Predigt zu Matthäus 5, 33-37 von Sven Evers
5,33

Predigt zu Matthäus 5, 33-37 von Sven Evers

„Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“
I.
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“ – vielleicht erinnern die Älteren unter Ihnen sich noch an diese Worte eines Politikers aus dem Norden unseres Landes. Wenn ja, dann erinnern Sie sich vielleicht auch noch daran, wie viel dieses Ehrenwort Wert war: gar nichts.
Die Affäre rollte weiter, das Ehrenwort stellte sich als Lüge heraus – der Fortgang der Geschichte tut hier nichts zur Sache.
„Ich schwör Dir, ich hab Dein Handy nicht genommen“ sagt der Junge in der Pause zu seinem Mitschüler – während er es doch vor der letzten Stunde in die Tasche gesteckt hat...
„Ich schwöre Dir, ich werde Dich immer lieben, immer bei Dir bleiben, immer an Deiner Seite stehen“ – und dann ist es ein halbes Jahr später vorbei. Dem oder der nächsten wird ewige Liebe geschworen...
II.
Wem kann ich eigentlich noch vertrauen? So viele Menschen versprechen mir so vieles. Die Politiker, klar, die versprechen immer viel. Vor der Wahl natürlich nur. Danach will es dann wieder niemand gewesen sein. War wohl ein Versprecher und nicht ein Versprechen.
Die Kirche verspricht mit auch viel. Heil und Frieden; Sinn im Leben. Und was sehe ich, sobald ich die Zeitung aufschlage oder den Fernseher anstelle? Goldene Paläste für Millionen von Euro. Beteuerungen von Unwissenheit oder beschwichtigende eidestattliche Erklärungen. Ich kann das irgendwie alles nicht mehr glauben.
Und zu Hause? Ja, auch zu Hause geht es so weiter. „Ja, ich räume mein Zimmer auf“, sagt der Sohn. Aber ich weiß schon, daß er das ohnehin nicht tun wird. „Natürlich bin ich heute Abend rechtzeitig zu Hause. Ich verspreche es Dir hoch und heilig!“ sagt der Mann. Und dann kommt doch wieder irgendetwas – oder irgendjemand – dazwischen.
Von der Zeitung oder den Medien insgesamt will ich ja gar nicht erst reden. Von der Werbung auch nicht. Natürlich nicht. Die wollen ja alle nur Auflage, Geld verdienen, Publicity.
Aber auf welche Worte kann ich mich denn überhaupt noch verlassen?
III.
Warum braucht es eigentlich für so vieles so wenige Worte, wo doch manchmal auch ein einziges reichen würde? Nein, ich will gar nicht von anderen reden. Ich will ganz selbstkritisch sein.
„Kannst Du mir helfen“ hat mich der beste Freund gestern gefragt. Ich habe „Ja“ gesagt. – Das stimmt nicht. Ich habe „Ja, aber“ gesagt. Und dann habe ich lang und breit das „aber“ erklärt. „Also kannst Du mir nicht helfen“ sagte er nach meinem Monolog enttäuscht. Und eigentlich hat er es damit genau richtig zusammengefaßt.
Meine Kinder fragen auch immer, wenn ich ihnen etwas verspreche, ob ich es denn auch wirklich so meine. „Ja“, sage ich dann. „Schwörst Du?“ fragen sie. „Ja, wenns denn sein muß, dann schwöre ich auch.“ „Ganz ganz ehrlich?“ „Ja, ganz ganz ehrlich.“ – Und doch bleibt da die Unsicherheit. Offensichtlich. Warum eigentlich? Habe ich sie mit meinem Ja oder meinem Nein schon so oft enttäuscht oder verunsichert? Oder finden sie sich in dem Wust der vielen Jas und Neins um sie herum einfach nicht zurecht, so daß es immer viele viele Worte braucht für dieses eine: Ja oder Nein?
IV.
Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist (3.Mose 19,12; 4.Mose 30,3): »Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten.« Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.
V.
Wie sähe unser Umgang miteinander wohl aus, wenn wir diese Worte Jesu zum Maßstab unseres Sprechens machten?
Gut, schwören im engeren Sinne ist vielleicht für uns nicht das Alltägliche. Wer kennt noch heilige Eide oder Schwüre, deren Bruch unmittelbare Strafe von Gott oder einem allmächtigen Schicksal nach sich zögen?
Wenn wir denn überhaupt schwören, dann in der Regel doch eher, um unsere Worte zu bekräftigen. Um sie mit einem: „Ja, genauso ist es gemeint.“ Einem „Dazu stehe ich und darauf kannst Du Dich absolut verlassen“ zu versehen. Insofern aber sind unsere Bekräftigungen wie „wirklich“, „ganz bestimmt“, „auf jeden Fall“, „100%ig“, „so war ich hier stehe“ gar nicht viel anderes als die Schwüre alter Zeiten, oder?
Aber warum braucht es all diese Bekräftigungen eigentlich immer wieder? Warum muß es ein „Ja, auf jeden Fall, so wahr ich hier stehe“ sein, wo doch von der Sache her ein einfaches „Ja“ genauso ausreichend wäre?
Wahrscheinlich doch, weil wir so schlampig, so nachlässig, manchmal vielleicht sogar so hinterlistig mit unseren Worten umgehen, daß ein einfaches „Ja“ alles mögliche bedeuten kann und allein mit diesem Wort noch gar nichts gesagt ist.
