Predigt zu Micha 6, 6-8 von Ulrike und Christof Voigt
6,6
Liebe Gemeinde!
Von dem Dramatiker Bertolt Brecht gibt es das Theaterstück „Der gute Mensch von Sezuan“. Darin geht es um die Frage, ob die Menschen die Möglichkeit haben, gut zu handeln. Drei Götter wollen beweisen, dass es auf der Erde gute Menschen gibt. Sie finden Obdach bei einer jungen Frau, die zum Dank dafür von ihnen Geld erhält und verspricht, damit Gutes zu tun. Doch zunehmend wird sie in ihrer Hilfsbereitschaft ausgenutzt und betrogen und bemerkt sehr rasch, dass sie selbst nicht überleben kann, wenn sie gütig ist. Sie ist mit dem guten Handeln überfordert, sie scheitert, sie verwandelt sich zurück in einen kalten, habgierigen Menschen. Der Anspruch der Götter kann auf Erden nicht verwirklicht werden. Das Stück endet ohne Antwort, der Zuschauer muss sich seine Antwort selbst suchen:
„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
  Den Vorhang zu und alle Fragen offen. […]
  Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andere Welt?
  Vielleicht nur andere Götter? Oder keine? […]
  Sie selber dächten auf der Stelle nach
  Auf welche Weis dem guten Menschen man
  Zu einem guten Ende helfen kann.
  Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
  Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“
Darüber, was gut ist für den Menschen, gibt es unterschiedliche Auffassungen, so lange Menschen zusammen leben. Und häufig genug meinen Menschen zu wissen, was gut für die anderen sei, aber oft ist es nur gut gemeint. Aber was ist denn gut für mich? Die Frage überfordert uns oft. Wissen wir wirklich, was gut ist für uns Menschen, für mich selbst, für die Familie und für die Nachbarn, für meine Gemeinde und für meine Stadt?
Wenn jetzt Zettel und Bleistifte durch die Reihen gingen und Sie gebeten wären, einmal aufzuschreiben, was gut für Sie ist – was kämen da wohl für Ideen und Wünsche zusammen? Ein sicherer Arbeitsplatz oder überhaupt ein Arbeitsplatz; Gesundheitskosten, die mich nicht überlasten, eine zuverlässige Rente; mehr Geld oder Zeit für den Urlaub; mehr Macht über andere oder Selbstbestimmung für das eigene Leben. Wäre das gut?
Eine Antwort auf diese Frage nach dem Guten, die ja auch Brecht vehement einfordert, bietet uns der heutige Predigttext an. Wir werden den Text von hinten her lesen, daher hören wir zunächst den letzten Satz, den Zielsatz (Micha 6,8):
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist undwas der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
I.
Dieses Wort aus dem Micha-Buch ist eines der bekanntesten Worte des Alten Testamentes. Es ist ein Wort, das uns in tröstlicher Weise gerade nicht fordert und überfordert, sondern das Luft zum Atmen gibt und uns freilässt. Denn der Prophet Micha antwortet etwas ganz Überraschendes auf die Frage. Er sagt: Gut ist das, was der Herr von dir fordert.
Und nun könnten wir wieder überlegen: Was ist das, was der Herr fordert? Denken wir, er fordert viel von uns? Denken wir, er fordert am Ende mehr, als wir leisten können? Die Botschaft des Micha-Verses ist eindeutig: Gott fordert nicht, und erst recht überfordert er nicht. Das zeigt der Zusammenhang unseres Verses ganz klar. Micha sagt (wenn wir den Text noch genauer lesen und etwas anders übersetzen): Gut ist für den Menschen, was der Herr bei ihm sucht. Und das, was er sucht, das hat er zuvor schon gegeben. Der Herr ist dem Menschen in allem, was dieser tun könnte, längst zuvorgekommen. Der Herr hat den Menschen schon in seine Obhut genommen, er hat sich um den Menschen bereits gesorgt, und nun erkundigt er sich, wie es um ihn steht; er sucht etwas bei ihm, was er selbstverständlich vorfinden kann. Was gut ist für den Menschen und was der Herr bei ihm sucht, das entfaltet der berühmte Micha-Vers nun in drei Begriffspaaren: Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor Gott. Er widerspricht damit den Menschen, die Gottes Gaben in Vorschriften und Forderungen ummodeln, gar in solche Forderungen, die sich ins schier Unaussprechliche versteigen. Umso erstaunlicher ist dann: Dieses Wenige, was Gott sucht, das soll alles sein? Nichts anderes, nichts mehr sucht Gott bei mir? Ja, so ist es: So zu leben, das ist gut; mehr will Gott nicht.
