  16 Jesus fragte sie: »Was streitet ihr mit meinen Jüngern?«
  17 Ein Mann aus der Menge gab ihm zur Antwort: »Lehrer, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht; er ist von einem bösen Geist besessen, darum kann er nicht sprechen.
  18 Immer wenn dieser Geist ihn packt, wirft er ihn zu Boden. Schaum steht dann vor seinem Mund, er knirscht mit den Zähnen und sein ganzer Körper wird steif. Ich habe deine Jünger gebeten, den bösen Geist auszutreiben, aber sie konnten es nicht.«
  19 Da sagte Jesus zu allen, wie sie dastanden: »Was ist das für eine Generation, die Gott nichts zutraut! Wie lang soll ich noch bei euch aushalten und euch ertragen? Bringt den Jungen her!«
  Num 14,27; Dtn 32,5.20; Jes 65,2
  20 Sie brachten ihn zu Jesus. Sobald der böse Geist Jesus erblickte, zerrte er das Kind hin und her; es fiel hin und wälzte sich mit Schaum vor dem Mund auf der Erde.
  21 »Wie lange hat er das schon?«, fragte Jesus.
  »Von klein auf«, sagte der Vater,
  22 »und oft hat der böse Geist ihn auch schon ins Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Erbarmen mit uns und hilf uns, wenn du kannst!«
  23 »Was heißt hier: 'Wenn du kannst'?«, sagte Jesus. »Wer Gott vertraut, dem ist alles möglich.« Ijob 42,2S
  24 Da rief der Vater: »Ich vertraue ihm ja – und kann es doch nicht! Hilf mir vertrauen!«
  25 Jesus sah, dass immer mehr Leute zusammenliefen; da sagte er drohend zu dem bösen Geist: »Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Fahr aus aus diesem Kind und komm nie wieder zurück!«
  26 Der Geist schrie anhaltend und zerrte den Jungen wie wild hin und her, dann fuhr er aus ihm aus. Der Junge lag wie leblos am Boden, sodass die Leute schon sagten: »Er ist tot.«
  27 Aber Jesus nahm ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf. 5,41S
  28 Als Jesus später im Haus war, fragten ihn seine Jünger: »Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben?«
  29 Er gab ihnen zur Antwort: »Nur durch Gebet können solche Geister ausgetrieben werden.« A) Viele Handschriften fügen ein: und Fasten.
Liebe Gemeinde!
Jesus kommt vom Berg der Verklärung, Jesus und seine Jünger kommen aus der Erfahrung des Himmels, aus einer Wirklichkeit, die man kaum erzählen kann, weil sie unwirklich erscheint; sie steigen aus göttlicher Höhe hinab in die irdische Tiefe; diese Tiefe aber hat wenig mit dem sogenannten prallen Leben zu tun, aber viel mit Streit, Not und Verzweiflung. Nein, nicht der Alltag holt sie ein, sondern die Dunkelheit ungelöster Fragen. Jesus Jünger konnten in seiner Abwesenheit nicht helfen, sie haben versagt gegenüber großer menschlicher Not, wo doch Jesus sie beauftragt und ausgerüstet hatte. Und nun müssen sie sich rechtfertigen, das Versagen der Jünger fällt auf ihren Lehrer zurück. Jesus, was hast DU für unfähige Leute!
Jesus kommt vom Berg der Verklärung, auf ihm liegt ein Glanz Gottes wie damals bei Mose, die Menschen erschrecken vor ihm, sie staunen ihn an. Aber es bleibt ihm keine Zeit, um über die Größe der Erfahrung Gottes zu meditieren, es bleibt kein Freiraum, um sich langsam an die irdische Tiefe zu gewöhnen. Jesus muss sich dem Streit stellen.
„Was streitet ihr mit meinen Jüngern?“
Ein Mann gibt Antwort, er ist wohl nicht der Streitende gewesen, aber um ihn oder genauer um seinen Sohn ging es bei der Auseinandersetzung. Der Sohn ist krank, wird von einer unsichtbaren Macht gequält, ist oft schon nahe am Tod gewesen. Nach heutiger Erkenntnis sagen wir: dieses Kind ist anfallskrank, hat Epilepsie. Ob noch etwas anderes dahintersteckt- ich weiß es nicht. Zu Jesus hat der Mann seinen Sohn gebracht, so sagt er, die Jünger standen für den abwesenden Jesus. „Ich habe deine Jünger gebeten, den bösen Geist auszutreiben, aber sie konnten es nicht.“
Im Zivildienst habe ich in Bethel in einem Haus für anfallskranke Männer gearbeitet und epileptische Anfälle miterlebt. Auch wenn wir heute wissen, was bei einem epileptischen Anfall im Gehirn abläuft, auch wenn heute die meisten Anfälle durch Medikamente unterdrückt werden können, so ist es doch äußerst erschreckend, wenn ein Mensch von einem großen Anfall zu Boden geworfen wird. Wir können verstehen, dass man zur Zeit Jesu von einem bösen Geist gesprochen hat, der den Kranken beherrscht.
