Predigt zu Römer 1,1-7 von Eugen Manser
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Predigt zu Römer 1,1-7 von Eugen Manser

Liebe Gemeinde,

Als ich einen 14jährigen fragte, worüber er zuletzt gestaunt habe, sagte er: Das letzte Mal habe er gestaunt, als bei ihm plötzlich von einem Jahr auf das andere die Aufregung, vor Weihnachten weg war. Die großen Erwartungen vor dem Fest, die Zeit der Kerzen und Geheimnisse, der Zauber über allem. Alles weg. Weihnachten entzaubert.

Ich sagte mir im Stillen: Willkommen im Kreis der nüchternen Erwachsenen, schade, wieder ein Kind weniger. Wieder ein nüchterner Erwachsener mehr!

Dass man auch ohne Zauber das ganze volle Weihnachten erleben kann, entdeckte ich beim Lesen der Schriften des Paulus.

Wir hören in dieser Christnacht den Anfang eines Briefes, den der Apostel Paulus von Korinth aus an die Christengemeinde in Rom schreibt. Er stellt sich der ihm noch fremden Gemeinde vor und lässt anklingen, wie er selbst sein Weihnachten erlebt hat:

Paulus, ein Diener Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes,
das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der heiligen Schrift,
von seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn.
Er war von Geburt ein Nachkomme des Königs David;
Durch die Erweckung vom Tod aber hat Gott ihn als den Sohn bestätigt,
dem er seine Kraft übertragen hat.
Durch ihn, Jesus Christus, unseren Herrn hat Gott mich in seiner Gnade zum Apostel für alle Völker gemacht, damit sie das Evangelium annehmen und an Jesus glauben.
Darum gilt mein Auftrag auch euch in Rom, euch, die ihr von Jesus Christus berufen seid.
Ihr seid von Gott geliebt, ihr seid berufen und ihr gehört zu seinem heiligen Volk.
Euch allen wünsche ich Gnade und Frieden von Gott unserem Vater und von Jesus Christus, unserem Herrn.

Kein Stall, keine Krippe. Weder Joseph noch Maria werden erwähnt, noch die  Engel und Hirten auf dem Feld. Kein Wort von den Weisen aus dem Morgenland oder gar der Jungfrauengeburt. Weihnachten entzaubert?

Paulus hat Jesus von Nazareth nicht persönlich gekannt wie die anderen Apostel.  Er erzählt von sich selbst, dass er sogar die Jesusanhänger verfolgt habe als einer der Eifrigsten.

Doch dann berichtet er von sich: Denn eins müsst ihr wissen, Geschwister:

Das Evangelium, das ich verkünde, ist nicht menschlichen Ursprungs. Ich habe diese Botschaft ja auch nicht von einem Menschen empfangen und wurde auch nicht von einem Menschen darin unterwiesen; nein, Jesus Christus selbst hat sie mir offenbart.(Gal.1,12)

So also hat Paulus Weihnachten erlebt. Mitten in sein Leben hinein, als er am wenigsten damit rechnete, wurde Jesus, der Mensch Gottes, in ihm geboren und hat sein ganzes weiteres Leben erfüllt. Kreuz und quer zog er durch die römischen Provinzen um Menschen dazu zu verlocken, auch die Geburt Gottes in sich zuzulassen, damit sie ganze Menschen werden.

Hinter all den Bildern und Geschichten, die wir üblicherweise mit Weihnachten verbinden, dem Stall, der Krippe, dem Stern, den Hirten auf dem Felde, dem obdachlosen Paar Joseph und Maria, Bilder und Geschichten, die wir oft bis zur Unkenntlichkeit verkitscht haben, steht eine Wahrheit, die so einfach wie überwältigend ist: Die letzte Wirklichkeit, die Ewigkeit, die Quelle des Lebens geht mit uns Menschen eine LEBENSGEMEINSCHAFT ein.

Deshalb feiern wir Weihnachten: Gott wohnt mit uns zusammen. Er freut sich mit uns, er leidet mit uns. Er streitet sich mit uns, er versöhnt sich mit uns. Er trauert mit uns und er jubelt mit uns. Aber weil es Gott ist, der uns nicht nur besucht in kurzen heiligen Momenten, sondern mit uns zusammenlebt, bekommt unser Leben einen neuen Glanz. Oder wie es eine Weihnachtsliedstrophe singt: Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein’ neuen Schein, es leucht wohl mitten in der Nacht und uns des Lichters Kinder macht.