II.
Wenn es einen Vers gibt, den wir nicht aus seinem Zusammenhang reißen und damit verstümmeln dürfen, dann ist es dieser. Die ganze Bibel gibt Zeugnis von dem großen Gespräch Gottes mit seinen Geschöpfen. In unserem Text verdichtet sich dieses Gespräch und wird förmlich zu dem Akt eines Dramas auf dem Theater; der ganze Kosmos von Bergen und Fundamenten wird hier zur Bühne. Zuerst tritt ein Prophet auf, dann spricht der Herr, darauf meldet sich eine Einzelstimme aus dem Volk, damit schließlich alles in unserem bekannten Vers enden kann:
Ich lese den gesamten Textabschnitt und stelle uns damit die Szene bildlich vor Augen: Mi 6, 1-8.
6,1 Höret doch, was der HERR sagt: »Mach dich auf, führe deine Sache vor den Bergen und lass die Hügel deine Stimme hören!«
2 Höret, ihr Berge, wie der HERR rechten will, und merkt auf, ihr Grundfesten der Erde; denn der HERR will mit seinem Volk rechten und mit Israel ins Gericht gehen!
3 »Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beschwert? Das sage mir!
4 Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus der Knechtschaft erlöst und vor dir her gesandt Mose, Aaron und Mirjam.
5 Mein Volk, denke doch daran, was Balak, der König von Moab, vorhatte und was ihm Bileam, der Sohn Beors, antwortete; wie du hinüberzogst von Schittim bis nach Gilgal, damit ihr erkennt, wie der HERR euch alles Gute getan hat.«
6 »Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern?
7 Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?«
8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Ich sehe da eine höchst seltsame Szenerie: Es herrscht richtiggehend Streit zwischen dem Herrn und seinem Volk. Zunächst sieht es mir fast so aus, als winke der Herr enttäuscht und entmutigt ab: "Streitet doch mit den Bergen! Die Hügel, die stehen hoch und beständig und wanken nicht, die werden verlässliche Zeugen sein in einer solchen Auseinandersetzung. Was soll ich mit euch noch streiten?" Der Prophet, nicht faul, nimmt die Rede auf und wendet sich nun seinerseits direkt an die Berge: "Hört den Rechtsstreit, ihr Berge und ihr Fundamente der Erde, denn der Herr streitet mit seinem Volk!"
Strittig ist die Frage: Was ist gut? Was ist das Gute? Und nun übernimmt der Herr tatsächlich die Rolle des Angeklagten und verteidigt sich gegen die Angriffe seines Volkes. Man stelle sich das vor: Gott sitzt auf der Anklagebank. 'Was?', ist die Frage, 'Was ist gut?', und der Herr wendet sich zur eigenen Verteidigung den Menschen zu und sagt liebevoll: "Mein Volk – mein Volk: Was habe ich dir angetan, was hat dich überfordert?" Wenn der Herr sich hinunterbeugt, in solcher Weise zu seinem Volk zu reden, wie schlimm muss es da um das Volk bestellt sein? Das Volk klagt Gott an, das Volk sagt ihm ab; es fühlt sich überlastet, erschöpft, ausgebrannt; es ist stumm geworden vor Gott. Aber Gott lässt sich herab, ruft es und sagt: "Antworte mir! Ich habe dir nicht eine Last auferlegt, sondern dir eine Rast verschafft, ich habe dich nicht matt gemacht, sondern habe dich satt gemacht; ich habe dich nicht bedrückt, sondern habe dich entzückt, indem ich dich aus Ägypten heraufgeführt und dich aus der Sklaverei befreit habe!" Und ein zweites Mal wendet sich Gott den Menschen in liebevoller Anrede zu: "Mein Volk! Gedenke doch, erinnere dich an die entscheidenden Schritte deiner Geschichte, auf dass du die Taten deines Herrn, seine Erweise von Gerechtigkeit und Heil erkennen mögest!" Die Verteidigungsrede Gottes ist an dieser Stelle beendet.
