Predigt zu Matthäus 22, 1-14 von Elisabet Mester
22,1
Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach: Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte sein Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit einzuladen; doch sie wollten nicht kommen. Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit ist bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh sind geschlachtet, und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere in sein Geschäft. Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet. Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden voll. Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
Liebe Gemeinde!
Meine Großmutter träumte oft, sie wäre falsch angezogen. Dann erschien sie morgens mit zerknirschter Miene zum Frühstück und erzählte uns, wie gnadenlos peinlich es ihr im Traum ergangen war. So war sie zum Beispiel auf einem Ball gewesen und hatte plötzlich gemerkt, dass sie einen alten Trainingsanzug trug – obwohl sie so etwas wie Sportkleidung in Wirklichkeit gar nicht besaß. Am liebsten wäre sie in einer Fußbodenritze verschwunden. „Kinder, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie blamabel das war“, sagte sie dann. Einmal, und das war ein echter Alptraum für sie gewesen, hatte sie auf einer Sitzung des Kirchenvorstands mit einem Mal gemerkt, dass sie nichts anhatte außer ihrer großen schwarzen Stola. Damit konnte sie nicht einmal aufstehen und hinausgehen. So etwas will niemand erleben, noch nicht einmal im Traum. Es ist einfach schrecklich.
Aus einem Traum kann man immerhin erwachen, um dann am Frühstückstisch zu berichten, welchen üblen Streich einem das Gehirn in der Nacht gespielt hat.
Das Evangelium, das uns heute zur Predigt aufgegeben ist, lässt eine so glimpfliche Lösung nicht zu. Da wird der Gast, der bei der Hochzeit ohne angemessene Kleidung angetroffen wird, in die Finsternis hinausgeworfen; dorthin, wo Heulen und Zähneklappern ist.
Was sollen wir davon halten?
Martin Luther, der im Jahr 1531 über diesen Text zu predigen hatte, begann seine Kanzelrede mit den Worten: „Dies Evangelium ist nicht schwer und ist ein schrecklich Evangelium“. Dass es schrecklich ist, glauben wir sofort, auch heute, nach 480 Jahren. Ob es nicht schwer ist, werden wir sehen.
Zunächst einmal fallen einem manche Ungereimtheiten auf, wenn man diesen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium hört.
Ist es wirklich so schlimm, kein Festgewand anzuhaben, wenn man bei einer Hochzeit zu Gast ist? Die Strafe erscheint uns ja unangemessen hart.
Woher sollte denn der Gast, der auf der Straße angetroffen und spontan zu der Feier gebeten worden war, auch die festliche Kleidung gehabt haben? Vielleicht war er ja ein Landstreicher, der nichts anderes besaß als das, was er am Leibe trug. Dass von der Straße aufgesammelte Leute die Teilnehmer eines solchen Festmahls sein sollen, weil die eigentlich geladenen Gäste alle nicht kommen wollen, das klingt in unseren Ohren auch ungewöhnlich. Wer schlägt denn schon die Einladung eines Königs aus, der für seinen Sohn ein großes Hochzeitsfest gibt? Und dann auch noch ohne Begründung: Der eine geht auf seinen Acker, der andere in sein Geschäft – sie ziehen ihre Arbeit, ihren Alltag ganz sang- und klanglos diesem großen Ereignis vor. Das mit dem Aussprechen der Einladung an die Geladenen ist auch so eine Sache. Sie ergeht nämlich zwei Mal: Zunächst als Ankündigung, und dann als konkrete Aufforderung: Jetzt ist es soweit. Jedes Mal werden Boten geschickt, die das ausrichten sollen. Wenn sie schon nicht kommen mochten, egal aus welchem Grund – welche Veranlassung hatten die mit der Einladung Geehrten aber, die Überbringer des Angebots erst zu verhöhnen und dann zu töten? Ganz klar ist das jedenfalls nicht. Auch leuchtet es nicht ein, weshalb der König mit so drakonischen Maßnahmen reagiert, sein