Die Not des Kranken ist groß und die Jünger können nicht helfen. Jesus aber reagiert nicht einfühlsam, sondern herb, kritisch, ja es wirkt fast überheblich.
„Was ist das für eine Generation, die Gott nichts zutraut! Wie lang soll ich noch bei euch aushalten und euch ertragen? Bringt den Jungen her!“
Das ist nicht nur Klage über mangelnden Glauben, das ist auch Anklage. Solange bin ich bei euch, soviel habt ihr von Gottes Macht gesehen, aber ihr habt immer noch kein echtes Vertrauen zu Gott. Eure Beziehung ist immer noch schwach und brüchig. Ihr versteht immer noch nichts von Gottes rettendem Handeln. In Markus. 6, 52 heißt es von den Jüngern Jesu: „Denn sie waren durch das Wunder mit den Broten nicht zur Einsicht gekommen; sie waren im Innersten verstockt.“
Verstockt, das ist ein hartes Wort! Sind die Jünger und Jüngerinnen von Jesus nicht seine treuen Gefolgsleute? Kann er sich nicht auf sie verlassen? Sendet er sie nicht aus, um zu predigen und die bösen Geister auszutreiben? Und das alles ist nichts? Jesus hält es nicht mehr bei ihnen aus! Er nennt sie glaubenslos, verstockt, ohne Einsicht!
Was Jesus zu den Jüngern und weiteren Anhängern sagt, gilt genauso, ja noch mehr uns heute! Ich jedenfalls stehe da und muss sagen: Ja, Jesus, Du hast recht. Mein Vertrauen zu Gott ist gering, ich verzweifle schnell in meinen Nöten und halte kaum betend durch, was die Nöte anderer betrifft. Ich gebe schnell auf. Jesus, Du hast recht, aber wie soll ich das ändern? Wie wird mein Glaube stark? Gib unser Bibeltext auf diese Frage überhaupt eine Antwort?
Das Kind wird zu Jesus gebracht und erleidet erneut einen Anfall. Von klein auf hat es dieses Leiden. „Hab doch Erbarmen mit uns und hilf uns, wenn du kannst!“ so der Vater.
Wir können den Vater gut verstehen, was hat er nicht alles versucht für seinen Sohn, wie viel Ärzte hat er schon aufgesucht, wie viel Exorzisten haben schon versucht die Macht des Bösen zu brechen, die seinen Sohn beherrscht. Alles ohne Erfolg. Und auch die Schüler dieses Wunderrabbis konnten nicht helfen. „Hab doch Erbarmen mit uns und hilf uns, wenn du kannst!“
Gerechtfertigter Zweifel nach all den schlechten Erfahrungen spricht aus den Worten. Niemand konnte helfen, kann Jesus helfen?
Wo sind wir in dieser Situation? Was sind unsere Erfahrungen mit Krankheit, mit chronischen Nöten, mit unlösbaren Konflikten? Sind wir nicht von Pontius nach Pilatus gelaufen, um Hilfe zu finden, haben wir Gott nicht ernsthaft bestürmt und doch keine Hilfe gefunden?! Müssen wir nicht ganz auf der Seite dieses Vaters stehen und genauso zweifelnd bitten: „Hab doch Erbarmen mit uns und hilf uns, wenn du kannst!“
Um so mehr muss uns Jesu Antwort schockieren:
„Was heißt hier: 'Wenn du kannst'?«, sagte Jesus. 'Wer Gott vertraut, dem ist alles möglich'.“
Jesu Antwort macht uns sprachlos: deine Zweifel sind völlig unangebracht, sagt er, wer Gott vertraut, dem ist alles möglich! Können wir das, so Gott vertrauen, dass auch die chronischen Nöte unseres Lebens überwunden werden. Dass schwierige Prägungen uns nicht mehr zu Fall bringen oder für andere zum Ärgernis machen, dass Süchte uns nicht mehr knechten, ja dass Todkranke durch unsere Fürbitte geheilt werden? Spricht in alledem unsere Erfahrung nicht völlig dagegen!
