Predigt zu Matthäus 28,16–20 von Karin Klement
Liebe Jugendliche und Erwachsene, liebe Gemeinde!
Wie viele Krisengipfel mögen wohl in der letzten Zeit erklommen, immer wieder neu aufgebaut und mühsam erstiegen worden sein? Ukraine-Konflikt. Griechenland-Misere. Die Berge von Toten, die durch Anschläge der Terrormiliz des Islamischen Staates oder von Boko Haram ums Leben kamen, und vieles mehr. Während wir uns hier im Zentrum von Europa auf entspannte, sonnige Sommerferienzeit freuen, hecheln die Politiker unserer Länder von einem Sondergipfel zum anderen. Normale Alltagspolitik sieht anders aus.
Der BERG-Gipfel – in der Bibel ursprünglicher Ort der Gottesoffenbarung – beschreibt zu unserer Zeit eher äußerst makabre Höhepunkte und fast verzweifelte Rettungsversuche. MOSE brachte die 10 Gebote aus allerhöchster Gottesnähe in die Niederungen menschlicher Kleinheit und Schuld. Bei uns proben die Großen in Europa, wie sie mit den Kleinen und manchmal recht unverschämten Regierungschefs umgehen sollen, die sich keiner eigenen Schuld bewusst scheinen.
JESUS selbst spürte und wiederstand der Versuchung zu unbegrenzter Machtausübung, als ihm der Teufel die Reichtümer der Welt zur Füßen legen wollte. Stattdessen lehrte er in seiner Bergpredigt, dass selig ist, wer sich selbst gerade nicht auf dem Gipfel der Glückseligkeit wähnt: Leidtragende, Sanftmütige und Barmherzige, Menschen mit reinen Herzen, Friedfertige und jene, die gerecht bleiben, auch wenn sie Unrecht erfahren.
Auf den Gipfeln weitet sich der Blick; die Aussicht bringt auch ferne, noch unerreichbare Ziele ein Stück näher. Und es eröffnen sich neue Perspektiven, der Ausblick auf weit mehr als uns normalerweise vor Augen liegt. Machen wir also einen Gipfelwanderung mit JESUS! Genießen wir eine ungewohnte Perspektive, den Weitblick über unseren normalen Alltag hinaus. Ein ruhiges Auge ist dafür ganz hilfreich, ein konzentrierter Blick. Und zwei aufmerksame Ohren. Hören wir, was am Ende des Matthäus-Evangelium geschrieben steht:
(16) Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. (17) Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
(18) Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. (19) Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (20) und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Eine beeindruckende Szene hoch auf dem Gipfel der Ereignisse – nach Kreuzigung und der wundersamen Auferstehung Jesu. Von jenen Frauen geschickt, die dem Auferstandenen an seinem Grab begegnet waren, kommen die Jünger auf einen Berg in Galiläa. Im Norden Israels, in der Region Galiläa war Jesus aufgewachsen; dort hatte er seine Freunde und Anhänger gefunden. Nun kehren sie dorthin zurück, weil ihnen die Frauen so etwas Unglaubliches erzählten; weil sie behaupteten, den Toten lebendig gesehen zu haben. Und ER, der Auferstandene, habe ihnen, den Jüngern, mitteilen lassen, sie sollen ihn auf dem Berg in Galiläa treffen.
Eigentlich kein Wunder, wenn ihnen Zweifel kommen. Eher ein Wunder, dass sie sich trotzdem auf den Weg machen. Dass sie es trotzdem ausprobieren, ob sich ihre Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit ihrem geliebten Freund, dem Menschenbruder und Gottessohn erfüllen wird. Und, als sie ihn tatsächlich vor sich sehen, fallen sie auf ihre Knie.
In der Politik in die Knie zu gehen bedeutet Macht- und Ansehensverluste. Mühevoll werden im Streit Kompromisse gesucht. Man kommt sich gegenseitig entgegen, bis alle das Ergebnis der Unterredungen so einigermaßen als ihren Erfolg verbuchen können. Die Formulierung der Worte deutet an, welche Gefühle im Spiel sind; je derber die Ausdrücke, desto heftiger die Emotionen. Niemand will sein Gesicht verlieren, selbst wenn er kaum noch Chancen hat seinen politischen Willen durchzusetzen. Ungewohnt, wenn dann ein offensichtlicher Bittsteller, wie der griechische Premier, mit einem selbstbewussten, fast provozierenden Lächeln auftritt. Auf den Höhen der Macht tanzt er scheinbar unerschrocken über die strengen Mienen der meisten seiner Gesprächspartner ihnen auf der Nase herum. Zumindest wirkt es so. Aber seine Lässigkeit gewinnt auch Anerkennung, Respekt gegenüber dem Mutigen in seiner schier aussichtslosen Position. Und anstatt in scharfe Konfrontation und resolute Abwehr zu gehen, nehmen kluge, führende Politiker den Regierungschef mit seinen leeren Händen sehr freundlich in Empfang. Eine Geste der Würdigung, die dem Einzelkämpfer ermöglicht auf Augenhöhe zu sprechen. Vorbildlich, wenn es gelingt, in der Politik wie im zwischenmenschlichen Bereich die Verbindung nicht abreißen zu lassen.