Heer ausschickt, die Übeltäter töten und die Stadt niederbrennen lässt. In dem Ort wohnten doch bestimmt viele, die nicht eingeladen worden waren – Unschuldige also. Ich habe mich auch gefragt, ob der König so schlecht Bescheid weiß und seine Leute so wenig kennt, dass er ausgerechnet die Schlimmsten seiner Untertanen zu dem Fest einlädt. Es können doch nicht alle Einwohner seines Reichs so schlechte Menschen gewesen sein wie die, die seine Herolde verspotteten und töteten. Es kommt mir auch merkwürdig vor, dass der Beginn der Feier so lange hinausgezögert werden kann. Als das Essen sozusagen auf dem Tisch steht, wird zunächst die Stadt zerstört, in der die Herolde ums Leben kamen, und dann werden lauter unbeteiligte Leute eingeladen und an den Tisch gebeten. Jede Köchin fragt sich da: Wie konnten sie die Speisen so lange warm und die Getränke kühl gehalten werden? Wer von uns mehr im Sinn hat als die festliche Bewirtung bei einer Hochzeitsfeier, fragt sich womöglich auch, wer jetzt eigentlich noch feiern mag mit einem König, der da anscheinend auf so brutale Weise sein Volk verfolgt, das Militär gegen seine Leute einsetzt und eine ganze Stadt mitsamt ihren Bewohnern in Flammen aufgehen lässt, sozusagen als Festvorbereitung.
„Dies Evangelium ist nicht schwer und ist ein schrecklich Evangelium“ - mit diesem Widerspruch hat Luther seine Predigt eröffnet. Wenn es uns heute nicht nur schrecklich, sondern auch schwer verständlich vorkommt, müssen wir wohl etwas tiefer graben, um zu verstehen, was damit gemeint sein kann. Um noch einmal bei der passenden Kleidung anzufangen: In der Welt der Antike war es üblich, dass die Gäste einer Feier das Festgewand vom Gastgeber gestellt bekamen, zu Beginn der Feier. Man konnte also zu einer Hochzeit gehen, wie man wollte, mit den Anziehsachen, die man immer trug. Man bekam dort genau so ein Festkleid wie alle anderen. Ich finde, das war ein guter Brauch. Die Kleiderfrage spielte für die Gäste zur Zeit von Jesus bei solchen Feiern keine Rolle, soziale Unterschiede waren damit auch teilweise überwunden, alle waren gleich gut und angemessen gekleidet.
Auch die uns wohl erstaunende Sache, dass zwei Mal eingeladen wurde: Erst als Ankündigung, mit dem ungefähren Termin, und dann noch einmal, wenn es wirklich so weit war, war nichts Besonderes für die antike Welt. Es war genau so üblich, denn damals lebte niemand mit einem Kalender in der Tasche und mit einer Uhr am Handgelenk. Diese Erinnerung war also nötig.
Auch heute wird zu manchen Veranstaltungen noch zwei Mal eingeladen, zum Beispiel zu unserem Gottesdienst: Wir läuten einmal um halb zehn und dann noch mal um zehn Uhr. Das erste Läuten heißt: Heute ist Gottesdienst, denkt dran. Das zweite bedeutet: Gleich ist es so weit, kommt bitte alle.
Natürlich kommen längst nicht mehr alle, noch nicht mal alle Evangelischen. Die meisten schlagen die Einladung aus. Sie haben am Sonntag Vormittag anderes vor als ausgerechnet zur Kirche zu gehen. Sie gehen wahrscheinlich nicht auf ihren Acker oder in ihr Geschäft, sondern in den Park, ins Kino oder Freunde besuchen. Unsere Gottesdienste sind langweilig. Das ist ein echtes Problem. Meiner Meinung nach liegt das nicht unbedingt daran, dass die Pastorinnen und Pastoren so schlecht predigen würden. Es liegt vielleicht eher daran, dass sich in der Gemeinde so wenig abspielt, auch und gerade beim Gottesdienst. Manche sagen, unsere Feiern am Sonntag Morgen glichen einer Versammlung von Kühlschränken. Man kann in eine Gemeinde gehen, in der man vorher noch nie war – die Wahrscheinlichkeit, dort freundlich begrüßt zu werden, gefragt zu werden, wer man ist und woher man kommt, mit anderen bekannt gemacht zu werden, überhaupt mit den anderen Teilnehmern es Gottesdiensts irgendwie in Kontakt zu kommen, tendiert gegen Null. Da will heute kaum noch einer hingehen. Kein Wunder.
