Predigt zu Matthäus 13, 44-46 von Maximilian Heßlein
13,44
44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker. 45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
46 und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Liebe Gemeinde,
das Himmelreich ist mitten unter Euch. Hier und jetzt ist es da. Ihr müsst es nur suchen, ergreifen, packen, annehmen und festhalten. Es ist Gottes Reich, der Ort, an dem wir seine Nähe spüren, an dem wir uns in ihm sicher und geborgen wissen. Es ist mitten unter euch! Jetzt werden Sie mich vielleicht fragen: Ja, mein Lieber, wo ist es denn? Wovon sprichst du denn, wenn du sagst: Das Reich Gottes ist mitten unter Euch. Woher willst du denn das wissen?
Und da muss ich Ihnen sagen, liebe Gemeinde, und ich gebe zu, das ist in dieser Welt eine schwierige Antwort: Das Reich Gottes kann ich häufig nicht sehen und das Reich Gottes können Sie häufig nicht sehen. Ich glaube auch: Ich merke es oft gar nicht so genau, wenn ich in der Nähe dieses Himmelreiches bin. Oder ich mache es mir einfach nicht klar. Aber, und das lese ich aus diesen kurzen drei Versen im Matthäusevangelium heraus: Dieses Reich der Himmel, dieses himmlische Reich Gottes, ist in unserer Welt präsent.
Es ist nichts, worauf ich vertröstet werde: „Ja, ja irgendwann wird Gott Euch erlösen aus diesem Jammertal und Euch in sein Reich führen. Solange aber müsst ihr Leid und Geschrei noch aushalten, solange seid eben geduldig. Aber wenn der Tod euch geholt, dann, ja dann wird alles gut.“
Keine befriedigende Antwort wäre das. Da die Bibel nach befriedigenden Antworten sucht, heißt die Botschaft: „Das Reich Gottes ist auch in dieser Welt. Die Erlösung, die Gott seinen Menschen schafft, könnt Ihr schon hier spüren.
Dem aber stehen doch so manche Erfahrungen des Lebens entgegen. Da ist nichts von Himmelreich und Erlösung in dieser Welt. Da ist nichts von Friede und Freundschaft. Da ist auch keine Liebe. Da sind vollkommen verfahrene Situationen und Ereignisse. Es reicht ja oftmals ein Blick in die Zeitung.
Da stehe ich dann davor, weiß nicht aus und nicht ein. Ich sehe kein Reich Gottes, nicht seine Nähe und auch nicht seine Geborgenheit. Wie sehr also bin ich bereit, wirklich danach zu suchen und mich nicht schrecken oder vertrösten zu lassen?
Ich erzähle Ihnen eine kurze Geschichte dazu. Neulich rief mich um die Mittagszeit an einem Freitag ein Mann an. Seine Stimme klang dunkel und gesetzt. Sie klang lebenserfahren und sehr nachdenklich. In seinen Worten schwang eine eigenartige und sehr gefüllte Stimmung mit. Er stellte sich mir mit Namen vor. Der Klang seiner Worte war mir eine Wohltat in den Ohren.
Die Geschichte aber, mit der er nun bei mir anrief, veränderte diese Stimmlage. Er hatte offensichtlich einen großen Druck, sein Anliegen loszuwerden. Zugleich weckte er dadurch in mir eine gehörige Portion Misstrauen mit dieser Geschichte. Da macht man in diesem Beruf, da macht man im Pfarramt so seine Erfahrungen mit abenteuerlichen Geschichten von Menschen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Meistens geht es dabei um Geld. Manchmal sind die Gaunereien auch größer. Da ist das Abwägen und Entscheiden zuweilen sehr schwierig.
Was mein Gesprächspartner mir aber erzählte, handelte nicht vom Geld. Vielmehr hat es mich fasziniert und bewegt über alles Misstrauen hinweg.So erzählte er: Eine dichte Verwandte von ihm sei schwer erkrankt  auf den Tod und liege in einem Heidelberger Krankenhaus. Nun suche er für seine Sippe eine Unterkunft in der Nähe Heidelbergs oder in Heidelberg selbst, um in den letzten Tagen und Stunden dieser Frau bei ihr zu sein. Die Frau sollte mit 47 Jahren zum Sterben nach Hause geschickt werden. Vier Kinder würde sie hinterlassen. Zuhause aber hieß für sie eine Sippschaft, untergebracht in 16 großen Wohnwagen.
Sie merken es, liebe Gemeinde, vielleicht haben Sie es auch schon geahnt: Der Mann war ein Sinto, früher abschätzig ein Zigeuner genannt. Die Wagen standen weit entfernt und das Risiko, die Schwerkranke mit auf den bestehenden Platz zu nehmen, war einfach zu groß. Die Entfernung zur nächsten Fachklinik war viel zu weit.
