Predigt zu Matthäus 21, 28-32 von Matthias Petersen
21,28

Predigt zu Matthäus 21, 28-32 von Matthias Petersen

"das gleichnis von den beiden ungleichen söhnen"

  "das gleichnis von den beiden ungleichen söhnen"
  das ist
  im matthäusevangelium
  die überschrift über diesem kurzen abschnitt
aber
  so ungleich erscheinen die beiden söhne gar nicht
  weitaus treffender wäre:
  "das gleichnis von den zwei wortbrüchigen"
  denn
  man kann beide in der pfeife rauchen
einer sagt
  mit treuherzigem blick
  ja
  ("du weißt doch, papa, dass du dich auf mich verlassen kannst!")
  und
  zieht dann pfeifend seiner wege
der andere quengelt rum
  ("immer ich - warum nicht der andere?
  und ich hab doch gestern schon ...")
  und lehnt dann ab
vielleicht hat er ja recht
  nein zu sagen
  vielleicht war es ja notwendig
  dem vater eine grenze zu zeigen:
  "ich hab doch mein eigenes leben
  meine eigenen aufgaben
  meine eigenen belastungen
  du lieber himmel
  stell doch einfach arbeiter ein in deinen  blöden weinberg
  und laß mich damit in ruhe ..."  
aber
  aus irgendeinem grund
  er hält sein nein nicht durch
  wird wankelmütig
  inkonsequent
  fällt um ...
  und geht dann doch hin
das ist die beste gewähr
  dass sich
  in den nächsten tagen
  eine neuauflage der
  unerquicklichen
  auseinandersetzung abspielen wird
weit ist es also nicht her mit diesen beiden jungs
  der vater tut mir leid
  er hat von beiden nicht viel
  mein wunsch
  meine hoffnung wäre
  dementsprechend
  dass meine kinder nicht so werden
  dass ihre kinder nicht so werden
  dass ihr konfirmanden nicht so werdet
  dass wir - die erwachsenen - nicht so sind
  sondern anders
  klar und grade
  dass ein ja ein ein ja ist
  und ein nein ein nein
  bettina wegner fällt mir ein
  "klare, grade menschen wär'n ein schönes ziel
  menschen ohne rückgrat hab'n wir schon zuviel ..."
zum glück
  es gibt
  zu diesen ersten gedanken
  aber noch einen zweiten impuls:
denn
  die menschliche wirklichkeit ist eben doch komplizierter
  nicht bloß schwarz-weiß
  ja und nein
  zustimmung und widerspruch
  gehorsam und verweigerung
  liebe und abneigung
  licht und schatten
  sondern
  das alles liegt dicht an dicht in der menschlichen seele
  der mensch ist immer beides
  jasager und verweigerer
  heiliger und teufel zugleich
mag sein
  die anteile sind
  von mensch zu mensch
  jeweils unterschiedlich verteilt
  aber
  grundsätzlich ändert sich an dieser tatsache nichts
  manchmal gradlinig manchmal wankelmütig
  es ist beides wahr
  soweit
  so gut
warum aber erzählt jesus diese geschichte
  holzschnittartig
  schwarzweiß
ein mann
  na klar gott
  er hat zwei söhne
  einer sagt ja und tut nichts
  die pharisäer merken genau wer gemeint ist
  einer sagt nein und geht dann doch los
  fröhliches luftanhalten bei zöllnern und nutten
damit nicht genug
  jesus stellt seinen frommen zuhörern eine fiese fangfrage
  er zwingt sie in die falle
  sie müssen sich selbst verurteilen
  müssen
  den schmuddelkindern und bordsteinschwalben
  einen persilschein ausstellen
  "wer hat den willen des vaters erfüllt?"
  eine nur scheinbar  harmlos-lächelnde frage
  die antwort knurrend
  zähneknirschend gewissermaßen
  naja, eben der andere ...
versteht ihr
  warum sie ihm nach dem leben trachteten
  die frommen
  die pharisäer
  die klugen bibelforscher
  die erweckten und von gott begeisterten
du liebe zeit
  sie meinten es doch ernst mit gott
  natürlich machten sie fehler
  natürlich gab es lücken
  natürlich waren sie nicht vollkommen
  aber sie gaben sich mühe
  nur dieser zimmermann
  keine gelegenheit läßt er aus
  sie zu demütigen und lächerlich zu machen
aber
  jesus ist konsequent
  er ist jude
  jüdischer lehrer
  und
  bis heute legt der jüdische glaube sein schwergewicht
  nicht so sehr auf die richtige lehre und das richtige bekenntnis
  sondern
  stattdessen
  auf das richtige tun
  wenn wir es gelehrt ausdrücken wollen
  nicht um orthodoxie geht es
  sondern um orthopraxie
  das handeln ist wichtiger als die worte
  die werke der gerechtigkeit zu tun ist angemessener
  als den glauben an die gerechtigkeit zu bekennen.
jesus öffnet eine tür für alle
  die zweifel an gott haben
  eine offene tür für alle zweifler und distanzierten
  für alle kritiker und unentschlossenen
  grundsätzlich
  niemand soll ausgeschlossen sein von gottes liebe und nähe
  auch wer nein sagt
  er hat damit die türen noch lange nicht endgültig zugeschlagen
