Predigt zu Matthäus 3,13-17 von Ralph Hochschild
3,13-17

Liebe Gemeinde,

alle Eltern tun es. Und es beginnt lange vor der Geburt des Kindes. Es begann lange, bevor unser Name über dem Taufstein genannt wurde: das Suchen, Fragen, Überlegen: “Welcher Name ist der richtige für unser Kind?” Und so verschieden, wie Eltern nun einmal sind, so verschieden sind die Gründe für ihre Wahl: der Name, der am schönsten klingt, der Name, der die Familientradition fortsetzt, ein Name, der verkörpert, was die Eltern für ihr Kind erhoffen und anderes mehr. Aber so verschieden die Gründe für Moritz und Marvin, Chantal und Charlotte einmal waren, mit der Zeit und mit den Jahren werden ihre Eltern eine gemeinsame Erfahrung machen: “Typisch für meinen Philipp”, “typisch für meine Chiara”, “typisch für unser Kind” - das denken irgendwann alle Eltern und manchmal seufzen sie es - so wie wir, wenn wir unsere Kinder aufwachsen sehen. Und das signalisiert: Name und Kind haben zueinander gefunden, Leben, Tun und Charakter sind zusammengewachsen, werden in uns zu einem stimmigen Bild von unserem Kind.

Eine ähnliche Erfahrung steht hinter unserem heutigen Predigttext. In dieser Geschichte können Name und Leben als stimmiges Ganzes erkannt werden. Der Evangelist Matthäus erzählt im 3. Kapitel, in den Versen 13 bis 17:

13Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. 14Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? 15Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. 16Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. 17Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Herr segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde,

Jesus bedeutet “Gott hilft”, wir könnten seinen Namen auch “Gott ist die Rettung” übersetzen. So alltäglich dieser Name in den Ohren seiner Zeitgenossen klingt, Jesu Name ist ein Bekenntnis: “Rettung, Hilfe - das erwarten wir von Gott.”

“Gott hilft”, “Gott ist die Rettung”, Jesu Name ist ein Signal in einem verunsicherten Land, das seinen politischen Eliten nichts mehr zutraut. Hin- und hergerissen zwischen Anpassung und aggressiver Ablehnung der modernen Kultur, wie sie seit Generationen von außen in das Land hineinströmt. Hin- und hergerissen zwischen Kollaboration und gewalttätigem Widerstand. Hin- und hergerissen zwischen der Öffnung für neue Lebensformen und dem Festhalten an lieb gewordenen Traditionen.

“Gott hilft”, “Gott ist die Rettung”, Jesu Name ist eine Einladung an irritierte Menschen, die ihre innere Mitte verloren haben. Die spüren, dass sie die alten Gewissheiten nicht mehr tragen und doch dem Neuen noch nicht vertrauen können, für die nostalgische Anhänglichkeit an das Alte genauso wenig den Weg in die Zukunft weist, wie die aggressive Ablehnung alles Fremden. Sinn und lohnenswerte Ziele in ihrem Leben finden sie nicht mehr. Es strengt sie an, gegen ihre Mutlosigkeit ankämpfen, einen neuen Anfang für sich zu finden. Sie spüren, dass sie ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen und ihrem Glauben nicht gerecht werden.

“Gott hilft”, “er wird sein Volk retten von ihren Sünden” - so deutet Matthäus den Namen Jesu. Und Jesus macht sich mit diesem suchenden Volk auf den Weg. Hinunter in den Jordangraben, hinunter zu Johannes, dahin, wo nach dem Bericht des Matthäus so viele aus der Stadt Jerusalem, aus dem flachen Land, aus der gesamten Jordangegend strömen, um seine Kritik zu hören, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen, um neu zu beginnen, um sich taufen zu lassen.

So ungehobelt sich Johannes zeigt, so grob er diese Menschen mit seiner Predigt empfängt, so fordernd er zu ihnen spricht - er hat ein feines Gespür dafür, was sich eigentlich gehört, als Jesus kommt. Es widerstrebt ihm, den zu taufen, der größer ist als er. Er möchte Jesus hindern, sich mit diesen Menschen gemein zu machen, die doch nur Sünder sind. Aber: “Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen.”