Das gibt mir Gelegenheit, die Theaterszene von Klage und Verteidigung für einen Moment zu verlassen. 'Gedenke der Taten und Hilfen Gottes!' heißt es hier. Erinnern und Erzählen – das ist tägliche Übung im jüdischen Volk bis auf den heutigen Tag. Und uns Christen ist es auch nicht fremd; auch wir üben uns im Erinnern an die guten Taten Gottes an uns und unseren Vätern und Müttern. Wir erinnern uns und andere an das, was Gott in Christus getan hat. Und wir üben uns im Erzählen dessen, was wir mit Gott erlebt haben, welche Geschichte Gott mit uns hat. Manchmal bedaure ich, wie wir schwanken zwischen einem vielsagenden Schweigen und einem alles- und nichtssagenden christlichen Wortschatz, der so entleert und flach ist, dass unsere persönliche Geschichte darin gar nicht farbig werden kann. Ein Gott, der früher einmal zur Überschrift über eine längst verblasste Erfahrung geworden ist, bleibt fremd und leblos. Dagegen hat doch die Geschichte unseres Lebens mit Gott helle und strahlende Seiten wie auch dunkle und finstere –- wir sollten uns gemeinsam daran erinnern und davon erzählen!
Kehren wir zurück zu der Szene, die Micha vor Augen stellt! Gott, von seinem Volk verlassen, macht sich auf die Suche nach Antwort. Es geht um die Frage: Was ist gut für den Menschen. Gott hat sich zu einer Selbstverteidigungsrede bereit gefunden, in der er sein Volk an seine Heilserweise erinnert. Und nun tritt zaghaft ein Einzelner aus dem Volke vor, der Reue empfindet. Er fragt nach dem, was vor Gott zu tun gut wäre: "Wie soll ich mich niederdrücken vor dem erhabenen Gott?" Schon aus der Frage spricht die ganze Mutlosigkeit, ja der Kleinglaube: "Ich bin nicht nur überfordert, ich bin unterdrückt, unendlich entfernt von Gott!" In solch schlimmer Haltung erwägt dieser einzelne in einer ungeheuerlichen Steigerung weitere mögliche Taten: "Was ist gut vor Gott? Soll ich ein einjähriges Kalb opfern? (Das wäre die nicht geringe Kostbarkeit von mehreren Mahlzeiten.) Oder müssten es nicht doch 1000 Widder sein? (Das könnte nur ein König sich leisten und auch das nur bei ganz besonderen Anlässen.) Oder würden es vielleicht unermessliche Mengen Olivenöls tun? (Der Verlust für Nahrung, Sonnenschutz und Kosmetik wäre unersetzlich.) Oder – und das ist in der Tat das Allerletzte – "Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?" Hier sollten dem Sprecher die eigenen Worte im Halse stecken bleiben, dieser Gedanke ist zu irrsinnig, zu absurd, er grenzt ans Kranke. Was treibt den Sprecher zu solchen Fragen? Es ist sein verfehltes Leben. Was er auch vorträgt, längst weiß er selbst, dass alle Versuche vergeblich sind: "Was ich auch gebe, Gott bleibt fern, ich bleibe niedergedrückt."
