Der Sonntag heute heißt ‚Reminiscere‘ . Gedenke. Erinnere dich.
Erinnere dich, Gott, an deine Barmherzigkeit und deine Güte – so haben wir es im Psalm 25 gebetet. Erinnere dich, Mensch, an den Gott, der dich durch das Leben begleitet. So werden wir es gleich im Predigttext des Sonntags hören. Gleich.
Der Sonntag der Erinnerung.
1: Heute vor 100 Jahren begann die Schlacht von Verdun. Vom 21.2.1916 an führten Deutsche Truppen einen monatelangen und quasi ergebnislosen Belagerungskrieg gegen die französische Stadt Verdun. Bis heute wird in Verdun an diesen Tag erinnert, und diese Erinnerung verhindert hoffentlich, dass Menschen gleichgültig werden gegenüber Krieg und Gewalt.
Nun werdet ihr fragen. Na und? Vor 100 Jahren? Nicht mal mein Großvater war daran beteiligt, was habe ich damit zu tun?
2: Heute vor 3 Wochen kam Manfred aus der Kur zurück. Burnout, war die Diagnose gewesen, eine ‚Erklärung‘ dafür, dass er nicht mehr er selbst war. In der Kur lernte er, auf sein eigenes Leben zu schauen. Er hat sich erinnert an all das, was ihn zum Zusammenbruch geführt hat. Die Ausbildung, der Beruf, Familie und Haus, dann die Krise, Frau und Kind sind ausgezogen, in der Firma hat er umso verbissener seinen Mann gestanden, und dann ist er zusammen gebrochen.
Nun werdet ihr sagen: na und, es wird einen Grund gegeben haben für die Krise…
3: Heute vor 14 Jahren kam Nathalie zur Welt. Sie war vom ersten Tag an körperbehindert. Für die Eltern ein Sorgenkind. Immer schon fühlt sie sich isoliert. Wenn ihre Klassenkameradinnen Sport haben, schaut sie zu. Gehen die anderen shoppen, bleibt sie im Rollstuhl sitzen. Und die mitleidigen Blicke, das gekünstelte Lächeln von Möchtegernverstehern erträgt sie schon lange nicht mehr.
Und nun werdet ihr sagen, naja, wir haben ja auch unsere Probleme…
Heute geht es um das Erinnern. Was hat das, was war zu tun mit dem was ist und dem, was morgen sein wird.
Und bei all dem Erinnern spielt heute der Apostel Paulus eine große Rolle. Von ihm stammt der Bibeltext für diesen Sonntag. Paulus erinnert uns. An den Gott der uns mit seinem Frieden durch das Leben begleitet. Paulus drückt das aber kompliziert aus.
Rö 5, 1-5
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Noch einmal:
Nochmal lesen als Collage /Echo-Text mit im Raum verteilten Sprechende: Person 1 liest den gesamten Text, unterbrochen jeweils von Person 2,3,4 mit dem Echo.
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; wir haben Frieden mit Gott! Frieden mit Gott? Frieden mit Gott!
durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Wir stehen in der Gnade. Wir stehen in der Gnade? Wir stehen in der Gnade!
Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Bedrängnis bringt Geduld
Geduld aber Bewährung, Geduld bringt Bewährung
Bewährung aber Hoffnung, Bewährung bringt Hoffnung
Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Gottes Liebe in unseren Herzen. Gottes Liebe? Gottes Liebe!
Ein Satz bleibt bei mir besonders im Ohr. Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.
Nehmen wir diesen einen Satz einmal als Folie, auf der wir unser Leben ansehen. Oder die drei Geschichten von eben. Vielleicht wird dann das theologisch abstrakte greifbarer. Gedenke, erinnere dich, Mensch, zwischen dir und Gott ist Frieden. Den musst du nicht jeden Tag neu machen. Der Friede ist schon da.
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.
Der Satz also als Folie unter unserem Leben. Durch all die Höhen und Tiefen, die Freuden und Katastrophen unseres Lebens hindurch: Wir haben Frieden mit Gott. Dieser Frieden ist schon da, vor uns sozusagen. Wir machen ihn nicht. Gott macht ihn. Wir haben Frieden mit Gott. Trotz und in allem.
Und jetzt folgen die vielen großen Worte, für die Paulus so bekannt ist.
Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung.
Lassen sich die großen Worte auch zusammen bringen mit unserer Lebenswirklichkeit? Erinnern wir uns an Verdun, an Manfred, an Nathalie.
Bedrängnis
Bedrängnis ist ein altes Wort für Not, Leiden. In Verdun haben sie gelitten, die Bewohner der Stadt, an der monatelangen Belagerung durch deutsche Soldaten. Heute leiden Menschen in Aleppo, fliehen aus Angst vor einer Belagerung, aus Angst vor dem Tod. Bedrängt.