So war er auf der Suche nach einem Platz, der bereit wäre 16 Wagen und vor allem die Menschen, die in diesen Wagen lebten, aufzunehmen, damit die Familie in ihrer Gänze bei der Frau bleiben konnte, um mit ihr die letzte Zeit, die letzte kostbare Zeit ihres Lebens zu begehen.
Es war ihm wichtig und über alle Maßen entscheidend, dass die gesamte Familie und Gemeinschaft dabei zu haben. „Wissen Sie, Herr Pastor, bei uns ist das so, dass alle dabei sein sollen.“
Schon mit dieser kleinen Nebenbemerkung machte er dabei übrigens, und ich glaube ohne Absicht, deutlich, wo in unserer heutigen, aufgeklärten Gesellschaft ein großer Mangel beim Umgang mit dem Sterben liegt. Dass er mir das nämlich meinte erklären zu müssen, zeigte mir an, dass er wusste: Bei uns heute ist der Tod häufig und gerne versteckt in Krankenhäusern, hinter verschlossenen Türen und vor allem in meinem verschlossenen Gemüt und in der hintersten Kammer meiner Seele. Ich schiebe ihn gerne weg aus meinem Leben. Kennen Sie das? Ich vermute es zumindest.
Dass das auch anders geht und dass das zu einem anderen Leben wie selbstverständlich dazu gehört, habe ich durch meinen Gesprächspartner noch einmal neu gelernt. Die Hospizbewegung trägt übrigens viel dazu bei, diese Dinge in unserer Gesellschaft anders zu ordnen. Da ist jede Unterstützung wertvoll.
Zurück aber zu dem Mann und seinem Anliegen. Bei den möglichen Campingplätzen der Umgebung hatte er keinen Erfolg gehabt. Die Wagen waren zu groß und zuviel. Vielleicht schwang auch das gegenseitige Misstrauen mit, das nach der zum Teil immer noch schwierigen und sehr leidvollen Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland das Zusammenleben immer noch prägt und das sich ja auch in meiner inneren Reaktion ausdrückte. Gemeinschaft mit diesen Menschen ist in allen Ecken unseres Landes nur schwer herzustellen. Die Vorurteile sind und bleiben stark. Überprüfen Sie das doch einmal bei sich selbst!
Jedenfalls war das Ergebnis seiner Suche: Die Aufnahme aller 16 Wagen konnten die Plätze hier in der Umgebung nicht leisten. So machte er sich also telefonisch auf die Suche nach weiteren Möglichkeiten. Er landete über die Telefonauskunft beim Pfarrbüro der Christusgemeinde und letztlich also bei mir.
Mit ruhigen, aber eindringlichen Worten erzählte er seine Geschichte, bot an zu zahlen für einen Platz, auch eine hohe Kaution wolle er leisten. Ich aber hatte keinen Platz zu vergeben. Ich wusste auch so schnell keinen Rat und keine Hilfe. So nannte ich hilflos die Campingplätze der Umgebung. Die aber hatten sie alle schon abgeklappert. Wir verabredeten uns zum nochmaligen Telefonat am Nachmittag. Doch auch da das gleiche Ergebnis. Nämlich keines.
Noch einmal schilderte er die Situation, noch einmal legte er viel Wert auf die Gemeinschaft und das Beieinander sein. Eine Lösung mit weniger Wagen einen Platz in der Nähe zu nehmen, war ihm keine. Es sollten und es mussten alle sein. Ohne diese Gemeinschaft war das Leben nicht vollständig und komplett, sondern bedürftig und arm. Bedürftigkeit und Armut hatte die Schwerkranke ja genug. Da brauchte es nicht noch mehr. Der Platz aber blieb zunächst verborgen. Ein verborgener Schatz des Lebens.
Was mich aber an diesem Mann so sehr beeindruckt hat, war die ruhige und zugleich bestimmte Art, mit der er für die Schwerkranke nach diesem letzten Platz der Ruhe, der Gemeinschaft und der Geborgenheit suchte. Er suchte für sie, so ist meine Interpretation auf dem Hintergrund unseres Textes nach einem Himmelreich, nach einem Reich Gottes hier auf dieser Erde. Und er suchte den auch für sich. Es hat mich tief bewegt, ob da nun noch ein Haken an der Geschichte ist oder nicht. Im Zweifelsfall würde die Geschichte dieses Gefühl in mir auslösen.