Die Jünger fallen auf die Knie vor ihrem HERRN; ihre Demutsgeste hängt vielleicht auch damit zusammen, dass sie plötzlich ihre eigene Schwäche spüren. Ihre verdrängte Angst, ihren unterdrückten Schmerz. Die grausame Kreuzigung Jesu hatte sie in die Flucht geschlagen. Tagelang widerstanden sie ihrem Gefühl der Verlassenheit, des Versagens und Scheiterns einer großartigen Idee. Sie ertrugen die unmenschliche Entwürdigung und den elenden Tod jenes Mannes, den sie verehrt und geliebt hatten. Und nun stand ER wieder vor ihnen. Eine lichte, sanftmütige Gestalt. Einer, der mit Worten so viel mehr bewegen und erreichen konnte, als die Mächtigen mit ihren anmaßenden Gesten oder ausgeborgter Gewalt. Die Freunde JESU fallen auf die Knie, vielleicht auch, weil sie nicht fassen können, dass es wahr ist, was sie da vor sich sehen.
Doch auch der Zweifel lässt sich nicht weg-„knien“; er bleibt ein Stachel im Wiedererkennen. Der Verstand lässt sich nicht ausschalten, das selbständige Nachdenken nicht ignorieren; der verzagende Kleinglaube nicht beiseiteschieben. Die Angst vor einer erneuten Enttäuschung sucht nach Schutz im Zweifel. Das Zweifeln gehört mit zum Erkenntnisprozess. Auch die Angst, sich fallenzulassen in das, was sie zu sehen glauben. Solange sie sich an der Wirklichkeit des Todes festhalten konnten, hielten sie etwas in ihren Händen. Die Realität des Todes preiszugeben, macht sie ohnmächtig, machtlos und lässt ihnen die Beine einknicken.
JESUS aber geht auf sie zu und sagt die entscheidenden Worte. ER gibt den Verunsicherten eine Wegweisung, erteilt den Fragenden einen klaren Auftrag, schenkt den Zweifelnden eine neue Aussicht. Und jenen, deren Herzen sowieso schon brennen, die vielleicht nichts mehr glauben müssen, weil sie einfach nur glücklich sind und voller Liebe in JESU Gegenwart – ihnen wärmt er das Herz mit Seinem Zutrauen. Mit allen Jüngern gleichermaßen teilt er seine Vollmacht, gibt ihnen Kraft und Stärke mit seinem Auftrag, Menschen im Namen Gottes zu taufen und zu lehren.
Aufstehen und hineingehen in diese Welt. Mit der TAUFE – Symbol für Gottes Gegenwart im Leben wie im Sterben – die Menschen an Körper, Geist und Seele berühren. Und sie unterrichten, ihnen vom Glauben erzählen, von einem Gott, der ihnen hautnahe begegnet, egal in welcher Situation sie gerade leben, was sie belastet, ablenkt oder in Zweifel zieht.
Die Jünger sollen ihre Mitmenschen zu Jüngern und Jüngerinnen machen. Die Lehrlinge in Sachen GLAUBE sollen alle Völker in die Lehre bringen. Niemand soll ausgeschlossen werden. Allen gilt die gute Botschaft, der Friede, die Liebe. Und der Beistand, die Gegenwart Gottes bis ans Ende aller Tage – und sogar darüber hinaus.
Oben auf dem Berg des Geschehens, auf dem Gipfel zwischen Zweifel und Hoffnung, zwischen kritischem Glauben und blindem Vertrauen werden die Jünger aufgefordert, nicht stehen zu bleiben. Sie sollen weder weitentfernte, einsame Gipfelkreuze aufrichten, noch versteckte Hütten bauen für einzelne Gipfelstürmer. Sie sollen das ihnen zugesprochene Wort, das Vertrauen, das Jesus in sie setzt, und den Glauben weitertragen. Hinunter in die Täler und Tiefen des Alltags. Sie sollen erzählen von dem, was sie erlebt, erfahren, durchdacht und immer wieder bezweifelt haben, und was das alles in ihnen auslöste. JESUS teilt ihnen sein Testament zu, seine letzten Worte: Ein Anschubs zum Weitergehen und Nicht-Stehenbleiben. Hin zu ihren Mitmenschen in aller Welt. Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Eine Lern-Aufgabe für uns selbst und ein Lehr-Auftrag gegenüber unseren Mitmenschen. Und Christus ist mittendrin dabei, wenn wir als getaufte Christen und Christinnen vom Glauben reden und Nächstenliebe praktizieren. Wir sind Beauftragte für den jeweiligen Ort, an dem wir zuhause sind: als Eltern, die ihren Kindern ein Vorbild für Vertrauen geben. Als Jugendliche, die oftmals an sich selbst zweifeln und doch wissen sollen: So, wie ich bin, bin ich ok. Denn kein Mensch ist jemals zu Ende mit seinem Lernen.
Auch als gegenseitig Liebende, die beispielhaft Vertrauen praktizieren und ihre Liebe unter Gottes Segen stellen. Als Nachbarn oder als Fremde, die einander helfen und darin diakonisch handeln, also praktische Nächstenliebe üben. Überall und jederzeit lernen wir Gottvertrauen von einander kennen und üben es selbständig ein. Unsere Gemeinde, unsere KIRCHE ist eine lernende und eine lehrende Gemeinschaft in Sachen Gottvertrauen. Wir leben auf dem Gipfel – Gott schenkt uns einen weiten Ausblick und die Freiheit mit Gelassenheit auf andere zuzugehen. So kann und soll das Zusammenleben in dieser Welt zum Segen für alle werden. Gott sei Dank!
AMEN