Predigt zu Römer 13,8-12 von Michael Rambow
13,8-12

Liebe Gemeinde!

„Von ihnen als Christ hätte ich so etwas überhaupt nicht erwartet“. Der Satz markiert gewissermaßen den Super-Gau jedes Christenlebens. Schließlich kommt es doch darauf an, grenzenlose Liebe zu demonstrieren gerade als Christen.
„Von ihnen als Christ hätte ich so etwas überhaupt nicht erwartet“. Da tritt der Störfall im Selbstbild ein. Da zuckt man innerlich zusammen. Wenn schon die Nächsten so enttäuscht sind, was mag erst der liebe Gott von mir denken?
Haben sie so etwas noch nie erlebt?

Mit diesem Störfall im Christenleben hat es Paulus heute zu tun. Seht bloß zu, dass ihr niemandem etwas schuldig bleibt, vor allem nicht die nötige Liebe. Enttäuscht um Himmels willen nicht eure Nächsten. Werdet den Ansprüchen gerecht, die Gottes Gesetz fordert.
Denn eine neue Zeit steht bevor und sie stellt neue Anforderungen an das Leben. Nicht mehr lange, dann erfüllt sich die Hoffnung auf eine ganz neue Zeit. Das ist die Botschaft zum 1. Advent. Willkommen also im Warteraum auf Gottes Zukunft.

Im Advent packt Menschen mehr als sonst im Jahr eine sehnsüchtige Stimmung. Uns Deutschen bescheinigte ein französischer Philosoph eine Harmoniesehnsucht. Und irgendwo las ich sogar vom ‚klebrigen Einlullen in scheinbaren Frieden‘.
Liebe als Gegengewicht in schwierigen Zeiten. Wärmende Herzlichkeit gegen soziale Spannungen. Ehrenamtlicher Einsatz gegen das Böse, das auch 2015 entgegen allen Schwüren viel stärker geworden ist. Schaffen wir das?
Advent ist ohne Frage eine schwierige und schöne Zeit. Ich freue mich jedes Jahr auf Lichter, Stimmung, Besinnung. Sie ist notwändig für das Leben. Die Seele stellt sich dem eigenen inneren Bedürfnis: Hinter allem Gerenne und Aktionismus hast du insgeheim dauernd innere Einkehr und Seelenfrieden gesucht.
Advent ist Vorschau und Widerspiegelung unauslöschbarer Erwartungen, wie sie keiner sich selbst schaffen kann. Aber wir sind auf der beständigen Suche danach.

Das Heil ist jetzt näher als jemals zuvor, sagt Paulus. Steht auf! Wacht auf aus den trügerischen Träumen! ‚Der Stern der Gotteshuld‘ erstrahlt über der geschundenen und durcheinander gewirbelten Menschheit und Welt.
Die erste Kerze brennt wieder in diesem Jahr. Ein neues Zeitalter beginnt mit dem neuen Kirchenjahr. Ein erster Schein der Hoffnung auf eine neue Zeit. Er weist hin auf den, der im Dunkel der Welt mit der Botschaft kam, dass das Leben sich an Gott ausrichten muss, wenn es sich erfüllen soll.
Es wäre der Super-Gau, wenn Christen aufhörten, darauf immer wieder hinzuweisen ungeachtet, wie viele es hören wollen oder können. Es wäre der Super-Gau, hörten Christen auf, darauf hinzuweisen, weil heute doch alle gleich sind mit ihrem Glauben und ihren individuellen Lebensentwürfen. Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnen, die nicht in Parlamenten beschlossen oder von sozialen Einsätzen garantiert werden. Ich kann nicht verstehen, wieso sich Menschen diese herrliche Zeit oft mit billigem Rummel und inhaltsleerem Konsum zumüllen lassen. Oder ist die Botschaft mittlerweile zu leise geworden hinter Aktionismus?

