Predigt zu Matthäus 6, 1-4 von Frank Zeeb
6,1
Liebe Gemeinde,
vor etwas über drei Jahren[1] erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Porträt über den „feinsten Mann der Bundesliga“. Gemeint war Uli Hoeneß. Anlass war seinerzeit, dass er einem jungen Spieler in einer Lebenskrise uneigennützig und tatkräftig geholfen hatte, ihn nicht nur als Angestellten des Vereins betrachtete, als Investivkapital auf zukünftige Tore und Titel, sondern echte Anteilnahme an dessen Schicksal bewiesen hatte, seine menschliche Tragödie wahrgenommen und mit ihm gelitten hatte. Dieses Beispiel nahm die Zeitung dann zum Anlass, Uli Hoeneß als einen Menschen mit zwei Gesichtern zu schildern, seine Geschäftstüchtigkeit auf der einen Seite, die bis zur Skrupellosigkeit reichen kann, seine Überheblichkeit für die er und der FC Bayern München oft gehasst werden – und auf der anderen Seite eben auch die Warmherzigkeit und Kollegialität, mit der er seine Mitmenschen behandelt. Genannt wurde dabei auch ausdrücklich, dass Uli Hoeneß jedes Jahr mehrere Millionen Euro für wohltätige Zwecke spendet. Er habe also – so das Fazit – schlichtweg ein schlechtes Image, es komme einfach zu selten in die Öffentlichkeit, dass er der „feinste Kerl der Liga“ sei. Ähnliche Aussagen las und hörte man häufiger in den letzten Jahren, um so größer war dementsprechend die Empörung, als herauskam, dass Hoeneß mutmaßlich Steuern in großem Umfang hinterzogen hat. Es scheint fast, als sei die Steuerhinterziehung nicht schon Aufreger genug, viel größer wird der Skandal dadurch, dass der mutmaßliche Steuerhinterzieher auch noch viel Gutes getan hat – oder womöglich geht es nur darum, dass die Öffentlichkeit den Eindruck hatte, dass die Mildtätigkeit gegen manche negative Eigenschaft oder Aktion aufgerechnet werden sollte. Mit den biblischen Worten: die Wohltätigkeit war vor Hoeneß herausposaunt worden, damit stand er bei den Leuten gut da und hatte seinen gerechten Lohn empfangen, so dass nun um so schonungsloser sein Fehlverhalten kritisiert werden muss und darf. Manch einer denkt da: Geschieht ihm recht!
Mir scheint, dass es in gewisser Weise kulturbedingt ist, wie mit Spenden umgegangen wird. In Deutschland ist das Spenden eine private Angelegenheit, die nicht öffentlich werden darf – sonst wirkt es peinlich. Der Lohn des Spenders besteht in seinem guten Gewissen und in der Anerkennung der Spende durch das Finanzamt. Die Nachbarn und Mitmenschen geht es nichts an, wenn ich Gutes tue, sie könnten mir sonst schlechte Absichten und Profitlichkeit unterstellen. Deshalb hat auch eine eigentlich gute Sache, nämlich das öffentliche Sponsoring einen leicht anrüchigen Beigeschmack: Die Firmen und Banken, so hört man oft, kalkulieren eiskalt den möglichen Nutzen einer Sponsoringmaßnahme, sie meinen es nicht ernst, sondern wollen sich lediglich einen guten Ruf erkaufen. In den USA ist das anders. Dort ist „charity“ ein Wert an sich. Jeder, der etwas auf sich hält, engagiert sich finanziell oder ehrenamtlich für die Wohlfahrt. Und es ist völlig selbstverständlich, dass auch öffentlich verkündigt wird, wer wieviel beigetragen hat. Ich denke an den so genannten „giving pledge“, der von den Multimilliardären Bill Gates und Warren Buffett, ins Leben gerufen wurde, der eine Chef der Computerfirma Microsoft, der andere ein weltberühmter Finanzanleger: Milliardäre versprechen, nach ihrem Tod mindestens die Hälfte ihres Vermögens an eine wohltätige Einrichtung zu spenden. Derzeit haben von den 400 Milliardären der USA 105 das entsprechende Versprechen abgegeben. Natürlich ist die Angelegenheit mit hohem sozialem Ansehen verbunden und selbstverständlich wird das Versprechen auch laut hinausposaunt. Hier besteht der Lohn offenbar auch in sozialer Anerkennung. Tue Gutes und rede darüber!
