Predigt zu Römer 14,10-13 von Rainer Kopisch
14,10-13

10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.
11 Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.«
12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.
13 Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.

Liebe Gemeinde, liebe Christinnen und Christen,
wann haben Sie sich das letzte Mal über jemand geärgert?
Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Worte, die Ihnen zu dem Anlass einfielen, und an die Energie, die dabei an die Oberfläche kam?
Bekannte Beschreibungen sind: Die Galle läuft über. Der Stehkragen platzt.

Es sind Streitigkeiten zwischen Menschen und Rechthabern, die jede Gemeinschaft zerstören können.
Die Gemeinde in Rom ist auf dem besten Weg, sich zu zerlegen, weil ihre Mitglieder über Essensvorschriften bei ihren gemeinsamen Mahlzeiten in Streit geraten sind. Das ist menschlich verständlich, aber für eine Gemeinde von Christen nicht hinnehmbar. Der Apostel Paulus hat zwar die Gemeinde in Rom nicht gegründet, er hat aber Kenntnis von den Zuständen dort durch Christen aus seinen Gemeinden, die nach Rom gekommen sind.

So ist es also nicht verwunderlich, dass Paulus im 14. Kapitel seines Briefes an die Gemeinde in Rom diese Sätze schreibt. Das erklärt auch die Kraft und Deutlichkeit seiner Worte.

Es geht Paulus um die Bedrohung des Glaubens, wenn Christen verschiedener Meinung einander beurteilen und streiten. Es geht darum, dass Menschen in eine eigene Welt ohne Gott zurückfallen, wenn sie ihren Glauben verlieren. Dass Menschen durch das Verhalten von anderen Menschen von ihrem Glauben abfallen können, ist ein lange bekanntes Geschehen. Der sprachliche Ausdruck selbst ist mit der Verwendung des Wortes „glauben“ auf neue Zusammenhänge übertragen worden.
Diese neuen Zusammenhänge entstehen, wenn jemand etwas zur Kenntnis bekommt, was seinen Vorstellungen oder Erwartungen nicht entspricht. Man sagt „das ist unglaublich“, wenn das Verhalten eines anderen Menschen beobachtet und beurteilt wird. Je näher einem dieser Mensch steht, desto heftiger wird die innere Erregung.
Die Redensart „da fällt man doch vom Glauben ab“ spiegelt die innere Erregung. Sie verweist natürlich auch auf den ursprünglichen Vorgang, der existentielle Bedeutung hat.
Paulus kannte die Gefahr.

Ein sinnerfülltes Leben zu finden, bestimmt das Suchen und Sehnen vieler Menschen.
Wir als Christen und Christinnen habe dabei eine große Verantwortung für unser eigenes Suchen und für das der Menschen, die uns auf unserem Lebensweg begegnen. Dabei ist es eine große Hilfe, dass wir viel von Gottes Liebe wissen und ein Gespür dafür entwickeln können, wo wir sie ins Fließen bringen können.
So können wir lernen, Widerstände und Blockaden gegen die göttliche Liebe zur Seite zu räumen, wo wir sie erkennen können.

