Predigt zu Matthäus 16,13-19 von Bert Hitzegrad
16,13-19

13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?

14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.

15 Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?

16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!

17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.

18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.

19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

Liebe Gemeinde!

Manchmal möchte man ja einfach so abtauchen, den Kopf einziehen, so als wäre man gar nicht anwesend. Dann z.B., wenn aus einem seichten Gespräch im Freundeskreis eine politische Debatte wird. Gerade noch wurde geschwärmt vom Vier-Sterne-Hotel mit Pool auf Mallorca, da kommt die scharfe Nachfrage von Monika: „Und die CO²-Bilanz? Ihr seid zu zweit geflogen, da habt Ihr eine CO²-Emission von 1,37t verursacht und einen mächtigen ökologischen Fußabdruck hinterlassen …“ Monika und ihr Mann Heiner nehmen meistens das Fahrrad, um in den Urlaub zu fahren. Mit ihrem Einwurf verblasst sofort das tiefe Blau des Mittelmeeres und die Sonne, die uns eine gesunde Urlaubsbräune bescherte, bekommt einen Schleier. Und Monika setzt noch einen drauf: „Meint das die Bibel mit ‚Macht euch die Erde untertan‘? Was sagt denn Deine Kirche dazu!?“ Monika kennt natürlich meinen Beruf und meine christliche Einstellung. Sie fordert mich mal wieder heraus – und ich hätte doch so gern einfach nur von unserem Urlaub erzählt, ein Gläschen Bier dazu wie jeden Abend auf der Urlaubsinsel,und wollte nicht wieder die ganze Welt retten. Aber Monika fordert mich immer wieder heraus: „Was sagt denn die Kirche zu dem Flüchtlingselend auf dem Mittelmeer. ‚Kommt her alle, die mühselig und beladen seid ….‘, gilt das auch für Menschen, die in die wackeligen Boote in Nordafrika steigen? Und was sagt die Kirche zur Massentierhaltung?“ Monika sei gerade vor kurzem auf einer Demo gegen eine neue Großschlachterei in der Region gewesen. Dort haben Pastoren auch eine Andacht gehalten. Wie denn meine Meinung dazu wäre … Oder ob ich immer noch das billige Fleisch von gequälten Schweinen aus dem Supermarkt esse …

Manchmal möchte man einfach abtauchen und den Kopf einziehen. Ich hätte so gern einen gemütlichen Abend verbracht. Doch Monika fordert ein klares Bekenntnis.

Und das ist manchmal mühsam.

Und ich gestehe – manchmal fühle ich mich auch hoffnungslos überfordert, auf jedes unserer großen Weltprobleme eine Antwort zu haben. Und auch meine Kirche hat – Gott sei Dank – keine Patentlösungen. Die gibt es nur am Stammtisch – aber dort bleiben sie auch und helfen niemandem.

 Nein, es geht nicht um einfache, schnelle Antworten. Es ist ein Ringen mit den Herausforderungen unserer Zeit, mit den Geboten Gottes und mit meinem Gewissen. Es ist ein immer wieder ein neues Fragen  nach dem Willen Gottes. Und es ist ein ständiges Bitten um seinen Geist, der Christus, den lebendigen Sohn Gottes, gegenwärtig sein lässt. Und das ist mühsam, das ist mit Fragen und Zweifeln verbunden. Wo es aber gelingt, Antworten zu finden, einen Weg zu gehen, Kirche in Bewegung zu bringen – dort geschieht Pfingsten, dort weht der Geist und gibt Kraft und Hilfe für ein klares Bekenntnis.

„Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Dieses Bekenntnis bringt Simon Petrus über seine Lippen und wird damit zum Vorbild und Fundament der bekennenden Gemeinde. Aber wie kommt er zu dieser Aussage? Er nimmt wahr, was die Zeitgenossen über Jesus sagen. Sie vergleichen ihn mit Menschen, die vor ihm Bedeutendes taten, doch sie erkennen in ihm noch nicht die neue Welt die anbricht.

Johannes, der Prediger in der Wüste, hat Menschen zu einem Neuanfang in der Taufe bewegen können. Doch er scheiterte mit seiner Bußpredigt an den Mächtigen seiner Zeit und musste sterben.

Jeremia hat wie alle Propheten Gottes Gegenwart verkündigt – im Heil oder Unheil. Bei Jeremia haben sich die Unheilsprophezeihungen als richtig erwiesen. Er musste den Untergang der Stadt ankündigen, die er liebte. Seine Hoffnung, dass doch alle anderes kommen würde, war vergebens.

