Predigt zu Offenbarung 7, 9-17 von Axel Denecke
7,9
1.
Hört man  die vielen obligatorischen Jahresrückblicke, denen man in diesen Tagen nicht entgehen kann, so hat man den Eindruck: Unsere Welt ist nun endgültig aus den Fugen geraten, nichts stimmt mehr, nichts geht mehr. Wenn Margot Käßmann vor 2 Jahren noch zugespitzt, für manche allzu forsch, sagte: „Nichts ist gut in Afghanistan“, so hören wir heute von allen Seiten sinngemäß: „Nichts ist (mehr) gut in unserer Welt“. Die weltweite Wirtschaftskrise,  die Krise der EU allgemein, die Eurokrise im Besonderen, die Hungerkrisen in Afrika und Asien, die politischen Krisen in unserem Lande, Stuttgart 21 mit allen Folgen, die neonazistische Zellen, und ach ja, die Glaubwürdigkeits-Krise unserer politischen Amtsträger bis  an die höchste Spitze – soll ich weiter machen? Da helfen auch alle möglichen „Stresstests“ (gerade zum Wort des Jahres gekürt) nicht weiter. Stresstest? Wo doch überall –auch im persönlichen Bereich- so viel „Stress“ ist, dass man vor lauter angesagten „Tests“ gar nicht mehr zur Ruhe kommt, zur Besinnung, zum Atemholen. Ja, unsere Welt –so sagen als fast alle Auguren und Jahresrückvon(und vor)blickspropheten- scheint wirklich endgültig aus den Fugen zu geraten. „Nichts stimmt mehr. Nichts ist mehr gut…“
Warum ich vor Ihnen dieses düstere Gemälde gerade am 2. Weihnachtstag entfalte? Warum gerade am Ende von  Weihnachten, dem Fest der Ruhe und Besinnung, wo wir doch wenigstens für ein paar Tage (Sie erinnern sich: “Frieden auf Erden und allen Menschen ein Wohlgefallen“, vor 2 Tagen noch laut verkündet) all die Krisen und düsteren Weltuntergangsgemälde mal hinter uns lassen wollen? Warum dies Gemälde? Weil es ab heute wieder hinein in den grauen Alltag geht mit immer wieder neuen „Stresstests“, kleinen und großen, persönlichen und globalen Krisen? Das wäre schon fast zynisch von mir, wenn ich Ihnen so den letzten leidlich friedvollen Weihnachtstag vermiesen wollte. Nein, deswegen nicht. Sondern weil es der biblische Text, der uns für den heutigen Tag vorgegeben ist, nahe legt. Weil er uns darauf hinweist und ein Gegengemälde entwirft, um trotz; nein gerade wegen all der Krisen, durch die unsere Welt aus den Fugen zu geraten scheint, um in dieser Welt weiter vertrauensvoll und zuversichtlich leben zu können. Vertrauensvoll und zuversichtlich? Trotz der Krisen? Trotz der Weltuntergangsgemälde? Ja gerade deswegen! Ein Gegengemälde, man kann auch sagen ein „Gegengift“ gegen alles Gift, das heute inflationär versprüht wird.
2.
In der Offenbarung des Johannes wird in einer äußeren Situation, die der unseren durchaus gleicht, als für die Menschen damals  (besonders für die verfolgten  jungen Christen) auch die „Welt aus den Fugen“ zu geraten schien, als für sie „nichts gut“ war um sie herum, als alles drunter und drüber ging bei Ihnen, als gar ein Weltuntergang apokalyptischen Ausmaßes (so ihre Wahrnehmung) zu drohen schien, da wird von Johannes, dem Propheten, in einer visionären Schau ein grandioses Gegengemälde entworfen, grandios, großartig und scheinbar weltenfern zugleich. Schauen wir zunächst erst einmal das Gemälde an, hören wir aufmerksam zu:
( Lesung des Predigttextes:  Offb. 7,9-12 )
Was ist das? Was soll das? Was ist gemeint?
