Predigt zu Philipper 1, 15-21 von Jasper Burmester,
1,15
Predigt zu Philipper 1, 15-21 von Jasper Burmester,
Liebe Gemeinde -
Wir alle sind sicher schon einmal Menschen begegnet, denen es schlecht geht und die trotzdem eine große Gelassenheit, ja Heiterkeit ausstrahlen. Und wir alle kennen wohl auch die Tage in unserem Leben, an denen es uns nicht gut ging und wir uns für uns selber ein bisschen mehr Gelassenheit gewünscht hätten. Da legt sich die Frage nahe: Woher nehmen die die Kraft, die Zuversicht, den Glauben, der sie so gelassen sein lässt, wie ich es mir manchmal wünsche, dass ich das auch könnte?
In unserem Predigttext begegnet uns eine solche heitere Gelassenheit. Paulus schreibt den Brief an die Gemeinde in Caesarea Philippi aus dem Gefängnis heraus. Der Prozess steht ihm noch bevor, der Ausgang ist offen. Zwischen Freilassung und Todesurteil ist da noch alles drin. Und das schreibt er:
Ich lasse euch aber wissen, liebe Geschwister: Wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten. Denn dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen anderen offenbar geworden. Und die meisten Brüder in dem Herrn haben durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind um so kühner geworden, das Wort ohne Scheu zu reden. Einige predigen zwar Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber in guter Absicht: Diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege, jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. Aber was tut es? Wenn nur Christus in jeder Weise verkündigt wird, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen, denn ich weiß, dass mir dieses durch euer Gebet und den Beistand des Geistes Christi zum Heil ausgehen wird. Ich warte sehnlich und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass Christus frei und offen, allezeit und auch jetzt verherrlicht wird an meinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
Liebe Gemeinde -
Es ist wirklich zum Staunen. Da ist einer gefangen, ja vielleicht vom Tod bedroht und scheint doch frei zu sein von allen Sorgen um sich selbst. Er stellt sein eigenes Ergehen zurück hinter das, was ihm die wichtigste Aufgabe seines Lebens ist: Jesus Christus in der Welt bekannt zu machen. Er stellt aber nicht nur sein eigenes Ergehen hinter diese Hauptsache zurück, sondern auch seine Kritik an den Methoden, die andere zur Verbreitung des Evangeliums anwenden, die, die er in seinem Brief seine Gegner nennt und deren Verhalten er scharf und polemisch kritisiert. Neid und Streitsucht nennt er und Angriffe auf seine Person. Offensichtlich haben einige Prediger seine Gefangenschaft dazu genutzt, sich auf seine, Paulus, Kosten zu profilieren. Das muss ihm weh tun, weil er sich ja nicht wirklich dagegen zur Wehr setzen kann. Aber er stellt diese persönliche Verletzung zurück. Und sagt: Ich freue mich, dass Christus verkündigt wird, egal von wem und wie.
Lieber Paulus, möchte ich ihm da zurufen, ist es wirklich wahr, was ich hier von dir höre: Dass der Zweck die Mittel heiligt? Stimmt das? Muss nicht vielmehr der, der die Liebe Gottes predigt, wenigstens ein bisschen von der gepredigten Botschaft selber leben? Wie glaubwürdig müssen religiöse, moralische, öffentliche Autoritäten sein? Mit dieser Frage haben wir uns in den letzten Monaten in unserem Land sehr beschäftigt. Heute wird in Berlin der neue Bundespräsident, oder, unwahrscheinlich, aber möglich, die neue Bundespräsidentin gewählt, Joachim Gauck oder Beate Klarsfeld. Um die Integrität des Vorgängers hatten sich so viele Fragen ergeben, dass er von diesem Amt, das im politischen Raum zwar wenig Macht, aber einige moralische Autorität haben kann, zurücktreten musste. Hier war klar: Der Zweck heiligt nicht die Mittel, das eigene Verhalten und die selbst aufgestellten Ansprüche an Lauterkeit müssen schon irgendwie zusammen passen.
Das gilt nicht weniger, sondern um so mehr, wenn es nicht nur um politische Kultur, sondern um die Verkündigung des Evangeliums geht. Hier müssen noch viel mehr Inhalt und Form zueinander passen. Darum kann ich in die Freude des Paulus nicht so richtig einstimmen, auch wenn ich ihn für seine Gelassenheit, mit der er die Angriffe auf seine Person, auf seine persönliche Würde und Integrität pariert, auch bewundern muss. Ich könnte das nicht.