Zur Zeit Jesu war das Spendenwesen ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. Eine Sozialfürsorge gab es nicht, viele Menschen waren auf die Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen. Die Meinung, dass Gott mehr Freude an Spenden und Zuwendung zum Nächsten hat als an Opfern, ist ja nicht erst in der Zeit Jesu aufgekommen, sondern sie findet sich schon im Alten Testament, vor allen in den Büchern der Propheten. Daher gehört die Barmherzigkeit zu den ganz wesentlichen Aufgaben für einen gottesfürchtigen Menschen. In der Bergpredigt, aus der unser Text ja stammt, ist die Abfolge klar: Matthäus dekliniert drei Aspekte frommen Lebens durch: das Almosen geben, das Beten und das Fasten. Dreimal schildert er, wie man es nicht machen soll und stellt dann – mit den Worten Jesu: „wahrlich, ich sage euch“ – dagegen, wie es richtig ist. Jesus hat dabei stets seine Vorstellung vom Reich Gottes vor Augen. Das Reich Gottes ist nicht mehr fern, es kommt darauf an, sich so zu verhalten, dass man hineinkommt. Für uns heute riecht das ein bißchen nach Leistungsdenken, nach Werkgerechtigkeit, nach Sich-den-Himmel-verdienen wollen, aber genau darum geht es nicht. Jesus macht deutlich, dass es immer um zweierlei geht: Die Beziehung zu Gott und die Beziehung zu den Mitmenschen. Es ist entscheidend, dass diese beiden Beziehungsebenen nicht verwechselt werden. Gott hat Freude an der Mildtätigkeit – um des Mitmenschen willen. Aber alles gerät aus der Bahn, wenn man bei der tätigen Nächstenliebe nicht nur auf den Mitmenschen schaut und darauf, dass der wie ich von Gott geliebt ist, sondern auf das Ansehen bei Nachbarn und Kollegen. Das muss in der damaligen Zeit ein Problem gewesen sein. Beim Fasten, beim Beten und beim Almosengeben – dreimal warnt Jesus davor, auf die öffentliche Meinung zu spekulieren. Man soll nicht sauertöpfisch fasten, damit die Leute es merken, man soll im stillen Kämmerlein beten und man soll die Almosen nicht öffentlichkeitswirksam ausgeben. Es gibt außerbiblische Texte aus der Zeit, in denen klar wird, welche Ausmaße das angenommen haben muss. Da wurde offenbar die Spendenliste öffentlich verlesen und wer am meisten gegeben hatte, durfte am Sabbat in der Synagoge ganz vorne neben dem Rabbi sitzen. An einem solchen Almosen hat Gott keine Freude, weil es nicht um Gottes Willen gegeben wird, und auch nicht aus Mitfühlsamkeit mit dem notleidenden Nächsten, sondern eben aus Gründen des sozialen Ansehen. Wahrlich, wahrlich, sie haben ihren Lohn empfangen – die Beziehung zu Gott wird dadurch nicht gefestigt und der Mitmensch wird zum Objekt gemacht, zum Instrument meiner Wohltätigkeitspolitik. So wird der notleidende Nächste nämlich nicht barmherzig behandelt, sondern eher beschämt und daran hat Gott keine Freude. Deshalb ist es besser, nicht öffentlichkeitswirksam zu helfen, sondern im Verborgenen. So dass Geben und Empfangen nicht im grellen Licht der öffentlichen Meinung stehen, sondern eine Liebestat darstellen, die der Beschenkte annehmen kann, ohne sich vor Dritten für seine Not schämen zu müssen. Die linke und die rechte Hand sind hier wohl nicht wörtlich gemeint, sondern sie sind – ebenso wie das Wort „posaunen“ – starke Formulierungen. Es ist Jesus wichtig, dass das Beschenken im Verborgenen geschieht.