Gerade noch hatte der Verfasser, den wir unter den Namen des Sehers Johannes auf der Insel Patmos kennen, über zwei Kapitel lang den „Weltuntergang“ dargestellt, hatte des „Buch der sieben Siegel“ geöffnet, durch die all das Unheil der Welt ans Licht kommt, ja wo man tatsächlich den Eindruck gewinnen kann: alles ist aus den Fugen geraten, nichts stimmt mehr, nichts ist  gut,  alles geht –salopp gesagt- „den Bach runter“. Das hat Johannes grandios dargestellt und all die Unheilspropheten heute können sich da nahtlos darin wieder finden. Nichts von Weihnachtsruhe und Besinnlichkeit, nur Chaos und Hektik und alles geht wild „drunter und drüber“. Lesen Sie es nach zu Hause, wenn Sie wollen (Kap 5 und 6). Man hat den Eindruck: Das war’s also mit dieser Welt, in den Orkus verschwindet sie.
Doch dann dies. Ganz abrupt dies Gegengemälde. Was ist das? Ein Ausleger schreibt dazu sehr einfühlsam. „Nach dem  wilden Wechsel (vorher) zeichnet der Verfasser hier das Bild einer wundervollen Ruhe und einer ergreifenden Schönheit und Verklärung…Ungezählte Scharen nahen sich Gottes Thron, alle Engel umstehen ihn und stimmen den brausenden Lobgesang an. Palmenzweige in d er Hand.   Und dahinter liegt die Zeit der großen Trübsal1 Die letzten Töne des Kampfes verhallen so eben, noch zittert der Schmerz,,,,, aber Gott trocknet alle Tränen, und er Blick schweift über schattige Gefilde und große Auen und rinnende Quellen“((W. Bousset, Offb Joh, Göttingen 1966,290))
Eine „wundervolle Ruhe“ kehrt ein, von „ergreifender Schönheit und Verklärung“. Ist das Weihnachten – ist das wie Weihnachten? Und nicht nur im Kleinen bei uns zu Hause oder hier in der  Kirche? Sondern weltweit, global und allumfassend? Ja, das ist es, das soll es sein. Daher die „große Schar, die niemand zählen kann“, daher „aus allen Nationen und Völkern und Sprachen“, daher auch „angetan mit weiße Kleidern“, daher am Ende auch „alle Engel standen rings um den Thron…, beteten Gott an… und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist da“. Ja, Weihnachten ist das, es ist wie Weihnachten. Eine „wundervolle Ruhe von ergreifender Schönheit und Verklärung“. Eben Weihnachten. Und seien wir ehrlich, ganz ehrlich: Etwas davon, wenigstens etwas, ersehnen wir uns doch alle vom Weihnachtsfest, wenigstens drei Tage lang, und manchmal –oh welch Wunder- geschieht’s ja sogar …. und „Friede auf Erden“ und „wundervolle Ruhe“ und „ergreifende Schönheit und Verklärung“ breiten sich aus, hier und da, ansatzweise, versuchsweise, in unseren Familien, in unserem Herzen und gar –warum denn nicht?- in unserer globalen Welt, ansatzweise wenigstens. Oder nicht?
3.
Liebe Gemeinde, unsere globale Welt, wir alle, jeder von uns ganz persönlich, braucht dieses weihnachtliche „Gegengemälde“ der „wundervollen Ruhe“ und „Verklärung“ des Lebens als „Gegengift“ gegen all die ja durchaus berechtigten Giftgemälde unserer Tage, dass die Welt nun vollends aus den Fugen zu geraten scheint, inflationär von allen möglichen Krisen, globalen und persönlichen, geplagt. Wir brauchen dieses „Gegengemälde“, dieses –ich wiederhole es-  „Gegengift“, wie die Luft zum Atmen, wie das Wasser zum Trinken, wie das Brot zum Essen, Brot des Lebens. Sonst könnten wir nicht leben, sonst würden wir verrückt werden.
Die Menschen damals wussten dies, wussten dies gerade in ihrer Situation, wo alles andere „den Bach runter“ zu gehen scheint, wo die Welt um sie herum zusammen zu krachen schien. Sie brauchten es, um weiter leben zu können. Brauchten es, um nicht zu resignieren, nicht klein bei zu geben, nichts zu verzweifeln. Brauchten es, um dem Leben stand zu halten.