Ich bin überzeugt: Wenn es um die Verbreitung der "Guten Nachricht" geht, um das Weitererzählen der wunderbaren Nachricht, dass Gott uns liebt, will, braucht, damit es in dieser Welt gut geht im Miteinander der Geschöpfe, dann kommt es auf die Glaubwürdigkeit derer an, die diese Botschaft weitersagen. Nicht dass wir dabei fehlerfrei blieben, ohne Schwächen, ohne Nachlässigkeit, ohne Eitelkeit, ohne Misstöne und was es sonst an Unzulänglichkeiten gibt. Alle, die das Wort Gottes weitersagen, sind Menschen und keine Engel. Die Glaubwürdigkeit der Verkündigung wird nicht davon belastet, dass es diese negativen Erscheinungen gibt, sondern dadurch, dass wir diese nicht zugeben können. Es tut ja weh, sich seine Fehler einzugestehen, aber nur so kann es gehen. Darum ist es richtig, wenn unsere Kirche sich heute darum bemüht, die Fälle von Missbrauch, die es gab, in aller Deutlichkeit aufzuklären und nicht mehr zu verschweigen. Das schmerzt und macht Scham, aber dagegen hilft nur die Offenheit und die ernste Bitte um Vergebung.
Das gilt im Grundsatz für jeden Menschen: Niemand ist ohne Sünde, ohne Fehler. Befreiung daraus gibt es - nur - durch Vergebung. Wenn, um noch einmal auf den Bundespräsidenten zurückzukommen, Christian Wulf es fertig gebracht hätte, in aller Offenheit und ohne Taktieren zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen, dann wäre die unselige, nötige und doch teilweise niveauarme Debatte recht schnell beendet gewesen und er wäre vermutlich noch im Amt.
Zurück zu Paulus im Gefängnis und zu der Gelassenheit, die er trotz seiner misslichen Lage ausstrahlt. Es gibt ja ein weiteres, noch persönlicheres Thema in seinen Zeilen. "Ich werde mich auch weiterhin freuen, denn ich weiß, dass mir dieses durch euer Gebet und den Beistand des Geistes Christi zum Heil ausgehen wird. Ich warte sehnlich und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass Christus frei und offen, allezeit und auch jetzt verherrlicht wird an meinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn."
Hier geht es noch eindringlicher um Paulus selbst, nicht nur um seinen Ruf bei den Philippern, der durch Verleumdung durch Konkurrenten beschädigt wird, sondern um Sein oder Nichtsein, um Leben oder Tod. Und er sagt: Egal, wie die Sache für mich ausgeht, ob ich weiter leben und weiter arbeiten kann oder ob man mir hier den Prozess macht und mein Leben in der Arena endet: Die Hauptsache bleibt Christus, dass er glaubwürdig bekannt gemacht, Paulus sagt: Verherrlicht wird. Wie kommt ein Mensch zu einer solchen Haltung? Ist ihm die Frage "Leben oder Sterben" wirklich gleichgültig, oder gibt er, wie es im Fortgang des Philipperbriefes erscheint, sogar dem Sterben einen gewissen Vorzug gegenüber dem Weiterleben? "Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre, aber es ist nötiger für euch noch eine Weile weiter zu leben." Das schreibt er so und er wirkt dabei wider Erwarten nicht etwa depressiv, sondern voll freudiger Erwartung. Sich mit Leib und Leben für eine Sache der eigenen Überzeugung einzusetzen ist ziemlich in Verruf geraten, zu sehr erschrecken uns Zeitungsmeldungen und Fernsehnachrichten über religiös motivierte Selbstmordanschläge. Der wesentliche Unterschied ist allerdings der, dass Paulus dabei nur von seinem eigenen Leben spricht und nicht vorhat, irgendeinem anderen Menschen mit seinem Verhalten zu schaden. Das unterscheidet seinen Opfermut vom Fanatismus unserer Tage.
Aber vielleicht liegt in dieser scheinbaren Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod das Geheimnis der fröhlichen Gelassenheit, die Paulus hier ausstrahlt. Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn. Das klingt wie ein Slogan, wie eine Formel - und lohnt doch nähere Betrachtung. Für mich fehlt da ein "Weil", ich verstehe diesen Satz besser so: Weil Christus mein Leben ist, ist Sterben mein Gewinn.
