„Ihr seid vom Sklavendienst der Sünde befreit und als Sklaven in den Dienst der Gerechtigkeit gestellt, das heißt in den Dienst des Guten, das Gott will. Ich rede sehr menschlich vom ‚Sklavendienst‘ der Gerechtigkeit - ich gebrauche dieses Bild, weil euer Verständnis und Begreifen noch schwach ist.
Früher stelltet ihr euch selbst mit all euren Gedanken und Taten in den Dienst der Unreinheit und Ungesetzlichkeit. Ihr führtet ein Leben, das Gott nicht gefallen konnte. So stellt euch jetzt umgekehrt in den Dienst des Guten und führt euer Leben als Menschen, die Gott gehören.
Als Sklaven der Sünde waret ihr dem Guten gegenüber frei; es war euch überlassen, Gutes zu tun oder nicht. Wie hat sich das ausgewirkt? Euer Leben trug faule Früchte. Ihr schämt euch, wenn ihr daran denkt; denn was ihr damals getan habt, führt letztendlich zum Tod.
Aber jetzt seid ihr vom Dienst der Sünde befreit und dient Gott. Und das bewirkt eine Lebensführung, durch die ihr euch als Gottes heiliges Volk erweist; als Endziel erwartet euch ewiges Leben. Der Ertrag der Sünde ist Tod. Gott aber schenkt uns unverdient, aus reiner Gnade, ewiges Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn.“
Liebe Gemeinde!
Die Geschichte der Völker wie auch die Biographien einzelner Menschen oder Familien birgt so viele Ungeheuerlichkeiten, für die es meines Erachtens kein treffendes Wort gibt. Sogar das Wort „Sünde“ erscheint mir dafür zu schwach. Manchen grauenhaften Verbrechen in Vergangenheit und Gegenwart verweigert die Sprache ihre Fähigkeit der Benennung. Gibt man ihnen dennoch einen Namen, wird man schon beim Aussprechen dessen gewahr, wie unangemessen, unzureichend, untauglich und kraftlos er ist. So verhält es sich auch mit dem Wort „Sünde“.
Das Christentum hat - vermutlich ungewollt - bewirkt, dass der Begriff „Sünde“ seiner Kraft beraubt und seine Bedeutung nivelliert worden ist: Wenn alle Menschen „Sünder“ sind, dann ist gewissermaßen niemand „Sünder“. Zwar werden auch einzelne „Sünden“ benannt, aber vor allem geht es um die grundsätzliche „Trennung von Gott“, die jeden Menschen a priori (von vornherein) betrifft. Sie wird mit dem Mythos vom „Sündenfall“ und der „Vertreibung aus dem Paradies“ begründet.
Durch Rückgriff auf das Griechische sollte der im Deutschen schillernde und oftmals moralisierend verwendete Begriff „Sünde“, dessen Ursprung ungeklärt ist, weltanschaulich neutral und unverfänglich als „Zielverfehlung“ übersetzt werden. Homer, Aischylos u.a. benutzen den Ausdruck in der Regel, wenn ein Bogenschütze sein Ziel verfehlt. Dann wird es auch metaphorisch gebraucht: sein Lebensziel, seinen Lebenssinn verfehlen. Im Hebräischen bedeutet der entsprechende Ausdruck allgemein „Verfehlen eines Ziels“. Wesentlich später verengt sich im Christentum die Bedeutung und wird zum religiösen Begriff „Sünde“.
Das Wort „Sünde“ ist zwar etymologisch nicht geklärt; vieles aber verweist auf Bedeutungen wie „Schuld“, „Straffälligkeit“ und auch „Schande“. Im Deutschen wurde „Sünde“ erstmals als christlicher Begriff eingeführt. Eine falsche, volksetymologische Deutung führt es auf das germanische „Sund“ zurück, weil „Sund“ eine Trennung bezeichne; „Sund“ bezeichnet aber im Gegenteil etymologisch „Enge“, also eine Verbindung, z.B. eine „Meerenge“. Neuerdings wird dann „Sund“ wiederum als „Trennung“ gedeutet, was die Ungeklärtheit seiner Herkunft nur unterstreicht. Wer so beharrlich „Sünde“ mit „Trennung“ assoziiert, mag dafür inhaltliche Kriterien ins Feld führen: Zwischenmenschlich führt Schuld zwangsläufig auch zur Trennung.