In der Geschichte aus dem Matthäusevangelium ist das anders. Die Gäste schlagen die Einladung zur Feier nicht aus, weil sie vermuten, dass es dort langweilig sein wird. Hier geht es um andere Dinge. Offenbar gibt es hier welche, die von Anfang an dazu gehörten, die ganz selbstverständlich eingeladen waren – eine Gruppe von Menschen, bei der niemand daran gezweifelt hätte, dass sie zu den Gästen des großen Fests gehören würden. Die wollten nicht kommen.
Und dann gibt es die, bei denen keiner darauf gekommen wäre, dass sie überhaupt an der Tafel des Königs einen Platz bekommen würden - Menschen die einen ganz andere Status hatten. Leute, die man nicht einlädt.
Sie sind die, die nachher mitfeiern, während die ersten wegbleiben.
Matthäus erzählt hier die Geschichte seines Volks nach, so, wie er es versteht. Diejenigen, von denen er gedacht hätte, dass sie die Botschaft von Jesus hören, verstehen und annehmen würden: Die Juden, das erwählte Volk Gottes, sind nur zum kleinen Teil Christen geworden. Die meisten von ihnen sind einfach Juden geblieben. Von einem Messias, der als Staatsfeind hingerichtet wurde und einen schmählichen Tod vor den Toren Jerusalems starb, wollten sie nichts wissen. Natürlich waren sie zuerst eingeladen. Sie sind Gottes geliebtes und erwähltes Volk. Es schmerzt den Matthäus ganz offensichtlich, dass sie lieber bei dem geblieben sind, was sie schon kannten, als das Neue anzunehmen, das ihn so erfüllt: Die Botschaft von der unerhörten Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus zeigt.
(Auch Paulus empfindet diesen Schmerz. In seinem Brief an die Römer schreibt er drei Kapitel lang darüber, dass wir nicht wissen können, warum das so ist. Jesus, der zu den verlorenen Schafen Israels geschickt worden war, ist von seinen eigenen Leuten nicht angenommen worden. Gott allein weiß, warum das so ist, schreibt Paulus im Römerbrief, und das Einzige, was wir dazu denken können, ist dies: Dass Gott es selbst so gefügt hat, aus Liebe. Wahrscheinlich uns zuliebe.)
Die Boten, die erst verhöhnt und dann getötet werden, diese Herolde, von denen Matthäus spricht, das sind wohl die Propheten und Apostel. Viele von ihnen sind verlacht, verkannt, verhöhnt und zuletzt umgebracht worden.
Die Stadt, an die hier Feuer gelegt wurde, gibt es bis heute: Es ist Jerusalem. Im Jahr 71 nach Christi Geburt wurde sie von dem Römern niedergebrannt. Matthäus deutet das als Strafgericht Gottes. In diesem Gleichnis gibt er so etwas wie eine eigene Sicht der Geschichte Gottes mit seinen Menschen wieder.