Und Elia hat tatkräftig in die Geschichte Israels eingegriffen und eigenhändig die Priester fremder Religionen getötet. Doch seine „Säuberungs-Aktion“ hinterlässt keinen wirklichen Erfolg, denn die Mächtigen im Lande änderten sich nicht. Trotzdem lagen auf ihm viele Hoffnungen, weil es heißt, er würde einmal wiederkommen, um sein Volk zu befreien …

Also, wer ist dieser Jesus? Ein Prophet aus Vorzeiten? Ein Jünger des Johannes, der seine verzweifelte Bußpredigt fortsetzt. 

Jesus fordert ein Bekenntnis – und es scheint gar nicht mühsam für Petrus zu sein. Denn er ist diesem Mann aus Nazareth gefolgt und hat es erlebt: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt!“ (Mt 11, 5). Er hat es erlebt, dass eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Er bringt den Menschen Heil und Heilung, sogar am Sabbat, gegen die religiösen Vorschriften. Er kümmert sich nicht um die Mächtigen, sondern fängt bei den kleinen, verachteten an – und ein Zöllner namens Zachäus kann ein neues Leben beginnen. Und er predigt nicht nur von der Umkehr zu Gott und reinigt mit dem Wasser der Taufe – er schenkt seinen Heiligen Geist, der wie ein Feuer Menschen entfacht, entflammt, begeistert für die neue Zeit, die beginnt. Nichts ist mehr mühsam, nichts muss so bleiben wie es war. Das ist die Erkenntnis des Petrus – und es wird zu einem Bekenntnis, weil dieser Geist ihm die Augen geöffnet hat. Eine Sternstunde in seinem Leben. Eine Sternstunde für die Zukunft derjenigen, die sich zu Christus bekennen. Ein Fundament ist gelegt – wie ein Felsen, auf dem etwas Bleibendes gebaut werden kann. Im Grunde ist dies der Geburtsort der Kirche – und nicht erst das Pfingstfest. Denn hier wird der Grund bereitet, auf dem später gebaut wird. Hier geht schon der Blick weit in die Zukunft, denn dieser Christus, der sterben wird am Kreuz, wird der auferstandene Herr und Bruder an der Seite seiner Gemeinde sein – eine Gemeinschaft, die in seinem Geist lebt und handelt und bekennt.

Doch diese Gemeinschaft ist zerrissen, ist brüchig, sie ist nie am Ziel, ist immer unterwegs.

Was ist das auch für ein Felsen, der die Gemeinden trägt? Was ist das für ein Schlüsselträger, der sich selbst gefangen setzt, weil er nicht frei bekennt, weil er zum Verräter wird! Ein Fels, der nicht fest und sicher steht. Ein Mensch, voller Selbstzweifel und Selbstanklage, der die Nähe Jesu gar nicht aushält: „Herr, geh weg, ich bin ein sündiger Mensch!“ (Lk 5,8). Und der ein anderes Mal seine Glaubenskraft völlig überschätzt und verspricht: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen!“ (Mt 26, 35). Nur er findet die Worte für das große Bekenntnis: „Du bist Christus, Gottes Sohn.“ Doch sein starker Glaube ist brüchig. Kein Felsen, der in der Brandung standhält, sondern feiner Sand, der mit den Ängsten fortgespült wird. Nicht einmal eine Stunde hält er es bei seinem geliebten Meister aus, als der im Garten Gethsemane betet, um sich auf das vorzubereiten, was kommen wird: Gefangennahme, Kreuzigung, Tod. Jesus bittet seine Freunde, zu wachen, zu beten, doch sie schlafen ein. War es doch nur ein Lippenbekenntnis? Ganz deutlich wird dies bei der so bekannten Szene im Hof des hohenpriesterlichen Palastes. Als das Bekenntnis zum geschundenen und leidenden Gottessohn zu gefährlich wird, kneift Petrus und sagt: „Ich kenne ihn nicht!“ Und der Hahn auf dem Kirchturm erinnert bis heute an diesen Tiefpunkt der menschlichen Nachfolge. „Das war keine Sternstunde, lieber Petrus, das hätte eigentlich das Aus deiner kirchlichen Karriere sein müssen!“

Bekennen ist mühsam. Ich weiß das von meinen Gesprächen mit einer Freundin Monika. „Du bist doch ein Vertreter der Kirche! Müsste die nicht auf der Seite der Armen stehen? Aber Pastoren, die Beamtengehälter beziehen, Bischöfe, die Luxusautos als Dienstwagen fahren und Erzieherinnen, auch in den kirchlichen KiTas, die nicht angemessen bezahlt werden …?“ Monika legt gern ihre Finger in die Wunden und fordert mich heraus. „Ach, und wie ist das mit Schwulen und Lesben in der Kirche? Es gibt Gemeinden, die sie verteufeln und ihre Lebensweise als sündhaft hinstellen?“ Der Abend könnte so schön sein mit Monika und den anderen. Was soll ich sagen? Was würde Jesus sagen? Aber jetzt bin ich gefordert!

