Als Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte er seine Jünger und sprach: Wer sagen die Menschen, dass der Menschensohn sei?
Sie aber sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
Er fragte sie: Ihr aber, wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!
Jesus antwortete aber und sprach zu ihm: Glücklich bist du, Simon Barjona (Jonas Sohn); denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater in den Himmeln.
Und ich sage dir: Du bist ‚Stein‘ (Petrus), und auf diesem Gestein[1] werde ich meine Kirche bauen, und die Tore der Totenwelt werden sie nicht überwältigen.
Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du auf Erden binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein. (Matthäus 16,13-19 )
„Die Menschen“ - Luther übersetzte „die Leute“ – haben schon damals nicht kapiert, wer „der Menschensohn“ ist. So erzählt es der Evangelist Matthäus. Die Jünger aber sollen kapieren. Das befähigt sie zu einem immens bedeutungsvollen Auftrag. So schrieb es Matthäus in sein Evangelium. Und das ist lange her.
Wenn wir heute auf die Straßen gehen würden mit dergleichen Frage – was käme wohl heraus? Wer ist Jesus für Sie? Wer ist Jesus für dich?
Ein guter Mensch. Ein Religionsgründer. Einer, der von einer Jungfrau geboren wurde? Einer, der tot war und von der dann aus seinem Grab stieg? Kultobjekt der „Christen“? …
Und ‚wir‘ hier im Gottesdienst zu Pfingsten? Haben wir es kapiert? „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Aus vollem Mund und vollem Herzen. Pathos pur. Und warum auch nicht? Tut doch gut. Gesungen wird heute auch vollmundig. Da ist nichts dagegen zu sagen. Doch was heißt das bloß, was wir da singen? Könnten Sie mit wenigen Worten einem guten Bekannten deutlich machen, wer für Sie Jesus Christus im Heiligen Geist ist und was wir da Pfingsten feiern? Können Sie das, ohne eine Formel mit einer anderen Formel zu ersetzen?
Es wäre zu viel gefordert, dass Ihr Gesprächspartner leuchtende Augen bekäme und sagte: Ich kann das jetzt auch so sehen wie du! Aber meinen Sie, es bestünde die Chance, dass Ihr Gesprächspartner (Ihre Gesprächspartnerin) zumindest kurzzeitig wirklich interessiert ist, vielleicht sogar angerührt, vielleicht sogar provoziert zu einer Frage, einer Bemerkung oder einem gehaltvollen Schweigen? Trauen Sie das Ihren eigenen Worten vom „Christus“, dem „Sohn des lebendigen Gottes“ zu? Dann wäre Pfingsten schon Realität. Nicht nur Historie.
Da aber den meisten von uns es eher so gehen mag wie mir, dass das eigene Bekenntnis z. B. im Schulunterricht bestenfalls Respekt, nur selten aber vernehmliches Interesse findet, müssen wir wohl noch etwas auf den Geist warten und gehen zunächst einmal in den Brunnen der Geschichte. Eine gedankliche Bußübung sozusagen.
1. Der Konflikt zwischen Petrus (Kephas) und Paulus in Antiochia (um 50).
Um das Jahr 50 herum hatte der Völkerapostel Paulus seine zwischenzeitliche Heimat Antiochia im Streit verlassen. Seitdem galt Simon Petrus = (aramäisch) Kephas als der Apostel Syriens. In seiner Tradition steht der Evangelist Matthäus.
Was war geschehen? Simon, den schon Paulus im aramäischen Idiom „Kephas“ nennt, den „Stein“, war von Jerusalem nach Antiochia gekommen. Vielleicht, um einen Streit zu schlichten. Es ging um die Tischgemeinschaft von Christen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft. Das war der Leitung der rein judenchristlichen Urgemeinde in Jerusalem ungeheuerlich. Wie konnte der Unterschied zwischen Israel und den Völkern so ignoriert werden? Machte nicht die bloße Anwesenheit der Nichtjuden das jüdische Mahl wertlos? Und umgekehrt gedacht: Bestand nicht für die Nichtjuden, wenn sie denn mit Juden Mahlzeiten halten wollten nach jüdischen Regeln, die Verpflichtung, dann auch den ganzen Weg zu gehen und sich – wenn sie Männer waren – beschneiden zu lassen?
Vielleicht war Kephas gekommen um den Streit zu schlichten. Gelöst hat er ihn nicht. Genauso wenig wie Paulus, sein theologischer Gegner. Der Streit eskalierte. Paulus stellte den Kephas zur Rede, warf ihm gar Heuchelei vor und verließ Antiochia auf immer (s. Gal 1 und 2, vgl. zur Sache im Ton anders die Apg). Was hatte gelöst werden sollen, wurde gebunden.
Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du auf Erden binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein.
