Predigt zu Matthäus 13, 44-46 von Thomas Bautz
13,44
Liebe Gemeinde!
Verborgene Schätze sind ein Lieblingsthema orientalischer Folklore.
In zwei jüdischen Geschichten findet ein Armer den Schatz im eigenen Acker. Als Gleichnis gibt es die Geschichte vom Erben, der seinen verwilderten Acker (voller Unkraut) für eine Kleinigkeit verkauft; der Käufer findet dann beim Arbeiten darin einen Schatz.
Auch als schwieriges juristisches Problem ist die Erzählung bekannt: Wem gehört der gefundene Schatz? Bei den Persern lautet die Antwort: dem König. Im römischen Recht ist der „Schatz im Acker“ geradezu ein Modellfall einer Rechtsdiskussion mit dem Ergebnis, dass der Käufer eines Ackers auch den Schatz mit erwirbt, sofern der vorherige Eigentümer nichts davon gewusst hat. Ähnlich ist wohl die jüdische Rechtspraxis gewesen.
Der Gleichniserzähler Jesus von Nazareth ist aber mit seinem Doppelgleichnis (Schatz im Acker und Kostbare Perle) nicht an Rechtsfragen interessiert. Die beiden Gleichnisse sind sich sehr ähnlich, haben aber auch unterschiedliche Merkmale.
„Das Königreich der Himmel gleicht einem im Acker verborgenen Schatz, der, von einem Menschen gefunden, (sogleich wieder) verborgen wird, und vor lauter Freude geht er hin, verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker.“
Der glückliche Finder wird nicht näher beschrieben. Manche Ausleger nahmen an, es handle sich um einen (armen) Tagelöhner. Dem widerspricht aber, dass ein nahezu Mittelloser wohl kaum so viel Besitz hat, dass er vom Erlös des Verkaufs seiner Habe einen Acker würde erwerben können. Vermutlich wurde „der Tagelöhner“ einer Erzählung des römischen Dichters Horaz entnommen:
„O daß ein Topf voll Geldes sich mir darböte, wie jenem, der mit gefundenem Schatz, einst Lohnarbeiter, denselben Acker nunmehr sich gekauft und gepflügt hat, reich durch den Schutzgott Herkules“.
Einem Lohnarbeiter kann man es schon eher zutrauen, dass er all sein Gespartes (o.ä.) einsetzt, um den Acker mit dem gefundenen Schatz zu kaufen, einem Tagelöhner eher nicht. Der Kommentator von Horaz bemerkt, diese Geschichte sei eine bekannte „fabula“ und lenkt das Augenmerk des Lesers darauf, „daß der Glückliche trotz seines Reichtums den Acker brav weiter gepflügt und bearbeitet habe.“
Jesu Gleichnis hingegen erwähnt nicht, was der neue Eigentümer mit dem Acker anstellt. Auch wird nicht erzählt, was aus dem Schatz geworden ist; bleibt er verborgen, oder was geschieht mit ihm?
Der Hauptakzent liegt wohl bei der Freude dieses Menschen, der unverhofft einen Schatz findet, offenbar auf einem fremden Acker, den er (als Lohnarbeiter) zu pflügen und zu bearbeiten hatte.
Seine Freude ist überwältigend, erfasst sein Innerstes. Alles erblasst vor dem Glanz des Gefundenen. Kein Preis erscheint zu hoch. Wie selbstverständlich gibt er sein Hab und Gut dran und erwirbt mit dem Erlös jenen Acker, damit auch der Schatz sein Eigentum wird.
So verhält es sich mit dem „Königreich der Himmel“, mit dem „Reich Gottes“. Die frohe Botschaft (das Evangelium) von ihrem Anbruch schenkt Riesenfreude. Menschen werden dadurch bewegt, ihr ganzes Leben darauf auszurichten, dass sich „Gottes“ Herrschaft und Gerechtigkeit durchsetzt. Eine solche Freude motiviert zu einer leidenschaftlichen Hingabe.