„Schuld“ und „Zielverfehlung“ sind zunächst rein anthropologische Phänomene und sagen nichts Direktes über eine angebliche Trennung von einer „Gottheit“ aus. Schuld kann man auf sich laden, und es kann auch jeder sein Ziel - grundsätzlich als Lebensziel oder mehrfach im Leben einzelne Ziele - verfehlen; das betrifft „Fromme“ wie „Unfromme“.
Wenn jemand sein Ziel - womöglich sein Lebensziel: das, was ein Mensch aus seinem Leben machen könnte - verfehlt, kann das vielfache Ursachen haben. Es ist erschütternd zu erleben, wie Menschen oftmals daran gehindert werden, ihre Gaben zu entdecken, geschweige denn ihnen zu entsprechen. Das Unglück beginnt für viele schon in der Kindheit, wenn zerrüttete Familienverhältnisse keine gesunde und stabile Basis für Gegenwart und Zukunft darstellen.
Ich fände es sehr überheblich und lieblos, solchen Menschen später als Erwachsene zu sagen, sie dürften niemanden aus der Vergangenheit für ihr gegenwärtiges Leben verantwortlich machen. Sie allein müssten die Verantwortung tragen. Natürlich kann der Rückblick in die eigene Vergangenheit mehr belasten, als dass er hilft, das Geschehene und Ertragene besser zu verarbeiten, um sich dann - so befreit wie irgend möglich - desto zuversichtlicher wieder der Gegenwart und Zukunft gestärkt zu widmen.
Aus eigener Erfahrung aber muss ich auch darauf hinweisen, dass es sehr befreiend sein kann, wenn man sich peu à peu dessen bewusst wird, wofür man de facto selbst die Schuld trägt, und worin man tatsächlich hineingeworfen wurde oder hineingeraten ist. Bereits ein kurzes Brainstorming offenbart eine Kette von Ursachen und Wirkungen, die keinesfalls zufällig sind.
Es mag so manchen „Beichtvater“ verwundern, wenn er wüsste, dass Menschen auch dadurch „erlöst“ werden - gelöst von unangemessenen, irrigen Schuldgefühlen, indem sie schlicht erkennen: „Es ist nicht meine Schuld!“ Oder: „Ich konnte gar nicht anders handeln!“ Wer dies im Tiefsten seines Denkens und Fühlens erkennt, ist dazu befreit, allmählich Verantwortung für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln schrittweise zu übernehmen. Er kann sein Leben selbst in die Hand nehmen.
So weit, so gut - „Sünde“ und Schuld im Zwischenmenschlichen; aber was soll der Begriff „Sünde“ im Verhältnis des Menschen zu „Gott“ bedeuten?
Dazu möchte ich ein typisches Denkmodell beleuchten, wie es uns bei Paulus begegnet: ein Denken in Gegensätzen, ein Dualismus. Er stellt einfach fest (konstatiert, postuliert), es gäbe eine grundsätzliche Polarität: Entweder lebe ich zwangsläufig im Dienst der „Sünde“, oder ich lebe zwangsläufig im Dienst der Gerechtigkeit zum Gefallen „Gottes“.
Ich sage „zwangsläufig“, „gezwungenermaßen“, weil Paulus das Bild vom Sklavendienst gebraucht. Die Unfreiheit bestünde so nach zwei Seiten; ein zeitgenössischer Kommentator schreibt: Es ginge „um ein wirkliches Sklavenverhältnis“; der Mensch sei „in Wirklichkeit nie autonom, sondern abhängig - sei es von der Sünde, die ihm Freiheit von Gott vorspiegelt“, „sei es aber auch von Gott, der ihn von der Sünde frei gemacht hat“.
„Als Sklave der Sünde leben“ - „als von der Sünde Befreiter für die Gerechtigkeit leben“: „fromm - unfromm“, „gläubig - ungläubig“, „heilig“ - „unheilig“, „Getaufte“ - „Heiden“, „kirchlich - unkirchlich“, „christlich - unchristlich“, solchen Dualismen trete ich vehement entgegen, weil sie künstlich Gegensätze schaffen, Menschen kategorisieren nach Maßstäben, die nur allzu menschlich und fragwürdig sind.
