Liebe Gemeinde,
Die Begegnung mit dem Heiligen hat etwas Faszinierendes und Erschreckendes zugleich. Sie verwirrt, ja, überrascht Menschen, so dass sie sich fürchten und zugleich wundersam berührt sind. Die Begegnung mit dem Heiligen bleibt nicht ohne Folgen, sondern setzt Menschen in Bewegung.
Davon erzählt die Bibel in vielen Geschichten,
Davon können wir selber –vielleicht auch- aus unserem eigenen Erleben Geschichten hinzufügen, die unsere Lebenswege maßgeblich beeinflusst haben.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?“ ruft der Psalmbeter und richtet seinen Blick sehnsuchtsvoll nach oben, als wäre Gott da anzutreffen. Und, als gäbe er sich die Antwort nach einem Atemzug selber, heißt es dann: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“
Da oben, wo Himmel und Erde sich berühren, ist für die Menschen der Bibel häufig der Ort der Gottesbegegnung.
Mose ist Gott dort nahe gekommen, unverhofft, beim Hüten der Schafe. Viele Jahre später wird er eigens diesen Berg hinaufsteigen, um die Weisungen und Gebote Gottes in Empfang zu nehmen, die das Zusammenleben der Israeliten fortan ordnen sollten.
Und heute, am letzten Sonntag nach Epiphanias, ist es, als stünden wir im Spannungsbogen des Kirchenjahres auch auf einer Höhe, einem Bergkamm gleich. Im Rücken liegt das Tal, dessen Weg aus Bethlehem heraufführte. Wir sehen das helle Licht, dass mit Jesu Geburt in die Welt kam und die Finsternis erhellte. Auf der anderen Seite des Kamms liegt das Tal, dessen Weg am Ende nach Jerusalem und Golgatha führt. Ein anderer, intensiver, Wegabschnitt im Leben Jesu beginnt.
Auch die Predigtgeschichte aus dem Matthäusevangelium führt uns heute hinauf auf einen hohen Berg zu einer besonderen Gottesbegegnung. (Lesung Mt 17, 1 – 9:)
Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich
Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder,
und führte sie allein auf einen hohen Berg.
Und er wurde verklärt vor ihnen,
und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,
und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia;
die redete mit ihm.
Petrus aber fing an und sprach zu Jesus:
„Herr, hier ist gut sein!
Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen,
dir eine, Mose eine und Elia eine.“
Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke.
Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach:
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe;
den sollt ihr hören.“
Als das die Jünger hörten,
fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr.
Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach:
„Steht auf und fürchtet euch nicht!“
Als sie aber ihre Augen aufhoben,
sahen sie niemand als Jesus allein
Und als sie vom Berge herabstiegen,
gebot ihnen Jesus und sprach:
„Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen,
bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“
Liebe Gemeinde,
eine geheimnisvolle Geschichte ist das, mit Anspielungen und verborgenen Verlinkungen, ein religiöses visionäres Gipfelerlebnis, das einen zunächst mehr blendet als einen neuen Verstehenshorizont eröffnet.
Jesus begibt sich auf den Berg in die Abgeschiedenheit. Um welchen Berg es sich handelt, wird nicht gesagt.
Der Erzähler scheint den Gottesberg im Sinn zu haben, auf dem Mose Gott begegnet war. Auch hat er die alten Worte aus dem 2. Buch Mose im Sinn als er seine Geschichte aufschreibt, wo es heißt: „Die Herrlichkeit des Herrn ruhte auf dem Berg und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage. Am siebenten Tage erging der Ruf des Herrn an Mose aus der Wolke.“ (Ex 24,16)
Danach ist Mose wieder hinabgestiegen mit den Geboten in den Händen. Er strahlte. Sein Angesicht leuchtete so sehr vom himmlischen Licht, dass er sich mit einem Schleier bedecken musste, als er sich dem Volk, was unten auf ihn wartete, näherte.
Und noch etwas hat der Erzähler im Sinn: das Bergerlebnis des Profeten Elia. Elia zählte neben Mose zu den angebeteten geistigen Vätern Jesu von klein auf. Hatte nicht auch Elia in der Stunde der Verzweiflung auf dem Berg sein Heil gesucht? Und hatte sich Gott nicht auch dort offenbart- im sanften Sausen der Luft?
Das geschah unverhofft, in tiefster Verzweiflung. Elia bewegte das sehr, in tiefster Verzweiflung so sanft und tief berührt zu werden, keine großen Reden und Vorhaltungen zu hören. Ganz von allein gewann Elia wieder Boden unter den Füßen. Gestärkt und mit neuem Selbstvertrauen begab er sich wieder nach unten in die irdischen Gefilde
Jesus sucht die Nähe Gottes und nimmt auf Weg in die höhere Sphäre drei Jünger mit, Petrus und die Brüder Jakobus und Johannes, Jünger, denen er besonders vertraute.
Oben angekommen verwandelt sich Jesus wundersam. Er beginnt zu strahlen und zu leuchten. Und zu ihm gesellen sich plötzlich zwei Gestalten: Elia und Mose. Die Jünger trauen ihren Augen nicht.
Für Jesus waren Elia und Mose zeitlebens leuchtende Vorbilder gewesen. Sie erscheinen ihm, weil es ihm so sehr nach ihnen verlangte. Er beschwört sie sozusagen selbst. Von Kindesbeinen an hatte er mit ihnen Umgang, stets tauschte er sich mit den beiden geistlichen Väter aus in den alten Schriften aus.