Das Gleichnis „von der kostbaren Perle“ setzt allemal voraus, dass sich der Großkaufmann, Exporteur und Importeur von Perlen, bei seiner routinemäßigen Suche nach wertvollen Perlen über den Fund dieser einzigartig kostbaren Perle ebenso schrankenlos freut wie der Mensch, der den Schatz im Acker gefunden hat. Doch ebenso wenig wie im Falle des verborgenen Schatzes erfahren wir, was aus der kostbaren Perle geworden ist.
Perlen wurden meist aus Indien importiert und kamen seit der Zeit Alexanders des Großen in Mode; sie galten als Inbegriff des Kostbaren. In religiöser Sprache des Judentums konnte die „Perle“ als Bild für etwas schlechthin Kostbares gebraucht, z.B. für die Tora, für Israel, sogar für einen treffenden Gedanken oder auch als Ausdruck reicher Belohnung „Gottes“ für die „Frommen“.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Rabbi Jesus beide Gleichnisse nicht erzählt, um die frohe Botschaft vom Anbruch des „Reiches Gottes“ mit der radikalen ethischen Forderung des „Besitzverzichts“ zu verbinden, wobei dabei einige Unterscheidungen notwendig wären. Vor allem der rechtliche Unterschied zwischen Eigentum und Besitz; beim Ruf in die Nachfolge Jesu spielt von Fall zu Fall das Eine wie das Andere eine Rolle.
Einerseits müssen wir davon ausgehen, dass Jesus von Nazareth die Kluft zwischen Arm und Reich und die darin bestehende soziale Ungerechtigkeit unmissverständlich angeprangert hat; diese eindeutige Haltung zugunsten der Armen begegnet vor allem im Lukasevangelium.
Andererseits kann der Nazarener auch ganz gezielt einzelne Personen ansprechen oder auf sie reagieren und sie radikal vor Alternativen stellen, wenn es um seine Nachfolge geht. Bekannt ist die Begegnung mit einem reichen jungen und obendrein sehr frommen Mann, der nach eigener Aussage alle Gebote gehalten habe. Und es heißt (Mk 10,21):
Jesus blickte ihn an, gewann ihn lieb und sagte zu ihm: „Eins fehlt dir noch: gehe hin, verkaufe alles, was du besitzt, und gib (den Erlös) den Armen: so wirst du einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ Er aber wurde über dieses Wort unmutig und ging betrübt weg; denn er besaß ein großes Vermögen.
Später hat die von Franziskus von Assisi ausgehende Bewegung Differenzierungen vorgenommen, indem sie z.B. mit der mittelalterlichen Kirche über das Armutsproblem auch politisch stritten. In unserer Zeit hat der Philosoph und Schriftsteller Umberto Eco genau dieses Problem in seinem ersten Roman „Der Name der Rose“, als eines der Erzählfäden thematisiert; in einem Dialog zwischen dem Klostervorsteher und William heißt es z.B.:
(Der Abt, R 441) „Unser Problem ist doch nicht, ob die Minoriten (eine Gruppe der Franziskaner) arm oder reich sind, sondern ob unser Herr Jesus arm war …“
(William, R 442f) „… Aber im Grunde geht es gar nicht darum, ob Christus arm war.“ Sondern darum, „ob die Kirche arm sein soll. Und arm sein heißt nicht so sehr keine Paläste besitzen, sondern verzichten, die irdischen Dinge bestimmen zu wollen.“
Es ist daher weniger die Frage, begütert zu sein oder nicht, sondern was wir daraus machen; ob wir z.B. abhängig sind von Besitz und Eigentum; oder ob unser Besitzstand und unsere daraus resultierende gesellschaftliche Position uns so viel Macht einräumt, dass wir ihrer nicht mehr mächtig (!) sind. Und hierbei geht es keineswegs nur um politische Macht.