Wir stehen hier ratlos und vielleicht im Hinblick auf unsere Lebenserfahrungen verzweifelt. Wir sind bis jetzt wohl kaum die, denen durch ihr Vertrauen auf Gott alles möglich gewesen ist. Aber wir sehnen uns danach, mit Jesus in diesem Vertrauen zu handeln, wir sehnen uns nach dem sichtbaren Reich Gottes und wissen dabei, das sichtbare Reich Gottes ist nicht das Schlaraffenland und Jesus ist nicht der große Magier aus Harry Potter. Jesus ist der Knecht Gottes, niedrig und auf dem Weg ins Leiden und Sterben, wie es vor und nach unserem Abschnitt angekündigt wird. Jesus ist der Mensch aus Nazareth und zugleich der ganz andere, der uns fremd bleibende, der zu Gott, dem Vater, und zum Himmel gehört, wie es in seiner Verklärung sichtbar geworden ist. Jesus ist jedenfalls zuerst einmal der Einzige auf den dies zutrifft: „Wer Gott vertraut, dem ist alles möglich.“
Uns geht es wie dem Vater, der aufschreit: „Ich vertraue ihm ja – und kann es doch nicht! Hilf mir vertrauen!“
Dieser Zwiespalt, das ist die Not des Vaters und unsere, diese Brüchischkeit des Vertrauens! Und wir ziehen uns nicht am eigenen Schopf da heraus, es bleibt nur der Schrei: Jesus, hilf mir vertrauen! Es bleibt nur, um es vom Ende der Geschichte her zu sehen, das anhaltende Gebet und, wie spätere Texte ergänzen, das Beten verbunden mit dem Fasten. Die Jünger fragen später, nachdem Jesus das Kind mit einem göttlichen Machtwort geheilt hat: „Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben? Er gab ihnen zur Antwort: »Nur durch Gebet können solche Geister ausgetrieben werden.“
Die Schwierigkeit unseres Glaubens, liebe Gemeinde, ist nicht, dass wir es in dieser Geschichte mit einer fremden Vorstellungswelt zu tun haben, die Schwierigkeit ist nicht der zweitausend jährige Abstand, wir brauchen nicht darüber zu streiten, ob es Besessenheit gibt, es gibt jedenfalls Mächte, die Leben zerstören, die fernhalten vom Frieden, die Menschen gegen Gott binden; die Schwierigkeit unseres Glauben ist, dass wir so oft nicht in der Spur von Jesus laufen und anhaltend beten. Vielleicht gläubig - ungläubig, wie dieser Vater, mit dem Bekenntnis: ich kann nicht glauben, hilf mir doch dazu! Es geht, wie wir an anderer Stelle lesen nicht darum, dass wir einen starken Glauben haben, das machte uns nur überheblich; es geht aber darum, dass unsere Hand wirklich in Gottes Hand gelegt ist, dass Jesus Anfänger und Vollender des Glaubens, Deines Glaubens ist!
Es gibt in Neuen Testament so viele hilfreiche, ermutigende Worte zum Gebet. Gerade das oft in etwas anderer Hinsicht zitierte „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“, ist ja vom Zusammenhang her eine Zusage, dass Gott das Gebet aus der Einheit vor ihm erhört.
Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass in der Christenheit nichts zum Guten bewegt wird ohne Gebet. Alle Werbeaktionen, Leuchturmpapiere, Kirchentage und -nächte sind ohne durchschlagende Kraft, wenn nicht in der Spur von Jesus anhaltend, um das Vertrauen ringend, gebetet wird.
Und noch etwas: Es gibt eine praktikable Anweisung zum Gebet für die Kranken in der Gemeinde, ich meine den Abschnitt aus Jakobus 5. Hören Sie diese Verse zum Schluss:
13 Wer von euch Schweres zu ertragen hat, soll beten. Wer von euch glücklich ist, soll Loblieder singen.
14 Wer von euch krank ist, soll die Ältesten der Gemeinde rufen, damit sie für ihn beten und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben.
15 Ihr vertrauensvolles Gebet wird den Kranken retten. Der Herr wird die betreffende Person wieder aufrichten und wird ihr vergeben, wenn sie Schuld auf sich geladen hat.
Darüber müssen wir reden, - das können wir tun. Aus diesem gemeinsamen Besuchs- und Gebetsdienst könnte eine Hilfe für die Kranken erwachsen - und für unseren schwachen Glauben. Amen. 
Perikope
16.10.2011
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