Ich fühle mich oft selbst so brüchig wie Petrus, der angeblich so starke Felsen. Kann man mit solchen Mitarbeitern den Weinberg bestellen? Ist das eine geeignete Mannschaft im Schiff, das sich Gemeinde nennt, wenn sie sich auf die Fahrt durch das Meer der großen Herausforderungen wagt? Kompetent, fachlich versiert und qualifiziert sieht in einem modernen Unternehmen anders aus. Und trotzdem hält das Management an diesen Mitarbeitern fest, weil es keine anderen gibt oder weil es keine besseren gibt. Menschen mit Fehlern und Schwächen. Menschen mit Sternstunden des Glaubens und schrecklichen Ausreißern. Menschen, die nachfolgen und Menschen, die selbstherrlich herrschen wollen. Diesen Menschen traut Gott es zu, die Botschaft seiner Liebe zu verkündigen. Und seine Liebe schließt auch die Vergebung mit ein. Die Vergebung durch Christus, den lebendigen Gottessohn, der uns in unserer Schwachheit aufhilft, der uns den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit schenkt. „Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel!“, sagt Jesus und betont damit, dass es Gott selbst ist, der in uns und durch uns und mit uns das Verstehen und Bekennen bewirkt, damit wir als seine Gemeinde leben und in dieser Welt handeln.

Das werden Sternstunden, wo wir das zulassen.

Das werden lebendige Gemeinden, wo der Geist von Pfingsten weht und wo miteinander gerungen wird um die Herausforderungen der Gegenwart. Welchen ökologischen Fingerabdruck hinterlassen wir – allein durch unsere Gebäude, wenn wir so unverantwortlich mit den Ressourcen umgehen? Ist energetisch alles bedacht? Kann die Gemeinde im Winter nicht in das Gemeindehaus umziehen, damit die riesige Kirche nicht geheizt werden muss? Und wir achten bei Gemeindefesten auf Nahrungsmitteln aus der Region und nehmen das zum Anlass, eine Diskussion um unsere Ernährung zu beginnen … Bis zum Erntedankfest sammeln wir Ideen und gestalten damit den Gottesdienst. Menschen warten auf dieses klare Bekenntnis. Und Gott selbst. Er will, dass etwas in Bewegung kommt. Denn wir feiern Pfingsten, das Fest der feurigen Flammen, das Fest seines bewegenden Geistes. Und das bedeutet: Dass auch bei uns etwas in Bewegung kommt, dass sich seine Kirche zu ihm bekennt und handelt. In der Gewissheit seiner Gegenwart können wir mutige Schritte mit ihm gehen. Nicht um eine Super-Gemeinde zu werden – dafür ist der Felsen auf dem wir stehen zu brüchig, aber um Heil und Heilung in diese Welt zu bringen. So wie er es tat, Jesus.

Was würde er heute tun?

Meine Freundin Monika würde sagen: „Ihr müsst Position beziehen, ihr müsst klarer und deutlicher sagen, was gut und was schlecht ist. Ihr müsst Euch zu denen bekennen, die benachteiligt sind – Menschen auf der Schattenseite des Lebens, Tiere, die gequält werden, Gottes ganze Schöpfung, die ausgebeutet wird.“

Es gab schon einmal eine Zeit, in der ein klareres Bekenntnis von Nöten gewesen wäre. Im Rückblick auf diese nationalsozialistische Zeit haben Christen deshalb im Herbst 1945 ein Schuldbekenntnis formuliert – das Stuttgarter Schuldbekenntnis:

 „Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

Mutiger bekennen, treuer beten, fröhlicher glauben und brennender lieben, damit wir uns später nicht anklagen müssen. Christus, der lebendige Sohn Gottes, gebe uns klare Worte und Mut zum Handeln. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.

 

Perikope
25.05.2015
16,13-19