Wir sind anders. Wir sagen selten: “Lass es jetzt geschehen!” “Lass Dir nichts gefallen!”, das sagen und hören wir öfter. “Sich durchsetzen können”, sollen Kinder lernen. Wir sind es gewohnt, uns von unserer besten Seite zu zeigen, in den Vordergrund zu kommen, ein schönes Portfolio unseres Lebens zu präsentieren, uns das an Anerkennung zu holen, was uns zusteht.

Jesus macht es nicht so. Er nimmt sich zurück. Er stellt sich nicht nach vorn, er stellt sich in die Reihe der Taufwilligen. Er steht in der Mitte derer, die niedergedrückt sind, die einen neuen Anfang suchen, sich Ermutigung erhoffen. Jesus verzichtet auf das, was ihm zusteht, an Status, an Achtung, an Respekt. Er macht sich frei, von dem, was andere von ihm erwarten. “Gott hilft” ist sein Name und deshalb will er alle Gerechtigkeit erfüllen, Gottes Willen tun. Spüren lassen, wie Gottes Liebe diese Welt verändert, wie Gottes Gerechtigkeit uns zu einem erfüllten, sinnvollen Leben hilft. “Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen”. Dies sind die ersten Worte, die Matthäus von Jesus überliefert und diese Worte sind Programm seines Lebens. “Gott hilft”, indem Jesus uns den Weg der Gerechtigkeit vorangeht. Name und Auftrag, Botschaft und Leben finden jetzt zusammen.

Jesus erfüllt die Gerechtigkeit Gottes und lässt sich taufen. Da öffnet sich der Himmel. Über der Erde wird es hell und klar, Gott öffnet sich für die Erde. Es ist, als stünde ich an einem See. Eine kräftige Wintersonne hat nach einem langen trüben Herbst den Nebel über dem Wasser vertrieben. Das Grau geht, die Farben kommen zurück. In der klaren Luft sehen meine Augen die lange verhüllten Berge am Horizont. All meine trüben Gedanken und Sorgen hat die Sonne mit dem Nebel vertrieben. Ich richte mich auf. Das Alte liegt hinter mir. Eine neue Perspektive tut sich auf. Ich beginne, neu zu leben.

Der Himmel geht auf. Gott öffnet sich für das, was in dieser Taufe geschieht. Jesu Würde wird so offenbar. Das ist Matthäus wichtig. Zwei Mal heißt es “Siehe”, zwei Mal spricht er uns Leser und Hörer direkt an: “Siehe, da tat sich der Himmel auf!” Gottes Geist kommt im Symbol der Taube auf Jesus herab und wird ihn auf seinem Lebensweg beflügeln. “Siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.” Der bei den suchenden, vielleicht auch verzweifelten Menschen am Jordan steht, den liebt Gott. Der mit den Menschen hinunter in die tiefen Täler des Lebens geht, den liebt Gott. Der mit uns in die Untiefen des Lebens hinabsteigt, den liebt Gott.

“Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.” Gott gefällt, dass Jesus alle Gerechtigkeit erfüllt. Gott gefällt, wie er sich zu den Menschen stellt - “als ein Gerechter und ein Helfer”. Jeder kann es hören: Gott steht zu Jesus, Gott steht zu seinem Sohn. Es ist kein intimes Zwiegespräch zwischen beiden, es ist die öffentliche Proklamation. Es macht uns gewiss: Jesus löst mit seinem Leben ein, wofür sein Name steht: “Gott hilft”, “Gott ist die Rettung”.

Liebe Gemeinde,

mit Jesu Taufe beginnt die öffentliche Wirksamkeit Jesu. Mit dem Auftrag an seine Jünger, zu taufen und zu lehren endet sie im letzten Kapitel bei Matthäus. Jesu Taufe ist das Urbild unserer eigenen Taufe. Sie erinnert uns daran, dass wir zu Gottes geliebten Kindern gehören. Wir sind nach Jesu Auftrag getauft. Vertrauen wir darauf, was uns sein Name verspricht: “Gott hilft”. Amen.

Perikope
11.01.2015
3,13-17