Predigt zu Philipper 4,4–7 von Walter Meyer-Roscher
4,4-7

Predigt zu Philipper 4,4–7 von Walter Meyer-Roscher

Liebe Gemeinde,

„Freude, schöner Götterfunke“ – wir glaubten sie schon zu hören, die Melodie Beethovens. Sie strahlt so viel Hoffnung, Zuversicht, Lebensfreude aus. Dem Fußballspiel in Hannover, das als ein Zeichen gegen den Terror gedacht war, sollte sie einen besonderen Akzent geben. Dazu die Lichterkette, die schon durch die Stadt zum Stadion  unterwegs war, um die Dunkelheit aufzuhellen.

Stattdessen legte sich die unheilvolle Bedrohung, anonym und eben deshalb furchtverbreitend, über alle erwartungsvollen Vorbereitungen. Bert Brecht hat leider wieder einmal Recht behalten mit seinem Bekenntnis: „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“.

„An die Nachgeborenen“ hatte er geschrieben. So lesen wir es heute: „Auch ohne Gewalt auszukommen, Böses mit Gutem zu vergelten, gilt als weise. Alles das kann ich nicht. Wir leben in finsteren Zeiten“, sagt er. Die sind nicht heller geworden. Es liegt so nahe, sich damit abzufinden, sich zurückzunehmen und sich zurückzuziehen – verängstigt, resigniert, ohne Hoffnung.

Die Hoffnung aber will Paulus auf keinen Fall aufgeben. In der so viel älteren, aber auch so dunklen Zeit für die ersten christlichen Gemeinden will er Mut machen, Angst und Resignation zu überwinden. Er schreibt im Gefängnis. Seine persönliche Situation ist bedrückend. Er weiß nicht, wie es weitergehen wird. Er wartet auf einen Prozess, dessen Ende im Dunkeln liegt. Und er schreibt an eine durch ihre Umwelt bedrängte und bedrohte Gemeinde: Sorget nicht, freuet euch – allerdings nicht, weil die Zeiten besser werden könnten, sondern weil, wie er sagt, der Herr nahe ist.

Er kommt sichtbar, mächtig, macht allen Schrecken und aller Angst ein Ende. Das wird dann auch das Ende der Zeit und das Ende der Welt sein. So haben sie es damals wohl verstanden: „Der Herr ist nahe“.

Ich weiß, viele wünschen sich heute diesen Gott, der in all seiner Macht und Herrlichkeit kommt, der seine und unsere Feinde vernichtet, alle Gewalt und allen Terror beendet, gewissermaßen vom Himmel her ein Reich des Friedens errichtet.

Paulus hat den Gott, von dessen Nähe er spricht, immer mit Jesus verbunden. Wer Gottes Herrlichkeit sehen will, kann sie nur im Angesicht Jesu Christi erkennen. So jedenfalls hat es Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben.

Jesus hat Menschen im Namen Gottes heil gemacht – Menschen, die unter Krankheit, Ausgrenzung, Gewalt, aber auch eigener Schuld litten, die sich nach Gerechtigkeit sehnten. Er hat ihnen zugesagt, dass Gott sie nicht aufgibt, dass er bei ihnen ist, ihnen ihre Menschenwürde wiedergibt und Mut zum Leben macht.

Denen, die zu ihm kamen, hat Jesus sich zugewandt und ihnen so Gottes Liebe nahe gebracht. Denen, die ihm zuhörten, hat er als Gottes Gebot die Aufforderung zu einer bedingungslosen Nächstenliebe ans Herz gelegt.

Und so, hat er gesagt, werde ich zu allen Zeiten – nicht erst an ihrem Ende – auf Menschen zukommen. Ich werde da sein, wo sie aus Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit aufwachen, wo sie denen helfen, die in Not sind, wo sie die alten Hoffnungsbilder von Gott mit Leben erfüllen.

Er ist nahe, wo Menschen in seinem Geist sich von Gefährdung und Bedrohung nicht einschüchtern lassen, wo sie die Aufgaben der Mitmenschlichkeit und der Barmherzigkeit vor ihren Füßen aufgreifen: z.B. Hilfe für die, die vor dem Terror fliehen und ihre Heimat verlassen müssen, die bei uns so etwas wie ein neues Zuhause suchen. Wer sich von Jesu Aufforderung zur Nächstenliebe leiten lässt, erfährt – so sagt es jedenfalls Paulus – den Frieden Gottes, „der höher ist als alle Vernunft“.

Nach den Terroranschlägen in Paris, die uns erschüttert und erschreckt haben, hat ein Mann, dessen Frau in der Konzerthalle Bataclan  ihr Leben hat lassen müssen, den Terroristen, ihren Helfern und ihren Auftraggebern einen Offenen Brief geschrieben. Da heißt es:

„Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit Argwohn betrachte und meine Freiheit für meine Sicherheit opfere. Vergesst es. Ich bin und bleibe der, der ich war… Wir sind zu zweit, mein Sohn und ich… Dieser kleine Junge wird für Euch sein Leben lang ein Affront sein, weil er glücklich sein wird und frei. Denn, nein, auch seinen Hass werdet Ihr nie bekommen.“

Der Vater dort in Paris ist überzeugt, dass er seinem Sohn Schutzräume schaffen kann für das Herz, für die Gedanken, für alles Tun und Lassen. Ja, solche Schutzräume brauchen wir, in denen die Freude am Leben, das wir haben, und die Kräfte für das Leben anderer wachsen können.

Als solch einen Schutzraum begreift Paulus den Frieden Gottes, der alle Vernunft übersteigt, alle Resignation zurückdrängen will und Mut macht, sich nicht an das zu verlieren, was wir als dunkle Bedrohung und angstmachendes Unheil vor Augen haben.

Aber wir müssen dann auch aus diesem Schutzraum heraus handeln, uns einsetzen gegen Unmenschlichkeit und für Gerechtigkeit – in unserem persönlichen Umfeld jedenfalls, in unserer Gesellschaft ohne Gewalt. Doch, das können wir, auch wenn der Skeptiker Bert Brecht es nicht glauben will. Wir halten es mit Paulus, der zur Güte auffordert, zur Sorge um andere und für andere.

Wir gehen auf Weihnachten zu  und werden wieder die alten Hoffnungsworte hören: Fürchtet euch nicht. Große Freude werden alle erleben, denn ein Mensch wird geboren, und in allem, was er tut, ist Gott da – eine Ermutigung, unser Menschsein zu bewahren und menschenwürdiges Leben zu schützen und zu fördern, wo immer wir das können.

Amen