„Kategorisieren“ bedeutet im Griechischen ursprünglich u.a. „anklagen“, „beschuldigen“, „vorwerfen“. Wir sprechen etwas abmildernd vom Schubladendenken; doch ist das sehr viel anders, wenn ich jemanden in eine von mir gefertigte oder gesellschaftlich oder gar kirchlich sanktionierte „Schublade“ stecke, aus der dieser Mensch - „schuldig im Sinne der Anklage“ oder womöglich unschuldig Zeit seines Lebens nicht mehr herauskommt?!
Ich finde das Menschenbild des Paulus fragwürdig, zumal es bis heute christliches Denken geprägt hat. Ein zeitgenössischer Theologe resümiert (2008), indem er völlig korrekt auf die Personifikation der „Sünde“ bei Paulus (in Röm 6,15-23) hinweist: Der personifizierte Akteur „Sünde“ betritt die Weltbühne „von den hinteren Kulissen her“ („from offstage“), um mit ihrem Geschäft der Versklavung, des Betrügens, des Tyrannisierens zu Werke zu gehen. So verursacht sie Chaos und Verwüstung in der Welt und in der Menschheit.
Die Herkunft dieser Personifikation aus dem Mythos vom Paradies ist bekannt. Man gewinnt den Eindruck, dass die „Schlange“, die „Eva“ dazu verführt, vom „Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ zu essen, geradezu die „Sünde“ verkörpert. Immerhin vernimmt nach der Austreibung aus dem Paradies der unglückselige „Kain“ „die an der Tür lauernde Sünde“, was ihre Personifikation nochmals unterstreicht.
Für das Leben „jenseits von Eden“ hat Paulus eine scheinbar geniale „Lösung“ anzubieten: Akzeptiere dein „Sündersein“, deinen „sündigen“ Zustand, unterwerfe dich dem „gnädigen Gott“, indem du glaubst (darauf vertraust) und bekennst, dass er sich durch den Tod „seines Sohnes Jesus Christus“ mit jedem Menschen versöhnt hat. Nur kraft dieser wirkmächtigen Gnade bist du gerechtfertigt und gerettet (ansonsten bleibst du der „Sünde“ verschrieben und bist verloren).
Ich vermag an dieser Stelle keinen kurzen Abriss zur Theologie des Paulus und zu seinem Menschenbild zu skizzieren, um sie mit bedeutsamen Inhalten der Verkündigung des Jesus von Nazareth zu vergleichen. Doch scheint mir sein Denken nicht in erster Linie jesuanisch geprägt zu sein, denn „Gott lässt seine Sonne scheinen über Gute und Böse“. Der Kontext spiegelt - innerhalb der Bergpredigt - einen wichtigen Teil der ethischen Forderungen Jesu:
„Ihr habt gehört, dass geboten worden ist (Lev19,18): ‚Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen!‘ Ich dagegen sage euch: Liebet eure Feinde und betet für eure Verfolger,
damit ihr euch als Kinder eures himmlischen Vaters erweist. Denn er lässt seine Sonne über Böse und Gute aufgehen und lässt regnen auf Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,43-45).
Dem Nazarener geht es nicht darum, Menschen in „gut“ und „böse“, „gerecht“ und „ungerecht“ einzuteilen - kein Denken oder Urteilen in Kategorien -, man soll sich vielmehr als „Kind Gottes“ erweisen, indem man zu allererst nach „Gottes Herrschaft“, nach „Gottes Reich“ (oder „Reich der Himmel“) und nach seiner Gerechtigkeit trachtet, dann wird einem auch alles zum Leben Notwendige geschenkt und das Leben insgesamt gelingen (Mt 6,33).
Angenommen „Gottes Liebe“ gilt allen Menschen - wenn ich das schon glaube oder darauf vertraue und selbst von Kind auf ein Leben in liebevoller, vertrauensvoller Umgebung sogar habe erfahren dürfen, bin ich gefordert, wenigstens einen Teil dieser Liebe weiterzugeben. Dann wird „Gottvertrauen“ praktisch, spürbar, vielleicht auch nachvollziehbar.
Angesichts des unsäglichen, selten selbst verschuldeten Leids unter Menschen und Tieren kommen doch Zweifel an „Gottes Liebe“ auf. Es sei denn, ich vertraue wie ein Kind darauf, dass dieser „Gott“ am dauerhaften Desaster und Chaos - an Verwüstung und Zerstörung von Natur- und Menschenwelt selbst mitleidet. Ja, für mich ist „Gott“ das Wesen, das am meisten leidet. In etwa wie Eltern, die irgendwann erleben müssen, dass sie den Lebensweg ihrer geliebten Kinder nicht mehr beeinflussen können.
