Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Andreas Pawlas
5,38-48

Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Andreas Pawlas

Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.  Ihr habt gehört, dass gesagt ist (3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.  Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?  Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. 

Liebe Gemeinde!

Nun haben wir gerade  so schön gesungen und sind still und andächtig zum Gebet geworden, und das hat unserer Seele gut getan. Da kann wirklich noch gut etwas davon nachklingen, was da in diesem Bibelwort für diesen Sonntag von einer Vollkommenheit gesagt ist, in der sich die Vollkommenheit unseres Vaters im Himmel irgendwie spiegelt. 

Trotzdem will uns dieses Bibelwort mit einem Male aus dieser Beschaulichkeit herausreissen und in eine ganz andere Welt hinein nehmen. Denn da ist von so hässlichen Dingen wie Schlagen und Hassen, und von Feinden und vom Bösen die Rede. Aber eigentlich kann das doch alles  nichts mit uns zu tun haben. Denn wir wollen doch wirklich immer nur freundlich und umgänglich sein.

Oder reichen solche guten Vorsätze nicht für uns und die ganze christliche Gemeinde? Und warum soll das nun nicht reichen? Weil faktisch unser Leben doch nicht immer Friede, Freude Eierkuchen ist? Weil wir doch nicht in einem Wolkenkuckucksheim leben? Sondern weil wir als Christenmenschen doch  mitten in dieser unvollkommenen und schmerzhaft fehlerhaften Welt leben? Und weil wir in diesem Gottesdienst nicht mit irgendwelchen rosaroten Phantasien zu tun haben wollen und sollen, sondern mit Gottes tatsächlichem Wirken  in dieser Welt, so wie sie ist? Nein, deshalb dürfen wir  unsere Augen und Ohren jetzt bei diesem Predigttext nicht verschließen. Und wie oft hören wir da einfach in dieser unserer Welt die Parole: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ - und wir als Christenmenschen erschauern.

Oder reicht das noch gar nicht, und unsere Welt  ist vielleicht sogar noch schlimmer? Sie können sich das nicht vorstellen? Ich bitte Sie! Denn wie ist das allein  auf den Schulhöfen in unserem Land? Wehe, da sollte einmal  dem Schwächsten aus der Klasse das Missgeschick geschiehen, aus Versehen  den Stärksten der Klasse anzurempeln! Was dann passiert? Nein, da kann kein Wort der Entschuldigung  oder ähnliches helfen! Sondern da wird nicht nur wieder gerempelt, natürlich kräftiger als vorher, und dann gibt es noch eine Ohrfeige  und einen Knuff dazu. So müssen es viele Kinder leider Gottes so oft erleben.

Aber bitte schauen wir doch nicht zu mitleidig nur auf unsere Kleinen. Denn ist es nicht unter uns Erwachsenen ziemlich ähnlich? Wenn der kleine Bodo mit seinem Auto  den großen Max aus Versehen abdrängt oder nötigt, dann kann es schon passieren, dass der große Max den kleine Bodo aus Rache nicht nur genauso nötigt, sondern am besten sogar noch anhält und beschimpft oder gar schlägt. Und vor einiger Zeit soll hier in Schleswig-Holstein deshalb einer sogar erschossen worden sein. Ja, so etwas kann passieren, wenn einer dem anderen zufällig  oder unbeabsichtigt in die Quere kommt.

Aber wehe denen, die das absichtlich tun, weil sie unsere Feinde sind. Ja, wir dürfen uns nichts vormachen. Es gibt Feinde auf dieser Welt. Lassen wir uns nicht täuschen durch liebe Willenserklärungen. Es gibt Feinde auf dieser Welt, unter Nachbarn oder in der Familie, in der Politik oder in der Wirtschaft, national und international. Und es ist ja gerade zur Zeit das Elend, dass so viele Flüchtlinge  unsere Gastfreundschaft suchen müssen, weil ihre Feinde sie nicht leben lassen wollen.

Ja, so macht man das mit Feinden üblicherweise: man hasst sie, man sucht ihnen zu schaden, wo es nur geht, koste es, was es wolle. Da kann manchmal sogar das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, in einem gewissen Sinne ganz human sein.

Übrigens, weil das so ist in unserer Welt, deshalb ist es auch ganz selbstverständlich, dass man einen Freund, eine Freundin, einen Verbündeten  liebt und sympathisch findet, ihm natürlich auch borgt, ihm hilft und ihn begleitet. Und den Feind, den hasst man eben und meidet ihn und stellt ihm Fallen innerhalb und außerhalb des Gerichtes. Ja, so selbstzerstörerisch ist das in dieser Welt und vielleicht sogar noch schlimmer.

Aber genau das weiß Jesus alles und das spricht er auch aus. Und damit wird auch eindeutig klar,  dass das nach Gottes Willen nicht so sein soll. Denn Christen,  die sollen ganz anders sein:  Denn Christen,  die sollen vollkommen sein. Christen sollen demjenigen, der sie auf die eine Wange geschlagen hat, auch noch die andere Wange darbieten. Christen sollen helfen, borgen, schützen. Sie sollen den Feind lieben. und bitten für die, die sie verfolgen,  damit sie Kinder des Vaters im Himmel sind.

Aber da runzelt mancher schnell die Stirn. Denn wie sollte das denn gehen, hier, mitten in unserer Welt, wie wir sie uns gerade in ihrer Unfriedlichkeit vor Augen geführt haben? Und wenn es nicht geht, wie sollten wir dann Kinder des Vaters im Himmel sein? Und überhaupt, wie sollte denn da z.B. der Polizist, der Anwalt, der Soldat seinen Beruf ausüben können?  Das kann doch alles so nicht richtig sein.