Die Geschichte endet mit einem großen Festmahl im Himmel. Da feiert der Bräutigam Jesus die Vereinigung mit der Gemeinde der Menschen, die ihn lieb haben. Ein Glück, dass dieses Fest stattfinden wird, ja, auf jeden Fall wird es das! Das ist die wichtige Botschaft dieser Geschichte. Jeder, der in seinem Herzen die Liebe zu Jesus empfindet und sie in seinem Leben in die Tat umsetzt, wird mitfeiern. Das dürfen wir wissen. Wir sollen uns aber nichts darauf einbilden, dass wir, die von den Straßen Herbeigerufenen und von den Plätzen der Stadt Aufgesammelten, dabei sein können. Viele sind berufen: Alle, die nicht zum Volk Israel gehören, sind in den Bund Gottes aufgenommen worden und haben die Einladung erhalten, dazuzugehören. Wer diesem Ruf folgen möchte, sollte nicht erst im Himmel mitfeiern wollen, sondern schon auf der Erde das tun, was der Einladung würdig ist. Dazu auserwählt sind anscheinend nicht alle. Wer nicht lebt in der Liebe, die Gott seinen Menschen schenkt, trägt nicht das Kleid, das für ihn bereitgelegt wurde. „This little light of mine, I'm gonna let it shine“, hat unser Gospelchor nach der Lesung des Evangeliums gesungen. Wir sind aufgerufen, unser Licht leuchten zu lassen, so klein es auch sein mag. Leuchten soll es. Wenn wir es glänzen lassen, dieses kleine Licht, das uns allen gegeben ist, werden wir keine Versammlung von Kühlschränken sein, sondern freundlich auf unsere Mitmenschen zugehen. Es wird uns nicht egal sein, wie es ihnen geht. Wir werden nach ihnen fragen, sie willkommen heißen, in unsere Mitte aufnehmen und zusammen mit ihnen das Leben leben, das uns gegeben ist. Ich will Ihnen etwas sagen, liebe Gemeinde: Das große Fest, zu dem wir eingeladen sind, beginnt nicht erst im Himmelreich. Es fängt hier an, auf der Erde, immer wieder. Da, wo wir das Leben miteinander teilen mit allem, was es uns gibt, wo wir uns einander mitteilen und niemanden allein lassen, da beginnt es, mitten unter uns. Nicht allein bleiben, sondern zusammen gehören sollen wir, als Kranke und Gesunde, als Menschen mit sichtbarer und weniger sichtbarer Behinderung, als Junge und Alte. Wir nehmen die Einladung an, legen das Festkleid der Liebe Gottes an und reichen einander die Hände. Das ist kein schreckliches Evangelium.
In der Kirche haben wir ein starkes Zeichen dafür, das uns diese Einladung zum Teilen immer wieder deutlich macht und uns Kraft gibt dafür, das zu tun, wozu wir berufen sind: Das Abendmahl. Wir teilen das Brot und alles, was wir zum Leben brauchen. Wir teilen den Wein und alles, was unser Leben schön macht. Wir gehen gemeinsam zu dem Fest, zu dem wir eingeladen sind. Amen.
EG 557, 1+2 Unser Leben sei ein Fest
Liebe Gemeinde!
Meine Großmutter träumte oft, sie wäre falsch angezogen. Dann erschien sie morgens mit zerknirschter Miene zum Frühstück und erzählte uns, wie gnadenlos peinlich es ihr im Traum ergangen war. So war sie zum Beispiel auf einem Ball gewesen und hatte plötzlich gemerkt, dass sie einen alten Trainingsanzug trug – obwohl sie so etwas wie Sportkleidung in Wirklichkeit gar nicht besaß. Am liebsten wäre sie in einer Fußbodenritze verschwunden. „Kinder, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie blamabel das war“, sagte sie dann. Einmal, und das war ein echter Alptraum für sie gewesen, hatte sie auf einer Sitzung des Kirchenvorstands mit einem Mal gemerkt, dass sie nichts anhatte außer ihrer großen schwarzen Stola. Damit konnte sie nicht einmal aufstehen und hinausgehen. So etwas will niemand erleben, noch nicht einmal im Traum. Es ist einfach schrecklich.
Aus einem Traum kann man immerhin erwachen, um dann am Frühstückstisch zu berichten, welchen üblen Streich einem das Gehirn in der Nacht gespielt hat.
Das Evangelium, das uns heute zur Predigt aufgegeben ist, lässt eine so glimpfliche Lösung nicht zu. Da wird der Gast, der bei der Hochzeit ohne angemessene Kleidung angetroffen wird, in die Finsternis hinausgeworfen; dorthin, wo Heulen und Zähneklappern ist.
Was sollen wir davon halten?
Martin Luther, der im Jahr 1531 über diesen Text zu predigen hatte, begann seine Kanzelrede mit den Worten: „Dies Evangelium ist nicht schwer und ist ein schrecklich Evangelium“. Dass es schrecklich ist, glauben wir sofort, auch heute, nach 480 Jahren. Ob es nicht schwer ist, werden wir sehen.