Weil durch Christus der Tod seine unüberwindliche Endgültigkeit verloren hat, ist Sterben mehr als nur der Verlust des irdischen Daseins und wird zum Durchgang in ein anderes Leben, das ewig genannt wird, nicht weil es unendlich ist, sondern weil es zeitlos ist, nicht weil es woanders fortgesetzt wird, sondern weil es in Gott, der Quelle und den Ursprung allen Lebens zurückkehrt.
Natürlich ist Sterben kein Gewinn, sondern der radikale Verlust alles dessen, was wir kennen, erleiden, genießen, doch einen Menschen, der auf diese Wandlung durch den Tod hindurch vertraut, kann Sterben so zum Gewinn werden - paradoxer Weise auch zum Gewinn an Leben und Lebensfreude. Wir lesen es im 90. Psalm: "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden". Erst durch das Anerkennen und Annehmen meiner Endlichkeit, der Begrenztheit meiner Zeit, gewinnt das Leben Tiefe, Intensität, Wert, Freude. Die "ars moriendi", die Kunst, mit der Endlichkeit des Sterben-Müssens umzugehen, wird so zum Grund der "ars vivendi", der Kunst, das Leben mit all seinen Facetten lebendig zu gestalten. Diese Beziehung zwischen Lebens-Kunst und Sterbe-Kunst kann umso mehr gelingen, wenn ich darauf vertrauen darf, dass ich nicht nur sterbe, um leiblich begraben zu werden, sondern der Auferstehung entgegensehen darf, die seit Christi Auferstehung auch unsere Hoffnung ist. Nur so kann auch uns Sterben in doppelter Weise zum Gewinn werden: Zum Gewinn an Lebensfreude im Hier und Jetzt und zum Gewinn einer Hoffnung, die über unser Leben hinausreicht in Gottes Ewigkeit. Ich wünsche mir und Ihnen einen Glauben, der so vertrauen kann. Amen
Verwendete Literatur: Predigtstudien (diverse Jahrgänge), NTD, Lutherbibel
Wir alle sind sicher schon einmal Menschen begegnet, denen es schlecht geht und die trotzdem eine große Gelassenheit, ja Heiterkeit ausstrahlen. Und wir alle kennen wohl auch die Tage in unserem Leben, an denen es uns nicht gut ging und wir uns für uns selber ein bisschen mehr Gelassenheit gewünscht hätten. Da legt sich die Frage nahe: Woher nehmen die die Kraft, die Zuversicht, den Glauben, der sie so gelassen sein lässt, wie ich es mir manchmal wünsche, dass ich das auch könnte?
In unserem Predigttext begegnet uns eine solche heitere Gelassenheit. Paulus schreibt den Brief an die Gemeinde in Caesarea Philippi aus dem Gefängnis heraus. Der Prozess steht ihm noch bevor, der Ausgang ist offen. Zwischen Freilassung und Todesurteil ist da noch alles drin. Und das schreibt er:
Ich lasse euch aber wissen, liebe Geschwister: Wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten. Denn dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen anderen offenbar geworden. Und die meisten Brüder in dem Herrn haben durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind um so kühner geworden, das Wort ohne Scheu zu reden. Einige predigen zwar Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber in guter Absicht: Diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege, jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. Aber was tut es? Wenn nur Christus in jeder Weise verkündigt wird, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen, denn ich weiß, dass mir dieses durch euer Gebet und den Beistand des Geistes Christi zum Heil ausgehen wird. Ich warte sehnlich und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass Christus frei und offen, allezeit und auch jetzt verherrlicht wird an meinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
Liebe Gemeinde -
Es ist wirklich zum Staunen. Da ist einer gefangen, ja vielleicht vom Tod bedroht und scheint doch frei zu sein von allen Sorgen um sich selbst. Er stellt sein eigenes Ergehen zurück hinter das, was ihm die wichtigste Aufgabe seines Lebens ist: Jesus Christus in der Welt bekannt zu machen. Er stellt aber nicht nur sein eigenes Ergehen hinter diese Hauptsache zurück, sondern auch seine Kritik an den Methoden, die andere zur Verbreitung des Evangeliums anwenden, die, die er in seinem Brief seine Gegner nennt und deren Verhalten er scharf und polemisch kritisiert. Neid und Streitsucht nennt er und Angriffe auf seine Person. Offensichtlich haben einige Prediger seine Gefangenschaft dazu genutzt, sich auf seine, Paulus, Kosten zu profilieren. Das muss ihm weh tun, weil er sich ja nicht wirklich dagegen zur Wehr setzen kann. Aber er stellt diese persönliche Verletzung zurück. Und sagt: Ich freue mich, dass Christus verkündigt wird, egal von wem und wie.