Jesus sagt: Euer Ja sein ein Ja und Euer Nein ein Nein. Das ist doch eigentlich ganz einfach, oder? Und doch ist es im wirklichen Leben so sehr schwer. Die Worte Jesu machen Ernst mit dem, was es mit unseren Worten nun einmal auf sich hat, ob wir das wollen oder nicht.
Mit Worten verändern wir die Welt. Jeder, der schon einmal ein „Ich liebe Dich“, ein „Ich bin für Dich da“ oder auch ein „Du bist für mich gestorben“ gehört hat, weiß um die Macht der Worte.
Deshalb, weil Worte so große Macht haben, ist es eben nicht egal, wie wir mit ihnen umgehen.
Weil unser „Ja“ Konsequenzen hat, weil Menschen sich und ihr Leben danach richten, Wege einschlagen oder verlassen – deshalb soll unser Ja ein Ja sein.
Weil wir Menschen in ihrem Innersten treffen, weil es einen Unterschied macht, ob wir ein Wort sagen oder ob wir es verschweigen, soll auch unser Nein ein Nein sein.
Ohne Hintertürchen, ohne Hintergedanken, ohne gekreuzte Finger hinter dem Rücken. Ja – Nein. Klarheit. Mehr soll es nicht sein.
Mehr braucht es aber auch nicht zu sein, wenn wir unser Ja oder Nein nicht so leicht dahin sagen, sondern stehen zu dem, was wir sagen. Wenn wir uns identifizieren mit unseren Worten, wenn wir sagen, was wir denken und denken, was wir tun. Wenn wir tun, was wir sagen und sagen, was wir tun.
Und übrigens: Das gilt ja nicht für für ein Ja oder ein Nein. Ein ehrlich gemeintes „Vielleicht“ oder „Ich weiß es nicht“ ist immer noch besser als ein leichtfertig gesprochenes  „Ja“, das dann im Tun zu einem „Nein“ wird.
VI.
Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist (3.Mose 19,12; 4.Mose 30,3): »Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten.« Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.
VII.
Über eines haben wir noch gar nicht gesprochen: Was hat denn alles bisher Gesagte mit Gott zu tun?
Ist nicht Gott in unseren alltäglichen „Schwurformeln“, wenn er denn überhaupt vorkommt, nur schmückendes Beiwerk? Ich erinnere mich an meine Schulzeit, in der Mitschüler abwechselnd bei Gott, bei Ihrer Mutter, beim Teufel oder bei was weiß ich wem geschworen haben. Gott war eine austauschbare Variable – und ist es wahrscheinlich in den meisten Fällen, in denen er in Eiden oder Schwüren genannt wird, auch heute.
Darüber hinaus ist Gott selbst dort, wo seine Nennung Ernst gemeint ist, wie zum Beispiel in Vereidigungsformeln oder auch im Eheversprechen („So wahr mir Gott helfe“), in der Regel nicht als Adressat des Eides bzw. Schwures benannt wie in der Formulierung der „Alten“, die Jesus nennt, wenn er davon spricht, „dem Herrn/Gott gegenüber“ einen Eid zu halten – oder haben Sie/habt Ihr das Gefühl, Gott gegenüber ein Versprechen abzugeben, wenn Worte wie „bei Gott“ oder „in Gottes Namen“ gesprochen werden? Wahrscheinlich doch eher nicht, oder?
Ob aber nun als Gegenüber oder eher in der Funktion als „Bürge“ („Gott ist mein Zeuge“) – die Anrufung Gottes kommt für Jesus grundätzlich nicht in Frage, um den eigenen Worten Gewicht oder gar Wahrheit zu verleihen. Ganz gleich ob bei Gott geschworen wird oder bei anderem, was doch letztlich Gottes ist – sei es der Erde, die Gott geschaffen hat, oder der Heiligen Stadt, die Gott so sehr am Herzen liegt, oder auch dem eigenen Leben, das doch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist – die Vereinnahmung Gottes für die Bekräftigung der eigenen Worte ist nichts anderes als ein Verstoß gegen das Gebot, den Namen Gottes nicht zu mißbrauchen.
Gott läßt sich nicht funktionalisieren!
Er darf und will um Hilfe angerufen werden, das ja. Insofern ist die Formel „So wahr mir Gott helfe“ durchaus angemessen, wenn es um ein Versprechen geht, von dem wir ganz genau wissen, daß wir eben dieser Hilfe bedürfen, um es Wirklichkeit werden lassen zu können.
Aber wer den Namen Gottes wirklich ernsthaft nennt, der oder die wird ihn nicht funktionalisieren und damit mißbrauchen.
Wer den Namen Gottes wirklich ernsthaft nennt, der oder die braucht, davon ist Jesus fest überzeugt, aber auch gar nicht auf die Idee zu kommen, Gott anzuführen, wenn es um die Wahrhaftigkeit seiner oder ihrer Worte geht. Denn wie Gottes Wort zu uns Ja und nur Ja ist, so wird auch sein und ihr Wort genau dieses sein: Ein Ja, das ein Ja ist – oder ein Nein, das ein Nein ist.
Was darüber ist, das ist vom Übel.
Amen.