Paulus sieht seine Aufgabe in der Verkündigung der Botschaft von der Versöhnung Gottes mit den Menschen durch Jesus Christus. Wenn er als Zitat der Schrift eine Überlieferung eines Wortes des Propheten Jesaja verwendet, will er ausdrücken, dass Gott seit alters her als Herrscher über alle Menschen gewürdigt wird. Diese Würdigung Gottes hält Paulus auch in seinen Zeiten für angebracht und wichtig. Wir preisen im Vaterunser Gottes Reich, seine Kraft und seine Herrlichkeit. Das ist unser innerer Kniefall vor Gott. Das wirkliche Knien kann diesen inneren Vorgang natürlich körperlich verstärken.
Wir dürfen im Gebet mit Gott davon sprechen, wie wir die Kraft der Liebe Gottes in unserem Leben umsetzen. Gott weiß das zwar, aber es ist wichtig, dass wir ihm über unser Denken und Handeln Rechenschaft geben. Erinnern Sie sich auch an das Gleichnis Jesu vom Herrn, der außer Landes geht und seinen Knechten unterschiedlich viel Geld anvertraut, mit dem sie wirtschaften sollen? Bei seiner Rückkehr verlangt er von ihnen Rechenschaft über ihr Wirtschaften.
In dem Horizont dessen, was Paulus den Römern schreibt, können wir dieses Gleichnis Jesu so deuten: Wenn Jesus Christus am Ende der Tage zu Gericht sitzt, wird er uns fragen: „Was hast du in deinem Leben mit der Liebe Gottes gemacht, die ich dir gegeben habe? Hast du sie für dich allein behalten oder hast du sie vermehrt, indem du sie an andere weitergegeben hast?“

Paulus stellt die Grundforderung, nicht lieblos mit den anderen Menschen umzugehen, sie zu beurteilen und zu richten und ihnen keinen Anlass zu geben, sich von uns bedroht zu fühlen.
Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.“ (V 13)
Diese Grundforderung stellt Paulus an die Mitglieder der Gemeinde in Rom, um den dort herrschenden Streit über die Reinheit von Speisen zu beenden.
An der Behandlung der alttestamentlichen Gebote im kleinen Katechismus Doktor Martin Luthers haben wir gelernt, dass eine Erklärung und ein weiteres Verständnis erreicht werden kann, wenn wir die Liebe Gottes in solch einem Zusammenhang zur Entfaltung bringen.
Betrachten wir noch einmal den letzten Vers unseres Predigttextes:
„Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.“
Wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest, das Paulus eine solche Zweigliedrigkeit unter der Verwendung des Wortes „sondern“ bereits benutzt. Luther ist das sicher auch aufgefallen.

Wenn wir aus der Forderung des Paulus ein Gebot mit Erklärung machen; wie könnte es dann aussehen?
Du sollst andere Menschen nicht richten, sie herausfordern oder ärgern. Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht richten, herausfordern oder ihm Anlass zum Ärger geben, sondern sollen ihn anerkennen und ihm helfen, die Kraft der Liebe Gottes in seinem Herzen zu spüren und aus dieser Kraft zu leben.

Mose hat Gott nach seinem Namen gefragt. Was soll ich sagen, wer mich geschickt hat?
Gott antwortet: Ich bin, der ich sein werde. (Ex 3,14)
Wenn wir diese Antwort mit der nötigen Ruhe und Klarheit bedenken, werden wir mit Erstaunen feststellen, dass Gott Mose etwas grundlegend Wichtiges mit auf den Weg gegeben hat.
Wir Menschen übersehen es gern, weil es unserem inneren Sicherheitsbedürfnis zuwiderläuft.
Wir können Gott keinen Namen geben, wir können ihn nicht beschreiben, wir können ihn auch nicht beurteilen

Ich bin, der ich sein werde’ ereignet sich. Jesus hat seinen Jüngern gesagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20) Unsere christliche Theologie bringt uns in die Gefahr aller bewusst religiösen Menschen, zu denken, dass wir Gott beschreiben und über ihn Auskünfte geben können.
Menschen, die Gott gar beurteilen, stehen in der Gefahr, vom Glauben abzufallen.
Wir Christen wissen, dass Jesus Christus uns den Zugang zu Gottes Liebe erschlossen hat. Was wollen wir denn noch mehr?
Wenn wir dabei sein wollen, wenn Gott sich ereignet, lasst uns in den Alltag der Welt aufbrechen. Es gibt genug zu tun. Packen wir es an!

Amen

Pfarrer i. R. Rainer Kopisch
Roonstr. 6
38102 Braunschweig
rainer.kopisch@gmx.de

Perikope
19.06.2016
14,10-13