Predigt zu Micha 6, 6-8 von Esther Kuhn-Luz
6,6

Predigt zu Micha 6, 6-8 von Esther Kuhn-Luz

„ Wohin soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott?
  Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern?
  Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widern, an unzähligen Strömen von Öl?
  Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretungen geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?“
  „ Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott von dir fordert,
  nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
„ Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist!“
Ein klares deutliches Wort. Es klingt so einfach: es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist – also dann tu es auch.
Nur – was ist denn gut? Wer definiert, was „ gut“ ist? Und – für wen soll es gut sein – für mich? Für andere? Für alle ?
Menschen auf der Suche nach „ dem Guten an sich“ können auf ihrem Weg viel Schaden anrichten, wenn  sie ihre Vorstellung, was „ gut“ ist, gnadenlos, ideologisch  verfolgen.
Was sind eigentlich die Bedingungen, um „ gut“ sein zu können? Fördert oder behindert materieller Wohlstand dabei?
Auf der Suche nach der Grundbedeutung von „ gut“ finde ich im etymologischen Wörterbuch folgende Erklärung:
Das, was zusammengehört…Ursprünglich hieß es „ gat“ – davon leitet sich „ der Gatte, die Gattin“ her – zwei Menschen, die gut zueinander sind, die einander Gutes tun. Interessant, diese Verbindung: gut sein kann ich also nicht allein – es braucht immer ein Gegenüber, es geschieht immer in Beziehungen.
Das  hebräische Wort für „ gut“ – tob – bezeichnet das, was für den Menschen nützlich, förderlich ist – nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern für eine Gemeinschaft – sogar für die Menschheit.
( So sagt Gott immer wieder am Schluss der einzelnen Schöpfungstage: Und siehe, es war gut so!)
Was „ gut“ ist, das sollte nicht nur für den heutigen Tag gelten, sondern „ nachhaltig“ sein – für morgen und übermorgen auch noch gut sein. Im ökologischen Zusammenhang diskutieren wir das am stärksten: was für mich individuell gut sein mag – mit dem Flugzeug überall  auf der Welt hin zu kommen; für billiges Geld viele Klamotten kaufen zu können; immer online zu sein… das hat Auswirkungen auf andere, die das garnicht gut finden: der Anstieg des CO2 verschlechtert Lebensbedingungen und Zukunftschancen für viele Menschen , die im Süden  leben; die billigen Preise sind nur für billige Löhne zu bekommen – und die Leidtragenden sind Textilarbeitende in Bangladesh und anderswo;  Freunde und Familie sind oft die Leidtragenden – und auch irgendwann die eigene Gesundheit – wenn ich grenzenlos online arbeiten kann…
„ Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist.“
Was ist „gut“?
Diese schwierige Frage beschäftigt Menschen zu allen Zeiten.
Mir ist dazu eine Geschichte aus dem Mt-Evangelium eingefallen ( Mt 19).
Ein materiell gut abgesicherter, gut verdienender junger Mann fragt Jesus: Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe?“ Jesus antwortet auf diese ernst gemeinte Frage erst ziemlich schroff.
„ Was fragst du mich nach dem, was gut ist? Gut ist nur einer – Gott.“
Jesus stellt das klar: wenn wir darüber reden, was gut ist, dann müssen wir über Gott reden.
Und verweist damit auf den Propheten Micha, aus dessen Schrift ja unser Wort kommt.
„ Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott von dir fordert, nämlich
  Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Micha 6,8
  In einer andren Übersetzung ( Kirchentag 1995, Jürgen Ebach) hört sich das so an:
  „ Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dirsucht:
  Gerechtigkeit tun
  Freundlichkeit lieben
  Und behutsam mitgehen mit deinem Gott.“
Gottes Wort stellt der Prophet Micha in eine sehr konkrete Situation seiner Zeit.
Gott klagt an, dass  immer mehr soziales Unrecht geschieht. Verwaltungen und Gerichte sind bestechlich , im Handel wird mit gefälschten Maßen und Gewichten betrogen; Haus- und Bodenspekulation macht wenige reich und viele arm, sogar obdachlos, Familien zerbrechen; der eigene Gewinn steht im Vordergrund, nicht mehr die Verantwortung  füreinander…
Das sind alles sehr aktuelle Probleme – zu jeder Überschrift fallen uns konkrete Namen oder aktuelle Situationen ein. Schon verblüffend und erschreckend, dass die grundsätzlichen Themen der sozialen Ungerechtigkeit ähnlich geblieben sind. Aber gerade deswegen ist es so wichtig, dass wir uns klar machen – als Kirche, als Christen und Christinnen – dass Gottes mit seinem Wort gegen diese verschiedenen Formen der Ungerechtigkeit  protestiert . In den prophetischen Texten und in den Aussagen Jesu wird das am deutlichsten: Gott schaut von den Rändern her auf das Ganze. Das heißt, Gott schaut auf die Konsequenzen unseres Handelns – wer dabei zum Opfer wird, wer dabei zu kurz kommt – und klagt dieses Verhalten massiv an.
