Predigt zu Offenbarung 3,1-6 von Stefan Kläs
3,1-6

Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert.
Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
(Luther 1984)

Liebe Gemeinde!
„Ich mache mir Sorgen“, sagte Pep Guardiola, der Trainer des FC Bayern nach der 2:3-Niederlage gegen Manchester City am Dienstagabend, dem 6. Spieltag der Champions League. Zwar ist der FC Bayern Gruppensieger, aber in diesem Spiel hat sich der Triple-Sieger verwundbar gezeigt. Die Niederlage gegen Man City bleibt also zunächst folgenlos, aber sie gilt als Weckruf zur richtigen Zeit. „Eine Niederlage ist nie gut", sagte Guardiola weiter, „aber vielleicht braucht dieser Verein, der Trainer und die Mannschaft eine Niederlage, um zu wissen, wie schwierig es ist, die Spiele zu gewinnen."
Ein Weckruf zur richtigen Zeit erklingt auch in der Offenbarung des Johannes:
„Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach …, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott“, spricht der Geist Gottes zu uns.

Zugegeben, wir sind als Kirche und Gemeinde nicht ganz so erfolgsverwöhnt wie der FC Bayern. Dennoch fühlt sich dieser Weckruf wie eine empfindliche Niederlage an. Denn er trifft uns im Kern unseres Selbstverständnisses: Wir verstehen uns ja als „lebendige Gemeinde“ und tun alles dafür, es auch tatsächlich zu sein. Da ist die Ansage „Du bist tot“, du bist nicht, wofür du dich hältst, schon ein herber Rückschlag auf dem Punktekonto.
Doch wir wollen nicht empfindlich sein. Was Pep Guardiola recht ist, soll uns billig sein. Verschließen wir also unsere Ohren nicht und fragen stattdessen, ob denn etwas dran sein könnte an diesem Weckruf.

„Lebendige Gemeinde“, das ist ein Idealbild, das vor allem die aktiven Kirchenmitglieder, die sich in Gruppen treffen, vor Augen hat.[1] In unserer Gemeinde gibt es viele Gruppen, die sehr unterschiedlich sind. Eine Gruppe ist weder von sich aus gut, noch ist sie per se problematisch. Will sie jedoch Teil der „lebendigen Gemeinde“ sein, muss sie einen Beitrag leisten. Einen Beitrag, der auch nach außen hin ein klar wahrnehmbares christliches Profil aufweist. Eine Gruppe der „lebendigen Gemeinde“ muss die Lebensführung ihrer Mitglieder im Sinne des Evangeliums prägen. Tut sie dies nicht, weil sie gar keinen Bezug zum Evangelium hat, oder weil sie ihre Aufgaben nur noch zum Schein erfüllt, ist sie kein Teil der „lebendigen Gemeinde“ mehr, sondern tatsächlich tot. Das mag ungewöhnlich hart klingen, aber diese Diagnose gehört wohl zu einem realistischen Blick auf uns selbst. Ein Blick, den wir von der Bibel lernen können.
Wenn also eine Gruppe nur noch durch ein diffuses Wir-Gefühl zusammengehalten wird, wenn Gemeinschaft nur noch vorgegaukelt, aber nicht mehr gelebt wird, dann ist es Zeit für einen Weckruf. Wenn man nur noch so tut, als ob man lebendig wäre, wenn die Atmosphäre schön, aber schal ist, wenn sich nur noch das Altbekannte wiederholt und der depressive Kleingeist die Führung übernimmt, wenn man sich noch wohlfühlt und doch schon zu viel fehlt, nämlich etwas Anstößiges, nicht bloß Nettes, dann ist es Zeit für einen Weckruf.
Und wenn eine Gruppe nur noch durch ein Feindbild zusammengehalten wird, durch die Angst vor der „bösen Welt da draußen“ oder „den Anderen“, die geschürt wird, um die Reihen im Inneren dicht zu schließen, auch dann ist es Zeit für einen Weckruf.

Die Adventszeit bietet manchen Anlass, wehmütig-genüsslich in Feindbildern zu schwelgen. „Früher war alles besser“, sagt sich mancher. „Damals gab es noch keine Weihnachtsmänner im August. Die stille Zeit am Ende des Kirchenjahres bedeutete den Menschen etwas. Niemand wäre auf die Idee gekommen, schon vor der Adventszeit an Weihnachten zu denken“[2], und so weiter und so fort, die Reihe der Klagen ließe sich mühelos verlängern.
Wahr daran ist: Viele Gemeinden und die Kirche als ganze haben manchen Verlust erlitten. Die selbstverständliche Kirchlichkeit vergangener Jahrhunderte ist passé, und die Zeiten, in denen wir eine Kirche nach der anderen gebaut haben, weil wir nicht wussten, wohin mit dem Geld, ist auch vorbei. Doch wahr ist auch: Wer die Vergangenheit verklärt, verpasst die Gegenwart und verspielt die Zukunft. Wer immer nur zurückschaut, der zieht sich zwangsläufig auch zurück aus der Welt, die ihm allzu bedrohlich erscheint. Dann ist es wieder Zeit für einen Weckruf.

