Predigt zu Römer 1,1-7 von Jochen Riepe

‚Paulus , ein Sklave des Christus Jesus , berufen zum Apostel , ausgesondert das Evangelium zu predigen … an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom : Gnade sei mit euch und Friede von Gott , unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

I

‚… an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom…‘  Ja, manchmal reicht es , den Namen einer Stadt zu nennen , um sogleich mitten in der  Christnacht anzukommen. Rom. Ewige Stadt. Just zu dieser Stunde Mitternachtsmesse in St. Peter. Das Herz des Schülers schlug höher , als der Lehrer im Geschichtsunterricht  von der Kaiserkrönung Karls des Großen erzählte : im Jahre 800… zu Weihnachten in Rom . Ein Reisender unserer Zeit schreibt : ‚Welche Freude , als ich den Petersplatz und die Krippe sah. Als ich mich dann aber zum Petersdom drehte , standen mir die Tränen in den Augen.‘

II

Weihnachten in Rom. Kaiserlicher Glanz , ja, ein geradezu überirdisches Leuchten. Historisch wissen wir nicht viel über die römische Gemeinde zur Zeit des Apostels Paulus , auch nicht darüber , was Paulus selbst wußte oder von ihrem ‚Innenleben‘ , ihren Parteien oder Konflikten ,  erahnte. Auffällig am Eingang des Römerbriefes  ist aber schon : Paulus nennt sich gleich zu Anfang , also herausgehoben , dem Leser ins Auge springend , ein ‚Sklave Jesu Christi‘. Er stellt sich seinen Adressaten , den ‚berufenen Heiligen in Rom‘ ,  wohl demütig , aber gleichsam markant-demütig vor , und diese Selbstvorstellung  hat seine Leser gewiß aufhorchen , wenn nicht : aufschrecken lassen . ‚Sklave‘ – mit dem Wort allein ist ja schon die Kehrseite oder der ‚Untergrund‘ der Ewigen Stadt angedeutet.  Ein Briefeingang – das wissen wir , sofern wir noch Briefe schreiben – sollte höflich verfaßt sein , Nähe und Distanz  gekonnt auspendeln , aber so wahr Paulus dies weiß , er will auch ehrlich sein.

III

Paulus, ein Sklave Jesu Christi…‘  - Wie kommt der Apostel zu solcher ‚Selbsterniedrigung‘  – er, der doch selbst das römische Bürgerrecht besaß und das wohl auch nicht ohne Stolz. In dieser Stunde mögen wir schnell an das Bild vom Kind im Stall , das Urbild der Demut,  denken , an die arme Heilige Familie, die kein Obdach fand, aber Paulus geht einen anderen Weg. Er lobt dieses Kind , seinen ‚Herrn Jesus Christus‘ , geradezu in den Himmel . In den irdischen Himmel einer königlichen Herkunft : ‚geboren aus dem Geschlecht Davids‘ , und in den himmlischen Himmel : ‚nach dem Geist, der heiligt‘,  wurde der Christus durch die Auferstehung  ‚als Sohn Gottes in Kraft‘ eingesetzt . Paulus , der Knecht , der ‚Gefangene‘ (Phl 9) , hat einen sehr besonderen Herrn . ‚Sklave Jesu Christi‘ – ‚in diesen Worten liegt zugleich Hoheit und Demut‘.* Der Diener Jesu ist kein stummer Befehlsempfänger , sein Gehorsam gründet in einer Berufung und Erhebung. Selbstbewußt und offen darf er  den Gruß des Friedens entbieten .

IV

Man weiß nicht sicher, ob in Rom das erste Weihnachtsfest der Christenheit gefeiert wurde, aber : ‚Weihnachten in Rom‘, das ist mehr als ein Reiseslogan, das kann für Christen aller Konfessionen Hochgefühle wecken. Der Rom-Reisende,  von dessen Freudetränen in der Christnacht angesichts des überirdischen Glanzes der Ewigen Stadt   ich eben sprach,  er schildert allerdings auch ganz weltliche Eindrücke. Bevor er St. Peter betreten darf, muß er wie alle Gottesdienstbesucher sich kontrollieren lassen …auf mitgebrachte Waffen … Wo Licht ist , ist auch Schatten. Das ist ja soz. die Kehrseite des Kaiserlich-Königlichen : Die Gewalt. Die Angst. Wo Macht , auch die Macht , die sich von Gott herleitet, sich zeigt oder  demonstriert  und inszeniert wird , wo eine jahrtausendalte Geschichte der Verbindung von geistlicher und politischer Macht buchstäblich zelebriert wird, da rumort auch immer die  Gegenmacht , der Schrei der Unterdrückten : Rebellion, Haß , Wahn . Wie wir in diesen Tagen immer wieder hören : Keiner ist sicher vor dem Terror.