Zu manchen Zeiten ist uns diese Lebensgemeinschaft mit Gott ganz fremd. Wir kommen sozusagen aus der Gefangenschaft des Alleinlebens, des Single- Daseins nicht heraus. Müssen uns selbst durch Aktivität in Bewegung halten, um uns auf diese Weise vorzumachen, dass wir lebendig sind. Das Leben aber scheint  jenseits der Aktivität zu liegen. Denn alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher. Das Ziel ist etwas vom Leben zu haben. Haben wir aber das Gefühl, einen Fortschritt erreicht zu haben, dann suchen wir weiter. Offensichtlich sind wir auf einem Weg ohne erreichbares Ziel. Wir laufen, weil sie Angst vor der Ruhe haben. Stillstand ist angeblich Rückschritt. Es muss etwas los sein in unserem Leben, doch dieses „Los-sein“ verwechseln wir offensichtlich mit dem Leben. Denn es ist ein Leben, das nur in sich selbst kurvt und dazu noch von der Angst vor dem Ende beherrscht wird. Deshalb müssen wir  die Jahre, die ihnen gegeben sind, unter erheblichen Zeitdruck genießen. Denn die Ewigkeit, aus der wir gekommen sind und in die wir zurück gehen, scheint uns wenig attraktiv, leer und tot und deshalb eher bedrohlich.

C.G. Jung herrschte deshalb einmal eine Patientin an: „Was, Sie glauben nicht an Gott und die Ewigkeit?! Kein Wunder, dass Ihr Seelenleben so atrophisch (ausgezehrt, abgemagert) ist!“

Was können wir aber machen, dass das Ewige auch bei uns einzieht, damit es uns nicht geht wie dieser Frau mit ihrem abgemagerten Seelenleben?

Ich fürchte, machen können wir da gar nichts. Wir tun und machen uns ja jetzt schon zu Tode. Machen, Macher sein, das ist das alte Leben als Single ohne Lebensgemeinschaft mit Gott.

Es geht anders mit Weihnachten. Paul Gerhardt gibt einen guten Rat in seinem Adventslied Wie soll ich dich empfangen. Die siebente Strophe lautet: Ihr dürft euch nicht bemühen noch sorgen Tag und Nacht, wie ihr ihn wollet ziehen mit eures Armes Macht. Er kommt, er kommt mit Willen, ist voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die Euch an ihm bewusst.

Ihr dürft euch nicht bemühen…Das fällt uns so ziemlich am allerschwersten!

Mit unserem Machen, Tun, mit unseren Zerstreuungen und Genussphasen machen wir unser Leben dicht, unzugänglich aber eben auch unberührbar.

Wie geht das Nicht- bemühen?

In dem Buch Oskar und die Dame in Rosa empfiehlt eine alte Frau, die sich um Oskar, einen krebskranken Jungen kümmert diesem, doch Briefe an Gott zu schreiben, in denen er ihm alle seine Sorgen und Nöte mitteilt. Oskar ist empört: Jetzt fangen Sie nicht auch noch mit Gott an! Ich bin damals schon mit dem Weihnachtsmann reingefallen. Gott gibt es nicht! Ich glaube nicht an Gott! Darauf erwidert sie: Denke an ihn! Je mehr du an ihn denkst, umso mehr wird es ihn für dich geben. Und er wird dich besuchen.   

Oskar hat den Rat von Oma Rosa befolgt und Gott hat ihn besucht.

Er konnte in Frieden sterben, weil seine neu gewonnene Lebensgemeinschaft mit Gott blieb.

Weihnachten. Gott geht mit uns eine Lebensgemeinschaft ein. Für Oskar war es ein lebendiger Briefwechsel, für uns sind es vielleicht Gedanken, Gespräche mit ihm. Wir werden es spüren, er wohnt nah hinterm Zaun. Mit ihm ist gut Nachbarschaft halten. Es tut gut, wenn ich darauf vertrauen kann, dass der Ewige in der Nähe wohnt. Wir können uns austauschen, wir können uns auch streiten. Am Wichtigsten ist doch: Ich bin nicht mehr allein in meinem Menschen – Single – Schneckenhaus. Gott hat mit mir eine Lebensgemeinschaft gegründet.

Wie beendet Paulus seinen Gruß an die römische Gemeinde?

Ihr seid von Gott geliebt, ihr seid berufen und gehört zu seinem heiligen Volk.

Euch allen wünsche ich Gnade und Frieden von Gott unserem Vater und von Jesus Christus unserem Herrn!

Weihnachten ohne Zauber und doch zauberhaft. Gott besucht uns in unseren Gedanken und also auch in unseren Häusern.

Und wenn’s nach ihm geht, so möchte er auch wohnen bleiben.