Liebe Gemeinde, ich fürchte, ein Missverständnis dieser Art darüber, wie der Mensch vor Gott zu treten hat, ist auch heute bei vielen nicht wirklich überwunden: Da sind Leute, die Gott gefallen wollen und die sich klein machen und sich ducken vor dem großen Gott; Leute, die bei jeder Schwierigkeit im persönlichen oder gemeindlichen Glaubensleben dafür sind, noch mehr zu tun und immer wieder etwas anderes zu tun.
Aber wer sich selbst andauernd und je länger je mehr überfordert – und sei es in noch so übertriebener Demut –, der wird keine Entlastung finden. Die Überforderung wird zu weiterer Überforderung führen und am Ende, ganz wie bei dem Volk in unserer Szene, zur Abkehr von Gott.
III.
Jetzt erst, nachdem wir uns die ganze Sache ausführlich und plastisch vor Augen geführt haben, sind wir imstande, den wunderbaren Vers 8 in seiner ganzen Tiefe zu verstehen: Auf die Frage 'was ist gut?' gibt es nun eine Antwort, die alles menschliche Versuchen an den ihm angemessenen Platz rückt:
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr bei dir sucht:
  Nichts anderes als Recht tun und Freundlichkeit lieben und behutsam mitgehen mit deinem Gott!“
Das soll alles sein? Ja, das ist alles!
Gerade deshalb ist ein zweiter, ein genauerer Blick auf diesen Vers so lohnend:
Wer spricht hier? Wer hat dies gesagt? Letztlich hat es der Herr gesagt: Seit Mose und den Propheten ist es gesagt, seit Jesus ist es gesagt; vor allem aber ist es bis heute gesagt in der erzählenden Erinnerung an die Erfahrungen mit Gott.
Und wem ist es gesagt? Dem Menschen; nicht einem erwählten Volk, nicht einem besonderen Einzelnen, sondern jedem Menschen: es ist mir und es ist dir gesagt.
Und was ist eigentlich gesagt? Was gut ist – das war doch die ganze Zeit die Frage. Gut ist nicht ein Gesetz, ein Gebot oder ein Verbot Gottes, das rücksichtslos durchgesetzt werden müsste. Gut ist das, was dem einzelnen Menschen und den menschlichen Beziehungen zugute kommt. Gott will dem Menschen Gutes, er will Gemeinschaft zwischen den Menschen. So ist die Liebe zum Nächsten eine Gestalt der Liebe zu Gott, ganz wie es das neutestamentliche Doppelgebot der Liebe besagt (Mk 12,31f.). Und das, was für den Menschen gut ist, das sucht Gott bei ihm. Beachtenswert ist, daß es hier einmal nicht der Mensch ist, der sucht, was unserer gewohnten Perspektive entspräche, sondern Gott: Er hält Ausschau nach uns Menschen, er kümmert sich um uns, sucht bei uns das, was er selbst uns gegeben und wozu er selbst uns befreit hat.
Nichts anderes als dies sucht er. Die völlig absurden Versuche des Einzelnen sind vergessen, vom Tisch gewischt. Und nun folgen die drei so bekannten Antworten auf die Frage, was gut sei; man könnte sie in ein Lehrbuch schreiben oder besser noch: auf einen Spick- und Denkzettel, den man bei sich trägt, wenn man die Worte nicht ohnehin auswendig weiß.
Erstens:'Recht tun'. Im Luther-Text, den manche sicher im Ohr haben, heißt es: 'Gottes Wort halten'; diese Übersetzung hat ihr gutes Recht in der erwähnten Erinnerung an die Geschichte Gottes mit seinem Volk mit der dazugehörigen Erzählung, die uns hauptsächlich in Gottes Wort entgegentritt. Trotzdem ist 'Gottes Wort halten' ein viel ärmerer Ausdruck, wenn wir es mit dem konkreten 'Recht tun' vergleichen. 'Recht tun' heißt schlichten, wo Gemeinschaft bedroht oder zerbrochen ist; heißt eintreten für Menschen, die – wo auch immer – benachteiligt oder als zu schwach aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Recht (mišpat) meint das, was zur Erhaltung der Gemeinschaft einfach nötig ist. Und Recht in diesem Sinne ist zu tun: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (sagt Erich Kästner).
