Liebe Gemeinde,
Weihnachten ist Familienzeit. Die Familie spielt eine große Rolle an Weihnachten – man besucht die Eltern, die Geschwister, Tanten und Onkel – die eigenen Kinder sind da – ob sie nun klein sind oder schon selber erwachsenen. Selbst Menschen, die mit Weihnachten nicht so viel anfangen können, erinnern sich an die gemütliche Stimmung zuhause – als der Tannenbaum geschmückt wurde, überall Kerzen brannten, es einfach festlich war… vielleicht sogar Weihnachtslieder gesungen wurden… die Weihnachtsgeschichte vor gelesen wurde… und – ja, na klar, die Geschenke…
„ Was machst du an Weihnachten?“ „Ich besuche erst die eine Verwandtschaft, dann die andere…“ – so antworten viele.
Es gibt eine große Sehnsucht an Weihnachten, dass Familie gelingt – und da gibt es ja auch wunderschöne Momente. Die Hoffnung, nach den ganzen Anstrengungen der Vorbereitungen miteinander entspannt zu sein, Zeit füreinander zu haben – lecker zu essen – von Lebkuchen bis Klößen mit Rotkraut…und vielleicht mit einer Ente – natürlich aus regionaler Herkunft…
Weihnachten – das Fest der Erwartungen, dass Familie gelingt. Unnd dann machen wir immer wieder Erfahrungen, wie sehr diese Erwartungen enttäuscht werden. Eine junge Frau erzählte mir von ihrem Familienweihnacht. Ihr Vater war Alkoholiker – alkoholkrank – und sehr sentimental. Er liebte Weihnachten – hörte sehr gerne Weihnachtslieder – und wurde dann mit zunehmendem Abend immer gefühlvoller – bis es kippte, und er es selber nicht mehr aushielt und sich manche unerfüllte Sehnsucht wegtrinken musste. Sie sagt, obwohl es jedes Jahr das gleiche war und nicht gut endete gab es jeden Weihnachten neu diese Sehnsucht, dass es gut gehen möge – weil sie den Vater gerne so gefühlvoll erlebte…
Weihnachten ist ein Familienfest – warum eigentlich?
Heute an Heilig Abend hören wir die Geschichte, wie Jesus geboren wurde, einmal aus einer anderen Perspektive, wie wir es gewohnt sind – aus der Perspektive des Evangelisten Matthäus.
„ Die Geburt Jesu Christi geschah also so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist.
Josef aber, ihr Mann war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.
Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: „ Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen. Denn was sie empfangen hat, das ist vom Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, den er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“
Wenn wir in diesem Jahr auch in der Evangelischen Kirche viel über Familie diskutiert haben – wann eine Familie sich Familie nennen darf, welche Kriterien eine geglückte Lebensgemeinschaft mit Kindern erfüllen muss, um sich Familie nennen zu dürfen – dann ist diese biblische Weihnachtsgeschichte eine ganz besondere Familiengeschichte. „ Die heilige Familie“ werden Maria und Josef mit ihrem Kind Jesus genannt. Und in vielen Lieder werden sie auch so besungen…Aber warum heilig? Ganz objektiv betrachtet… also, da gab es doch einige Schwierigkeiten. Diese sehr junge Frau Maria wird schwanger – ein Glück, sie war nicht allein, sondern mit einem Zimmermann namens Josef aus Nazareth „ vertraut“. Das war ein Ausdruck für Verlobung – und war schon ein rechtsverbindliches Eheversprechen. Die eheliche Gemeinschaft wurde aber erst nach der Heimholung der Braut durch den Bräutigam – also nach der Hochzeit – vollzogen. Da war es schon ziemlich anstößig in der damaligen Zeit, dass Maria schwanger wurde vor der Hochzeit. Und Josef wusste, dass er mit ihr noch nicht intim war. Also eine Familiengeschichte, die mit ziemlich vielen Schwierigkeiten beginnt. Auch mit Schmerz und Enttäuschung – auf der Seite von Josef. Wie kann das sein, dass seine von ihm Geliebte , seine ihm „ Vertraute“ von einem andren schwanger war? – Wir könnten uns das noch ganz anders fragen. Warum beginnt die Geburtsgeschichte Jesu mit so vielen Problemen? Warum wird sie uns so erzählt? Wäre es nicht auch ein schöner Beginn gewesen, wenn Maria und Josef als vertrautes Paar gemeinsam schwanger geworden wäre, in aller Harmonie – und Jesus dann wirklich in einer „ heilen heiligen Familie“ zur Welt gekommen wäre?