Zunächst einmal fallen einem manche Ungereimtheiten auf, wenn man diesen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium hört.
Ist es wirklich so schlimm, kein Festgewand anzuhaben, wenn man bei einer Hochzeit zu Gast ist? Die Strafe erscheint uns ja unangemessen hart.
Woher sollte denn der Gast, der auf der Straße angetroffen und spontan zu der Feier gebeten worden war, auch die festliche Kleidung gehabt haben? Vielleicht war er ja ein Landstreicher, der nichts anderes besaß als das, was er am Leibe trug. Dass von der Straße aufgesammelte Leute die Teilnehmer eines solchen Festmahls sein sollen, weil die eigentlich geladenen Gäste alle nicht kommen wollen, das klingt in unseren Ohren auch ungewöhnlich. Wer schlägt denn schon die Einladung eines Königs aus, der für seinen Sohn ein großes Hochzeitsfest gibt? Und dann auch noch ohne Begründung: Der eine geht auf seinen Acker, der andere in sein Geschäft – sie ziehen ihre Arbeit, ihren Alltag ganz sang- und klanglos diesem großen Ereignis vor. Das mit dem Aussprechen der Einladung an die Geladenen ist auch so eine Sache. Sie ergeht nämlich zwei Mal: Zunächst als Ankündigung, und dann als konkrete Aufforderung: Jetzt ist es soweit. Jedes Mal werden Boten geschickt, die das ausrichten sollen. Wenn sie schon nicht kommen mochten, egal aus welchem Grund – welche Veranlassung hatten die mit der Einladung Geehrten aber, die Überbringer des Angebots erst zu verhöhnen und dann zu töten? Ganz klar ist das jedenfalls nicht. Auch leuchtet es nicht ein, weshalb der König mit so drakonischen Maßnahmen reagiert, sein Heer ausschickt, die Übeltäter töten und die Stadt niederbrennen lässt. In dem Ort wohnten doch bestimmt viele, die nicht eingeladen worden waren – Unschuldige also. Ich habe mich auch gefragt, ob der König so schlecht Bescheid weiß und seine Leute so wenig kennt, dass er ausgerechnet die Schlimmsten seiner Untertanen zu dem Fest einlädt. Es können doch nicht alle Einwohner seines Reichs so schlechte Menschen gewesen sein wie die, die seine Herolde verspotteten und töteten. Es kommt mir auch merkwürdig vor, dass der Beginn der Feier so lange hinausgezögert werden kann. Als das Essen sozusagen auf dem Tisch steht, wird zunächst die Stadt zerstört, in der die Herolde ums Leben kamen, und dann werden lauter unbeteiligte Leute eingeladen und an den Tisch gebeten. Jede Köchin fragt sich da: Wie konnten sie die Speisen so lange warm und die Getränke kühl gehalten werden? Wer von uns mehr im Sinn hat als die festliche Bewirtung bei einer Hochzeitsfeier, fragt sich womöglich auch, wer jetzt eigentlich noch feiern mag mit einem König, der da anscheinend auf so brutale Weise sein Volk verfolgt, das Militär gegen seine Leute einsetzt und eine ganze Stadt mitsamt ihren Bewohnern in Flammen aufgehen lässt, sozusagen als Festvorbereitung.
„Dies Evangelium ist nicht schwer und ist ein schrecklich Evangelium“ - mit diesem Widerspruch hat Luther seine Predigt eröffnet. Wenn es uns heute nicht nur schrecklich, sondern auch schwer verständlich vorkommt, müssen wir wohl etwas tiefer graben, um zu verstehen, was damit gemeint sein kann. Um noch einmal bei der passenden Kleidung anzufangen: In der Welt der Antike war es üblich, dass die Gäste einer Feier das Festgewand vom Gastgeber gestellt bekamen, zu Beginn der Feier. Man konnte also zu einer Hochzeit gehen, wie man wollte, mit den Anziehsachen, die man immer trug. Man bekam dort genau so ein Festkleid wie alle anderen. Ich finde, das war ein guter Brauch. Die Kleiderfrage spielte für die Gäste zur Zeit von Jesus bei solchen Feiern keine Rolle, soziale Unterschiede waren damit auch teilweise überwunden, alle waren gleich gut und angemessen gekleidet.