Wer von „Sünde“ und Schuld im elementarsten Sinne redet, wie Paulus es meint verantworten zu können, der bringt eben auch „Gnade“ ins Spiel - ein Spiel allerdings, in dem es um Tod und Leben geht! „Gnade“ oder Begnadigung setzt eine Verurteilung voraus; verurteilt werden Verbrechen wie Totschlag, Mord, Kapitalverbrechen, Kriegsverbrechen, Massenmord usw. Die Todesstrafe wird juristisch relativ selten vollzogen.
Theologisch, besser: paulinisch allerdings ist der Tod die Konsequenz eines Lebens im Sklavendienst der „Sünde“; natürlich versteht Paulus an dieser Stelle „Tod“ metaphorisch. Ein „Leben in Sünde“ wäre also ein gänzlich fruchtloses Dasein; es sei denn, man unterwirft sich (wiederum als „Sklave“), wie gesagt, einem Leben im Dienst der Gerechtigkeit „Gottes“. Doch lässt sich das eine wirklich vom anderen unterscheiden? Oder: Sind Christen tatsächlich „bessere“ Menschen? Das wird zwar fast immer verneint, aber wer weiß, wer was denkt …?!
Sehr weise äußert sich Jesus von Nazareth - in einem kurzen, aber denkwürdigen Abschnitt, wiederum aus der Bergpredigt, zur Paradoxie eines Denkens und Urteilens in Polaritäten, die er geradezu entlarvt, andererseits aber auch eine Alternative aufzeigt.
„Hütet euch vor den Trugpropheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, im Inneren aber räuberische Wölfe sind. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Kann man etwa Trauben lesen von Dornbüschen oder Feigen von Disteln? So bringt jeder gute (gesunde) Baum gute Früchte, ein fauler (kernfauler, mit verdorbenen Säften) Baum aber bringt schlechte Früchte; ein guter Baum kann keine schlechten Früchte bringen, und ein fauler Baum kann keine guten Früchte bringen. Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Also: an ihren Früchten erkennt ihr sie genau“ (Mt 7,15-20).
Natürlich lässt sich die florale Metaphorik auf keinen Menschen direkt übertragen, und Obst-bauern mögen dem Bild vom gesunden und faulen Baum grundsätzlich widersprechen, weil Obstbäume verschiedene Zeiten unterschiedlicher Reife durchleben: einmal mehr Früchte, einmal weniger und auch mal gar keine Früchte tragend. Dieser Wechsel von „Fruchtbarkeit“, reichem, magerem oder keinem Ertrag darf eher auf ein Menschenleben übertragen werden.
Gewarnt sei allerdings vor jenen, die meinen, vorwiegend fruchtbare (religiöse) Erkenntnisse und vorbildliches Verhalten vorweisen zu können. Sie betrügen sich selbst und verführen die Leichtgläubigen. Am schlimmsten sind in dieser Hinsicht diejenigen, die ihre eigene Religion und Frömmigkeit als die einzig wahre propagieren; ihnen gilt die Mahnung (Mt 7,21-23):
„Nicht alle, die 'Herr, Herr' zu mir sagen, werden (darum schon) ins Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen meines himmlischen Vaters tut. Viele werden an jenem Tage (d.h. am Tage des Gerichts) zu mir sagen: 'Herr, Herr, haben wir nicht kraft deines Namens prophetisch geredet und kraft deines Namens böse Geister ausgetrieben und kraft deines Namens viele Wundertaten vollführt?' Aber dann werde ich ihnen erklären: 'Niemals habe ich euch gekannt; hinweg von mir, ihr Täter der Gesetzlosigkeit!'“
Mit diesen Worten führt der Nazarener m.E. jegliches Urteilsvermögen und Kategorisieren ad absurdum; er entzieht einem beurteilenden religiösen Denken die Kriterien, auf die es sich meint stützen zu können. In den Evangelien wird erzählt, dass die Jesus Nachfolgenden genau diese Taten vollbracht haben, wie es von ihnen auch erwartet wurde. Doch sind weder die Berufung auf den Kyrios (Herr) noch auf die an sich glaubwürdigen Taten entscheidende Kriterien für eine Teilhabe am Reich der Himmel (Reich „Gottes“). Vielmehr kommt es Jesus darauf an, dass man „nach Gottes Willen“ handelt. Dabei betritt man allerdings ebenfalls ein schwieriges, schwer zu überschauendes Terrain, ja, geradezu eine „terra incognita“, weil sich natürlich nicht allgemein von vornherein sagen lässt, worin „der Wille Gottes“ bestünde.
