Predigt zu Matthäus 5, 33-37 von Rainer Stahl
5,33
Liebe Leserinnen und Leser!
liebe Schwestern und Brüder!
Dieser Predigttext gibt uns die Frage danach auf, wie wir biblische Texte verstehen und zu uns heute sprechen lassen können. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die diesjährige Konferenz der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, die vom 9. bis 11. September in Bratislava zum Thema „Säkularität und Autorität der Schrift“ stattgefunden hat. Ich habe dort wichtige Erkenntnisse gewonnen, aber auch zum Teil sehr komplizierten Gedankengängen und Sprachfindungen nachgehen müssen. Für mich heißt Kanonizität der Bibel, dass die Zeit mit ihren Bedingungen und Gesellschaftsformen besonders von Gott in Dienst genommen worden ist, in der diese biblischen Schriften verfasst wurden. Es ist also nötig, wenigstens ansatzweise die Umstände wahrzunehmen, auf die ein biblischer Text, so auch unser Bibelwort, reagiert und denen gegenüber es Position bezieht. Erst danach müssen wir prüfen, ob unsere eigenen Umstände denen vergleichbar sind – und wenn ja, wie? Nur so können wir herausfinden, was das biblische Wort uns sagt.
Deshalb habe ich die Kenntnisnahme einiger Texte im Internet zum Thema des Schwörens zurückgestellt und zuerst nachgelesen, was vor langer Zeit, vor 1926 (!), von Hermann Strack und Paul Billerbeck zu unserem Christuswort aus der Zeitspanne herausgearbeitet wurde, die hinter den kanonischen Schriften greifbar wird: Der entscheidende Zusammenhang, der hier deutlich wird, ist die Bekräftigung einer Aussage durch die Benennung Gottes, durch den Bezug auf Gott, indem man beim Namen Gottes und beim Verweis auf Gott geschworen hat – in juristischen Zusammenhängen, im Gericht, aber auch im Alltag. Gerade im Alltag uferte diese Sitte damals aus, so dass auch Rabbinen versuchten, sie einzudämmen. Die Ablehnung des Schwörens durch Christus und die frühe Kirche meint also, dass Gott nicht instrumentalisiert werden soll, dass Gott nicht benutzt werden soll, sondern jeder und jede für sich selbst reden und handeln soll, ja: säkular, ehrlich und wahrhaftig reden und handeln soll – in allen Lebenslagen, im Alltag und vor dem Gericht.
An dieser Stelle ist eine Zwischenbemerkung notwendig: Wir dürfen uns bei diesem Nachfragen nicht in antijudaistische Kanäle hineinziehen lassen. Jesus aus Nazaret war Jude und hat sich im Rahmen seines Judentums geäußert. Deshalb ist mir die Erkenntnis wichtig, dass auch zu seiner Zeit und nach ihm andere jüdische Theologen die Problematik des Schwörens bei Gott erkannt haben. Jesus selbst hat also wohl hier auf dieser Linie und im Zusammenhang der Achtung Gottes, auf Grund derer man seinen Namen gar nicht ausspricht, gehandelt: Mit Bezug auf Gott sollte gar nicht geschworen werden. Und deshalb sollte überhaupt nicht geschworen werden.
Eine so große Wahrhaftigkeit ist gemeint, dass Gott gar nicht gebraucht wird: „Ja, ja oder Nein, nein!“, beziehungsweise: „Unser Ja sei ein Ja, und unser Nein, sei ein Nein“ (Jakobus 5,12). Immer schon, auf alle Fälle bevor wir uns Gedanken um unsere Beziehung zu Gott machen. Wer so redet und lebt, braucht gar keinen Schwur.
In unserer heutigen Zeit – liebe Schwestern und Brüder – sind auch die von uns vielleicht geforderten Schwüre und Eide alle säkular, ohne Bezug auf Gott. Dann kann sie ein Christ auch nachsprechen – wenn die anderen solche „Krücken“ brauchen, damit sie die Eindeutigkeit unsers „Ja“ oder unseres „Nein“ anerkennen können, die für uns Christen sowieso gegeben ist – auch ohne den Sprechakt des Schwures oder des Eides. Und als Glaubende können wir dabei Gott um Hilfe bitten („so wahr mir Gott helfe“), denn wir schwören dann ja nicht bei Gott, sondern wir unterstreichen nur unseren Willen zur Aufrichtigkeit. Wir können als Glaubende diesen Hinweis, diese Bitte um Hilfe, aber auch lassen.
Ganz wesentlich ist für mich die Beobachtung, dass diese Forderung Christi in Zusammenhang mit dem Zweiten Gebot, beziehungsweise nach jüdischer Zählung mit dem Dritten Gebot steht:
„Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnützlich führen…“ (Martin Luther).
