Predigt zu Offenbarung 7, 9-17 von Reinhard Brandt
7,9
Gruß – (keine Lesung) - Gebet
Liebe festliche Gemeinde an einem festlichen und gar nicht so festlichen Tag! Denn:
Auch wenn wir es wohl unpassend ist am behaglichen Feiertag, heute am Stephanustag soll es um eine Wahrheit gehen, die auch einmal gesagt werden muss:
Die Geschichte der Christenheit ist von einer Blutspur durchzogen.
Und das beginnt schon ganz am Anfang:
·         die Militärsteuer, die in den römischen Provinzen erhoben werden sollte und die der Grund für die Steuerschätzung war, wegen der Josef und Maria nach Bethlehem mussten („auf das alle Welt geschätzet würde …“);
·         der Kindermord zu Bethlehem, weil der Tyrann Herodes alle Kinder unter drei Jahren in Bethlehem ermorden ließ, damit unter diesen nur ja kein Konkurrent für ihn und seine Dynastie aufwachse;
·         das Haupt Johannes des Täufers, das nach Salomes Tanz auf einem Tablett einem anderen Provinztyrannen serviert wird, ebenfalls Herodes, der Sohn des ersten.
·         Dann vor allem Jesus selbst, hingerichtet nach genauem Machtkalkül: die jüdische Oberschicht, die keinen solchen Messiasanwärter brauchen konnten; und die römischen Besatzer, die Ruhe im Land wollten.
·         Stefanus in der ersten Christenheit, von der Gemeinde gewählt für diakonische Dienste, aber zugleich ein Zeuge Christi in der Öffentlichkeit vor dem hohen Rat und dafür vom Mob gesteinigt und hingerichtet. Heute ist der Stephanustag.
·         Und Stephanus ist nur der erste in einer langen Reihe von Blutzeugen: von Christen, die wegen ihres Glaubens hingerichtet wurden, die ihr Glaubeszeugnis und ihre Standhaftigkeit (und oft nur ihre Zugehörigkeit zur Kirche) mit dem Leben bezahlen mussten.
So zeiht sich eine breite Blutspur durch die Geschichte der Christenheit, und zwar von Anfang an, von Weihnachten an über den Karfreitag bis gleich nach Pfingsten durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart.
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Da kann man fragen: Steht Gott auf Blut?
Der Theologe Klaus-Peter Jörns hat in den letzten Jahren wieder einmal diese Frage gestellt; und andere Theologen mit ihm. Steht Gott auf Blut?
Die Auseinandersetzung mit Klaus-Peter Jörns ist hier nicht zu führen.
(Jörns und andere kritisieren die Sühnopfer-Vorstellung! Die Frage ist dabei (der Gedanke doch eingefügt für die Kundigen), ob mit der Kritik an der Satisfaktionstheorie des Anselm von Canterbury auch von den biblischen Aussagen Abschied zu nehmen ist. Zum Beispiel Paulus im Römerbrief:  „Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden …“
Wie gesagt: Das ist hier nicht im Detail auszuführen.) Aber die Formulierung, mit der dann die Frage in einer breiteren Öffentlichkeit „diskutiert“ wird, die bleibt doch haften: Steht Gott auf Blut? Will und braucht Gott dieses Blut, das Jesus vergossen hat? Ist es ein blutrünstiger Gott angesichts der breiten Blutspur in der Geschichte der Christenheit?
Antwort: Liebe Gemeinde, ich glaube, dass diese Frage ein grandioses Ablenkungsmanöver ist. Indem der Blick auf Gott gelenkt wird, soll abgelenkt werden von der Wahrheit, wer denn wirklich auf Blut steht:
Menschen stehen auf Blut! Menschen sind es, die immer wieder Blut vergießen, unschuldiges Blut am liebsten. Menschen sind es, die andere Menschen quälen, foltern, töten, erschießen. Menschen sind es, die Menschen vertreiben und auf der Flucht umbringen! Aus welchen Gründen auch immer, irgendwelche finden sich schon.