Lieber Paulus, möchte ich ihm da zurufen, ist es wirklich wahr, was ich hier von dir höre: Dass der Zweck die Mittel heiligt? Stimmt das? Muss nicht vielmehr der, der die Liebe Gottes predigt, wenigstens ein bisschen von der gepredigten Botschaft selber leben? Wie glaubwürdig müssen religiöse, moralische, öffentliche Autoritäten sein? Mit dieser Frage haben wir uns in den letzten Monaten in unserem Land sehr beschäftigt. Heute wird in Berlin der neue Bundespräsident, oder, unwahrscheinlich, aber möglich, die neue Bundespräsidentin gewählt, Joachim Gauck oder Beate Klarsfeld. Um die Integrität des Vorgängers hatten sich so viele Fragen ergeben, dass er von diesem Amt, das im politischen Raum zwar wenig Macht, aber einige moralische Autorität haben kann, zurücktreten musste. Hier war klar: Der Zweck heiligt nicht die Mittel, das eigene Verhalten und die selbst aufgestellten Ansprüche an Lauterkeit müssen schon irgendwie zusammen passen.
Das gilt nicht weniger, sondern um so mehr, wenn es nicht nur um politische Kultur, sondern um die Verkündigung des Evangeliums geht. Hier müssen noch viel mehr Inhalt und Form zueinander passen. Darum kann ich in die Freude des Paulus nicht so richtig einstimmen, auch wenn ich ihn für seine Gelassenheit, mit der er die Angriffe auf seine Person, auf seine persönliche Würde und Integrität pariert, auch bewundern muss. Ich könnte das nicht.
Ich bin überzeugt: Wenn es um die Verbreitung der "Guten Nachricht" geht, um das Weitererzählen der wunderbaren Nachricht, dass Gott uns liebt, will, braucht, damit es in dieser Welt gut geht im Miteinander der Geschöpfe, dann kommt es auf die Glaubwürdigkeit derer an, die diese Botschaft weitersagen. Nicht dass wir dabei fehlerfrei blieben, ohne Schwächen, ohne Nachlässigkeit, ohne Eitelkeit, ohne Misstöne und was es sonst an Unzulänglichkeiten gibt. Alle, die das Wort Gottes weitersagen, sind Menschen und keine Engel. Die Glaubwürdigkeit der Verkündigung wird nicht davon belastet, dass es diese negativen Erscheinungen gibt, sondern dadurch, dass wir diese nicht zugeben können. Es tut ja weh, sich seine Fehler einzugestehen, aber nur so kann es gehen. Darum ist es richtig, wenn unsere Kirche sich heute darum bemüht, die Fälle von Missbrauch, die es gab, in aller Deutlichkeit aufzuklären und nicht mehr zu verschweigen. Das schmerzt und macht Scham, aber dagegen hilft nur die Offenheit und die ernste Bitte um Vergebung.
Das gilt im Grundsatz für jeden Menschen: Niemand ist ohne Sünde, ohne Fehler. Befreiung daraus gibt es - nur - durch Vergebung. Wenn, um noch einmal auf den Bundespräsidenten zurückzukommen, Christian Wulf es fertig gebracht hätte, in aller Offenheit und ohne Taktieren zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen, dann wäre die unselige, nötige und doch teilweise niveauarme Debatte recht schnell beendet gewesen und er wäre vermutlich noch im Amt.
Zurück zu Paulus im Gefängnis und zu der Gelassenheit, die er trotz seiner misslichen Lage ausstrahlt. Es gibt ja ein weiteres, noch persönlicheres Thema in seinen Zeilen. "Ich werde mich auch weiterhin freuen, denn ich weiß, dass mir dieses durch euer Gebet und den Beistand des Geistes Christi zum Heil ausgehen wird. Ich warte sehnlich und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass Christus frei und offen, allezeit und auch jetzt verherrlicht wird an meinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn."