Natürlich ist diese göttliche Verheißung problematisch. Es hat in der Welt- und Kirchengeschichte nicht an heillosen Versuchen gefehlt, wenigstens stückweise diese Verheißung unmittelbar spürbar umzusetzen. Ein bisschen mehr Nächstenliebe und die böse Welt wird schon merken, dass wir auf der richtigen Seite sind und umkehren. Aus Ungeduld und weil die Zeitläufe manchmal unerträglich sind, wollten Menschen nicht nur reden und glauben an die neue Zeit, sondern sie heute und spätestens morgen erleben. Es endete jedes Mal im Chaos und Terror und bittersten Enttäuschungen. Nicht zuletzt Aufrufe und Appelle zur gegenseitigen Liebe leisten solchen Erwartungen Vorschub.

Natürlich kann die Welt nicht sich selbst überlassen werden-gerade wegen der Verheißung Gottes. Die mangelhafte Verantwortung für angemessene Erziehung in manchen Familien kann nicht nur mit Geld erfüllt werden. Das Leben werden alle verfehlen, welche den eigenen Lebensentwurf mehr verfolgen als das Gemeinsame zu erstreben. Großangelegte Betrügereien bei Abgasen, Korruption bei großen Sportereignissen, die vielen großen und kleinen Tricksereien und dunklen Stellen unter den schönen weißen Westen des Erfolges bereiten nicht wirklich Freude oder ein besseres Leben.

Es ist Zeit aufzuwachen, weil eine neue Zeit bevorsteht. Vor 2000 Jahren schreibt der Apostel Paulus an die Christen nach Rom, wie Christen sich untereinander und als Bürger des Staates verhalten. Es muss sich unterscheiden, ob da Menschen leben, die ihre tägliche Kraft aus einer anderen Hoffnung nehmen als immer schneller, immer mehr, immer höher hinaus zu streben. Paulus begründet das mit diesem Lichtschein aus Gott, mit Jesus Christus. Niemandem etwas schuldig zu bleiben ist der Unterscheidungsbegriff der Christen. Bleibt niemand etwas schuldig außer, dass ihr euch unterscheidet im Handeln, Hoffen, Denken. Die Leute haben Recht, wenn sie klagen: Gerade von ihnen als Christ hätte ich anderes erwartet. Darum tut das so weh, weil es stimmt und man sich mal wieder erwischt sieht.
Wir haben aber den Menschen auch entgegen zu halten: Ja, aber das gilt nach unserem Verständnis allen. Es kann sich niemand aus dieser Hoffnung ausklinken, weil er ‚nicht religiös ist‘ wie das heute gerne schwammig heißt. Im Advent teilen wir die gemeinsame Hoffnung durch Jesus Christus auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Menschen lassen sich anstecken von dem, was mit dem Kind in der Krippe in einigen Wochen erwartet wird und dass es nicht bloß ‚klebrige Harmonie‘ bleibt. Es wäre der schlimmste anzunehmende Störfall weiter zu träumen, dass Begehren stärker als Gottes- und Nächstenliebe sein darf.
Die Hoffnung erfüllt sich nicht dadurch, dass soziale Appelle ausgesendet werden zusammen zu rücken. Es erfüllt sich alles durch Christus. Das muss im Blick bleiben. Advent darf nicht zum Liebes-Endspurt am Jahresende werden. Wer wach ist mit aufgewecktem Herz und Sinnen, lässt sich nicht so leicht hinters Licht führen. Wer sich von diesem ersten, vorsichtigen Strahl des Lichtes anscheinen lässt, der von der noch fernen Krippe aufleuchtet, weiß, dass es heller wird und die Erfüllung näher rückt.

So ruft Gott uns als Wartende auf und stellt vor die Aufgabe, die Zeit zu füllen:
‚Komm, o mein Heiland, Jesu Christ
meins Herzens Tür dir offen ist.
Ach zieh mit deiner Gnade ein;
dein Freundlichkeit auch uns erschein.
Dein Heilger Geist uns führ und leit
den Weg zur ewgen Seligkeit.
Dem Namen dein, o Herr,
sei ewig Preis und Ehr‘ (EG 1, 5)
Wer so lebt und dann nachsieht, wie das praktisch auszusehen hat, erwartet nach jedem Dunkel einen neuen Morgen, nach jedem Leid neue Freude, nach dem Tod das Leben durch Gottes Gnade. A m e n.

Perikope
29.11.2015
13,8-12