V

Was will Paulus, der Briefschreiber ,  mit seinem Brief ? Er , der Sklave Jesu Christi. Die Schriftausleger machen verschiedene Vorschläge : Paulus will sich den römischen Christen bekannt machen , um sie bald auf seiner Reise nach Spanien zu besuchen. Er will die Parteien in der Gemeinde aussöhnen. Er will die Christen dort an die bleibende Verbindung mit dem Gottesvolk Israel erinnern. Dies alles aber wird gleichsam grundiert  von dem Willen, den ‚Glanz des Sklaven‘ , so etwas Skandalöses und Wunderbares  wie den Titel ‚Sklave Jesu Christi‘ , das Ineinander von Hoheit und Demut  , von Gehorsam und Erhebung , nach Rom  zu bringen .  Eine Stadt, die nicht lebensfähig gewesen wäre ohne ein Heer von Arbeitssklaven , ohne ein System der Unterdrückung, das vielleicht eines der   ‚repressivsten … gewalttätigsten‘ der Geschichte (C .J. Martin ) war. In diese Welt  hinein verkündet einer : Wir sind die Sklaven des höchsten Herrn , des Herrn , der die ‚Barmherzigkeit Gottes‘ (Röm 12,1) in ‚brüderlicher Liebe‘ gelebt hat . Im Schlußteil des Römerbriefes (Röm 12,6) heißt es  entsprechend: ‚Trachtet nicht nach den hohen Dingen und haltet euch zu den geringen‘. Hatte sich die römische Gemeinde täuschen lassen  vom Glanz des Kaisers und war dem menschlich-allzumenschlichen Ehrgeiz erlegen , in die höheren Kreise aufzusteigen oder sich wenigstens an ihnen zu orientieren ?

VI

Das Kind im Stall  , das Geheimnis der Menschwerdung Gottes, wird damit vom Apostel auf eigenwillige Weise bezeugt. Er weiß vom hohen Christus , vom himmlischen Herrn, aber die, die diesem Herrn folgen, die Brüder und Schwestern des Sohnes , sind gleichsam ‚ausgesondert‘ , wörtlich :  ‚herausgeschnitten‘ aus den Spielen , Intrigen , Wertordnungen der Herrschenden . Den Römern war der Sklave – ein Objekt , bloßer Gegenstand eines herrschaftlichen Willens , seinen Befehlen und Verfügungen und Erlassen untertan … Befehl und Gehorsam. Ein Wille , der bestimmt. Ein Wille , der folgt. Schimmern hier nicht der Weg nach Bethlehem und der  armselige Stall durch , in den der höchste Herr , er , der Sohn , der ‚Bruder aller Versklavten‘(Phl 15f) sich begeben hat ? Sich begeben mußte?

VII

Brief nach Rom. Weihnachtsbrief ‚urbi et  - orbi‘. Mitternachtsmesse zu dieser Stunde. Hohe Liturgie. Prachtvolle Gewänder. Der Papst hat die Heilige Pforte  zum ‚Heiligen Jahr‘ geöffnet , der Zeit der Barmherzigkeit ist ausgerufen . Zeichen hat er  gegeben , daß auch er als Sklave seines Herrn und nicht als Sklave der Vatikan-Bank  oder anderer Machtansprüche , und seien es die der eigenen Eitelkeit , unterwegs sein will . Daß auch er nicht ‚wandelt in großen Dingen , die zu hoch sind‘ (Ps 131,1), sondern  -hoch erhoben durch das Kind -  sich zum Kinde herabbeugt , das Dank kaiserlich-römischen Erlasses in dieser Stunde in  - Bethlehem geboren wird.

‚Gnade sei mit euch und Friede von Gott , unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus‘. Eine frohe und gesegnete Christzeit.

*Martin Luther, Vorlesung über den Römerbrief 1515/16 (MA Ergänzungsreihe Bd. 2, 1965, S. 14)