Denn die Zerstörung der Solidargemeinschaft – zugunsten der Reichen, auf Kosten der Armen, regional, national, global gesehen – ist für Gott auch eine Zerstörung der Schöpfungsgemeinschaft.
Er hat die Schöpfung so geschaffen, dass es für alle gut ist – nicht für die einen sehr gut und für die anderen gar nicht mehr gut..
Ein Volk ohne Solidarität geht zugrunde – das spürten auch die Verantwortlichen, die Regierenden zu Michas Zeiten. Sie erhoffen sich von Gott Hilfe, wollen ihn gut stimmen, ihn versöhnen, indem sie sich fromm zeigen. Es werden viele Gottedienste gefeiert, es werden große Opfer gebracht, es werden viele Lieder gesungen – aber da alles will Gott nicht als eine Antwort auf Ungerechtigkeit. Überanstrengung im frommen Verhalten löst noch keine sozialen Konflikte.
In diese Situation hinein verkündet Micha Gottes Wort:
„ Es ist dir doch gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht:
  Gerechtigkeit tun, Freundlichkeit lieben und behutsam mitgehen mit deinem Gott.“
Gott legt nicht nur eine klare Orientierung für unser Handeln vor – mit seinen Worten verbindet sich auch eine Zumutung – ein Zutrauen ! – an uns. Wir Menschen können das! Wir sind dazu in der Lage, so zu leben, dass es für alle gut ist… Nur – erfordert das immer wieder Anstrengungen, Perspektivwechsel -  welche Auswirkungen hat mein Handeln auf andere? -  und ein gemeinsames Suchen nach „ Gemeinwohl“ würden wir heute sagen.
Drei Kriterien werden benannt, die vor Gott gut sind – und die Gott von uns fordert – weil er es uns zutraut.
Gerechtigkeit tun – ist das Erste.
Diese Verbindung ist wichtig: es gibt nichts Gutes außer man tut es – sagt dazu ein Sprichwort. Gerechtigkeit tun ist mehr als Betroffenheit über die vielen schrecklichen Situationen weltweit.)Es geht um sehr konkrete Schritte – manchmal auch sehr kleine Schritte, in persönlichen Beziehungen, im kommunalen, regionalen Engagement, im betrieblichen Alltag  -   manchmal auch durch große politische Strukturprogramm – alle Ebenen sind wichtig! Meine Arbeit an der Gerechtigkeit soll andre zu ihrem Recht verhelfen!  Und wenn wir als Einzelne dazu aufgefordert werden – um wieviel mehr ist die Kirche als Ganzes gefragt zu so einem Verhalten. Wir sehen das gerade in der Diskussion um die hohen Baukosten und die Finanzierung eines bestimmten Lebensstils im Bistum Limburg. Wenn einige wenige sich mit viel Geld ihre Räume schön gestalten lassen – und andere nicht wissen, wie sie ihr Gemeindehäuser und Jugendhäuser noch finanzieren können… dann ist zu Recht die Kirche kritisch in der Auseinandersetzung. Denn in ihrem Handeln – gerade auch in eigener Sache – muss deutlich werden, was sie verkündet – das gilt natürlich für beide große Kirchen und für die andren Religionsgemeinschaften auch.
Freundlichkeit lieben – das ist das Zweite.
Freundlichkeit, das ist so etwas wie eine gute Gemeinschaft mit Arbeitskollegen, in der Nachbarschaft, in der Freundschaft und Familie. Freundlichkeit kann ich – anders als die Gerechtigkeit – nicht einklagen. Aber- hier bin ich noch mehr gefordert, denn es liegt an jeder einzelnen – jeder kann etwas dafür tun – ob es eine freundliche Atmosphäre ist , in der ich lebe und arbeite. Und – ob ich mich so verhalte, dass auch andere freundlich sein können – und nicht vor allem mit Abwehr beschäftigt sind.  Dass die Nachbarin mein Auto abschleppt, dass sich jemand angesprochen fühlt, sich im Asyl AK zu engagieren, dass wieder eine andere die Kinder von anderen unterstützt, dass mir jemand die Sachen aus de Schule mitbringt , wenn ich krank bin – darauf habe ich kein Recht. Aber wenn ich solche Freundlichkeit erfahre und in Anspruch nehme, dann ist für mich selbstverständlich, auch den anderen gegenüber freundlich zu sein, meine Hilfe an zu bieten, wenn ich merke, da braucht jetzt jemand was… Freundlichkeit ist so etwas wie der Kitt in der Gesellschaft. Ja. Es geht in manchen Bereichen unfreundlicher zu als früher – da, wo alles anonym ist und sich Menschen nicht mehr kennen; und – weil immer mehr Menschen einen seltsamen Stolz haben: Sie sind stolz darauf, von anderen keine Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Sich nur nichts schenken lassen… was ist das für eine komische Art, eine scheinbar Abhängigkeit ab zu wehren…
Lieber Nichts bekommen – auch nichts Gutes – dann bin ich auch nicht verpflichtet, anderen was gutes zu tun –sehr quer gedacht – und führt leider zu großer Einsamkeit auf die Dauer…
In der chassidischen Überlieferung finde ich eine Geschichte, die dieses Leitbild – von allen unabhängig zu sein – zu einem Leid (!)bild macht. Da wird  Rabbi Bunam gefragt, was das denn für eine merkwürdige Strafe sei, die in der Paradiesgeschichte über die Schlange verhängt werde. Sie solle Erde fressen! Das sei doch keine Strafe, sondern eher ein Segen, denn so werde die Schlange das einzige Lebewesen sein, das stets  für sich genug zu essen habe. Ja, erwidert Rabbi Bunam, das ist ihre Strafe: Sie wird nie jemanden um etwas bitten müssen.“
Freundlichkeit lieben – nicht nur üben – damit ist  eine tiefe inneres Zustimmung verbunden: Freundlichkeit ist nich etwas, was ich mal üben kann, wenn ich Lust habe, sondern sie ist ein Zuwachs von Menschlichkeit, eine  Bereicherung des Lebens.