Aber jetzt bitte nichts verwechseln: Jesus gibt hier überhaupt keinen Ratschlag zur Ausübung öffentlicher Ämter. Der Polizist soll ja um Gottes willen zum Schutze aller dem Bösen widerstehen, genauso wie der Anwalt oder der Soldat. Nein, Jesus spricht uns hier ganz persönlich, ganz privat an. Mich und Dich, so wie wir uns hier und heute an diesem Sonntagmorgen zusammgefunden haben.

Aber einen Moment mal! Und da soll tatsächlich gelten, dass man die linke Wange darbietet, wenn man auf die rechte  geschlagen worden ist? Und da soll tatsächlich gelten, dass man seine Feinde liebt? Noch einmal: Wie sollte das denn gehen? Oder ist das nur etwas, was bestenfalls Pastoren hoch oben von der Kanzel  heruntersagen können, was aber nichts mehr  mit unserem normalen Leben zu tun hat?

Halt, liebe Gemeinde, bitte jetzt nicht gleich abschalten. Denn wie wäre es, wenn der Schlag auf die rechte Backe, so wie es damals im alten Palästina üblich war, einen nicht niederstrecken sollte, sondern allein Verachtung und Erniedrigung  ausdrücken sollte? Wenn uns so allein Verachtung  und Erniedrigung auf eine bestimmte Weise entgegengebracht werden sollte, wie wäre das denn? Natürlich wäre das nicht schön und wir wünschen uns das nicht. Aber eine Frage ist jetzt ganz entscheidend: nämlich, könnte einen eigentlich eine solche Geste wirklich tief in der Seele treffen, wenn man seine Seele durch Christus ganz nahe bei Gott, ganz wohl umhüllt und beschützt  durch seine Güte weiß? Wie sollte einen da die Verachtung  eines Mitbürgers wirklich kränken können?

Ja, wir wissen, und es ist noch nicht so lange her, dass hier im Lande eine solche Kränkung der Ehre  blutige Rache erforderte. Und in manchen Kulturen  ist das auch heute noch so. Aber wer sich wirklich und ganz deutlich von Gottes gutem Geist erfüllt fühlt, warum, um Gottes willen, sollte der denn einen anderen wiederschlagen  oder wiederhassen? Nein, das braucht er nicht. Er kann nach dem ersten Schrecken - und den können wir ihm wirklich zugestehen - er kann nach dem ersten Schrecken vollkommen gelassen sein. Er kann sogar Mitgefühl haben mit dem Anderen,  den offenbar schlechte Gefühle  so sehr übermannt hatten,  dass er seine Fassung verlieren musste. Und ganz gewiss, ein solches Mitgefühl steht auf dem Weg zur Vollkommenheit.

Jetzt aber kommt eine bohrende Frage an unsere unvollkommene Alltagswirklichkeit: Fühlen wir uns tatsächlich eigentlich immer so sicher von Gottes gutem Geist  geleitet und erfüllt? Fühlen wir uns denn immer von Christus täglich so geführt und bewahrt? Wie ist das, wenn sich unsereiner  nur noch leer und ausgebrannt, zu kurz gekommen und traurig fühlt? Dann stimmt das doch alles nicht.

Diese Logik ist tatsächlich richtig und dennoch ist alles ganz anders. Denn in diesem Gotteswort redet zu uns eben  kein unbarmherziger Gesetzgeber, der nur darauf lauert, dass wir Fehler machen, um uns dann gefälligst zu vergelten nach dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Sondern gerade weil er  um unsere Fehler und Schwächen, um unsere Ängste und Traurigkeiten, um unsere Gefühlsschwankungen und Probleme weiß, deshalb hat sich doch  der lebendige Sohn Gottes, Jesus Christus, für einen jeden von uns verbürgt, verbürgt durch seinen Tod am Kreuz, verbürgt zu neuem ewigen Leben für uns.

Gerade weil er uns an Leib und Seele genau kennt, will er bei uns sein, will er, dass wir ihn bitten. Er will, dass wir unsere Not, Schuld und Unvollkommenheit ihm klagen und er, er will tatsächlich alles zum Guten wenden, durch alles Leben und Sterben hindurch. Wir müssen uns nur endlich darauf verlassen. Er will und kann uns Kraft schenken, dass wir wieder lieben können, so wie wir von ihm geliebt sind. Wir müssen ihm das nur endlich zutrauen.

Und gerade wenn wir Christus eben noch um solche Gewissheit  und um solches Zutrauen bitten, dann könnte bereits etwas mit uns und tief in unserem Herzen geschehen. Dann könnte bereits in dieser tiefen Sehnsucht eine Ahnung davon wachsen, wie Gottes Liebe und Kraft  unsere ganze Seele ergreifen will. Und wenn sich dann so unsere Seele  durch Gottes Liebe und Kraft zu weiten beginnt, und wir wieder froh und frei  durchatmen können, wie belanglos wird dann mit einem Male die Frage, ob wir unsere Feinde lieben können oder nicht.

Denn natürlich können wir dann doch  ganz von selbst auch in unserem Feinde ein geliebtes Kind Gottes entdecken mit seinen Schwächen und Ängsten. Und warum sollten wir also dann nicht unseren Feind lieben können? Warum sollten wir also dann nicht von Herzen großzügig sein können und borgen und helfen, so wie es eben nötig ist? Wenn wir merken, wie uns Gottes Liebe und Kraft anrührt, warum sollten wir dann nicht  alle Menschen und alle Kreatur mit einschließen  in den Dank, der allein Gott gebührt und den wir an seine Geschöpfe weitergeben dürfen? Ja, was für ein erfülltes Leben ist es, sich derart vom Vertrauen auf Gottes Liebe tragen und führen zu lassen jetzt und bis in Ewigkeit. Amen.