Menschen stehen auf Blut, vergießen Blut: in Krieg oder Bürgerkrieg, bei Vertreibungen und in Vernichtungslagern, das Blut von vielen oder sehr gezielt von einzelnen.
Und immer wieder gerne ist es das Blut von Christenmenschen, das vergossen wird. Christenblut, Märtyrerblut, das fließt.
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Die mäßig geneigte Öffentlichkeit sieht das meistens anders herum: Christen vor allem seien es, die anderer Leute Blut vergießen. Sie kennen den Einwand und die Beispiele: die Kreuzzüge kommen immer zuerst und irgendwann kommt auch der Nordirland-Konflikt.
O ja, der Einwand ist berechtigt: Auch Christen sind Menschen und Menschen stehen auf Blut und auch Christen haben Blut vergossen. Das gehört zur Schuldgeschichte unseres Glaubens und aller Kirchen. Davor haben wir in Demut zu stehen und uns dazu zu bekennen, gerade weil wir wissen, dass Gott es anders will, dass der Herr Zebaoth ein Gott des Friedens ist.
Wobei man es sich auch bei diesen Beispielen nicht zu einfach machen darf:
·         Warum eigentlich ist die Eroberung Palästinas und Jerusalems durch die mohamedanischen Fatimiden im 10. Jahrhundert ok (und wird nirgends beanstandet), aber der Versuch einer Rückeroberung der Pilgerstätten (das wollten ja die Kreuzzüge!) im 11. Jahrhundert ist ein großes Übel und eine der Hauptsünden der Christenheit? - Das hat noch niemand erklärt.
·         Dasselbe gilt für die jahrzehntelangen Einfälle der Sarazenen in Italien und die Eroberung und Rückeroberung Spaniens durch und von den Arabern.
·         Und ging und geht es in Nordirland wirklich um den Glauben - und nicht vielmehr um politische Interessen: im Streit zwischen den Unionisten, die die Vereinigung mit der Republik Irland wollen, und den Royalisten, die für den Verbleib bei Großbritannien kämpfen?
Und trotzdem, trotz aller nötig-kritischen Rückfragen gegen vorschnelle Betroffenheiten: Es gibt das Blut, das von Christenhand vergossen wurde und immer wieder wird. Dafür müssen wir uns schämen und müssen in Demut die Schuld bekennen.
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Man kann das nicht aufrechnen, in keinem Fall. Aber wir dürfen als Christen auch nicht schweigen! Denn daneben gibt es das Christenblut, das vergossen wurde und wird. Es gibt eine blutige Christenverfolgung: durch die Jahhunderte hindurch und bis heute. Gerade das 20. Jahrhundert ist besonders das Jahrhundert der Christenverfolgung.
·         Ich nenne 1909 und 1916 die Christenverfolgung der Armenier im Osmanischen Reich: 1,3 Millionen Christen wurden vertrieben, zwei Drittel davon starben.
·         In den 1930er Jahren in Spanien wurden in einer Christenverfolgung etwa 7.000 Priester und mehrere Tausend Laienchristen umgebracht.
·         Neben der Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma und anderer waren auch Christen unter den Opfern des Nationalsozialismus in Deutschland - nicht zu vergessen trotz der Tatsache, dass viele andere Christen stille geschwiegen, sich ambivalent verhalten oder gar das Regime unterstützt haben.
·         Unter Mao Zedong ist das Vorgehen gegen alle Religionen und besonders gegen die Christen zu nennen: in China, ähnlich in Nordkorea.
·         In der Sowjetunion ab 1917 und bis 1940 (und später wieder) 100.000 Christen als Opfer der Bolschewiki und Stalins!
·         Aufs höchste angefochten sind immer wieder die christlichen Aramäer bzw. Chaldäer im Länderdreieck zwischen Irak, Iran und Türkei.
