Predigt zu Matthäus 16,13-16 von Heiko Naß
16,13-16

Predigt zu Matthäus 16,13-16 von Heiko Naß

13Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?
14Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
15Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
16Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!

Liebe Schwestern und Brüder,

Eine Meinungsumfrage führt uns in den Predigtabschnitt ein: Was sagen die Leute, wer ich bin? Was ist ihre Meinung?

Für die Bestimmung von Trends und Zielen starten  Firmen, Politik, Kirche und Diakonie Umfragen. Sie bestimmen ihre Bedeutung, sie richten daran ihre Strategie aus, sie überprüfen ihre Ziele.

„Sind Sie einverstanden, dass ihre Daten zur Verwendung von Beratung und Meinungsumfragen verwenden werden kann?“ Kaum ein Vertag, ein Bahnticket, eine Versicherungspolice kommt ohne eine solche Aufforderung aus.

Die Evangelische Kirche hat bereits ihre 5. Untersuchung zur Kirchenmitgliedschaft aufgelegt. Erstaunliche und verunsichernde Ergebnisses stehen darin: „Engagement und Indifferenz“, schon die Überschrift zeigt die Spannbreite der Herausforderungen, in denen sich die Evangelische Kirche von heute bewegt.

Da gibt es hoch engagierte und identifizierte Menschen, die sich aus tiefer Überzeugung ihres christlichen Glaubens in der Kirche für andere einsetzen. Auf der anderen Seite wird die Erkennbarkeit der Kirche in der Gesellschaft immer indifferenter. Viele bleiben völlig unberührt von der christlichen Botschaft, leben neben der Kirche, als gäbe es sie nicht.

Was die Leute sagen? Für Jesus ist das keine Nebensache. Er geht nicht durch seine Welt mit einem dicken Panzer des Selbstschutzes um sich herum. Er setzt sich selbst der Meinung anderer aus. Er zeigt, dass er selbst berührbar, verletzbar ist durch die Meinung, die andere, die Leute, hegen, pflegen, kolportieren.

Nach der Stimmenlage des Volkes sieht sich Jesus mit hohen Ansprüchen konfrontiert. Nicht weniger als die bedeutendsten Propheten der biblischen Überlieferung werden für den Vergleich herangezogen. „Er ist Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder wie einer der Propheten“, sind die Antworten,  die unter den Leuten kursieren. Das sind anspruchsvolle Vorbilder aus biblischer Tradition und Zeitgeschichte. Sie stehen für kraftvolle Worte und einen glaubwürdigen Einsatz für sozial Benachteiligte, sie verkörpern auch das persönliche Ringen mit Gott, den Zweifeln und das Leiden für die Sache.

Kann Jesus demgegenüber deutlich machen, wofür er mit seiner eigenen Rolle, mit seinem eigenen Profil steht? In dieser Vielfalt der Deutungen spitzt Jesus seine Frage noch einmal zu. Was sagen die Jünger selbst? Wie stellen sie sich zu ihm, zu seinen Worten, zu seinem Wirken, zu seiner Person? „Und ihr?“ wendet er sich an seine Jünger, „was sagt ihr?“.

In diesem Augenblick ist es Petrus, der erfasst, dass mit einem Vergleich zu anderen großen Gestalten das Wirken Jesu nicht richtig erklärt werden kann. Alles, was vorher war und gesagt wurde, ist nicht falsch, aber es reicht nicht, um ausdrücken, was sie in Jesus erfahren: Leben, Gegenwärtigkeit, eine Bestärkung, die von ihm ausgeht und sich auf andere überträgt, die in seine Nähe kommen. Deshalb findet Petrus Worte, die neu sind, die weit ausgreifen, nach vorne weisen und mit nichts vergleichbar sind: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn“.   In diesem Menschen, der ihm gegenüber steht, ist der lebendige Gott gegenwärtig.

Jesus, der Christus. Das eine ist ein Eigenname, das andere ein Titel. Wir haben uns daran gewöhnt, beides miteinander so zu verbinden, als wäre es der Vor- und Nachname. Aber Christus bedeutet: der Gesalbte. Und mit dem Titel „Gesalbter“ verbindet sich der Erlöser, der sich der Welt zeigt. Deshalb ist der Zusatz aus dem Mund des Petrus folgerichtig: des lebendigen Gottes Sohn. Genau das ist der Erlöser, der Gesalbte, der Christus: des lebendigen Gottes Sohn.

In der religiös hoch aufgeladenen Welt vor 2000 Jahren war es keine Frage, ob es einen Gott gibt. Es war auch keine Frage, dass es eine lebendige, virulente Sehnsucht nach Erlösung und dem Erlöser gibt. Die Verbindung des Christus mit einer konkreten geschichtlichen Person aber, die ganz und gar nicht herrschaftlich, nicht machtvoll, sondern mitmenschlich auftritt, heilt, tröstet, diese Verbindung ist etwas Aufregendes, auch etwas Provokantes, auch Gefährliches. Am ersten sehen wir das in der Person des Petrus selbst. Er wird in der Gefahr, bei seinem Bekenntnis behaftet zu werden, Jesus dreimal verleugnen.