Hier geht es noch eindringlicher um Paulus selbst, nicht nur um seinen Ruf bei den Philippern, der durch Verleumdung durch Konkurrenten beschädigt wird, sondern um Sein oder Nichtsein, um Leben oder Tod. Und er sagt: Egal, wie die Sache für mich ausgeht, ob ich weiter leben und weiter arbeiten kann oder ob man mir hier den Prozess macht und mein Leben in der Arena endet: Die Hauptsache bleibt Christus, dass er glaubwürdig bekannt gemacht, Paulus sagt: Verherrlicht wird. Wie kommt ein Mensch zu einer solchen Haltung? Ist ihm die Frage "Leben oder Sterben" wirklich gleichgültig, oder gibt er, wie es im Fortgang des Philipperbriefes erscheint, sogar dem Sterben einen gewissen Vorzug gegenüber dem Weiterleben? "Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre, aber es ist nötiger für euch noch eine Weile weiter zu leben." Das schreibt er so und er wirkt dabei wider Erwarten nicht etwa depressiv, sondern voll freudiger Erwartung. Sich mit Leib und Leben für eine Sache der eigenen Überzeugung einzusetzen ist ziemlich in Verruf geraten, zu sehr erschrecken uns Zeitungsmeldungen und Fernsehnachrichten über religiös motivierte Selbstmordanschläge. Der wesentliche Unterschied ist allerdings der, dass Paulus dabei nur von seinem eigenen Leben spricht und nicht vorhat, irgendeinem anderen Menschen mit seinem Verhalten zu schaden. Das unterscheidet seinen Opfermut vom Fanatismus unserer Tage.
Aber vielleicht liegt in dieser scheinbaren Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod das Geheimnis der fröhlichen Gelassenheit, die Paulus hier ausstrahlt. Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn. Das klingt wie ein Slogan, wie eine Formel - und lohnt doch nähere Betrachtung. Für mich fehlt da ein "Weil", ich verstehe diesen Satz besser so: Weil Christus mein Leben ist, ist Sterben mein Gewinn.
Weil durch Christus der Tod seine unüberwindliche Endgültigkeit verloren hat, ist Sterben mehr als nur der Verlust des irdischen Daseins und wird zum Durchgang in ein anderes Leben, das ewig genannt wird, nicht weil es unendlich ist, sondern weil es zeitlos ist, nicht weil es woanders fortgesetzt wird, sondern weil es in Gott, der Quelle und den Ursprung allen Lebens zurückkehrt.
Natürlich ist Sterben kein Gewinn, sondern der radikale Verlust alles dessen, was wir kennen, erleiden, genießen, doch einen Menschen, der auf diese Wandlung durch den Tod hindurch vertraut, kann Sterben so zum Gewinn werden - paradoxer Weise auch zum Gewinn an Leben und Lebensfreude. Wir lesen es im 90. Psalm: "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden". Erst durch das Anerkennen und Annehmen meiner Endlichkeit, der Begrenztheit meiner Zeit, gewinnt das Leben Tiefe, Intensität, Wert, Freude. Die "ars moriendi", die Kunst, mit der Endlichkeit des Sterben-Müssens umzugehen, wird so zum Grund der "ars vivendi", der Kunst, das Leben mit all seinen Facetten lebendig zu gestalten. Diese Beziehung zwischen Lebens-Kunst und Sterbe-Kunst kann umso mehr gelingen, wenn ich darauf vertrauen darf, dass ich nicht nur sterbe, um leiblich begraben zu werden, sondern der Auferstehung entgegensehen darf, die seit Christi Auferstehung auch unsere Hoffnung ist. Nur so kann auch uns Sterben in doppelter Weise zum Gewinn werden: Zum Gewinn an Lebensfreude im Hier und Jetzt und zum Gewinn einer Hoffnung, die über unser Leben hinausreicht in Gottes Ewigkeit. Ich wünsche mir und Ihnen einen Glauben, der so vertrauen kann. Amen
Verwendete Literatur: Predigtstudien (diverse Jahrgänge), NTD, Lutherbibel
Perikope
Datum 18.03.2012
Reihe: 2011/2012 Reihe 4
Bibelbuch: Philipper
Kapitel / Verse: 1,15
Wochenlied: 98 396
Wochenspruch: Joh 12,24