Auch die uns wohl erstaunende Sache, dass zwei Mal eingeladen wurde: Erst als Ankündigung, mit dem ungefähren Termin, und dann noch einmal, wenn es wirklich so weit war, war nichts Besonderes für die antike Welt. Es war genau so üblich, denn damals lebte niemand mit einem Kalender in der Tasche und mit einer Uhr am Handgelenk. Diese Erinnerung war also nötig.
Auch heute wird zu manchen Veranstaltungen noch zwei Mal eingeladen, zum Beispiel zu unserem Gottesdienst: Wir läuten einmal um halb zehn und dann noch mal um zehn Uhr. Das erste Läuten heißt: Heute ist Gottesdienst, denkt dran. Das zweite bedeutet: Gleich ist es so weit, kommt bitte alle.
Natürlich kommen längst nicht mehr alle, noch nicht mal alle Evangelischen. Die meisten schlagen die Einladung aus. Sie haben am Sonntag Vormittag anderes vor als ausgerechnet zur Kirche zu gehen. Sie gehen wahrscheinlich nicht auf ihren Acker oder in ihr Geschäft, sondern in den Park, ins Kino oder Freunde besuchen. Unsere Gottesdienste sind langweilig. Das ist ein echtes Problem. Meiner Meinung nach liegt das nicht unbedingt daran, dass die Pastorinnen und Pastoren so schlecht predigen würden. Es liegt vielleicht eher daran, dass sich in der Gemeinde so wenig abspielt, auch und gerade beim Gottesdienst. Manche sagen, unsere Feiern am Sonntag Morgen glichen einer Versammlung von Kühlschränken. Man kann in eine Gemeinde gehen, in der man vorher noch nie war – die Wahrscheinlichkeit, dort freundlich begrüßt zu werden, gefragt zu werden, wer man ist und woher man kommt, mit anderen bekannt gemacht zu werden, überhaupt mit den anderen Teilnehmern es Gottesdiensts irgendwie in Kontakt zu kommen, tendiert gegen Null. Da will heute kaum noch einer hingehen. Kein Wunder.
In der Geschichte aus dem Matthäusevangelium ist das anders. Die Gäste schlagen die Einladung zur Feier nicht aus, weil sie vermuten, dass es dort langweilig sein wird. Hier geht es um andere Dinge. Offenbar gibt es hier welche, die von Anfang an dazu gehörten, die ganz selbstverständlich eingeladen waren – eine Gruppe von Menschen, bei der niemand daran gezweifelt hätte, dass sie zu den Gästen des großen Fests gehören würden. Die wollten nicht kommen.
Und dann gibt es die, bei denen keiner darauf gekommen wäre, dass sie überhaupt an der Tafel des Königs einen Platz bekommen würden - Menschen die einen ganz andere Status hatten. Leute, die man nicht einlädt.
Sie sind die, die nachher mitfeiern, während die ersten wegbleiben.
Matthäus erzählt hier die Geschichte seines Volks nach, so, wie er es versteht. Diejenigen, von denen er gedacht hätte, dass sie die Botschaft von Jesus hören, verstehen und annehmen würden: Die Juden, das erwählte Volk Gottes, sind nur zum kleinen Teil Christen geworden. Die meisten von ihnen sind einfach Juden geblieben. Von einem Messias, der als Staatsfeind hingerichtet wurde und einen schmählichen Tod vor den Toren Jerusalems starb, wollten sie nichts wissen. Natürlich waren sie zuerst eingeladen. Sie sind Gottes geliebtes und erwähltes Volk. Es schmerzt den Matthäus ganz offensichtlich, dass sie lieber bei dem geblieben sind, was sie schon kannten, als das Neue anzunehmen, das ihn so erfüllt: Die Botschaft von der unerhörten Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus zeigt.