Wie herausfordernd diese Botschaft sein kann, hat vor 70 Jahren mit großer Intensität auch Dietrich Bonhoeffer gespürt und gelebt. Er schreibt schon aus der Haft in Tegel heraus: „Wir sind nicht Christus, aber wenn wir Christen sein wollen, so bedeutet das, daß (sic) wir an der Weite des Herzens Christi teilbekommen sollen in verantwortlicher Tat, die in Freiheit die Stunde ergreift und sich der Gefahr stellt, und in echtem Mitleiden, das nicht aus der Angst, sondern aus der befreienden und erlösenden Liebe Christi zu allen Leidenden quillt. Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen.“ (zitiert nach: Christian Gremmels/Heinrich W. Grosse, Dietrich Bonhoeffer. Der Weg in den Widerstand, Gütersloh 20042, S. 20f).

Für Bonhoeffer bedeutet dies insbesondere eine Solidarität mit allen Jüdinnen und Juden und eine Scham darüber, dass die Kirche, die sich auf Christus beruft, zu den Verfolgungen und Ermordungen geschwiegen hat. Die Menschlichkeit Christi hatte ihn sensibilisiert gegen die um sich greifende, Menschen verachtender Gewalt und ihn selbst zum persönlichen Glaubenszeugnis in Wort und Tat geführt.

In unserer Welt heute haben viele Menschen Schwierigkeiten, sich festzulegen, wenn es um Glaubensinhalte und eine eigene christliche Überzeugung geht. Das Gespräch über den Sinn des Lebens gehört nicht in die Öffentlichkeit. Andere erfahren wenig davon. Das geschieht auch zum eigenen Schutz. Hier geht es um etwas sehr empfindsames. Hier geht es um einen Rest von Sehnsucht, etwas, wo ich ganz bei mir bin und daher nicht möchte, dass es von der Rede andere beschädigt wird.

Ich habe noch das mutige Gespräch mit einer jungen Frau vor Augen, die öffentlich erzählte, wie sehr ihr die Meinung anderen zugesetzt hatte. Sie konnte nicht erklären, dass sie in ihrer Psyche krank und verwundet war. Sie erlebte dadurch Aus- und Abgrenzungen, Verwundungen, Isolation und Scheitern. Es war ein Weg durch ein dunkles Tal, bis sie auf Menschen stieß, die sie auffangen und ihr helfen konnte. Jetzt ist sie durch neues Vertrauen so gestärkt, dass sie offen über ihre Gefährdung sprechen kann und sich verantwortungsvoll für andere junge Menschen mit Beeinträchtigung einsetzt.

Was die Leute sagen, hatte sie krank gemacht. Mir begegnen in den vergangenen Wochen immer wieder Menschen, die von ihren Ausgrenzungserfahrungen mitten in unserer Gesellschaft erzählen. Bei einem Besuch einer Obdachlosenunterkunft sind es erschreckend viele junge Gesichter, die mir dort bei einem gemeinsamen Essen begegnen. Zu Hause waren sie nicht mehr willkommen, jetzt sind sie mit der Volljährigkeit aus den Hilfestellungen der Jugendhilfe herausgefallen. Kein Schulabschluss, keine Arbeit, kein Geld, einen bezahlbaren eigenen Wohnraum zu unterhalten. Wir hielten dort am Gründonnerstag ein gemeinsames Festessen. Angelehnt an das Passamahl ist der Tisch reichlich gedeckt. Vor dem Essen zündete ich eine Kerze an, brach ein Brot und legte eine Bibel auf den Tisch. In diesem Buch, sagte ich, sind die Geschichten Gottes mit den Menschen aufgeschrieben. In diesen Geschichten werden auch unsere Geschichten erzählt. Unsere Geschichten werden Gottes Geschichte mit uns. Ich hatte manches erwartet, was kommen könnte, aber nicht dieses: Applaus. Ein Amen mit Herz und Hand.

Auf Christus sich zu gründen, hilft zu erkennen, wo Menschen von der Weite seines Herzens berührt sein können. Es hilft uns selbst, im Beten und Tun immer wieder klar zu werden, was es bedeutet, sich auf Christus zu berufen. Es sind Antworten, auf die Menschen immer noch warten. Ich wünsche uns, dass wir davon nicht lassen.

Amen.

Perikope
Datum 25.05.2015
Bibelbuch: Matthäus
Kapitel / Verse: 16,13-16
Wochenlied: 125 129
Wochenspruch: Sach 4,6