  den willen des vaters tun
  das kann auch jemand der ansonsten zu gott nein sagt oder gesagt hat
  das handeln ist entscheidend
  nicht das reden
aber
  was bewegt den nein-sager-sohn eigentlich
  so plötzlich
  sich anders zu entscheiden?
das gleichnis redet
  so die deutsche übersetzung
  von reue
  das wort hat aber
  im griechischen urtext
  noch einen ganz anderen klang als im deutschen
  es beschreibt einen tiefgreifenden sinneswandel
  totale umkehr
  dem wort haftet etwas radikales an
  ein alles oder nichts
  jesus setzt dabei die bereitschaft
  und die fähigkeit!
  des menschen voraus
  alles was bisher galt
  infrage zu stellen
  völlig neu anzufangen
  auf alle
  bisherigen
  sicherungen und selbstverständlichkeiten zu verzichten
  radikale umkehr
  eine "umkehr zum leben"
so eine umkehr ist schwer
  die kommt nicht einfach so dahergeflattert
  umkehr setzt mehr voraus
  als nur die einsicht auf einem falschen weg zu sein
  umkehr erfordert viel mut
  viel selbstbewusstsein
  den mut
  das scheitern eines bisherigen weges einzugestehen
  den mut
  von anderen als wankelmütig verlacht zu werden
es ist allemal einfacher
  unter der behauptung konsequent zu sein
  an falschen entscheidungen festzuhalten
  umkehr dagegen erfordert schonungslose ehrlichkeit
  nüchterne bestandsaufnahme der wirklichkeit
  den willen und den mut zur veränderung
  und das kann nur wer darauf vertrauen kann
  bei diesem seelischen salto mortale fall ich nicht ins leere
  fehler benennen und korrigieren
  das kann nur
  wer vertrauen kann
  dass gott ihn nicht fallen lässt
umkehr hat darum eine menge mit vertrauen zu tun
  das ist ein wesentlicher punkt
  solches vertrauen wünsch ich mir
  für uns
  unsere kinder
  für unsere familien
  für unsere kirche
  auch für unsere politiker
  ganz besonders auch für die
im geist des jesus von nazareth
  ein klima des vertrauens leben
  in dem menschen ermutigt werden
  auch zu ihrem versagen zu stehen
  es zu benennen und umzukehren
  auf einen weg der zum leben führt
ich will das hier noch mal konkretisieren:
ja-sagen und nichthandeln
  nicht nur zur zeit jesu war das eine volksseuche
  heute nicht weniger
ich bin es leid und müde
  politische sonntagsreden zu hören
  zum thema umwelt und klima und frieden
  zu gerechtigkeit  und frieden und menschenrechten
  um dann noch wieder
  in der regel nach der wahl
  lahme ausreden zu hören
  das einknicken vor den lobbies und den mächtigen
aber auch unsere kirche
  in der nachfolge jesu christi
  wir predigen vergebung und neuanfang
  wir verkünden den mittellosen wanderprediger aus nazareth
  aber wer hinter die kulissen dieser bekenntnisse blickt
  der entdeckt
  macht und intrige
  wie in jeder politischen partei
  in jedem wirtschaftsbetrieb
  auch unser denken ist
  wesentlich
  geleitet von „ökonomischen zwängen“
  und nicht von der not des nächsten
und auch das muss gesagt werden
  in ihrem
  eurem
  meinem leben
  da sieht es genauso aus
  ja sagen und nein tun
  da hat sich
  seit jesus das gleichnis erzählte
  wenig geändert
geändert hat sich auch an dieser erkenntnis nichts
  manchmal sind es gerade die verbalen verweigerer
  die
  ohne große worte
  letztlich doch zur umkehr gelangen
  und den willen gottes tun auf dieser erde
  der ehemalige skinhead
  der jetzt mit jugendlichen arbeitet
  um ihnen seinen weg zu ersparen
  der überzeugte atheist
  der sich
  bis zur selbstaufopferung
  müht um die "geringsten unter jesu schwestern und brüdern"
umkehr zum leben
  für uns alle wünsche ich mir
  dass wir wegkommen von den großen worten
  dass wir uns auf den weg machen zur engagierten tat
  getragen von dem vertrauen
  dass uns gottes liebe nicht fallenläßt
  und dass wir dabei nicht vergessen
  dass wir
  immer und überall
  die anteile beider brüder in uns tragen
  absolute eindeutigkeit ist uns nicht beschieden
  wir sind menschen und keine engel
und soviel steht für jesus fest
  der vater möchte gerne beide brüder im weinberg haben
  inklusive der schwestern
  weil er nämlich alle braucht
  die frommen und die nicht-so-frommen
  die naiven und die querdenker
  die konservativen und die vorwärtsdrängenden
seine liebe zu uns allen soll uns die freiheit und den mut geben
  die umkehr zu wagen
  die umkehr zum leben
amen!
Perikope
Datum 04.09.2011
Bibelbuch: Matthäus
Kapitel / Verse: 21,28
Wochenlied: 299
Wochenspruch: 1 Pet 5,5b