Der Prophet Micha stellt sich gegen das soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft, gegen eine Ordnung, in der der eine den anderen ausnutzt, und gegen die damit verbundene Aufkündigung der Solidarität. Eben genau gegen das, was dem guten Menschen von Sezuan in Brechts Drama passiert ist. Das tut Micha im Namen der göttlichen Rechtsordnung. Der Prophet fordert auch uns auf, für dieses Recht einzutreten.
Zweitens:'Freundlichkeit lieben'. Ich könnte auch sagen 'Güte oder Gemeinschaftstreue oder Liebe üben'. Das Wort, das im Hebräischen unter diesem Wortfeld steckt, ist eines der wichtigsten Wörter der Sprache des AT, es heißt chäsäd, und Sie kennen es aus dem Tischgebet, das auf Ps 118,1 zurückgeht: Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine 'Güte' [chäsäd] währet ewiglich. chäsäd – Freundlichkeit/ Güte/ Liebe ist ein Verhalten, das eine gemeinsame Sache zwischen Menschen oder zwischen Gott und Menschen dauerhaft machen will, das Gemeinschaft stiften will; wir könnten auch sagen 'Solidarität'. Ein solches Verhalten lässt sich nicht wie eine Pflicht vorschreiben und befehlen, denn es ist etwas, das über das Nötigste hinausgeht und gerade dadurch das Leben möglich und warm macht. Deshalb sollen wir chäsäd – Freundlichkeit lieben.
Drittens:'Behutsam mitgehen mit deinem Gott'. Hier haben wohl wieder etliche den Luther-Text im Kopf: 'demütig sein vor deinem Gott'. Luther liegt mit seiner Übersetzung – hier wie immer – richtig, berührt aber nicht die ganze Bedeutung: 'Demütig sein', ja; aber eben nicht so wie der Einzelne, der aus dem Volk hervorgetreten war, sondern eigentlich 'aufmerksam, besonnen, wachsam sein und in dieser Haltung mitgehen mit Gott'. Unser Verhältnis zu Gott ist ja kein Zustand, sondern wir sind in Bewegung, wir sind unterwegs, wir gehen mit ihm mit. Nichts anderes meint im NT die Nachfolge Jesu. Und die soll nicht gnadenlos sein, sondern demütig, nicht rücksichtslos, sondern besonnen, nicht schonungslos, sondern behutsam.
Diese drei Bestimmungen sind ganz eng miteinander verflochten. Sie drücken aus, was gut ist. Und dieses Gute fordert Gott uns nicht ab als kalte Pflichterfüllung, sondern er sucht es bei uns, nachdem er es uns längst zugesagt hat. [Hier ist an das Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,21–35) zu erinnern, das wir heute / vorhin in der Lesung gehört haben. Da hat einer unerwarteterweise unendlich viel Gnade erlebt – und könnte daher selbst Gnade vor Recht walten lassen. Und das Gleichnis ist so erzählt, dass man erwartet, dass es gar nicht anders sein kann, dass er es einfach tun muss – aber es klappt in dieser Geschichte nicht, das Verhalten des Menschen entspricht nicht der göttlichen Gnade. Und so illustriert dieses Gleichnis genau das, was Micha gemeint hat: Gott sucht bei uns das, was er längst selbst gegeben hat.]
Um noch einmal auf die Frage von Brechts Theaterstück zurückzukommen: es gibt für uns einen guten Schluss. Hören wir noch einmal auf die Antwort:
Micha 6,8: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist
  und was der Herr bei dir sucht:
  Nichts anderes als Recht tun und Freundlichkeit lieben,
  und behutsam mitgehen mit deinem Gott!
Amen
Verfasser: Dr. Ulrike Voigt und Prof. Christof Voigt
Perikope
27.10.2013
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