Martin Luther hat richtig gesehen, dass hier ein Dreh- und Angelpunkt evangelischen Lebens liegt. Im griechischen Text steht im ersten Satz nicht das Wort „Frömmigkeit“, sondern das Wort „Gerechtigkeit“. Ich übersetze etwas freier: „Habt acht auf eure Gerechtigkeit, daß ihr nicht etwa vor den Menschen agiert, um von ihnen bewundert zu werden.“ Das heißt: Ich kann mir durch gute Werke nichts dauerhaftes verdienen. Das Ansehen bei den Mitmenschen ist ja flüchtig, und kann sich jederzeit ändern – siehe Uli Hoeneß. Und die Gerechtigkeit, die bei Gott gilt, die ist ein Geschenk, das wir vorbedingungs- und leistungsfrei bekommen. Die kann man sich weder durch Wohltätigkeit, noch durch fromme Übungen wie Beten und Fasten erwerben. Das ist die reformatorische Erkenntnis. Schon sehr früh haben die Gegner der Reformation diese Erkenntnis zum Anlass genommen, den Evangelischen vorzuwerfen, dass sie die guten Werke verachteten und damit dazu beitragen, dass jeder nur an sich selber denkt und die Allgemeinheit und die Notleidenden ebenso vernachlässigt werden wie die Spiritualität. Dies wäre aber natürlich nur dann richtig, wenn die guten Werke quasi hinderlich wären für eine gelingende Gottesbeziehung. Luther hat das Verhältnis in einer berühmten Formulierung umgekehrt beschrieben: Gute fromme Werke machen nimmermehr einen guten frommen Mann – wir würden heute sagen: Menschen, sondern ein guter frommer Mann macht gute fromme Werke. Das heißt also: Die Frömmigkeit und Rechtschaffenheit eines Menschen wird nicht dadurch gebildet, dass dieser Mensch eine hohe Anzahl von Punkten auf seinem Leistungskonto aufzuweisen hat. Es ist vielmehr umgekehrt: Ein Mensch, der sich auf Gottes Zuwendung verlässt und der Verheißung vertraut, der kann sein Leben gelassen bestehen. Er oder sie kann besonnen handeln und das richtige tun. Das gilt sowohl im Bereich der persönlichen Spiritualität – Fasten, Beten, Bibellesen – wie auch im öffentlichen Handeln, im Umgang mit dem Mitmenschen, beim Spenden, in Politik oder Gesellschaft. Er oder sie muss nicht irgendeinem Ansehen nachrennen, weder bei Gott noch bei den Menschen, sondern weiß, dass Gott ihn liebt. Luther selbst hat das erfahren. Er hat sich jahrelang im Kloster bemüht, Gott durch fromme Handlungen zu beeinflussen. Erst als ihm klar wurde, dass Gottes Liebe ein Geschenk ist, das er aus freier Zuwendung schenkt, konnte er frei auftreten. Er brauchte sich nicht mehr um sein Seelenheil zu sorgen und es konnte ihm auch egal sein, was die Mitmenschen, die anderen Mönche, die Öffentlichkeit, Papst und Kaiser von ihm dachten.
Das ist ein extremes Beispiel, gewiss. Es gilt aber auch im persönlichen Bereich. Wir dürfen wissen, dass unser Wert nicht darin liegt, was die Leute von uns sagen. Er liegt darin, dass Gott uns zusagt: Du bist mein geliebtes Kind. In diesem Wissen können wir gelassen auf unsere Mitmenschen zugehen. Wir brauchen sie nicht zu beeindrucken und wo sie Not leiden, können wir – soviel an uns liegt – helfen. Auf eine Belohnung brauchen wir nicht zu spekulieren, das haben wir als Gotteskinder nicht nötig. Und wem geholfen wird, der braucht sich seiner Not nicht zu schämen. Er oder sie sagt einfach: danke schön. Oder vielleicht sogar: „Vergelt's Gott.“. Amen.

  
  
    [1]    SZ vom 11.05.2010 (http://www.sueddeutsche.de/sport/uli-hoeness-der-feinste-kerl-der-liga-…, eingesehen am 18.08.2013)
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