So ist das Leben nicht – und Gott ist mitten in unserem Leben Mensch geworden – in all dem, was unser Leben auch kompliziert macht.
Ich denke, dass wir durch diese komplizierte Familiengeschichte wieder lernen, was es eigentlich bedeutet, heilig genannt zu werden – biblisch gesehen. Nicht, was wir so definieren an „ problemlos, alles in Ordnung, keine Konflikte....“ , sondern die Familiengeschichte Jesu beginnt mit dem Besuch des Engel Gottes bei Maria. Das erzählt uns die Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium. Von Gott berührt – von Gott bewegt… können Dinge geschehen, die wir für unmöglich halten. Bei Gott aber ist kein Ding unmöglich. „ Du sollst schwanger werden…“ verkündet ihr der Enge. „ Aber ich weiß von keinem Manne“, wehrt Maria ab. „ Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.“
Nur als Nebenbemerkung: der Heilige Geist… der Lebensatem Gottes – die Lebenskraft Gottes … im hebräischen heißt das „ ruach“ und ist weiblich… Das finde ich wichtig, damit dieses schiefe Bild nicht entsteht von dem männlichen heiligen Geist…
In der Familiengeschichte von Jesus geht es von Anfang an anders zu. Keine „ heile Familie“. Gottes Eingreifen verwirrt erst sehr – und fordert sehr viel von Maria und Josef: sich von all ihren Erwartungen an das „ Normale“ in einer Familie zu verabschieden – sich mehr auf Gott zu verlassen als auf die Erwartungen von außen.
Aber noch war Josef nicht soweit. Er liebte Maria, aber er war auch tief enttäuscht – und konnte ihre Geschichte mit dem Heiligen Geist erst nicht glauben – verständlicherweise. Er hat sich – wie viele junge Männer in einer solchen Situation mit ungeklärter Schwangerschaft der Freundin – sehr viele Gedanken gemacht, was er jetzt tun soll – und kam dann zu dem Entschluss, Maria zu verlassen – heimlich. Das heißt, er hat überlegt, Nazareth zu verlassen. In schwierigen Lebenssituationen, in denen wir keine richtige Lösung finden, kann es sein, dass wir nachts zu einer Lösung kommen, die uns tags nicht vorstellbar war. Im Traum, so erzählt es Matthäus, im Traum erschien dem Josef der Engel des Herrn. Gott berührt und bewegt nicht nur Maria, sondern auch Josef mit seinem heiligen Geist – mit seiner Lebenskraft. “ Fürchte dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen. Denn was sie empfangen hat ist vom Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären. Und du (!) sollst ihm den Namen Jesus geben – denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ Und dann erzählt er noch, dass in Jesus die Verheißungen aus dem Propheten Jesaja erfüllt werden…“ Eine junge Frau wird ein Kind gebären und sie werden ihm den Namen Immanuel geben – das heißt: Gott mit uns.“
So klar nimmt er die Gegenwart Gottes wahr – so deutlich ist der Auftrag an ihn. Das wirkt stärker als das Misstrauen, das ihn gegenüber Maria beschlichen hatte. „ Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Darf, kann, muss ich das glauben?
Josef jedenfalls war durch diesen Traum, durch die Berührung Gottes gestärkt – er wusste wieder klarer, was jetzt seine Rolle, seine Aufgabe ist. Und ihm wurde auch klar, dass Gott ihn an seine Verantwortung erinnert hat. Das Kind braucht den Vater wie die Mutter – er, Josef, soll dem Kind den Namen geben – Jesus – Gott mit uns… - und so ist es auch sein Kind.
„ Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.“
So wirkt Gott in manche Familiengeschichten hinein, die am Anfang so ganz „ unheilig“, „ unheil“ wirken… Schon dieser Teil der Geburtsgeschichte zeigt uns, wo Gott zu finden ist : dort wo sich Menschen auf Gottes Gegenwart, auf seine Berührungen, auf seinen Engel, auf seine Lebenskraft des Heiligen Geistes einlassen können – und sich so Vertrauen entwickeln kann – mögen die Verhältnisse von außen betrachtet noch so anstößig sein. Ich finde, das kann Mut machen, sich an Weihnachten auf so manche „ unheilige“ schwierige Familiensituationen ein zu lassen, weil es entlastet – es entlastet davon, die eignen Erwartungen an das „ Fest der Familie“ höher zu stellen als das Wirken Gottes in unseren Beziehungen. Und Gottes Wirken enttäuscht immer wieder unsere Erwartungen – aber befreit uns zu andren und neuen Perspektiven, in denen wir lernen, was das Leben von Gott her so reich und so befreit macht.
Wenn wir jetzt Zeit hätten und nicht zu unsrer Familie nach Hause eilen wollen, dann könnten wir uns den allerersten Anfang der Geburtsgeschichte Jesu anschauen in den ersten Versen des Matthäusevangeliums – also ganz am Anfang – denn die beginnt mit einer langen Aufzählung der verschiedenen Generationen, aus denen Jesus hervor geht – 3 mal 14 Namen werden genannt – ein sehr beeindruckender Stammbaum – aus der Familie des Josef. Denn er stammt ursprünglich aus dem Hause Davids ab… Deswegen wird Jesus ja auch später „ Sohn Davids“ genannt werden… Also – noch bevor wir uns auf die Geschichte mit Maria und dem Engel, der ungeplanten Schwangerschaft und diesen schwierige Konflikt für Josef einlassen, wird uns schon mal der Stammbaum von Josef erzählt… so, als wäre schon ganz klar – es wird schwierig werden, aber für eine Lösung ist gesorgt –die Wurzeln sind geklärt. Jesus wird auch das Kind von Josef werden. Mit diesem Stammbaum des Josef ist der gute Ausgang der Geschichte schon vorweg genommen. Oder anders: das mit dem Heiligen Geist ist für uns, für die Menschen damals und heute oft so unkonkret – und doch so stark zu spüren – aber es braucht auch eine ganz konkrete alltägliche Verwurzelung – in der eigenen Familiengeschichte. Und für Jesus in der biblischen Familiengeschichte. Wurzeln, die bis Abraham und Sara reichen, diese Segensgeschichte – Jakob und seine 12 Söhne – also auch die Josefsgeschichte, in der deutlich wurde: die Menschen haben es böse gemeint, Gott aber hat es gut gemacht…. – über die Wurzel starker Frauen, die ihren eigenen Weg gegangen sind – wie Tamar, Rahab, Rut, der Gromutter Davids, Batscheba, der Frau Davids… Alle hatten auf ihre Weise schwierige Wege, schwere Lebensaufgaben zu bewältigen – da gab es keine einfachen unkomplizierten Lebensentwürfe – aber es sind alles Biografien von Menschen, die sich in bestimmten unklaren Lebenssituationen geöffnet haben für das Wirken Gottes in ihrem Leben.
Und darin entdecke ich in der Weihnachtsgeschichte aus dem Matthäusevangelium die Weihnachtsfreude. Mögen unsere Lebenswege und unsere Familienbeziehungen noch so unklar sein – Gott ist in Jesus in unsere Welt, in unseren Alltag hinein geboren. Wir sind in Gottes Familiengeschichte durch Jesus mit hineingenommen. Gott sei Dank hat Gott diese Geschichte bewirkt durch seinen Heiligen Geist – so gehören wir auch zur „ Heiligen Familie“ dazu und können deshalb viel entspannter mit so manchen „ Familienerwartungen“ umgehen. Wir sind es nicht, die heilig sein müssen. Gott sei Dank!
Amen
Lied: EG 12 Gott sei Dank durch alle Welt