2. Matthäus möchte in der Tradition des Petrus die Gemeinde stabilisieren und ihr einen Auftrag weitergeben (um 80).
Die Geschehnisse in Antiochia liegen im Jahre 80 nun 30 Jahre – eine Generation – zurück. Paulus und Petrus sind tot, ermordet als Glaubenszeugen in Rom. Kein Augenzeuge Jesu von Nazareth lebt mehr, kann mehr befragt werden, wie es war damals mit Jesus, als er noch unter ihnen war, mit ihnen aß, wanderte, predigte und heilte.
Niemand war mehr da. Aber es gab die christlichen Gemeinden. Und diese waren jetzt auf sich gestellt. Und das war unheimlich. Es fehlte ihnen der Boden unter den Füßen. Ausgerissen war die Wurzel, die sie trug. Zwar hatten sich Judenchristen und Völkerchristen gestritten von Anfang an. Doch war es für Paulus und Petrus (Kephas) und auch für den Herrenbruder Jakobus und andere keine Frage, dass die Christusanhänger aus Juden und Völkern verbunden blieben mit der Wurzel, mit Israel, mit dem von Gott erwählten und beauftragten Volk des Bundes. Für sie war das keine Frage. Kein Zweifel daran!
Nun aber die Katastrophe. Im Jahre 50 gehen die Wege des Paulus und des Kephas aus einander. 20 Jahre später dann gehen die Wege der Kirche und Israels aus einander. Die römischen Feldherren Titus und Vespasian besiegen Israel im jüdischen Krieg 66-70, erobern Jerusalem vollständig und entweihen und zerstören den Tempel mit dem Allerheiligsten in ihm. Von nun an kämpften die Rabbis und verbliebenen Führer ihres besiegten Volkes um das Überleben. In Synagogen sammelte man sich zu Gebet und Schriftlesung. Die Trennung von der Versammlung des Herrn (= Kirche) war unausweichlich und scharf. Es gab wechselseitige Abgrenzung, Ausstoß und Verdammung. Die mittlerweile bis nach Rom gewanderte Kirche verstand sich schon früh als Gottes neues Heilsvolk. Als mit Kaiser Konstantin die kirchliche Macht kam, waren die Mittel da, um sich gegen die jüdische Gemeinde zu profilieren. Mit furchtbaren Folgen bis 1945.
Das muss die pfingstliche Gemeinde im 21. Jahrhundert wissen, um Matthäus 16 für heute auslegen zu können.
3. Von Petrus und dem Papstamt (vergangene Schlachten)
„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ steht auf Goldgrund in der Kuppel des Petersdomes. Kirchliches Selbstbewusstsein der katholischen Kirche in der Zeit der Gegenreformation.
Längst wissen auch römisch-katholische Bibelausleger, dass das Wort „Du bist ‚Stein‘ (Petrus), und auf diesem Gestein[2] werde ich meine Kirche bauen, und die Tore der Totenwelt werden sie nicht überwältigen“ niemals vom historischen Jesus gesprochen sein können (weil er nirgends sonst von „meiner Kirche“ spricht) und erst Recht nicht das mit allen Kirchenrechten ausgestattete Papstamt legitimieren.
Matthäus erinnert vielmehr in einer Zeit großer Unsicherheit unter den Christen an die für ihr Gebiet Syrien maßgebliche Apostelgestalt. Er zeichnet den Simon, der wahrscheinlich von Jesus selbst den Beinamen ‚der Stein‘ erhielt (was eigentlich einen runden Stein, einen Stein wie ein Diamant denn einen „Felsen“ meint), als den beispielhaften Apostel, der das tun soll, was alle Apostel tun sollen: der Kirche Stabilität zu geben wie ein ‚Felsen‘ und zu binden und zu lösen.
4. Und wir heute?
Was soll die Kirche heute tun? Was ist ihr Christusbekenntnis - und was bedeutet es heute zu binden und zu lösen?
Matthäus denkt (wahrscheinlich) an die Autorität der Apostel als der Lehrer ihrer Kirchen, Jesu Willen und Gebot auszulegen. Das soll nach ihm (trotz der Vorbildfigur des Petrus) nicht hierarchisch geschehen, schon gar nicht von einem Monarchen von oben nach unten, sondern in der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu. Das sind nach lutherischem Verständnis alle, die sich um Jesus scharen und seinen Willen herauszufinden und zu tun suchen.
Sie sollen im Unterschied zu den von Matthäus[3] scharf angegriffenen „Schriftgelehrten und Pharisäern“ (Mt 23,13) das Reich der Himmel offen halten für die, die Mühe haben und die sich bemühen um Gottes Willen in der Welt (Mt 11,28 ff.: Die das ‚Joch‘ tragen = die Gottes Gebot zu kennen und auszuführen suchen).
Binden und lösen … und der lebendige Gott, der Vater des Christus wird sich daran halten. Was für eine Verantwortung hat diese „Kirche“!