Wie ich nun aber an das Vorbereiten dieser Predigt ging, da las ich also von einem Kaufmann. Der nämlich ging hin und suchte. Er suchte nach dem, was sein Leben erfüllen und reich machen könnte. Er suchte danach, was ihm das Herz erfreuen und fröhlich machen sollte. Er suchte nach seinem Schatz des Lebens. Dem Kaufmann waren das die Perlen. Gute Perlen, erzählt Jesus. Und wie er nun eben diese eine Perle findet, die all das, was ihm sein Leben ausmacht, verkörpert, wie er diese eine Perle findet, die alles verändert, da verkauft er sein Hab und Gut und geht hin und kauft von diesem Erlös diese eine Perle. Alles andere lässt er hinter sich. Diese eine Perle aber wird zu seinem Lebensinhalt. Es gibt nichts anderes mehr. Sie ist sein Ein und Alles.
Ja klar, können Sie jetzt sagen, wenn er seins gefunden hat, dann er ja sein Herz daran hängen und dann ist alles für ihn gut und geregelt. Aber da muss ich ja erst einmal hinkommen.
Hier nun weise ich gerne auf die für mich entscheidende Wendung dieses Gleichnisses hin: Das Spannende nämlich und das überaus Schöne an dieser Geschichte ist: Diese Perle war schon immer da. Die Freude seines Lebens hatte es schon lange, lange Zeit gegeben, bevor der Kaufmann sie fand. Er musste nur zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Er musste suchen und finden: Das Himmelreich, Ihr Lieben, ist mitten unter euch.
Das ist der Zuspruch dieses Textes. Greift den Herrn bei seinem Wort! Es heißt: Wenn Ihr keinen Ausweg mehr wisst, wenn alles Dunkel zu sein scheint, wenn Ihr lauft ohne auch nur irgendein Ziel zu finden, wenn Ihr fürchtet in den Verstrickungen dieses Lebens, wie immer sie auch heißen mögen, gefangen zu sein, dann macht Euch im Vertrauen auf Gott, der Eure Wege leitet und führt, mutig auf den Weg, diese Erlösung zu finden. Gott wird sie Euch schenken. Er wird das Leben verändern und nichts wird mehr sein, wie es einmal war.
Nach jedem Sterben, Ihr Lieben, folgt ein neues Wiederauferstehen. Das ist im Leben und bei den Toden in diesem Leben so, das ist in aller Ewigkeit verbürgt durch den, der uns dieses Gleichnis erzählt und der für uns die Tür zum Reich Gottes geöffnet hat. Das Leben besiegt den Tod.
Den Kontakt zu meinem Anrufer habe ich übrigens verloren nach dem zweiten Telefonat. Bei mir hat er sich nicht mehr gemeldet. Seine Telefonnummer bekam ich nicht. Ich konnte ihm offensichtlich bei der Suche nach dem Himmelreich auf Erden nicht behilflich sein. Und wissen Sie, woran das lag? – Ich sage es Ihnen: Es fehlte die funktionierende Gemeinschaft. Ausgerechnet da, wo dieser Gemeinschaftsgedanke so hoch gehalten wird, fehlt die Gemeinschaft zwischen meinem Gesprächspartner und mir. Dieses Scheitern gehört zu meinem Leben als Mensch dazu.
Jesu Ruf zur Gemeinschaft aber, den habe ich durch ihn noch einmal neu gelernt und auch seinen Gewinn für unser Leben neu gesehen; denn in der Gemeinschaft der erlösten Kinder Gottes, lässt sich der Streit für das Leben aufnehmen. Genau das, liebe Gemeinde, ist der größte Schatz des Lebens, dass das Leben bleiben kann, auch wenn es noch so angefochten wird.
Doch dieser Schatz liegt meinen Augen immer wieder verborgen, und ich muss in mancher Dunkelheit nach dem Licht suchen, das an seinem Ende aufscheint. Zusammen geht das viel besser! Dann nämlich stützen wir uns gegenseitig und werden sicher:
In seinem Leiden und Sterben, in seinem heiligen Auferstehen und Himmelfahrt aber bleibt Jesus Christus durch sein Wort unser Herr, Heiland und Erlöser. Er wird uns in Ewigkeit in den Schoß des Vaters tragen in seinem Reich.
Darauf will ich mit Paul Gerhardt gerne vertrauen und Gott zusingen in meiner Seele, mit meinem Gemüt, hinaussingen dieses Gemeinschaftslied der erlösten Kinder Gottes. Das Himmelreich ist mitten unter Euch. Wir suchen es, wir finden es, wir schließen es in unsere Arme und werden sagen: Ja, Herr, Du hilfst unserer Schwachheit auf, dass wir sicher wandeln und Gnade finden vor deinen Augen. Amen.
Liedvorschläge: EG 370 und EG 497 (Wochenlied)
Perikope
28.07.2013
13,44