(Auch Paulus empfindet diesen Schmerz. In seinem Brief an die Römer schreibt er drei Kapitel lang darüber, dass wir nicht wissen können, warum das so ist. Jesus, der zu den verlorenen Schafen Israels geschickt worden war, ist von seinen eigenen Leuten nicht angenommen worden. Gott allein weiß, warum das so ist, schreibt Paulus im Römerbrief, und das Einzige, was wir dazu denken können, ist dies: Dass Gott es selbst so gefügt hat, aus Liebe. Wahrscheinlich uns zuliebe.)
Die Boten, die erst verhöhnt und dann getötet werden, diese Herolde, von denen Matthäus spricht, das sind wohl die Propheten und Apostel. Viele von ihnen sind verlacht, verkannt, verhöhnt und zuletzt umgebracht worden.
Die Stadt, an die hier Feuer gelegt wurde, gibt es bis heute: Es ist Jerusalem. Im Jahr 71 nach Christi Geburt wurde sie von dem Römern niedergebrannt. Matthäus deutet das als Strafgericht Gottes. In diesem Gleichnis gibt er so etwas wie eine eigene Sicht der Geschichte Gottes mit seinen Menschen wieder.
Die Geschichte endet mit einem großen Festmahl im Himmel. Da feiert der Bräutigam Jesus die Vereinigung mit der Gemeinde der Menschen, die ihn lieb haben. Ein Glück, dass dieses Fest stattfinden wird, ja, auf jeden Fall wird es das! Das ist die wichtige Botschaft dieser Geschichte. Jeder, der in seinem Herzen die Liebe zu Jesus empfindet und sie in seinem Leben in die Tat umsetzt, wird mitfeiern. Das dürfen wir wissen. Wir sollen uns aber nichts darauf einbilden, dass wir, die von den Straßen Herbeigerufenen und von den Plätzen der Stadt Aufgesammelten, dabei sein können. Viele sind berufen: Alle, die nicht zum Volk Israel gehören, sind in den Bund Gottes aufgenommen worden und haben die Einladung erhalten, dazuzugehören. Wer diesem Ruf folgen möchte, sollte nicht erst im Himmel mitfeiern wollen, sondern schon auf der Erde das tun, was der Einladung würdig ist. Dazu auserwählt sind anscheinend nicht alle. Wer nicht lebt in der Liebe, die Gott seinen Menschen schenkt, trägt nicht das Kleid, das für ihn bereitgelegt wurde. „This little light of mine, I'm gonna let it shine“, hat unser Gospelchor nach der Lesung des Evangeliums gesungen. Wir sind aufgerufen, unser Licht leuchten zu lassen, so klein es auch sein mag. Leuchten soll es. Wenn wir es glänzen lassen, dieses kleine Licht, das uns allen gegeben ist, werden wir keine Versammlung von Kühlschränken sein, sondern freundlich auf unsere Mitmenschen zugehen. Es wird uns nicht egal sein, wie es ihnen geht. Wir werden nach ihnen fragen, sie willkommen heißen, in unsere Mitte aufnehmen und zusammen mit ihnen das Leben leben, das uns gegeben ist. Ich will Ihnen etwas sagen, liebe Gemeinde: Das große Fest, zu dem wir eingeladen sind, beginnt nicht erst im Himmelreich. Es fängt hier an, auf der Erde, immer wieder. Da, wo wir das Leben miteinander teilen mit allem, was es uns gibt, wo wir uns einander mitteilen und niemanden allein lassen, da beginnt es, mitten unter uns. Nicht allein bleiben, sondern zusammen gehören sollen wir, als Kranke und Gesunde, als Menschen mit sichtbarer und weniger sichtbarer Behinderung, als Junge und Alte. Wir nehmen die Einladung an, legen das Festkleid der Liebe Gottes an und reichen einander die Hände. Das ist kein schreckliches Evangelium.
In der Kirche haben wir ein starkes Zeichen dafür, das uns diese Einladung zum Teilen immer wieder deutlich macht und uns Kraft gibt dafür, das zu tun, wozu wir berufen sind: Das Abendmahl. Wir teilen das Brot und alles, was wir zum Leben brauchen. Wir teilen den Wein und alles, was unser Leben schön macht. Wir gehen gemeinsam zu dem Fest, zu dem wir eingeladen sind. Amen.
EG 557, 1+2 Unser Leben sei ein Fest
Perikope