Predigt zu Matthäus 6, 19-23 von Elke Markmann
6,19

Predigt zu Matthäus 6, 19-23 von Elke Markmann

Wir feiern heute Erntedank. Ein schönes Fest, jedes Jahr wieder. Es ist ein Fest, an dem wir uns über die Fülle der Gaben freuen, die wir ernten können. Wir danken für die Kräuter auf dem Balkon. Wir danken für die Erdbeeren im Garten. Wir danken für die Bohnen an den Stangen. Wir danken für das Getreide auf dem Feld.
  Wir – hier – danken für all das. In anderen Gegenden der Welt oder auch Deutschlands ist das anders. In den Überschwemmungsgebieten mitten in Deutschland beispielsweise gibt es in diesem Jahr keine Ernte.
  An anderen Orten der Welt herrschen zu große Hitze, Stürme, Trockenheit, Regen … Wie dankbar können wir hier in Westfalen angesichts all dieser Katastrophen sein, dass es uns hier so gut geht, dass wir ernten können und genug zum Leben haben.
  
  Auch bei uns ist Erntedank, der Dank für die Ernte, nicht selbstverständlich. Viele leben weit entfernt von den Feldern, auf denen das Getreide für ihr Brot wächst. Viele kaufen ihre Lebensmittel im Supermarkt und wissen nur noch wenig über Saat und Ernte.
  Wir kommen heute hier zusammen in der Kirche, um Gott zu danken. Wir wissen, dass wir nicht aus uns selbst heraus leben. Wir wissen, dass uns diese guten Erntegaben, die Schöpfung geschenkt ist von Gott. Wir kommen heute hier in den Gottesdienst, um zu danken. Wir kommen, um Gott für unser tägliches Brot zu danken.
  
  EG RWL 690, 4 Auf, Seele, Gott zu loben
  
  Gott lässet Saaten werden
  Zur Nahrung Mensch und Vieh.
  Er bringet aus der Erden
  Das Brot und sättigt sie.
  Er sparet nicht an Güte,
  die Herzen zu erfreun.
  Er schenkt die Zeit der Blüte,
  gibt Früchte, Öl und Wein
  
  Wir danken Gott für das, was er uns schenkt. Ein besonderer Festtag also.
  An diesem Tag wird uns aber ein besonderer Predigttext zugemutet. Ich lese aus dem Matthäusevangelium im 6. Kapitel die Verse 19 bis 23:
  
  19 Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen.
  20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen.
  21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
  22 Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. 23 Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!
  
  Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden!
  Das widerspricht unserer Erntezeit doch direkt! Bei der Ernte sammeln wir, was die Erde uns schenkt, lagern und verarbeiten, damit wir auch dann zu essen haben, wenn nicht gerade Ernte ist. Ich kann mir richtig vorstellen, wie auch damals, als diese Worte zum ersten Mal gesagt oder aufgeschrieben wurden, die Bauern und Bäuerinnen mit großem Unverständnis reagierten. Was denn sonst, wenn nicht sammeln?!
  Als der Text aufgeschrieben wurde, irgendwann gegen Ende des 1. nachchristlichen Jahrhunderts, gab es natürlich auch Bäuerinnen und Bauern, die von der Ernte lebten. Sie lebten davon zu sammeln. Was sie ernteten, wurde zur Grundlage ihrer eigenen Existenz und zur Grundlage der Nahrung überhaupt.
  
  Allerdings lebten die Menschen damals anders als wir heute. Die Felder waren kleiner als unsere heute. Die Geräte zur Bearbeitung des Bodens waren kleiner und nicht maschinenbetrieben. Die Vorratshaltung war auch nicht mit heute zu vergleichen. Gemüse und Obst konnten nicht konserviert oder tiefgefroren werden. Wer viel Nahrungsmittel sammelte, ohne von ihnen abzugeben, konnte oft genug zusehen, wie alles verdarb, verfaulte und schimmelte.
  Die Menschen waren viel abhängiger von der Ernte. Fiel sie gut aus, gab es zu essen. Fiel sie schlecht aus, musste aus anderen Regionen dazu gekauft werden. Und das war teuer.
  
  Aber auch darum geht es in dem Bibeltext nur am Rande.
  
  Als diese Worte gesprochen und aufgeschrieben wurden, ging es um etwas anderes. Wenn wir heute von Schätzen sprechen, meinen wir selten nur noch einen Schatz in einer Schatztruhe (wie hier auf dem Altar). Wir meinen manchmal materielle Güter. Aber meistens reden wir von anderen Schätzen. Wir nennen unsere Partnerinnen und Partner „Schatz“, unsere Kinder und Enkelkinder. Wir reden von Schätzen, wenn wir besondere Gaben habe: Das ist dann ein ganz besonderer Schatz, der uns da anvertraut ist.
  
  Schätze sind das, was uns ganz persönlich viel wert ist.
  Für den einen ist es eine besondere Aufgabe, die ihm oder ihr wichtig ist.
  Für die andere ist es ein besonderer Mensch, der Großvater vielleicht oder die Nichte.
  Was ist mir wichtig?
  Was ist Ihnen wichtig?
  