In der Gegenwart sind es etwa 100 Millionen Christen in über 50 Ländern, die wegen ihres Glaubens von Misshandlungen, Gefängnis oder Tod bedroht sind oder die benachteiligt und diskriminiert werden. In den letzten Jahren ist stillschweigend Nordkorea das Land mit der stärksten Christenverfolgung, gefolgt vom Iran, von Saudi-Arabien und Somalia.
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Warum erzähle ich das, liebe Gemeinde?
Wegen des Predigttextes! Denn der Predigttext steht in der Offenbarung, eine tröstende und herrliche Vision des Sehers Johannes! Und meine ganze Predigt über die Verhältnisse damals und heute zielt nur darauf, was die alte Sicht für neue Kraft geben kann!
Denn der Seher Joahnnes sieht eine große Schar in weißen Kleidern, die vor dem Thron Gottes steht. Und er weiß nicht, wer diese sind und woher sie kommen. Da sagt ihm einer von den Ältesten: Das sind die Märtyrer, die große Trübsal erlebt haben. Mit blutverschmierten Kleidern sind sie gekommen, weil Menschen Blut vergießen. Im Blut des Lammes haben sie ihre Kleider gewaschen und hell gemacht. Das ist (würden wir heute sagen) die Umkehrung des Reiches Gottes: Im Blut gewaschen und so rein und hell!
Ich lese aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 7, Verse 9-17:
9 Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen,
10 und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und bei dem Lamm!
11 Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an
12 und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
13 Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen?
14 Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind's, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. ( Mt 24,21)
15 Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen.
16 Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; ( Jes 49,10)
17 denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.
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Nicht, liebe Schwestern und Brüder, dass wir danach streben sollten, zu Märtyrern zu werden. Niemand soll das. Aber wir sollen Anteil nehmen an ihrem Schicksal, wir sollen eintreten für sie, wir sollen mutig Christus bekennen, wo wir gefordert sind - und wir sollen Teil haben an ihrem Trost: Gott wird abwischen alle ihre Tränen! Im Friedensreich Gottes wird am Ende ihre Heimat sein.
Und wir können Teil haben an ihrer Herrlichkeit, wenn sie um den Thron Gottes stehen. Das ist nun doch wieder anders, ein anderer Ton, neu gestimmt, tröstlich und herrlich!
Der Stephanustag ist der zweite Weihnachtsfeiertag, weil es eine Geschichte ist, die Stephanus bezeugt: die Geschichte des Kindes und des Mannes, Jesus von Nazareth. Und es ist eine Geschichte, die besungen wird von denen, die vor dem Thron stehen: die Geschichte der Heilstaten Gottes, die Geschichte der Menschwerdung, auch die Geschichte des Lammes, dann aber die Geschichte der Auferstehung und der Erhöhung und der Umkehrung alles Elends im Reiche Gottes.
Im hohen Chor steht die große Schar, weiß gekleidet, die singen vor dem Thron: „Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und bei dem Lamm!“
Weihnachtlich, festlich klingt der Ton derer, die da singen. Man mag an Georg Friedrich Händel denken, an das Oratorium „Der Messias“ und an das überwältigende „Halleluja“, das der Chor singt. Der Schlusschor dieses Oratoriums lenkt die Aufmerksamkeit zurück: „Würdig ist das Lamm, das starb und hat versöhnet uns mit Gott“. Diese Verbindung hält das Oratorium bis zum Schluss im Bewusstsein: „Alle Gewalt, und Ehr, und Macht, und Lob, und Preis gebühret ihm, der sitzet auf seinem Thron, und also dem Lamm; auf immer und ewig.“ [Schlusschor, vgl. Offb. 5,12-14]
In diesen Lobpreis mögen wir mit einstimmen, mit der großen Schar im hohen Chor vor dem ThronGottes [Offb. 7,12]:
Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!     Amen.
Predigtlied:     154,1-6
Perikope