„Trage nicht SEINEN deines Gottes Namen auf das Wahnhafte…“ (Martin Buber).
Nicht aber steht sie in Zusammenhang mit dem Achten, beziehungsweise dem Neunten Gebot
„Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ (Martin Luther).
„Aussage nicht gegen deinen Genossen als Lügenzeuge“ (Martin Buber).
Der Problemzusammenhang der Ablehnung des Schwörens fordert also nicht vorrangig zur Wahrhaftigkeit gegenüber unseren Mitmenschen heraus, sondern zur Profilierung unseres Glaubens- und Vertrauensverhältnisses zu Gott. Um dieses Glaubens- und Vertrauensverhältnisses zu Gott willen lehnt Christus ein Schwören bei Benutzung Gottes ab!
Und nun – liebe Schwestern und Brüder – stellt sich uns die Frage, was zu verkündigen sei – eine Frage, die sich bei jeder Predigt stellt. Nicht nur geht es darum, meditative Gedanken zu entwickeln (wenn das Gelingen dieses Unterfangens auch schon viel ist), sondern es geht darum, wirklich die Botschaft zu erheben, die den Hörerinnen und Hörern, die Ihnen als Leserinnen und Lesern gilt.
Jetzt ist Martin Luthers Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium anzuwenden: Die Bergpredigt generell ist Gesetzespredigt. Nur die Seligpreisungen an ihrem Anfang sind Evangeliumspredigt. Das heißt aber, dass es von diesem Text her darum geht, Gesetzesverkündigung zu wagen:
Uns ist als Christen ständige Wahrhaftigkeit auferlegt. Darauf haben wir bei uns – vor allem bei uns selbst (!) – zu achten. Das ist die schlichte Botschaft, der wir uns an diesem Sonntag auszusetzen haben!
Zu solcher Wahrhaftigkeit sind wir aber auch befähigt. Es wird da nichts Unmögliches verlangt. Schon die innere Struktur der Bergpredigt macht das deutlich: Dies ist die dritte konkrete Forderung. Ihr entspricht die dritte der Seligpreisungen: Weil wir Sanftmütige und insofern wir Sanftmütige sind, weil wir also geprägt sind von der Sicherheit derer, die sich ihrer selbst gewiss sind, müssen wir nicht auftrumpfen, können wir einfach und schlicht bei der Wahrheit bleiben. Tun wir das in dieser Woche und immer!
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen
liebe Schwestern und Brüder!
Dieser Predigttext gibt uns die Frage danach auf, wie wir biblische Texte verstehen und zu uns heute sprechen lassen können. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die diesjährige Konferenz der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, die vom 9. bis 11. September in Bratislava zum Thema „Säkularität und Autorität der Schrift“ stattgefunden hat. Ich habe dort wichtige Erkenntnisse gewonnen, aber auch zum Teil sehr komplizierten Gedankengängen und Sprachfindungen nachgehen müssen. Für mich heißt Kanonizität der Bibel, dass die Zeit mit ihren Bedingungen und Gesellschaftsformen besonders von Gott in Dienst genommen worden ist, in der diese biblischen Schriften verfasst wurden. Es ist also nötig, wenigstens ansatzweise die Umstände wahrzunehmen, auf die ein biblischer Text, so auch unser Bibelwort, reagiert und denen gegenüber es Position bezieht. Erst danach müssen wir prüfen, ob unsere eigenen Umstände denen vergleichbar sind – und wenn ja, wie? Nur so können wir herausfinden, was das biblische Wort uns sagt.
Deshalb habe ich die Kenntnisnahme einiger Texte im Internet zum Thema des Schwörens zurückgestellt und zuerst nachgelesen, was vor langer Zeit, vor 1926 (!), von Hermann Strack und Paul Billerbeck zu unserem Christuswort aus der Zeitspanne herausgearbeitet wurde, die hinter den kanonischen Schriften greifbar wird: Der entscheidende Zusammenhang, der hier deutlich wird, ist die Bekräftigung einer Aussage durch die Benennung Gottes, durch den Bezug auf Gott, indem man beim Namen Gottes und beim Verweis auf Gott geschworen hat – in juristischen Zusammenhängen, im Gericht, aber auch im Alltag. Gerade im Alltag uferte diese Sitte damals aus, so dass auch Rabbinen versuchten, sie einzudämmen. Die Ablehnung des Schwörens durch Christus und die frühe Kirche meint also, dass Gott nicht instrumentalisiert werden soll, dass Gott nicht benutzt werden soll, sondern jeder und jede für sich selbst reden und handeln soll, ja: säkular, ehrlich und wahrhaftig reden und handeln soll – in allen Lebenslagen, im Alltag und vor dem Gericht.