  Diese Fragen stellen sich Menschen immer wieder. Eine Frau mit ihrer Antwort möchte ich Ihnen heute besonders vorstellen: Martha Müller-Zietzke. Sie lebte von 1899 bis 1972.
  Im Winter 1947 hungerte sie wie viele andere Menschen auch. Die Folgen des Krieges waren hart. Deutschland war verwüstet, Bodenfelde, ihr Heimatort, auch. Es gab so vieles nicht mehr. So vieles war dem Krieg und der Gewaltherrschaft der Nazis zum Opfer gefallen.
  Der Hungerwinter machte die Lage für alle noch einmal besonders schlimm. Martha Müller-Zitzke hatte schwere Zeiten erlebt.
  
  Viele Menschen standen täglich vor der Frage, wie sie überleben sollten. Hunger, körperliche und seelische Verletzungen stellten alle bisherigen Sicherheiten und Gewissheiten in frage. Was war denn überhaupt noch wichtig?
  
  Es war wichtig, eine Perspektive zu haben. Es war wichtig, die Hoffnung nicht zu verlieren. Es war wichtig, das Gute zu sehen, um nicht am Schlimmen zu zerbrechen.
  
  Sie sah das Gute: Immer wieder wächst Neues. Saat und Ernte hören nicht auf – auch wenn sie zunächst völlig zerstört sind. Sie fand Trost im Psalm 104. Wir haben ihn vorhin gemeinsam gesprochen.
  Aus diesen Worten formte sie ein Lied – ein Loblied auf Gottes Schöpfung. Sie hält über alle von Menschen gemachte Zerstörung hinaus.
  
  So lobte sie Gott, wie wir es jetzt auch tun:
  
  690, 1-3 Auf Seele, Gott zu loben.
  
  Was war ihr wichtig? Die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung. Gottes Schöpfung, die weiter besteht und nicht vergeht.
  
  20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. 21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
  
  Was Martha Müller-Zitzke wichtig war, fand sie bei Gott, sozusagen im Himmel. Sie hat entdeckt, dass es um etwas ganz anderes geht im Leben als um die irdischen Schätze. Überlebenswichtig wird für sie der Glaube an Gott, der so viel schenkt. Wichtig ist ihr die Gewissheit, dass Gott uns immer wieder neu beschenkt.
  
  Wer dies alles sieht wie Martha Müller-Zietzke es sehen konnte, hat einen ganz anderen Reichtum, einen ganz anderen Schatz gefunden. Dieser eine Schatz, dieses schöne Lied, ist uns vererbt worden. Wir können uns über das Lied freuen, können das Lied singen und mit jeder Strophe neu die Dankbarkeit hören, die Martha Müller-Zitzke  empfand, als sie Gottes Schöpfung auch angesichts von menschen-gemachter Zerstörung sieht.
  
  690, 6+7 auf Seele, Gott zu loben
  
  Was ist mir wichtig?
  Was ist Ihnen wichtig?
  
  Was mir wichtig ist, stelle ich in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit. Mir persönlich ist meine Familie sehr wichtig. Ich verbringe viel Zeit mit Gesprächen, Feiern, Unternehmungen, Besuchen … Ohne meine Familie will ich nicht sein. Nicht nur mein Mann und meine Söhne. Auch meine Geschwister und meine Eltern, mein Enkel und meine Kusinen und Tanten … Ich nehme mir Zeit, um sie zu sehen. Ich mache mir Gedanken, wenn jemand krank ist. Ich frage nach und höre zu. Und oft genug schweifen meine Gedanken auch mitten in der Arbeit mal zu der Familie.
  
  Was ist mir noch wichtig?
  Freundschaften und Beziehungen zu Menschen sind mir wichtig.
  Aber auch und immer wieder ist mir wichtig, Zeit für Gebete zu finden, Zeit für Bibelarbeiten, für theologisches Lesen und Diskutieren, für Fortbildungen und Seminare. Mein Glaube ist mir wichtig.
  
  20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. 21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
  
  In biblischer Zeit war das Herz der Ort des Verstandes, der Vernunft. Heute ist das anders. Wenn wir den Satz wirklich sinngemäß wiedergeben wollten, müsste es eher heißen: Denn wo dein Schatz ist, da sind auch Deine Gedanken, darum kreist Dein Denken.
  Es geht um die grundsätzliche Ausrichtung des Menschen. Ich orientiere mich an dem, was mir wichtig ist. Das stelle ich in den Vordergrund. Anderes wird nachgeordnet. Wenn ich also keine irdischen, sondern himmlische Schätze sammeln soll, geht es darum, mich nicht daran zu orientieren, was in meinem Haus zu sammeln ist. Es geht nicht um materielle Güter, sondern vielmehr um meine Beziehung zu Gott und den Menschen.
  Amen.
Perikope
Datum 06.10.2013
Bibelbuch: Matthäus
Kapitel / Verse: 6,19
Wochenlied: 324 502
Wochenspruch: Ps 145,15