Und so brauchen wir es auch – immer wieder neu, „alle Jahre wieder“, auch dann, wenn wir es uns nur –doch was heißt ‚nur’?- in dieser Weihnachtszeit bewusst machen, uns selbst und andere daran erinnern, vielleicht auch damit anspornen. Drei Tage nur? Ausnahme? Auszeit? Ich sage. Wenigstens drei Tage, wenn es denn wirklich echt ist.
4.
Ich weiß, ich bin ja Realist und höre alle Ober-Realisten sagen: Ein Schöner Tram nur! Flucht in eine andere, bessere Welt! Jenseitsphantasie gar. So wie ja auch unser Predigttext abschließt mit den Worten, die ganz am Ende der Offenbarung dann noch mal vorkommen. „Ich sah einen neunen Himmel und eine neue Erde…. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“ (vgl. v.17) Zukunftsgemälde also. Wird erst noch sein, irgendwann, ist noch nicht jetzt. Jetzt ist noch Orkus und Krise und Stress und „nichts ist gut“. Ich weiß, ich weiß! Vertröstung auf später, höre ich. St. Nimmerleinstag, höre ich.
Ja, ich höre es und nehme es auch ernst, nehme es ernst als Zwischenruf, aber eben nur als Zwischenruf, gefangen, ja gar fasziniert von dem, was  im Augenblick zu sehen ist,  gerade jetzt, gefangen im Hier und Jetzt, ohne nach vorn und zurück zu blicken. Unser weihnachtlicher Text blickt zurück nach hinten, wo er all das Leid, aber auch das Glück in dieser verrückten Welt ins Auge nimmt, wo mehr als nur der gegenwärtige  Augenblick zu sehen ist. Und er blickt nach vorn in die Zukunft, auf das, was  kommen soll, kommen wird, was unsere Welt zusammen hält - im Innersten, im Tiefsten, im Letzten. Das nimmt er den Blick, blickt weit voraus, um weit zurück blicken zu können, ganz nüchtern und realistisch, und um  so der Gegenwart, dem jetzigen  Leben, grad diesem Augenblick einen umfassenden Sinn geben zu können. Und für den, der dies Worte aufgeschrieben hat, reicht der „neue Himmel und die neue Erde“, reichen „Lob und Ehre und  Weisheit und  Dank und Preis und Kraft und Stärke“ eben zurück bis in unsere Tage, ja noch weiter zurück in die Vergangenheit, in solidarischem  Gedenken all des Leides in unserer Welt, nicht nur jetzt und heute, sondern auch in allen Generationen vor uns. Auch ihnen gilt die Verheißung und Verklärung des „neuen Himmels und der neunen Erde“, wo „Gott abwischen wird alle Tränen von ihren Augen“, ja wo  sie jetzt –vorausgreifend  zum Ende, zurückgreifend zum Anfang- bereits abgewischt sind.
Ja, jetzt bereits abgewischt sind. Das ist Weihnachten. Vorwegnahme des Friedens, des ewigen Friedens, der wundervollen Ruhe inergreifender Schönheit  inmitten einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, in einer Welt wo dem „nichts ist gut“ trotzig und mutig und realistisch zugleich das „alles wird gut“ und „alles war im Anfang gut“ (1.Mose 1,31) und  „siehe hier – siehe da. Alles ist gut – bereits jetzt“ entgegen gesetzt wird. Weihnachen weist darauf hin, Weihnachten greift voraus auf das, was noch kommen wird, was einst war und was –das Symbol des unschuldigen Kindes in der Krippe, zwar armselig, aber arm und selig machts deutlich- bereits da ist.
Daher stimmt es, stimmt haargenau, für den heutigen 2. Weihnachtstag zum  mindesten, und vielleicht können wir diesen Tag ja verlängern in die Zukunft, also es stimmt: „Ich sah und sehe eine große Schar, die niemand zählen kann, aus allen Nationen und Völkern, angetan mit weißen Kleidern und Palmzweige , die riefen mit großer Stimme: Das Heil ist da…Und alle Engel standen rings  um den Thron…und beteten Gott an und sprachen. Lob und Ehre und Weisheit…und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“. Wird erst noch? Er hat es getan. Und Weihnachten strahlt aus zurück in vergangene Zeiten (erinnert ihr euch noch, wie es war als ihr klein wart?) und nach vorn in unser künftiges Leben.
Perikope