An dieser Stelle ist eine Zwischenbemerkung notwendig: Wir dürfen uns bei diesem Nachfragen nicht in antijudaistische Kanäle hineinziehen lassen. Jesus aus Nazaret war Jude und hat sich im Rahmen seines Judentums geäußert. Deshalb ist mir die Erkenntnis wichtig, dass auch zu seiner Zeit und nach ihm andere jüdische Theologen die Problematik des Schwörens bei Gott erkannt haben. Jesus selbst hat also wohl hier auf dieser Linie und im Zusammenhang der Achtung Gottes, auf Grund derer man seinen Namen gar nicht ausspricht, gehandelt: Mit Bezug auf Gott sollte gar nicht geschworen werden. Und deshalb sollte überhaupt nicht geschworen werden.
Eine so große Wahrhaftigkeit ist gemeint, dass Gott gar nicht gebraucht wird: „Ja, ja oder Nein, nein!“, beziehungsweise: „Unser Ja sei ein Ja, und unser Nein, sei ein Nein“ (Jakobus 5,12). Immer schon, auf alle Fälle bevor wir uns Gedanken um unsere Beziehung zu Gott machen. Wer so redet und lebt, braucht gar keinen Schwur.
In unserer heutigen Zeit – liebe Schwestern und Brüder – sind auch die von uns vielleicht geforderten Schwüre und Eide alle säkular, ohne Bezug auf Gott. Dann kann sie ein Christ auch nachsprechen – wenn die anderen solche „Krücken“ brauchen, damit sie die Eindeutigkeit unsers „Ja“ oder unseres „Nein“ anerkennen können, die für uns Christen sowieso gegeben ist – auch ohne den Sprechakt des Schwures oder des Eides. Und als Glaubende können wir dabei Gott um Hilfe bitten („so wahr mir Gott helfe“), denn wir schwören dann ja nicht bei Gott, sondern wir unterstreichen nur unseren Willen zur Aufrichtigkeit. Wir können als Glaubende diesen Hinweis, diese Bitte um Hilfe, aber auch lassen.
Ganz wesentlich ist für mich die Beobachtung, dass diese Forderung Christi in Zusammenhang mit dem Zweiten Gebot, beziehungsweise nach jüdischer Zählung mit dem Dritten Gebot steht:
„Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnützlich führen…“ (Martin Luther).
„Trage nicht SEINEN deines Gottes Namen auf das Wahnhafte…“ (Martin Buber).
Nicht aber steht sie in Zusammenhang mit dem Achten, beziehungsweise dem Neunten Gebot
„Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ (Martin Luther).
„Aussage nicht gegen deinen Genossen als Lügenzeuge“ (Martin Buber).
Der Problemzusammenhang der Ablehnung des Schwörens fordert also nicht vorrangig zur Wahrhaftigkeit gegenüber unseren Mitmenschen heraus, sondern zur Profilierung unseres Glaubens- und Vertrauensverhältnisses zu Gott. Um dieses Glaubens- und Vertrauensverhältnisses zu Gott willen lehnt Christus ein Schwören bei Benutzung Gottes ab!
Und nun – liebe Schwestern und Brüder – stellt sich uns die Frage, was zu verkündigen sei – eine Frage, die sich bei jeder Predigt stellt. Nicht nur geht es darum, meditative Gedanken zu entwickeln (wenn das Gelingen dieses Unterfangens auch schon viel ist), sondern es geht darum, wirklich die Botschaft zu erheben, die den Hörerinnen und Hörern, die Ihnen als Leserinnen und Lesern gilt.
Jetzt ist Martin Luthers Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium anzuwenden: Die Bergpredigt generell ist Gesetzespredigt. Nur die Seligpreisungen an ihrem Anfang sind Evangeliumspredigt. Das heißt aber, dass es von diesem Text her darum geht, Gesetzesverkündigung zu wagen:
Uns ist als Christen ständige Wahrhaftigkeit auferlegt. Darauf haben wir bei uns – vor allem bei uns selbst (!) – zu achten. Das ist die schlichte Botschaft, der wir uns an diesem Sonntag auszusetzen haben!
Zu solcher Wahrhaftigkeit sind wir aber auch befähigt. Es wird da nichts Unmögliches verlangt. Schon die innere Struktur der Bergpredigt macht das deutlich: Dies ist die dritte konkrete Forderung. Ihr entspricht die dritte der Seligpreisungen: Weil wir Sanftmütige und insofern wir Sanftmütige sind, weil wir also geprägt sind von der Sicherheit derer, die sich ihrer selbst gewiss sind, müssen wir nicht auftrumpfen, können wir einfach und schlicht bei der Wahrheit bleiben. Tun wir das in dieser Woche und immer!
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen
Perikope