Wenngleich in einem anderen Zusammenhang, nämlich angesichts des Weltendes, gibt Paulus der Gemeinde zu Korinth folgende Empfehlungen (1 Kor 7,29-32a):
„Das aber sage ich euch, liebe Brüder: Die Frist ist nur noch kurz bemessen; künftig müssen auch die, welche eine Frau haben, sich so verhalten, als hätten sie keine; ebenso die Weinenden, als weinten sie nicht; die Fröhlichen, als wären sie nicht fröhlich; die Kaufenden, als ob sie (das Gekaufte) nicht behielten, und die mit der Welt Verkehrenden, als hätten sie nichts mit ihr zu schaffen; denn die Welt in ihrer jetzigen Gestalt geht dem Untergang entgegen! Da möchte ich nun wünschen, daß ihr frei von Sorgen bliebet.“
Diese Empfehlungen behalten ihre Gültigkeit, zumal die Welt weiterhin „dem Untergang entgegen geht“. Es bleiben also die elementaren Fragen: Wovon bin ich abhängig? Habe ich einen „Schatz im Himmel“? Kann ich mich freuen über eine ganz andere Art zu leben, wie sie Jesu Botschaft vom „Reich der Himmel“ zu vermitteln versucht?
Es hat immer wieder Menschen gegeben, die bei aller zeitbedingten Beschränkung und bei allem Eingeständnis ihrer persönlichen Schwächen an den Anbruch des „Reiches Gottes“ glaubten. Sie sind konkrete Beispiele dafür, dass Jesus keine bloße Utopie verkündete. Der Schweizer religiöse Sozialist Leonhard Ragaz (1868-1945) gehört zu diesen Beispielen.
Er wächst in einer genossenschaftlich geprägten Gemeinde auf; Wälder, Berge, Allmende sind Gemeineigentum und wird gemeinschaftlich genutzt. Die wirtschaftliche Leitidee der Genossenschaft wie das politische Prinzip der Demokratie prägen Ragaz‘ Lebenshaltung und Denken. Außerdem entwickelt er eine leidenschaftliche Liebe zur Natur und setzt sich bereits ökologisch für sie ein. Er studiert Theologie und wird zunächst Pfarrer und widmet sich der Armen- und Sozialarbeit. Er heiratet eine Frau, die der Frauenbewegung und Friedensarbeit wichtige Impulse gibt.
1908/09 wird Ragaz als Professor für Systematische und Praktische Theologie an die Univ. Zürich berufen. 1921 reicht der 52jährige seinen Rücktritt ein, weil er keine Pfarrer mehr für die zu bürgerliche Kirche ausbilden wolle. Er vollzieht diesen Schritt „im Sinne eines Aktes der Nachfolge Christi“. Er wendet sich wieder der Sozial- und Bildungsarbeit zu, allerdings mit wenig Erfolg. Er konzentriert sich auf Friedensarbeit und antimilitaristische Programme.
Es würden uns noch viele solcher Persönlichkeiten einfallen, die bei allen Unterschieden doch jeweils auf ihre Weise für etwas Kostbares gelebt haben. Ich gehe davon aus, das eine, wenn nicht die treibende Kraft ihres Wirkens und Loslassen-Könnens die unbezähmbare Freude an ihrer Entdeckung gewesen ist, und die sie bis zum Lebensende das Ziel im Auge behalten ließ.
Möge uns das Wort von der Freude anstecken, und mögen unsere Sorgen es nicht ersticken:
„Wo sodann unter die Dornen gesät worden ist, das bedeutet einen Menschen, der das Wort wohl hört, bei dem aber die weltlichen Sorgen und der Betrug des Reichtums das Wort ersticken, so daß es ohne Frucht bleibt (Mt 13,22).“
Amen.
 
Hilfsmittel:
Ulrich Luz: EKK I/2. Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17) (1990), 348-356.
Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu (7. Aufl. 1965), 197-199.
Hans Weder: Die Gleichnisse Jesu als Metaphern (1978), 138-142.
Eckhard Rau: Reden in Vollmacht (1990), 166.
Albert Schweitzer: Was sollen wir tun? (1986): (7) Erste Predigt über den Besitz, 87ff.
TRE 28 (1997): Art. Ragaz, Leonhard (1868-1945), 106-110 (Dittmar Rostig).
Umberto Eco: Der Name der Rose (dtv, 12. Aufl. 1987).
Perikope
28.07.2013
13,44