Wohin Jesus auch kam, dachten die Leute an Mose und Elia. „Mose ist wieder unter uns!“ riefen sie, oder: „Elia ist wiedergekehrt!“
Nun erscheinen sie ihm auf dem Berg Gottes. Es ist fast als habe Gott sie geschickt, um ihm beiseite zustehen und zu stärken. Die beiden Gestalten, die ihn von der Wiege an so nahe waren, werden ihn auch auf seinem letzten Lebensabschnitt begleiten.
Jesus strahlt, als er die vertrauten Gestalten sieht,
und sein Angesicht leuchtet wie die Sonne,
und seine Kleider werden weiß wie das Licht.
Ihn erwarten Leiden und Tod, doch auf dem Berg ist für Augenblicke Ostern.
Jesus weiß mit diesen beiden Wegbegleitern an seiner Seite, er wird durchhalten.
Eine Vision in hohen Sphären, liebe Gemeinde.
Die Zeit zählt nicht mehr, die Uhren stehen still. Wenn wir in uns hineinhorchen, kennen wir vielleicht ähnliche Momente, wo uns Ahnengestalten, liebe Menschen aus einer anderen Zeit, in einem besonderen Moment auf einmal so nahe kommen, dass man sie förmlich um sich spürt, man sie vielleicht auch sprechen hört, wie sie einem etwas Wichtiges sagen. Das sind kostbare, heilige Momente, die einem einen wichtigen Impuls geben können, so dass man manches danach wieder klarer sieht.
Und die Jünger, die die Adoption Jesu in den Kreis der geistigen und göttlichen Väter auf dem Berg miterleben, was ist mit denen? Petrus findet zuerst zur Sprache zurück und wartet unvermittelt mit einem praktischen Vorschlag auf, um diesen besonderen Moment noch ein wenig zu halten und zu verlängern. Vielleicht war ihm auch bange vor dem, was vor ihnen lag. So redet er eben drauf los:
„Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen,
dir eine, Mose eine und Elia eine.“
Petrus hatte seine Idee noch nicht ganz ausgesprochen, da überschattet sie eine Wolke, aus der sie eine Stimme, Gottes Stimme, hören:
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“
Es ist die Stimme, mit der alles begann, die Stimme am Ufer des Jordans, die Jesus hörte, als er sich taufen ließ:
„Du bist mein Sohn“.
Nun wendet sich die Stimme an die Jünger. Was sie als Zeugen eben wunderbar miterlebt haben, wird nun noch einmal durch die Stimme erklärt: Wer Gott hören und erfahren will, der höre auf diesen Sohn. Gott spricht und wirkt durch ihn.
Die Jünger packt nicht nur ein heiliger Schauer, sondern die Angst.
Verständlich bei dem, was sie selbst gesehen und gehört haben.
Sie fallen zu Boden und verdecken ihr Gesicht.
Jesus kommt auf sie zu, berührt sie und sagt zu ihnen: „Steht auf, und fürchtet euch nicht!“
Als sie wieder aufblicken, sehen sie nur noch Jesus, so wie er ihnen vertraut war. Und alles andere, die verklärten Gestalten, die Wolke, sie sind nicht mehr da.
Es ist Zeit, wieder hinunterzugehen. Die Jünger wissen, sie haben etwas Wunderbares erlebt und gesehen. Beglückt, verwirrt, und auch ein wenig bange treten sie den Abstieg an.
Jesus ermahnt sie dabei, dass sie dieses Erlebnis zunächst für sich behalten und von der Gottesoffenbarung solange nichts sagen, bis er Leiden und Tod überwunden hat.
Liebe Gemeinde,
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht bei diesem gedanklichen Mitgehen auf den Berg hinauf und schließlich wieder hinunter.
Mir ist ganz wohl, wieder in der Ebene, sozusagen im Alltag der Welt, angelangt zu sein. Das besondere religiöse Erlebnis in der Höhe verlangt nach Erdung und Bodenhaftung.
Petrus meinte ja, die drei Auserwählten könnten in dem Moment, in dem sie des religiösen Spitzenerlebnisses teilhaftig werden, aussteigen und die Erde hinter sich lassen. Aber das ist nicht der Weg Jesu. Der führt ihn – und seine Anhänger immer wieder – hinunter in die Mühsal, in die Verlockungen, die Fruchtbarkeit und die Herausforderungen der Ebene.
Wir können als Christen getrost mit dem Licht und den Glanz Jesu im Herzen unsere Wege gehen und die gesellschaftlichen, privaten und auch politischen Herausforderungen angehen.
Der Glaube ist eine Kraftquelle, nicht nur in angefochtener Zeit, die auf Gebote und biblische Weisungen basiert. Er ist Ausdruck der Barmherzigkeit und Großzügigkeit Gottes gegenüber denen, die es schwer haben im Leben.
Der Glaube an Jesus Christus, dem Licht der Welt, möge uns in dieser dumpfen Zeit, in der Religion und Gottvertrauen fortwährend mit Gewalt und Terror und Fremdenfeindlichkeit durcheinander gebracht wird, helfen, die Geister zu scheiden und nicht irgendwelchen einfachen Erklärungen zu folgen.
Und wenn es dann doch zu wirr wird in der Ebene, mögen wir uns immer wieder Auszeiten gönnen, in denen wir hinaufschauen oder auf den Berg steigen, um dem Heiligen zu begegnen. Danach sieht man meistens klarer.
Der Theologe Jörg Zink drückt das in seinem Gedicht: ‘Was ich Dir wünsche‘ so aus: Ich wünsche dir
…die Kraft zu wachsen.
Du bist noch zu etwas berufen.
Bleib stehen. Schau nach oben
und fühle die Kraft aus Gott,
die wachsen will in dir.
Amen.
Predigt zu Matthäus 17,1–9 von Irmtraud Ahlers
17,1-9
Perikope