Und nun das Dritte:
Einfach behutsam mitgehen mit deinem Gott.
Das ist so eine schöne Übersetzung, eine Einladung, die mit viel Leichtigkeit verbunden ist.
Du musst dich nicht dauernd anstrengen, nicht dauernd „ Großes“ schaffen wollen, nicht in außergewöhnlicher Form deinen Glauben praktizieren. Nein – einfach eine Einladung: mit Gott mit zu gehen. Nicht nur darauf vertrauen, dass Gott meine Wege mitgeht – sondern mir Gottes biblische Wege anschauen – und da quasi eine „ Weggenossin Gottes“ werden.  Manche nennen das heute pilgern – aber mit Gott mitgehen ist nicht nur eine äußere Bewegung, sondern eine innere Bewegung. Die Wegweisungen Gottes heißen im hebräischen: die Halacha. Erzählungen auf dem Weg – Erzählungen, die mich innerlich und äußerlich be-weg –en. So viele biblische Geschichten sind Weggeschichten –  der Aufbruch von Abraham und Sara in unbekannte Gegenden, der Exodus und die  Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste, der Einzug ins gelobte Land.. und Jesus selbst war so etwas wie ein Wanderprophet für die Menschen damals: beim miteinander Gehen hat er von Gottes Wirken und Gottes Lieben erzählt.
Behutsam mit gehen – warum behutsam?
Das ist ein sehr zärtlicher Begriff – weil damit so etwas wie sorgsam, fürsorglich mit schwingt.
Eine behutsame Gangart auf dem Weg mit Gott – eine schonende Gangart ist heir gut, eine , die mich selbst und meine Mitmenschen schont. Wer kann schon mit Gott Schritt halten? Gott ist viel langsamer, behutsamer als wir in unserem pausenlosen Schnellgang.
Mit Gott gehen heißt nicht, sich anzumaßen, das zu tun, was Gott tut.
Gott ist es, der Menschen erschafft, der das Maß der Zeit setzt. Wenn der Mensch hier versucht, wie Gott zu sein – und es gibt ja viele solcher Versuche – dann liegt darin die Gefahr, zerstörerisch zu sein.
Fassen wir zum Schluss zusammen.
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht:
  Gerechtigkeit tun/Freundlichkeit lieben/ mit Behutsamkeit gehen mit deinem Gott.
  Das gehört jeweils zusammen – eins für sich genommen muss noch nicht gut sein.
Auch wenn es oft schwerfällt: zum Engagement für Gerechtigkeit gehört Freundlichkeit und Behutsamkeit – sonst kann Gerechtigkeit auch etwas Hartes, Arrogantes werden ( „ Ich weiß, was gerechtigkeit bedeutet – im Unterschied zu dir!“)
Zur Freundlichkeit gehört die Gerechtigkeit – denn es braucht eine klare gerechte Struktur als Basis für eine freundliche Atmosphäre;
Tun – lieben – gehen… auch das gehört zusammen – vielleicht nicht immer zur gleichen Zeit –  es erfordert eine Behutsamkeit, um zu spüren, was jetzt dran ist … so wie in einer anderen kleinen Geschichte aus dem Midrasch.  Als die Ägypter sich den fliehenden Israeliten nähern und sie kurz vor dem Schilfmeer sind, bleibt Mose stehen und betet zu Gott. Da heißt es: „ Was schreist du zu mir? Sage den Israeliten, das sie losziehen sollen.“ ( 2. Mose 14,15) Dazu heißt es im Midrasch : Gott will Mose sagen, dass es Zeiten für kurze und Zeiten für lange Gebete gibt – und dass diese Situation in Gefahr wahrlich keine Zeit für ein langes Gebet ist. Das Meer vor euch – die Verfolger hinter euch – nun geht doch endlich!
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht:
Gerechtigkeit tun – aber auch Freundlichkeit lieben – aber auch behutsam mitgehen mit deinem Gott.
Gebe Gott uns das Gespür dafür, wann für was die richtige Zeit ist.
Amen
Lieder:
Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist  395, 1-3
Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt  182,1-4.9.