Bedrängnis empfindet Manfred, wenn er in sein leeres Haus zurückkehrt und die Kinderzimmertür öffnet. Da stehen noch die Spielsachen, das Bett, die Bilder hängen an der Wand. Das tut Manfred weh.
Bedrängnis empfindet Nathalie im Rollstuhl immer, wenn sie auf Hilfe anderer angewiesen ist. Eine geschlossene Tür, eine Schwelle, der Gang zur Toilette in fremden Gebäuden.
Noch ein großes Wort:
Geduld
Geduld haben die Menschen im ersten Weltkrieg aufbringen müssen, Geduld bis zur Verzweiflung bringen Menschen an den aktuellen Kriegsschauplätzen auf, sie halten aus, was eigentlich nicht auszuhalten ist. Weil sie leben wollen. Weil der Überlebenswille stärker ist als die Verzweiflung.
Geduld muss Manfred aufbringen mit seinem Kind, das ihn bis heute ablehnt. So sehr hofft Manfred, dass sich das ändert. Dass sein Sohn einmal sagen wird: Ich verzeihe dir, Papa.
Geduld bringt Nathalie vor allem für ihre Eltern auf. Wenn sie sie wieder wie ein kleines Kind bemuttern. Wenn sie ihr etwas nicht zutrauen. Wenn sie sie zum wiederholten Mal mit dem Auto von der Schule abholen, obwohl Nathalie doch endlich Freundinnen hat, die den gleichen Weg fahren.
Und dann: Bewährung
Das Wort kennen wir aus der Rechtssprechung: 3 Jahre auf Bewährung, eine Zeitspanne in der sich etwas oder jemand bewähren muss. Aus der Geschichte in Verdun haben die folgenden Generationen gelernt zumindest dort in Verdun wird das Gedenken an die Opfer bewahrt und die deutsch-französische Aussöhnung hoch gehalten. Das gemeinsame Gedenken hat sich bewährt.
Vielleicht ist Manfred bei seinem Sohn auch ‚auf Bewährung‘, und es gibt irgendwann eine Annäherung zwischen den beiden.
Nathalie muss jeden Tag neue Bewährungsproben bestehen. Über mitleidige Blicke hinwegsehen. Hindernisse überwinden, Pläne schmieden und sie als unrealisierbar wieder verwerfen. Und dabei den Kopf oben behalten.
Und schließlich: Hoffnung
Die erschütternden Nachrichten aus Syrien sprechen nicht für Hoffnung. Und doch denke ich, dass das Erinnern an die Schrecken der Kriege Europa wach hält und verhindert, dass leichtfertig kriegerische Auseinandersetzungen riskiert werden.
Manfreds Hoffnung leuchtet in seinen Augen, wenn er sich an den einen Urlaub mit seinem Sohn erinnert.
Nathalies Hoffnung wird sich in den nächsten Wochen erfüllen: Sie wird mit ihren Freundinnen gemeinsam konfirmiert. Zum Segen werden sie zusammen vor den Altarstufen knien und sitzen, ganz selbstverständlich.
Bedrängnis bringt Geduld, Geduld bringt Bewährung, Bewährung bringt Hoffnung. Und dann münden diese großen Worte in der Liebe. Denn, so sagt Paulus, die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen.
Nicht, dass jetzt alles mit dem Mantel der Liebe verdeckt wird, was vorher noch da war an Schmerz und Hoffnung. Nein, da schreibt einer so abstrakt, der doch Bedrängnis und Leid erlebt hat. Paulus klammert nicht aus, dass das Leben von Christen leidvoll und mühselig sein kann. Aber er legt gleichsam unter dieses harte Leben die weiche Folie: Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.
Gedenke also, Mensch, der Liebe deines Gottes. Und wenn du verzagt bist und in Bedrängnis, dann erinnere dich an Gottes Barmherzigkeit, und dann erinnere auch Gott an seine Barmherzigkeit.
Vorhin habe ich von Verdun erzählt, und von Manfred und Nathalie. Vielleicht heißt Verdun auch nicht Verdun, Manfred nicht Manfred und Nathalie nicht Nathalie. Vielleicht werde ich heute angestoßen, mich auch zu erinnern. Was hat das, was war zu tun mit dem was ist und dem, was morgen sein wird. Vielleicht, l.G. ist die Fastenzeit vor Ostern so eine Zeit des Erinnerns. Erinnern kann weh tun, erinnern kann auch alte Kräfte neu wecken. Auf jeden Fall soll unser Erinnern getragen sein von der Folie: Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.
Den Frieden mit Gott müssen wir nicht machen. Den Frieden mit Gott haben wir in Jesus Christus.
Treffend hat das Dietrich Bonhoeffer formuliert:
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
so viel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.