Der Geist Gottes – gelobt sei er – stößt uns aber nicht nur auf unsere toten Stellen und blinden Flecken, sondern er weist uns auch den Weg zum Leben, schenkt uns neue Lebensgeister, indem er uns ermutigt:
„So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße.“
Buße tun, das klingt in unseren Ohren nach ultimativer Spaßbremse oder bestenfalls nach einem längst abgeschafften und fast schon vergessenen Feiertag.[3] Doch die Bibel meint etwas anderes. Metánoia heißt das griechische Wort und meint etwas ebenso Einfaches wie Grundlegendes: ‚sich besinnen‘ und ‚seinen Sinn‘ ändern. Buße tun in diesem Sinne muss auch Pep Guardiola, wenn er sich fragt, was nach der 20. Minute schiefging und warum seine Mannschaft nach dem 2:0 so selbstzufrieden war, dass sie in der zweiten Halbzeit überhaupt nicht mehr ins Spiel fand. Buße tun bedeutet also nichts anderes als neu nachzudenken. Und das müssen wir alle immer wieder!

Der Karmeliterpater Reinhard Körner umschreibt Buße mit folgenden Worten:
„Denkt größer / von Gott, / voneinander, / von euch selbst, / vom Leben, / von allem … // Denkt größer / – über alles bisher Gedachte hinaus / … Und lebt größer / – über alles bisher Gelebte hinaus![4]

Die Adventszeit bietet manchen Anlass dies tatsächlich zu tun, größer zu denken und größer zu leben. Denn im Advent erwarten wir die Geburt Gottes – nicht bloß in unsere Kirche, in unsere Gemeinde oder in unsere Gruppe, sondern mitten hinein in unsere Welt. Mitten hinein in unsere Welt, die uns manchmal so sehr ängstigt, dass wir uns aus ihr zurückziehen oder uns lieber gleich ganz totstellen wollen.
Wann immer sie diesen Reflex in sich spüren, denken sie daran:
Gott kommt in die Welt und hilft uns, die Angst zu überwinden. Die Angst vor dem, was sich ändern wird. Aber auch die Angst vor dem, was nie so schön gewesen ist, wie es in der Verklärung erscheint.
Gott kommt in die Welt und zeigt uns ihre wahre Schönheit.

Liebe Gemeinde!
Wir verstehen uns als „lebendige Gemeinde“ und tun alles dafür, es auch tatsächlich zu sein. Beginnen wir mit dem Hören! Alles, was es dafür braucht, sind offene Ohren. Offene Ohren für Gott und für die Menschen an unserer Seite.
Nehmen wir einander neu wahr als Menschen, die nicht nur Teil einer Gruppe oder eines Gemeindebezirks sind, sondern Einzelne mit ihren Gaben und ihren Schwächen, mit ihren Verletzungen und ihren Bedürfnissen, mit ihren Ängsten und mit ihren Träumen. Dafür braucht es weder intensive Gemeinschaftsgefühle noch gemeinsame Interessen, sondern Lust auf Überraschungen und Begegnungen mit lebendigen Menschen. Es braucht Offenheit für den Anderen, der so ganz anders ist als ich selbst und trotzdem Gottes geliebtes Kind. Und es braucht Offenheit für den „ganz Anderen“, der uns gegenübertritt und sich selbst zur Geltung bringt mit Weckrufen, aber auch mit Trostrufen.
„Ich mache mir Sorgen“, sagte Pep Guardiola, der Trainer des FC Bayern nach der 2:3-Niederlage gegen Manchester City am Dienstagabend
„Fürchtet euch nicht“, sprach der Engel zu den Hirten, „denn euch ist heute der Heiland geboren.“ Amen.
 


[1] Vgl. E. Hauschildt, U. Pohl-Patalong: Kirche. Gütersloh 2013, S. 145 ff.

[2] C. Jaeger: Situationshermeneutik zum 3. Advent. In: Predigtstudien 2013/2014. Perikopenreihe VI, Erster Halbband, S. 46.

[3] Vgl. M. Neumann: Der Buß- und Bettag. Geschichtliche Entwicklung, aktuelle Situation, Bedingungen für eine erneuerte Praxis. Neukirchen-Vluyn 2011.

[4] R. Körner: Metanoeite! In: Karmelimpulse. Quartalsschrift zur Vertiefung des geistlichen Lebens 23 (2013), S. 13.

 

Perikope
15.12.2013
3,1-6