Andererseits hat der Rabbi Jesus seine Leute nicht „ohne Kompass“ durch die Gegend oder gar in die Wüste geschickt, und auch wir müssen nicht orientierungslos leben. Wenn wir zum Wohl unserer Mitmenschen und auch zur eigenen Befriedigung unseren Gaben entsprechend unser oft widersprüchliches Dasein gestalten und bewirken, dass auch Notleidende und meist Ungeliebte in unserer Mitte dennoch ein würdevolles Leben führen (dürfen), dann wird m.W. „Reich Gottes“ gebaut. Dietrich Bonhoeffer meint (in der Ethik), der „Wille Gottes“ sei nur im gleichzeitigen Hören und Tun (Handeln) erfahrbar.
Ein anschauliches Beispiel ist für mich die Erzählung von Petrus, der an der Tempelpforte einem um Almosen bittenden, von Geburt an Lahmen, spontan entgegnet: „Silber und Gold besitze ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth: Steh auf und geh umher!“ Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen, ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. (Apg 3,1-11)
Wir müssen keinen „dogmatisch korrekten“ Glauben oder „Glauben“ überhaupt präsentieren, propagieren oder gar darüber streiten. Innerhalb der Jesus-Bewegung und im Mittelalter (z.B. Thomas à Kempis) spricht man gern von der „Nachfolge Jesu“. Für den Nazarener steht eindeutig die Verkündigung der „Herrschaft Gottes“, seines „Reiches der Himmel“ sowie das „Handeln nach dem Willen Gottes“ im Zentrum seines Lebens und Sterbens. Die Gleichnisse, die Berg- und Feldpredigt (Mt, Lk) mit bedeutsamen Kriterien und Wegweisungen, mit dem Vaterunser auch für das Beten und für persönliche Frömmigkeit sind allemal geeignet, dem Beispiel Jesu zu folgen.
Ich muss nicht komplizierten Gedankengebäuden nachdenken - und ich finde Paulus unnötig schwierig -, um mich im Leben zu bewähren und zu versuchen, ein „gerechtes“ Leben zu führen; ob es dann „Gott wohlgefällig“ sein wird, darüber vermag ich nicht zu urteilen, und ich muss es auch nicht! Selbst Paulus schreibt (1 Kor 4,3-4): „Doch was mich betrifft, so ist es mir durchaus gleichgültig, ob ich von euch oder von (sonst) einem menschlichen Gerichtshofe ein Urteil empfange; ja, ich gebe nicht einmal selbst ein Urteil über mich ab. Denn ich bin mir wohl keiner Schuld bewusst, aber dadurch bin ich noch nicht gerechtfertigt; nein, der Herr ist’s, der das Urteil über mich abgibt.“
Amen.
Cf. Liddell & Scott: Greek-English Lexicon (1996), s.v. hamartía, 77.
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 2 (Nachdruck 1999), s.v. Sünde, 1009-1110.
Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer (2014), s.v. Sünde, 1397f.
„Sund“ wird wieder als „Trennung“ gedeutet bei Hartmut Rosenau: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Lk 18,13). Hamartiologische Vorüberlegungen zur Einführung, in: MthSt 105/ MJTh XX: Sünde (2008), 1-14; jedoch wird „Sund“ auch anders abgeleitet und dann im Sinne von „Trennendes“, „Getrenntes“ verstanden; cf. Etymologi-sches Wörterbuch des Deutschen (2014), s.v. Sund, 1397.
Ulrich Wilckens: Der Brief an die Römer (Röm 6-11), EKK VI/2 (1980), 33-42.
Norbert Baumert: Christus - Hochform von ‚Gesetz‘. Übersetzung und Auslegung des Römerbriefes (2012), 112-117.
David J. Southall: Rediscovering Righteousness in Roman, WUNT 240 (2008), 83-112; 113-147.
Jacob Thiessen: Gottes Gerechtigkeit und Evangelium im Römerbrief, EDIS. Edition Israelogie 8 (2014), 191ff.