Haben wir als Kirche diesen Auftrag – was bedeutet das heute? Nur noch in wenigen Gemeinden wird man spontan an Beichte und Absolution denken. Luther hat beides hoch geschätzt. Dietrich Bonhoeffer auch. In der Michaelsbruderschaft spielt beides eine Rolle. Und in der Abendmahlsliturgie sind Schuldbekenntnis und Absolution möglich. Nicht als Priester, als Mittler, sondern als von der Gemeinde beauftragte und von Gott berufene Person könnten die Liturgen und Liturginnen „binden und lösen“.
Ist das übrig geblieben: Die Schar der bekennenden Christusglaubenden, die zum Abendmahl geht und in der es Beichte und Gnadenzuspruch gibt? - Wohl zu kleine Münze für eine pfingstliche Auslegung dieses gewaltigen Textes.
„[…] der Tag wird kommen-, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, daß sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt“ (Dietrich Bonhoeffer, Gedanken zum Tauftag, Mai 1944, DBW 8, 436).
Das sind pfingstliche Worte! Doch ist die Zeit nicht gekommen. Noch nicht? Jedenfalls nicht hier in Deutschland, nicht im Westen der Weltgesellschaft. Zu stark sind die Mächte der Gier, der Ökonomie, des Kapitals. Und insgesamt kommen wir nicht zurecht mit der Erhaltung unseres Wohlstandes einerseits, dem Zwang zum Immer besser, immer mehr, immer voraus technologisch und strategisch, und der inneren Leere, die sich in vielen auftut. Der Druck ist groß und innen drin brennt es nicht. Solange das Leben noch leicht ist und man sich Spaß kaufen kann, geht es ja noch. Aber dann? Und die Verlierer? Betrifft das alles die Kirche nicht? Oh doch. Vielleicht ist es hier sogar am spürbarsten: Die zerreißende Spannung zwischen der Sehnsucht nach des lebendigen Gottes Gerechtigkeit im Welthandeln und jener Realität, deren 1000 Bilder wir uns täglich aussetzen und die uns innerlich aushöhlen, ehe wir es merken.
Die Kirche ist geistig krank. Depressiv. Zwanghaft. Manchmal schizoid oder hysterisch. Es fehlt die Ausstrahlung, innere Kraft, Überzeugung, Klarheit in den Worten, Kompromisslosigkeit im Streit gegen Unrecht. Man tut was. Manche tun sogar zu viel, überfordern sich und andere. Es fehlt an echtem Miteinander, an wechselseitiger Teilhabe von Schmerz und Ratlosigkeit, an Lust auf Bibelstudium und neue geistige Entdeckungen, Veränderung, Transformation. Die Institution zu retten ist nachrangig. Wo ist in den Gemeinden die Lust zu Experimenten, zu Wagnissen? Fehlt die geistige Stabilität, um etwas riskieren zu können?
Vielleicht beginnen wir zu ahnen, warum Matthäus nach der Katastrophe der Untergangs Jerusalems sich dieses Simon Petrus erinnert. Urgestein. Was Wertvolles wie ein Diamant. Bodenständiges wie auf Felsen gegründet. Stabilität. Und das Selbstbewusstsein, vom lebendigen Gott (!) einen klaren Auftrag zu haben: Binden und lösen. Sagen, was Sache ist. Wo es lang gehen kann. Was Jesus gewollt hätte, jetzt und hier will.
Stabilität und Auftrag. Fest stehen und Dynamik. Beides. Nicht nur Stabilität der Volkskirche, nicht hektische Experimente. Gegründet in ewiger Beziehung ganz konkret hier und jetzt leben. Völlig menschlich.
Bonhoeffer hat sich nach dem „konkreten Gebot“ Gottes gesehnt. Er meinte mehr damit als Handlungsanweisung. Das Gebot war ihm Erlaubnis zum Leben und Schutz durch wunderbare Mächte, die einem täglich Winke geben. Probiere doch dies, geh doch dort. Nicht im Befehlston, sondern ein Leben aus innerer Anleitung. Und niemals ist dort nur Leere. Einer ist da, hört dich, spricht zu dir.
Ein Gespräch wie einst zwischen Jesus und seinen Jüngern. Ginge es weiter! Komm, Heiliger Geist und öffne uns für deine Gegenwart. Erfülle unsere Leere mit Dir. Entfache in uns das Feuer, das niemals verlischt (nach einem Gebet aus Taizé).
Amen.
[1] Im Griechischen ein Wortspiel (petros-petra), das sich im Deutschen nur behelfsmäßig nachmachen lässt.
[2] Im Griechischen ein Wortspiel (petros-petra), das sich im Deutschen nur behelfsmäßig nachmachen lässt.
[3] In der Situation der Trennung von Synagoge und Kirche in Folge der Katastrophe im Jahr 70